Die Wähler in Brandenburg sind jetzt gewarnt: Die „Brandmauer“ soll nicht mehr so genannt werden, aber festhalten will die CDU-Führung daran, während sie mit Wagenknechts Kaderpartei liebäugelt. Mal sehen, wie sich das auf die Wahl auswirkt.
Auf der einen Seite reagiert die CDU nun recht hilflos auf die Erkenntnis, in welches Dilemma sie das Wahlergebnis der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen gebracht hat, obwohl sich ihre Führung doch am Wahlsonntag noch als einer der Wahlsieger feierte. Auf der anderen Seite scheinen die führenden Parteifunktionäre vergessen zu haben, dass ihr öffentlicher Auftritt nicht nur nach zwei Landtagswahlen, sondern auch vor einer Landtagswahl liegt.
Aber vielleicht ist es ja gut, wenn die Brandenburger Wähler etwas mehr Klarheit darüber bekommen, wem sich die CDU unter Friedrich Merz alles an den Hals wirft und welche Prinzipien sie dafür über Bord zu werfen bereit ist. Viele Beobachter des politischen Geschehens überrascht das ja nicht, aber es gibt derzeit offenbar doch viele Wähler, die sich immer noch ein Fünkchen Hoffnung auf die Partei bewahrt haben, die auch die bisherigen Nachfolger der Großen Vorsitzenden Angela Merkel weiter auf dem Kurs hin zur völligen inhaltlichen Beliebigkeit führen.
Die Brandenburger Wähler bekommen nun von der CDU aus Dresden und Erfurt gezeigt, wie schnell das dortige Spitzenpersonal bereit ist, über ein Bündnis mit der Kaderpartei von Sahra Wagenknecht und einer weiteren Partei links der Mitte nachzudenken, um ja an der Brandmauer nach rechts festhalten zu können.
Wagenknecht wird bei den Koalitionsgesprächen mit am Tisch sitzen
Die Beobachter der politischen Zeitläufte haben seit dem Wahlsonntag so einiges über das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) lernen dürfen, was selbst Kritiker dieser Ein-Frau-Partei vor der Wahl nur selten benannten (oder damit in den Medien nur unzureichend durchdrangen). Beispielsweise, dass die an der Wahlurne so erfolgreiche Gruppierung, von der die meisten wohl auch nur die Parteiführerin kennen dürften, eigentlich nur eine verhältnismäßig kleine Zahl an handverlesenen Mitgliedern haben soll. Das hatten einige Medien plötzlich berichtet, weil sich ihre Kommentatoren fragten, ob denn die Wagenknechte überhaupt personell in der Lage wären, im Falle von Koalitionen alle Kabinettsposten einigermaßen kompetent zu besetzen.
Ja, an dieser Stelle drängt sich natürlich der Einwand auf, dass die Ampelparteien bei der Besetzung der Bundesministerien mit einem beispiellos hohem Maß an Inkompetenz aufwarten, aber in diesem kurzen Text ist für eine angemessene Würdigung dieses Umstands nicht hinreichend Platz.
Bleiben wir also bei der Wagenknecht-Gefolgschaft, von der die Medienkonsumenten nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen auch erfuhren, dass deren Große Vorsitzende, die Genossin Sahra, eventuelle Sondierungs- oder Koalitionsgespräche in Erfurt und Dresden nicht allein den Genossen vor Ort überlassen will. Sie möchte, so waren Medienberichte zu vernehmen, nicht nur indirekt, sondern ganz konkret und persönlich dabei sein. Wer also bei der gerade unter Protestwählern beliebten Partei noch der Illusion anhing, bei der Ein-Frau-Partei würde es sich um eine politische Bewegung handeln, der nur gerade kein besserer Name als der der Parteiführerin eingefallen ist, wurde eines Besseren belehrt.
Auch da haben die Brandenburger jetzt das Glück, noch etwas besser informiert als Sachsen und Thüringer in ihre Landtagswahl zu gehen. Für bürgerliche Wähler und/oder Bürger, die den Regierenden mit ihrem Votum signalisieren möchten, dass sie mit der gegenwärtigen Migrations-, Wirtschafts- und Energiepolitik nicht einverstanden sind, machen diese Informationen die Wahl allerdings nicht zwingend leichter. Zumindest dann nicht, wenn sie nicht zum Kreis der AfD-Anhänger zählen. Deren Anhänger wiederum bekommen immer mehr Argumente dafür geliefert, das sie gar keine andere Wahl haben als die, die sie schon getroffen haben.
Warum sollte ein bürgerlicher Wähler noch die CDU wählen?
Aber was machen die, die gern CDU gewählt hätten, weil sie immer noch hoffen, diese Partei könnte zu ihren bürgerlichen Ursprüngen zurückkehren und einen klaren Kurswechsel, beispielsweise in der Migrations-, Wirtschafts- und Energiepolitik, ansteuern? Die hören jetzt von den CDU-Vorsitzenden in Sachsen und Thüringen, Meldungen wie diese:
"Nach der Landtagswahl in Sachsen sieht Ministerpräsident Kretschmer von der CDU kaum eine Alternative zu einer Koalition mit SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Er wünsche sich das nicht, mit dem BSW zu koalieren, sagte Kretschmer im Deutschlandfunk. Man müsse jedoch die Realitäten zur Kenntnis nehmen.
Das schlimmste, was passieren könne, wäre, dass am Ende gar keine Regierung zustande komme, betonte Kretschmer. Man werde deshalb Gespräche auch mit dem BSW führen und am Ende eines vermutlich langen Prozesses sehen, ob es eine Schnittmenge gebe. Eine Koalition mit der AfD schloss Kretschmer erneut aus."
Das heißt in der gegenwärtigen Gemengelage doch konkret: Wer CDU wählt, wählt im Zweifel Wagenknecht und in jedem Fall – falls die Christdemokraten in eine Regierung eintreten – stärkt der CDU-Wähler eine großteils linke Regierung. Letzteres ist aber in Zeiten schwarz-rot-grüner Koalitionen nichts Neues. Mögliche Kooperationen mit einer Abspaltung von den SED-Erben oder auch mit den SED-Erben selbst sind es hingegen schon. Denn auch über Letzteres wird in der CDU gesprochen.
Aber warum sollte ein bürgerlicher Wähler die CDU wählen, wenn er weiß, dass er in jedem Fall eine von ihr unterstützte linke Politik bekommt, im Zweifel sogar im Bündnis mit Linksaußenparteien, nur damit sich die Partei weiter konsequent von den Rechten abgrenzen kann?
Woher sollen denn Mehrheiten in der Mitte kommen?
Da wirkt es schon reichlich bizarr, wenn CDU-Chef Friedrich Merz nun ausruft: "Wir werden den Wählerinnen und Wählern in Brandenburg jetzt sagen: Schaut Euch genau an, was da in Thüringen und in Sachsen geschehen ist. Sorgt dafür, dass es klare politische Mehrheiten in der Mitte des politischen Spektrums gibt". Woher sollen klare Mehrheiten in der Mitte des politischen Spektrums kommen, wenn das deutsche Parteienspektrum eine solche Mitte, die glaubhaft für pragmatische und unideologische Politik stehen könnte, derzeit gar nicht enthält?
Und wenn er die CDU damit meinen sollte, dann müsste er zunächst die Partei auf einen Kurs ohne Schlagseite führen. Das heißt konkret, entweder grenzt man sich nach beiden Seiten des politischen Spektrums gleichermaßen ab oder man ist gleichermaßen offen. Wenn Abgrenzung aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nicht durchzuhalten ist, dann ist eine Öffnung unausweichlich. Dann muss man aber auch nach allen Seiten gleichermaßen sondieren.
Unabhängig davon, was man von der AfD und ihren Positionen halten mag: Wie lässt sich die eine Brandmauer rechtfertigen, wenn man gleichzeitig mit den Wagenknechten reden will? Die sind sich doch ausgerechnet in den Punkten, wegen denen die etablierten Parteien die AfD ablehnen, ziemlich ähnlich. Deshalb hatten die Etablierten und ihre Anhängerschaft unter den Medienschaffenden auch darauf gehofft, die Stärke von Sahras Bündnis würde eine Schwäche der AfD zur Folge haben. Stattdessen sind zu einem Großteil eher linke Wähler ins Wagenknecht-Lager gewechselt. Es ist ja auch kein Wunder, dass eine linke Partei vor allem von linken Wählern gewählt wird.
Dass ein allzu schnelles Werben um CDU-BSW-Bündnisse in Dresden und Erfurt für den christdemokratischen Wahlkampf in Brandenburg schädlich sein könnte, haben natürlich auch einige CDU-Granden verstanden und fordern jetzt mehr Distanz zu den Wagenknecht-Genossen. Heute Morgen meldete u.a. die Zeit:
"In der CDU wächst einem Bericht zufolge der Widerstand gegen mögliche Koalitionen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Der Tagesspiegel berichtet, dass sich eine Gruppe von 40 teils prominenten Parteimitgliedern einer Initiative angeschlossen hat, die nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem BSW fordert. Darunter sind demnach Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, der designierte Chef des Arbeitnehmerflügels CDA, Dennis Radtke, und CDU-Bundesvorstandsmitglied Monica Wüllner."
Das passt natürlich so gar nicht zu den Koalitionsplänen in Sachsen und Thüringen, aber hilft vielleicht den Brandenburger Wahlkämpfern.
Von den Medien angedichtet?
Was sich zeigt, ist das, was hier schon beschrieben wurde: Die CDU steht vor einer Zerreißprobe. Nur einer will das offenbar nicht sehen, der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Der habe, so wird berichtet, auf die Frage, ob er die CDU trotz der in Sachsen und Thüringen anstehenden Gespräche mit dem BSW und teilweise wohl auch der Linkspartei vor einer Zerreißprobe sehe, gesagt: "Nein. Sie wird uns teilweise von den Medien angedichtet."
Das klingt nach einer Realitätswahrnehmung á la Olaf Scholz. Hauptsache, die Brandmauer hält, denn ein Satz des Vorsitzenden ist ziemlich klar: "Es gibt keine Koalition mit der AfD, auch keine Zusammenarbeit mit der AfD und das Gleiche gilt für die Linkspartei."
Im Übrigen will man bei der CDU die Abgrenzung zur AfD künftig offenbar nicht mehr "Brandmauer" nennen. Laut Zeit habe Merz zu einer Empfehlung von Michael Kretschmer, von diesem Begriff Abstand zu nehmen, gesagt: "Das Wort Brandmauer hat nie zu unserem Sprachgebrauch gehört. Das ist uns immer von außen aufgenötigt worden." Und weiter: "Ich brauche mich nicht von einem Begriff zu distanzieren, den ich selber nicht eingebracht habe."
Es wird aber nichts besser dadurch, dass man einen Umstand schöner formuliert, auch wenn das leider in Deutschland eine alltägliche Übung ist.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.