Jesko Matthes / 08.02.2017 / 06:00 / Foto: Timm Suess / 5 / Seite ausdrucken

Wenn man zu spät kommt: Lehren aus Weimar

Von Jesko Matthes.

Seltsam, wie lang Traditionen zurückreichen können, und wie sie auch Weltkriege unbeschadet überstehen können. Zu diesen Traditionen zählt das Wählerverhalten in Deutschland. Als das Kaiserreich abdankte, übernahm die Regierung die „Weimarer Koalition“, eine Art Dreibund aus den damals neuen, heute vertrauten Landesfarben: schwarz – rot – gelb. Schwarz stand für das katholische „Zentrum“, in etwa die heutige CDU/CSU, rot für die SPD, gelb für die linksliberale DDP. Damit war, für eigenartig beständige Zeit, ein Dreiparteiensystem vorgegeben, das aus der alten Bundesrepublik vertraut wirkt. Aber auch der Rest wirkt vertraut. Denn die „Weimarer Koalition“ hilet nur kurz – gegen andere.

Die drei Parteien regierten Weimar für eine kurze Zeit, die Linke spaltete sich nach 1920 in MSPD und USPD (wie heute in SPD und Linkspartei). Mit dem konservativen Zentrum konkurrierte die protestantisch-unternehmerisch ausgerichtete DNVP (Deutschnationale Volkspartei), mit Zulauf aus Teilen der Industrie, dem Großgrundbesitz, den Landwirten und dem nationalistischen Bürgertum, heute in etwa von der AfD vertreten.

Und auch die Liberalen spalteten sich bereits vor 1918 in eine Vielzahl kleiner Splitterparteien, von denen die linksliberale DDP und später die rechtsliberale DVP (die Partei Gustav Stresemanns) die wichtigsten waren. Auch sie bildeten später ungefähr das Spektrum der Liberalen in der Bundesrepublik ab, zwischen Walter Scheel und Erich Mende, zwischen Gerhart Baum und Jürgen W. Möllemann. Das Regieren in Weimar wurde immer komplizierter, es erforderte „bunte“ Koalitionen mit widerstrebenden Interessen - und bald waren jene da, die den Kaiser gern zitierten, wenn sie vom Reichstag als dem „Reichsaffenhaus“ sprachen, und sie kamen nicht nur von rechts.

Seit 100 Jahren sind kaum neue Parteien hinzugekommen

Genau genommen sind seit damals, vor fast 100 Jahren, nur sehr wenige Parteien dazu gekommen. Es gab damals, von vornherein, die KPD, massiv und brutal bekämpft von Freikorps und SPD, und später die NSdAP, mit Zulauf mehr oder minder aus allen Lagern. In der Bundesrepublik, etwa 1980, kamen die Grünen dazu. Aber auch „grüne“ Tendenzen gab es schon in den 1920er Jahren, im „Wandervogel“ , in Gestalt des seltsamen Gustaf Nagel , und selbst in der NSdAP gab es Gedankengut im Zusammenhang mit „Blut und Boden“, das sich auf Naturschutz im verfälschten Sinne eines Rousseau, ein „Zurück zur Natur“, bezog, diesmal in dezidiert sozialdarwinistischer Weise.

Nahezu keine der heute bekannten politischen Strömungen ist ohne Vorbild im Kaiserreich und in Weimar, und es täte den heutigen Parteien gut, einmal Rückschau zu halten auf ihre Wurzeln. Die SPD landete bei August Bebel, Otto Braun und Otto Wels, die CDU bei Konrad Adenauer (vor 1933), die Liberalen bei Gustav Stresemann, die Linkspartei bei Rosa Luxemburg, Ernst Toller und Ernst Thälmann. Nur die Grünen müssten deutlich eklektizistischer Vorgehen.

Und auch das Verhältniswahlrecht, für das sich die Gründer der Bundesrepublik sehr weitgehend entschieden, hat seine Wurzeln in Weimar. Es macht es den Usurpatoren, wohlgemerkt aber nur diesseits der direkten Präsidentenwahl, der Notstandsgesetze und der „Machtergreifung“, deutlich schwerer, den Staat autoritär umzugestalten; es macht allerdings auch den Kompromiss, die Koalition, zum natürlichen „modus regendi“ in Deutschland.

Außenseiter, Eliten und Populisten

Einen weiteren Unterschied, so bleibt zu hoffen, gibt es zwischen der Weimarer und der Berliner Republik. Peter Gay hat in seine brillanten Studie „Republik der Außenseiter“ aus dem Jahre 1970 nachgewiesen, wie sehr monarchistische und nationalistische, in Teilen auch kommunistische Traditionen den Erfolg Weimars behinderten. Nur die Außenseiter in Politik, Kultur, Kunst und Literatur hätten das Bild Weimars geprägt, seine Exekutive, Legislative und Judikative und der einzelne Bürger aber viel zu wenig, um dem neuen, nur gut vierzehnjährigen „Reich“ Stabilität zu verleihen.

Auch Weimar sah sich in seiner Anfangs- und Endphase Angriffen von ganz rechts und ganz links ausgesetzt, die man heute vielleicht als „populistisch“ bezeichnen würde; seine jeweiligen „Eliten“ standen am Anfang und Ende unter erheblichem Druck der „Straße“ und sogar des Terrors, dem unter anderen Walther Rathenau, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zum Opfer fielen.

Das Ende ist bekannt; es führte zum Aufstieg der Autoritären - von Papen, Schleicher, Hitler, bekämpft von einer zerrissenen Linken, darunter auch Stalinisten. Es ist oft die Rede von einem „Mangel an Demokraten“, der Weimar scheitern ließ; das wird zutreffen. Ich hoffe nicht, dass die Berliner Republik unter einem Mangel an Demokraten leidet; sicher bin ich mir allerdings nicht. Es gilt dabei auch zu bedenken, dass Weimar die erste Wirtschaftskrise, die der Hyperinflation, 1923 mit der Rentenmark überstand, die globale Krise 1929 dagegen nicht, und dass Stresemann und Brüning spät kamen, höchstwahrscheinlich zu spät, um die alten inneren und äußeren Zerwürfnisse noch rechtzeitig beizulegen.

Das Menetekel Weimars – und Europas

Das ist das eigentliche Menetekel Weimars. Man kann in guter Absicht ins Unheil stürzen, indem man zu spät kommt. Man kann die nationalen „checks and balances“ falsch austarieren und die internationalen unterschätzen. Man kann das ganze Europa verspielen, indem man sich auf ein undefiniertes Europa beruft. Man kann die Interessen Englands, Frankreichs, der USA und Russlands unterschätzen. Und dazu heute die Chinas.

Man kann übersehen, wie sehr dieses Europa auf seltsame Weise in den direkten Fokus und gleichzeitig an die Peripherie eigener und fremder Interessen geraten kann; man kann auch übersehen, wie hilflos dieses Europa exakt jenen Entwicklungen von innen und außen gegenüber stehen kann, die seine Existenz bedrohen. Das alles mag grob vereinfacht sein. Der Rückblick lohnt dennoch, selbst wenn Geschichte sich nicht wiederholt.

Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch Evern.

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Leserpost

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Rupert Drachtmann / 08.02.2017

Sehr treffend Herr Matthes, unsere politische “Elite” erhebt jedoch eher den mahnenden Zeigefinger mit Blick in jene üble Zeit. Ohne selbst zu erkennen, dass sie selbst aktuell die Wegbereiter sind in eben solche Zustände. Irritierend. “Geschichte wiederholt sich nicht”: Es ist anzunehmen, dass kein Österreicher mit Seitenscheitel und Schnautzbärtchen auftauchen wird. Aber die grundlegenden geschichtlichen Mechanismen wiederholen sich mit Sicherheit. Wie Sie sehr treffen schreiben: “Rückblick lohnt sich”. Es ist so trivial naheliegend und sogar innerhalb einer Generation erkennbar. Ggf. entstehende politische Fehlentwicklungen aus der aktuellen Situation könnte man den Nachfolgegenerstionen nicht erklären. Die Begründung hierfür wäre lediglich “Dummheit und Ignoranz”. Grüsse

Martin Lederer / 08.02.2017

Etwas zu Ihrer “zerrissenen Linken”: Die KPD unter Thälmann war stramm auf Stalin-Kurs. Und wieviele Millionen Tote Stalin auf dem Gewissen hatte, sollte bekannt sein. Also die Linken (die KPD) als die Guten darzustellen, ist schon etwas naiv.

Karla Kuhn / 08.02.2017

“Auch Weimar sah sich in seiner Anfangs- und Endphase Angriffen von ganz rechts und ganz links ausgesetzt, die man heute vielleicht als „populistisch“ bezeichnen würde; seine jeweiligen „Eliten“ standen am Anfang und Ende unter erheblichem Druck der „Straße“ und sogar des Terrors, dem unter anderen Walther Rathenau, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zum Opfer fielen.”  Glauben Sie, Herr Matthes, daß es unseren Politikern gelingen wird, die jetzige Stimmung, ebenfalls von links und rechts, noch in die richtigen Bahnen zu lenken ?  Ich weiß es nicht, wenn ich allerdings höre, wie Menschen, die eine andere Meinung vertreten als unser “Eliten”  als “Populisten und Nazis”  (was für mich eine Verharmlosung der verbecherischen Nazis ist) beschimpft werden, kommen mir ganz große Zweifel. Und wenn ein Kanzlerkandidat im Wahlkampf das Blaue vom Himmel verspricht, wohlweislich, daß er es gar nicht einhalten kann, nur um unbedingt an die Macht zu kommen, so stirbt mein letztes bissel Hoffnung auch noch. Danke für Ihren guten Beitrag.

Florian Bode / 08.02.2017

Europa fehlt, was auch Berlin nicht hat. Eine charismatische und doch ehrliche Führung. Probleme sind genug da. Lösungen drängen sich auf. Die Junckers und Merkels dieser Welt schwafeln um den heißen Brei und sehen die Schrift an der Wand nicht. Wenn der Migrationsdruck, angetrieben durch eine zerstörerische Reproduktionsrate, anhält und Europa wirtschaftlich von Asien weiter richtung Wand getrieben wird, dann kommen wir mit gesinnungsethischen Sprüchen nicht weit.

Stefanie Zeidler / 08.02.2017

Eine gute Zusammenfassung der Wurzeln des Untergangs von Weimar.  In Wolfgang Prabels Buch “Der Bausatz des 3.Reiches”  sind die Stimmungslage und die sozusagen unterliegenden Geisteströmungen dieser Zeit recht gut beschrieben. Jedoch mit einem ähnlichen Fehler in der Argumentation: die stabilisierenden Kräfte (Zentrum, SPD und die liberalen Parteien), seien vom “Zeitgeist”, d.h. dem elitären Geist der Kommunisten und Nationalsozialisten und den esoterischen Strömungen(den “Demokratiefeinden”) verdrängt wurden , das christliche Weltbild vom Nietzscheanismus - und daran sei Weimar gescheitert. Doch tatsächlich hatten die entsprechenden Kräfte - die Elite - ja die Macht und die Möglichkeit der Gestaltung über lange - zugegebenermaßen: turbulente - Zeiten hinweg. Doch gerade auf dem Gebiet der Außenwirtschaft, bei den Reperationszahlungen (der Staatsverschuldung im Ausland, in Fremdwährung sozusagen), erreichte die Weimarer Republik zu wenig: Deutschland beglich seine Schulden bei Frankreich, Frankreich beglich seine Kriegsschulden bei den Amerikanischen Banken, die amerikanischen Banken gaben Deutschland (und auch anderen) Kredit, damit diese ihre Tilgungsraten bei Frankreich (und den anderen Gläubigern) erwirtschaften konnten: ein Devisenkarusell. Das ging so weiter bis diese Spekulationsblase platzte, die Weltwirtschaft darniederlag und die Folgen der Politik für die einfachen Menschen, die Wähler sichtbar wurden. (Weitsichtigere mögen derartiges schon vorher geahnt haben). Man könnte auch sagen die “Eliten” (auch die internationalen) haben es sozusagen verbockt. Sie haben die Gesellschaftsordnung und die Wirtschaft an die Wand gefahren - Und dieses Scheitern ist nicht auf dem Mist der “Antidemokraten” (analog zum Antichrist?) gewachsen. Am Ende haben die Deutschen sich an den Strohhalm des “3.Weges” und der Idee der Volksgemeinschaft geklammert. Sie hätten es auch mit dem Bolschewismus und der Diktatur des Proleteriats probieren können (doch dazu war das Land zu Kleinbürgerlich geprägt). Man kann sich ja einmal versuchen vorzustellen, wie ein “deutscher Stalinismus” in den 30ern und 40ern ausgesehen hätte: ich denke bis auf paar andere Vorzeichen bei den Opfergruppen, sehr ähnlich wie das, was tatsächlich geschah.

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