An manche Begegnungen, so flüchtig sie waren, erinnert man sich nachhaltig. Vor 15 Jahren oder so lief ich auf der Insel Mauritius dem Schauspieler Klausjürgen Wussow über den Weg, und zwar beim Dreh eines Fernsehfilms. Das sollte ich bald bedauern.
Wussows große Zeiten als Doktor der Nation in der legendären Ärztesoap „Die Schwarzwaldklinik“ waren damals längst passé. Trotzdem – oder deshalb – hatte sich der gewesene Darsteller des „Professor Brinkmann“ in die Idee verliebt, er sei fast so etwas wie ein richtiger Arzt, mehr noch: der gesamtideelle Ober-, ja Überarzt der Deutschen.
Für die Botschaft benötigte er natürlich Publikum. Ich, einziger Vertreter eines auflagestarken Blattes am Set, wurde sein Opfer. Obschon ich gar nicht wegen ihm auf die Insel gekommen war, sondern für ein Porträt des unnachahmlichen Berliner Erfolgsproduzenten Wolfgang Rademann . Ob in drückender Hitze am Strand oder an der schattigen Bar des Hotels „Le Touessrok“, Wussow machte mich ausführlich mit seinen Ansichten zum Gesundheitssystem, dessen Reformbedarf und den ethischen und fachlichen Herausforderungen der Ärzteschaft bekannt. Er erwähnte stolz, dass die Serie seines Lebens, von meinungsführenden Medien übel verrissen und verlacht, auch unter Ärzten viele Fans hätte. Ferner, dass er, Wussow alias Brinkmann, öfters eingeladen werde, auf Ärzteversammlungen zu sprechen.
Wussows Auftritt hinterließ mich ratlos
Das alles trug er mit großem Ernst vor. Steigerte sich, seine berühmte sonore Stimme dramatisch hebend (er war vor seiner Zeit als TV-Doc ein Theaterstar gewesen), in regelrechte Plädoyers für eine bessere Krankenversorgungswelt hinein. Ich war geplättet. Dieser Mann hatte nicht ein einziges Semester Medizin studiert. Alles Fachwelsch, das er in seinen Filmen aufsagte, hatten ihm Drehbuchautoren mehr oder minder korrekt in den Mund gelegt. Und dass sein ursprünglicher Berufswunsch die Ärztelaufbahn gewesen sein sollte, hielt ich immer für einen PR-Gag aus jenen Tagen, da bis zu 28 Millionen Zuschauer gebannt das Geschehen in der fiktiven Glottertaler Klinik verfolgten.
Kurz, Wussows Auftritt hinterließ mich ratlos, auch ein bisschen angegruselt. Etwas von der Dritten Art hatte, so schien es mir, von dem Mann Besitz ergriffen, ihm eine Doppel-Identität übergestülpt.
Warum ich immer wieder mal an diese Begegnung denke? Weil es im Showgeschäft von Wussows wimmelt. Von Menschen, die weder eine Eignung noch ein Mandat besitzen, weder Schimmer noch Ahnung haben, über komplexe Themen zu befinden, aber genau dies mit Hingabe verrichten. Die von Politik und Wirtschaft soviel verstehen wie die Kuh vom E-Gitarrenspiel, aber medienwirksam lamentieren können.
Der tränenfeuchte Auftritt der Hillary Clinton-Partisanin Meryl Streep bei den Golden Globes, wo die Mitverliererin der US-Wahl jüngst vor versammelter Guttuerschaft des Planeten Hollywood (dieselbe Kamarilla übrigens, die Michael Crichton in seiner Klima-Science-Fiction „Welt in Angst“ aufs Schönste ridikülisiert) den künftigen Präsidenten der USA zu einem Ferment aus Dr. No, Blofeld und Goldfinger eindickte, somit die Hälfte der amerikanischen Wähler zu Steigbügelhaltern eines Erzschurken ernennend – Nummern dieser Art gehören inzwischen zu den Standards im Varieté der Do-gooders. Auch der Wutausbruch des Hollywood-Dandys Ben Affleck gegen „ekelerregende Rassisten“ (zwei linksliberale Autoren, welchen die Ausbreitung des Islam nicht gefällt) zählte zu diesem Repertoire.
Imaginierte Kompetenz in Verbindung mit großer Klappe
In den Echokammern der amerikanischen Westküste, von wo es nach Kernamerika weiter ist als nach Mitteleuropa, kommt so was immer gut an. In Deutschland auch. Fast alle Blätter unserer vielfältigen und quietschbunten Presselandschaft schlugen vor Begeisterung über Ms Streeps Ansprache lang hin. Schwer gegeißelt wurden von ihnen dagegen der Twitter-Konter von Trump, der die Nachtreterin als „überschätzt“ bezeichnete – eine Sichtweise, die zumindest manche Rezensenten Streep’scher Kitschfilme à la „Die Brücken am Fluss“ durchaus teilen. Daraus strickten hiesige Wahrheitsmedien flugs, Trump habe Streep „beschimpft“ .
Das Wussow-Syndrom – imaginierte Kompetenz in Verbindung mit großer Klappe – hat auch in Deutschland eine Heimstatt. Ungezählt die Schar der Promis aller Gewichtsklassen, welche mit ihren politischen Überzeugungen in Talkshows und Interviews nicht hinter dem Berg halten. Langgediente „Tatort“-Größen etwa (Ausnahme: die Herren Nemec und Wachtveitl vom Bayerischen Rundfunk) neigen dazu, über das reale Kriminalitätsgeschehen zu schwafeln, als verstünden sie davon auch nur ein Jota. Dabei erschöpft sich das, was ihnen die Fachkräfte der Exekutive diesbezüglich beibringen, gewöhnlich in der Unterweisung, wie man eine Pistole einigermaßen professionell zu halten hat.
Immer gut macht sich, zum Beispiel für einen dpa-Text, die Verlautbarung, man wolle „als Gegenpol zu den Neonazi-Strömungen“ fungieren - so der charaktervoll zerfurchte Darsteller Ulrich Pleitgen, wohnhaft abwechselnd im neonazifreien, alsternahen Hamburger Stadtteil Uhlenhorst und auf dem beschaulichen Heideland. Dessen Kollege Walter Sittler fand im Kampf gegen ein Bahnhofsbauvorhaben in Stuttgart sein politisches Steckenpferd, kommt aber spätestens seit der Amtszeit von George W. Bush gern auch mit Kritik an der amerikanischen Politik („ziemlich schrecklich“) um die Ecke, wenn er nicht gerade für sterbenslangweilige Krimiserien wie „Der Kommissar und das Meer“ vor der Kamera steht. Sittlers Amikritik-Kompetenz: Aufgrund seiner Geburt in Chicago anno 1952 besitzt er auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Wir haben zwar keine Meryl Streep, aber an Bescheidwissern mangelt es nicht
Einen schier unendlichen Strauß von bestmeinenden Projekten und Kampagnen unterstützt Jan Josef Liefers, populär geworden durch die Rolle des Gerichtsmediziners Prof. Boerne im „Tatort“ Münster. Dem bekennenden Merkelianer graut es vor einer „Abschottung“ Deutschlands gegen Flüchtlinge („Die einzig wirklich dichte Grenze, an die ich mich erinnere, ist die Staatsgrenze der DDR“). Selbstredend tritt er auch für Asyl von Edward Snowden in Deutschland ein. Ein Mime also, der in Fragen der Massenimmigration ebenso firm ist wie in internationalen Geheimdienstzusammenhängen. Schön zu wissen: Wir Deutsche haben zwar keine Meryl Streep. Aber an Bescheidwissern aus dem Musentempel gebricht es auch uns keineswegs.
Und dennoch, manchmal wünschte ich, der fast vergessene Appell des altgriechischen Malers Appeles an einen Bekrittler seiner Kunst käme wieder in Mode. Er ging als Redewendung „ne supra crepidam sutor“ ins Lateinische ein. Frei ins Deutsche übersetzt: Schuster, bleib bei deinen Leisten.