Eigentlich hatte ich mir für die ganze Grenzwert- und Dieseldiskussion Schweigen auferlegt. Nicht noch eine weitere Stimme in dieser Diskussion, zumal ich kein wirklich einschlägiger Experte bin, wenngleich vor etlichen Jahren Teilnehmer an einer hochkarätigen zweiwöchigen „Epidemiological Summer School“ – und das auch noch zu Lasten des Jahresurlaubs. Wenn aber nun zwei Wissenschaftsjournalistinnen in der Welt vom 2.2.2019, die eine Biochemikerin, die andere ausgerüstet mit einem Studium der Politikwissenschaft und Neueren Geschichte, in ihrem Artikel „Durchatmen“ Professor Köhler und damit den gut 100 Mitunterzeichnern der Stellungnahme vorwerfen, lediglich Lungenärzte, aber keine Epidemiologen zu sein, hört der Spaß auf. Vor allem wenn die beiden dann so tun, als hätten ausgerechnet sie den Mega-Durchblick.
Ob nun als Journalist, Wissenschaftler oder Ehepartner: Man sollte vor dem Äußern von Kritik zunächst richtig verstanden haben, was der Andere überhaupt meint. Die beiden Journalistinnen, die hier stellvertretend für weite Teile ihrer Zunft stehen, unterstellen Professor Köhler eine Unterlassung auf wissenschaftlichem Klippschulniveau. Dass ihm nämlich der methodische Umgang mit „Störgrößen“ – medizinische, psychologische und soziale Unterschiede zwischen Bewohnern an viel und wenig befahrenen Straßen – die „durch hoch entwickelte statistische Analysen“ herausgerechnet würden, nicht bekannt sei. Das trifft schlicht nicht zu.
Denn in der Stellungnahme wird in Punkt 2. – vielleicht für die beiden Journalistinnen auf einem methodisch etwas zu anspruchsvollem Niveau – folgendermaßen argumentiert: Dass nämlich diese Störfaktoren zwischen beiden Bewohner-Gruppen „oft sehr unterschiedlich“ verteilt seien und zudem die durch diese Faktoren bedingte Risikoerhöhung „meist hundertfach stärker“ ausfalle, als die durch Luftverschmutzung bedingte. Anders formuliert: Kann es den Studien wirklich gelungen sein, alle relevanten Störfaktoren zuverlässig und vollständig zu erfassen, damit der klitzekleine übrig bleibende Rest an Risiko valide auf eine spezielle Form der Luftbelastung zurückgeführt werden kann? Da sind selbstverständlich Zweifel ganz grundsätzlicher Art erlaubt, so wie sie in der Stellungnahme auch vorgetragen werden.
Ein massives Plausibilitätsproblem
Auf einen letztlich noch deutlich wichtigeren Kritikpunkt in der Stellungnahme der Lungenärzte wird so gut wie nie eingegangen, auch nicht in dem Welt-Artikel. Denn die Zweifel an der epidemiologischen Forschungslage werden noch massiv befeuert durch die aus diesen Studien generierte (hohe) Anzahl von jährlichen zusätzlichen Todesfällen durch Stickstoffverbindungen (NOx) und Feinstaub.
Diese kollidieren ebenso wie die Grenzwerte massiv mit der Wirklichkeit, wenn Raucher bei dem durchschnittlichen Konsum von einer Schachtel Zigaretten pro Tag „in weniger als zwei Monaten die Feinstaubdosis (erreichen), die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher im Leben einatmen würde“, vorausgesetzt, er hätte sein Leben lang permanent Feinstaub im Grenzwertbereich eingeatmet. Ganz ähnlich, wenn auch nicht ganz so drastisch, verhalte es sich mit den NOx. Unter diesen Umständen müsste – nimmt man die oben genannten zusätzlichen Sterbefälle durch die beiden Luftschadstoffe für bare Münze – der Tod durch Zigarettenrauchen nicht nur exzessiv häufiger, sondern auch sehr viel rascher eintreten.
Egal wie aufwendig und zahlreich die epidemiologischen Studien zu Feinstaub und NOx konzipiert und durchgeführt wurden: Angesichts dieser Tatsachen haben die Studien ganz offensichtlich ein massives Plausibilitätsproblem, am ehesten auf der Grundlage einer systematischen Verzerrung, eines sogenannten bias. Wo das Problem zu suchen ist, ob in Sammlung, Auswertung oder Interpretation der Daten, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall führt ein solcher bias zu Schlussfolgerungen, die systematisch von der Wahrheit abweichen. Und bei einer solchen Konstellation liegt die Wahrheit mitnichten in der Mitte, wie der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) etwas irrlichternd meinte.
Die Flöhe husten gehört
In dem Welt-Beitrag wird unter Verweis auf ein Positionspapier der DGP die steile These vertreten, dass Feinstaubbelastung unter anderem das Demenzrisiko erhöhe, weil die Partikel auch das Gehirn erreichen würden. Das mag so sein. Aber die übliche Feinstaubbelastung in der Umwelt kann zumindest in Bezug auf das Risiko für die deutlich häufigste Demenzerkrankung, die Alzheimer-Demenz, keine Rolle spielen, denn sonst müsste Rauchen ja ein äußerst starker Risikofaktor für diese Erkrankung sein. Ist er aber nicht. Lediglich Personen, die im mittleren Lebensalter über mehrere Jahre mehr als 2 Packungen Zigaretten täglich geraucht haben, weisen ein mäßig erhöhtes Risiko auf. Der Konsum von immerhin noch ein bis zwei Packungen ist hingegen nicht mehr mit einer Risikoerhöhung verbunden.
Die sich mit Feinstaub und NOx beschäftigende Epidemiologie hat das Problem, dass ihre Erkenntnisse aus ethischen und praktischen Gründen – auch darauf weist die Stellungnahme hin – in der Regel am Menschen nicht in kontrollierten Studien überprüft werden können. Denn man kann nicht eine Stichprobe über ein oder mehrere Jahre in den Wohnungen mit einer hohen Feinstaubbelastung begasen und eine andere mit einer niedrigen, um dann zu schauen, ob sich die beiden Gruppen zum Beispiel in der Häufigkeit von (neu entstandenen) Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder in deren Schweregrad unterscheiden.
In der Ernährungsmedizin ist das eher möglich. Hat sich etwa ein Nahrungsbestandteil oder eine Diät in epidemiologischen Studien als vor Demenz, Bluthochdruck oder Herzinfarkt schützend herausgestellt, kann man oft eine gezielte, experimentelle, vergleichende Studie durchführen. Was auch reichlich getan wird. Und was kommt dabei meist heraus? Dass die vermeintlich segensreich wirkende Substanz oder Diät nicht den erwünschten Effekt zeigt. Die Epidemiologen haben mal wieder die Flöhe husten gehört.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich.