Rainer Grell / 22.07.2016 / 05:25 / Foto: Christopher Michel / 4 / Seite ausdrucken

Wenn zwei das Gleiche sagen, ist es noch lange nicht dasselbe

„Quod licet Iovi, non licet bovi“. Was Jupiter (dem Gott) erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt. Diese alte römische Weisheit hat vor Jahrzehnten ein längst verstorbener Minister mir mal unter die Nase gerieben, als ich mich zu bemerken erdreistete, ich hätte doch nichts anderes geschrieben als er immer sage. Dabei stand für ihn natürlich außer Zweifel, wer der Jupiter und wer der Bos (mit einem s, ist schon richtig, für lateinisch „Ochse“) war.

George Orwell hat diesen Gedanken in seinem Roman „Animal Farm“, in dem Schweine die Hauptrolle spielen, so ausgedrückt: “All animals are equal but some animals are more equal than others.“ Schweine als Götter gewissermaßen? Ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke. Schweine als Menschen sind da schon vertrauter. Und so schreibt Orwell am Ende seines Romans diese wunderbaren Sätze: “The creatures outside looked from pig to man, and from man to pig, and from pig to man again; but already it was impossible to say which was which.“ Orwells Landsmann, der hochverehrte Sir Winston Churchill, hat das ganz ähnlich gesehen: “I like pigs. Dogs look up to us. Cats look down on us. Pigs treat us as equals.” Jetzt werden Sie allmählich ungeduldig und fragen sich, worauf ich hinaus will. Okay. Ich will Sie nicht länger hinhalten: Wenn zwei das Gleiche sagen, ist es noch lange nicht dasselbe. Jetzt geht es wirklich um was Ernstes.

Katharina Szabo hat sich kürzlich auf der Achse mit einer Äußerung von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble beschäftigt, die dieser in einem „Zeit“-Interview gemacht hat: „Die Abschottung ist doch das, was uns kaputt machen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe. Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt. Schauen Sie sich doch mal die dritte Generation der Türken an, gerade auch die Frauen! Das ist doch ein enormes innovatorisches Potenzial!"

Schließen Sie die Augen und lehnen sich zurück

Lesen Sie diesen Satz bitte noch einmal. Dann schließen Sie die Augen und lehnen sich zurück. Und nun stellen Sie sich vor, nicht Schäuble sondern Thilo Sarrazin hätte diesen Satz von sich gegeben. Inzucht. Degenerieren. Innovatorisches Potenzial. Das klingt fast so herzlos wie „Humankapital“. Oder, schlimmer noch, wie „Menschenmaterial“, dem Unwort des 20. Jahrhunderts. Gut, bei Sarrazin hätte es vielleicht nicht viel ausgemacht. Dessen Motto ist vermutlich ohnehin: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert. Aber nehmen Sie mal Alexander Gauland oder – horribile dictu – Beatrix von Storch (das ist die mit dem „Schießbefehl“ an der Grenze). Was wären da für Vokabeln gefallen!

Für Heinrich Himmler waren Juden bekanntlich keine Menschen, sondern „Läuse“. Diese kann, nein muss man zerknacken, ohne jegliche Gewissensbisse. „Das sind keine Menschen, das sind Verbrecher.“ Verdammter Nazi! Halt! Stopp! Das ist nicht mehr Himmler, das ist Originalton Stanislaw Tillich, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen und Mitglied der Christlich Demokratischen Union. Und der hat natürlich nicht die Juden gemeint, sondern fremdenfeindliche „Provokateure“ (Süddeutsche Zeitung) in Bautzen und Clausnitz, also mit anderen Worten „Pack“ (Sigmar Gabriel).

„Deutschland, du mieses Stück Scheiße.“ Was halten Sie von diesem, hm, Werturteil? Klar, wie soll man einen Staat nennen, der der Witwe des Nazi-Richters Roland Freisler bis zu ihrem Tod 1997 eine stattliche Rente zubilligte und diese 1974 sogar um monatlich 400 DM erhöhte, weil ihr verstorbener Mann auf Grund seiner fachlichen Qualifikation im Erlebensfall nach dem Krieg vermutlich „als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden wäre". Eine Verhöhnung nicht nur der Opfer, die durch die Hand dieses Blutrichters gestorben sind, sondern auch der zahlreichen KZ-Überlebenden, die sich die oft spärliche Entschädigung für ihre gar nicht wieder gut zu machenden Leiden in den Konzentrationslagern in langwierigen und teilweise entwürdigenden Prozessen mit den zuständigen Versorgungsämter erkämpfen mussten, wie das Christian Pross in seinem Buch „Wiedergutmachung“ (2. Auflage 2001) detailliert beschrieben hat. Die Rechtslage wurde erst nach 1997, 52 Jahre nach Kriegsende, durch eine Novelle geändert, nachdem man davon ausgehen konnte, dass kaum noch jemand davon betroffen war.

Wie soll man ein Land nennen angesichts des Trauerspiels um die Entschädigung von Zwangsarbeitern der Nazi-Zeit. Ohne die zehn Millionen ausländische Zivilarbeiter, "Fremdarbeiter", Kriegsgefangenen, KZ-Häftlinge und europäischen Juden hätte Hitler-Deutschland kaum den Krieg so lange durch-halten können (ihr Anteil in der Rüstungsindustrie lag zeitweise bei 50 Prozent). Von Entschädigung durch die begünstigten Wirtschaftsunternehmen (Daimler, Siemens, Krupp, VW und andere) war dennoch nie die Rede. Erst nachdem so viele eines natürlichen Todes gestorben waren – so genannte biologische Lösung – ging man dieses Thema an und brachte nach endlosem Hick Hack einen Fonds von zehn Milliarden D-Mark zustande, der je zur Hälfte von der Wirtschaft und der Bundesregierung bestückt wurde. Politiker und Wirtschaftsführer sind offenbar Menschen, denen jegliches Anstands- und Schamgefühl abhanden gekommen ist.

Der Minister geht einem richtig ans Herz

Moment. Langsam. Halt! Stopp! Da liegt offenbar ein Irrtum vor. Hier geht es doch nicht um diese alten Kamellen, entschuldigen Sie den Ausdruck, aber ist doch wahr! Hier geht es um ein Anliegen des sächsischen Landesverbandes der Jusos, die dem CDU-Ministerpräsidenten offenbar nicht das Feld allein überlassen wollen, wenn es um klare Ansagen geht. "In einem Land wie Deutschland, in dem der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) jahrelang mordet und wo Geflüchtete tagtäglich angegriffen werden - es tut mir leid, so ein Land hat es verdient, beleidigt zu werden."

Mit dieser Begründung wollen die sächsischen Jusos die Streichung des Paragraphen 90a des Strafgesetzbuchs erreichen, der die „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ unter Strafe stellt. Und dieses Anliegen wollte Claudia Roth, die „Bundesempörungsbeauftragte“ und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages offenbar unterstützen, als sie am Sonntag, den 29. November 2015 gemeinsam mit Niedersachsens grünem Landwirtschaftsminister Christian Meyer und dem 1. Bürgermeister Thomas Herrmann (SPD, erster Stellvertreter des OB) hinter vermummten Linksradikalen und dem schwarzen Block bei einer vom DGB und dem Bündnis „Bunt statt Braun“ organisierten Anti-AfD-Demo, bei der eben "Deutschland, du mieses Stück Scheiße" und "Deutschland verrecke" skandiert wurden, durch Hannover zog.

Ich habe mit Wolfgang Schäuble begonnen. Und mit ihm ende ich. Sie erinnern sich noch an seine, zum freundlichen Gesicht der Kanzlerin passenden freundlichen Worte über Muslime. Genauso hat er sich schon als Innenminister geäußert: „Muslime sind für uns alles andere als eine Bedrohung, sie sind eine Bereicherung, machen unsere Ordnung vielfältiger, sie sind erwünscht und gewollt.” Und es geht einem richtig ans Herz, wie sich der Minister über ein Pilotprojekt islamischer Religionsunterricht an einer Offenburger Schule freut: „Im Sitzkreis um einen Strauß roter Rosen erarbeiteten die Kinder zusammen mit ihrer Lehrerin spielerisch den Lebenslauf des Propheten Mohammed.“ Ob sein Antisemitismus, der Mord an den Juden von Medina und die 43 Morde im Auftrag des Propheten dabei wohl auch zur Sprache gekommen sind? Rein spielerisch, meine ich.

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Leserpost

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Diederich Heßling / 22.07.2016

Kleine Klugscheißerei am Rande: Die Sentenz „Quod licet Iovi, non licet bovi“ ist mit ziemlicher Sicherheit keine alte römische Weisheit. Der verlinkte Wikipedia-Artikel ist meines Erachtens ausgemachter Quatsch. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dieses Sprüchlein von deutschen Lateinlehrern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erdacht worden ist (vgl. das alte Nachschlagewerk “Geflügelte Worte” von Büchner, 1959). Es entspricht auch ganz dem damaligen Geist des deutschen Bürgertums.

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / 22.07.2016

Hallo, kleine Korrektur, wir rechnen heute mit gut 13 Millionen Zwangsarbeitern auf dem Gebiet des Deutschen Reiches und nochmal so viele außerhalb dieser Grenzen. Die Forschungen sind noch nicht abgeschlossen, die Zahlen können sich durchaus weiter erhöhen. Grüße, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit

JF Lupus / 22.07.2016

Pardon, aber die mit dem “Schießbefehl”, war das nicht Petry? Die im Übrigen nur den Gesetzestext zitiert hat, was die vereinte gleichgeschaltete Medienlandschaft solange verstümmelte, bis der Schießbefehl daraus wurde.

Peter Vollmer / 22.07.2016

Ohje, meine “Depressionen” werden beim Lesen Ihrer (klugen und bissigen) Worte auch nicht besser. Vielleicht, so Frank Meyer vom Wirtschaftsblog “Rott und Meyer” im Angesicht der vielen Horrornachrichten: “... könnte man ein Jahr des Glücks 2016/17 ausrufen mit Katzenvideos im Fernsehen und putzigen Hundewelpen.” Übrigens hat nicht von Storch, sondern Petry in einem Interview den Satz geäußert : “„Er (der Grenzpolizist) muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.“ Weiter so! Und ich hoffe, dass sich noch viele Leser hier entscheiden werden, diesen erhaltenswerten Blog zu unterstützen!

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