Frauenzeitschriften zeichnen sich dadurch aus, den weiblichen Drang zur Selbstoptimierung zu bedienen. Das betrifft heutzutage auch den richtigen Umgang mit Muslimen während des Ramadans.
Frauenzeitschriften zeichnen sich dadurch aus, den weiblichen Drang zur Selbstoptimierung zu bedienen. Normalerweise bezieht sich das auf einen nicht enden wollenden Reigen aus Beauty-, Mode-, Beziehungs- und Diät-Tipps neben einer Einschätzung der Tauglichkeit der neuesten Lifestyle-Trends. Als Jugendliche verschlang ich diese Magazine stapelweise, im Laufe meiner 20er habe ich mir dieses „Guilty Pleasure“ weitgehend abgewöhnt. Zu dumpf und vorhersehbar erschien mir irgendwann der Inhalt: Das meiste mehr oder weniger plattes Geplapper, kurzweilige Zerstreuung, ohne dass es Kopf und Seele wirklich aufatmen lässt. Eine Art mentales Fast-Food – nach kurzer Sättigung braucht man hinterher etwas Nahrhaftes, um sich wirklich gestärkt zu fühlen.
Die Beliebigkeit dieses Blätterwaldes fiel mir vor einer Weile ausgerechnet am Beispiel der Modebibel „Vogue“ auf – natürlich kein 0815-Magazin, sondern bekannt für ikonische Fashionstrecken renommierter Fotografen mit den aktuellen Kollektionen der gefragtesten Designer. Doch als ich mir vor einiger Zeit aus nostalgischen Gründen über Ebay ein paar Vogue-Ausgaben aus den 80ern bestellte, erschienen mir wenigstens einige Lifestyle-Texte moderner als anzunehmen: „Es gibt heute so viele interessante Frauen zwischen 40 und 50, dass sich junge Männer, die ehrgeizig und aufstiegsorientiert sind, heute Frauen aus dieser Altersgruppe suchen. Nicht als Mutterersatz, sondern als Partnerinnen, die ihnen die erstaunlichsten Dinge erschließen, von der Sexualität bis zur Toleranz im menschlichen Bereich. Frauen zwischen 40 und 50 können ja so viel schöner und strahlender sein als manche 20jährige“, befand in einer Ausgabe von 1988 etwa die damalige Leiterin des Zentrums für Kulturforschung in Bonn. Und das rund 30 Jahre vor der Eheschließung von Heidi Klum und Tom Kaulitz.
Stark gewandelt hat sich natürlich die Relevanz von Print-Medien, die mehr und mehr zu einer aussterbenden Gattung mutieren. Und so sinkt auch die Auflage des berühmtesten und einflussreichsten Mode-Magazins der Welt kontinuierlich – sowohl in Deutschland als auch in den USA, wo es 1892 gegründet wurde und heutzutage in 26 Ländern erscheint. Mittlerweile dürfte die Vogue jedoch am ehesten für ihre Inhalte auf YouTube bekannt sein, wo man Influencer beim Abschminken, Topmodels beim Präsentieren des Inhalts ihrer Handtasche und Hollywoodstars beim Diskutieren ihrer wichtigsten „Red-Carpet-Looks“ bewundern kann.
„Diversity, Respekt und der Schutz des Planeten“
Während die essenziellen Themen klassischer Frauenzeitschriften sich wohl nie ändern werden, wird neben der Transformation der Inhalte vom Magazin zum Blog oder Social-Media-Kanal eine weitere Entwicklung unübersehbar: Die zunehmende Politisierung des einstmals weltanschaulich weitgehend unschuldigen Lifestyle-Bereichs. So kündigte die Vogue schon 2019 an: „Diversity, Respekt und der Schutz des Planeten: Alle VOGUE-ChefredakteurInnen der Welt haben sich jetzt zu einer gemeinsamen Unternehmensphilosophie verpflichtet. Das sind die VOGUE Values.“
Vogue selbst scheint an dieser Bekenntnisfreudigkeit gar nicht viel Neues zu finden, denn Verlags-CEO Roger Lynch wird zitiert mit: „Seit über einem Jahrhundert regen die Titel von Condé Nast kulturelle Gespräche an und sorgen für einen sinnvollen Wandel auf der ganzen Welt. Die neuen Grundsätze unterstreichen, was wir erreichen können, wenn wir für einen größeren globalen Einfluss zusammenarbeiten.“
Der zunehmend polarisierte Zeitgeist fordert also seit einigen Jahren auch von der Mode-Industrie die Bejahung der „woken Werte“. Ein Trend, der allerdings womöglich auf der Kippe steht, seit der Wind durch die Trump-Wahl zumindest in den USA aus einer gehörig anderen Richtung bläst. „Go woke, go broke“, würde Elon Musk an dieser Stelle wohl sagen.
Bis es so weit ist, wird die Spätmoderne wohl noch einige kuriose Stilblüten treiben. So zum Beispiel in einem aktuellen Artikel im Frauen-Lifestyle-Magazin „Glamour“, das seit 1939 wie die Vogue im Verlags-Riesen Condé Nast erscheint und ebenfalls in zahlreichen Ländern vertrieben wird. Die Printausgabe der USA wurde mittlerweile eingestellt, in Deutschland das Erscheinen auf einen vierteljährlichen Rhythmus reduziert. Aber in beiden Ländern werden nach wie vor die Online-Auftritte bespielt.
Gelebte Ramadan-Sensibilisierung
Die deutsche Variante der „Glamour“ brachte am 28. Februar dieses Jahres, pünktlich zum Beginn des Ramadans, einen Artikel zum muslimischen Fastenmonat. Und nein, dieser bestand nicht aus den leckersten Rezepten zum täglichen Fastenbrechen nach Sonnenuntergang und auch nicht aus den besten Tipps zur optimalen Nutzung des religiösen Intervallfastens im Rahmen einer modernen Ernährungsumstellung. Unter dem Titel „Ich bin Muslima – und das wünsche ich mir während des Ramadan von meinen Kolleg:innen und Freund:innen“ ging es vielmehr um das korrekte Verhalten aller Ungläubigen während dieses neunten Monats des islamischen Mondkalenders. „Redakteurin und Muslima Denise Primbet“ gibt im locker-leichten Plauderton Tipps, „wie wir alle im Fasten-Monat Ramadan ein klein wenig umsichtiger mit unseren Mitmenschen sein können“. Das englische Original wurde bereits vor rund einem Jahr, zum letzten Ramadan, in der britischen „Glamour“ veröffentlicht und erschien nun in leicht adaptierter Form auf Deutsch.
Der Text bringt den geneigten Leserinnen die vier Ratschläge mit derselben freundlichen Nachsicht näher, die man sonst an dieser Stelle wohl aufwendet, um die Wirksamkeit der neuesten Low-Carb-Diät oder die Schönheit des „Oversized-Looks“ an die Nutzerinnen zu vermitteln.
Zunächst einmal wird pädagogisch wertvoll gelobt: „Wenn ihr diesen Text lest, weil ihr eure Kolleg:innen und Freund:innen unterstützen wollt, ohne unsensibel zu sein, dann ist das bereits ein sehr guter Anfang, egal, ob ihr euch schon gut mit dem Ramadan auskennt oder das alles Neuland für euch ist.“
Jaja, wenn man sich für eine Diät interessiert, ist das schon mal der erste Schritt, um erfolgreich abzunehmen. Und dann geht es weiter mit den Rezepten der gelebten Ramadan-Sensibilisierung: Schritt 1 heißt: „Zeigt Interesse“, denn: „Die wenigsten nicht-muslimischen Menschen“ kennen sich „wirklich damit aus“. Daher soll man nicht zögern, seinen „muslimischen Freund:innen und Kolleg:innen“ Fragen zu stellen, allerdings: Die Fragen sollten schon ein echtes Interesse zeigen. Also gerne etwas wie: „Was sind dabei deine größten Herausforderungen?“, aber bloß nicht: „Warum setzt du deinen Körper freiwillig so einer Tortur aus?“
„Im Unternehmen flexiblere Arbeitsmethoden anbieten“
Daher mahnt auch der zweite Punkt, dass man auf „Mitleid verzichten“ sollte. Bedauernde Kommentare wie „Oh Mann, du Arme“ findet die Autorin frustrierend, daher stellt sie klar: „Der Ramadan ist keine quälende Aufgabe, die mir auferlegt wird, sondern eine Zeit, auf die ich mich das ganze Jahr über freue.“ Es gehe um „Selbstreflexion und Achtsamkeit“, diejenigen, die fasten „tun das aus freien Stücken und weil sie sich körperlich dazu in der Lage fühlen, und müssen dementsprechend auch nicht bemitleidet werden“. Von außen zu hören, wie schlimm das alles sei, passe da einfach nicht zusammen.
Stattdessen werden im dritten Punkt „Neue Strukturen“ an Arbeitgeber und Vorgsetzte herangetragen: Diese sollten versuchen, herauszufinden, „ob es eine Möglichkeit gibt, den Fastenden über den Zeitraum des Ramadan im Unternehmen flexiblere Arbeitsmethoden anzubieten“. Beispielsweise böte sich hier die Möglichkeit des Homeoffice an, sodass die mit einem „möglicherweise längeren Anfahrtsweg“ „verbundenen Strapazen“ wegfallen würden. Als solidarischer Kollege kann man den Fastenden am Arbeitsplatz außerdem vorschlagen, bestimmte Aufgaben für sie zu übernehmen, um sie zu entlasten. Bei vertrauteren Personen wird ein besonderer Service vorgeschlagen: Warum nicht die muslimischen Freunde zum Fastenbrechen nach Hause oder in ein Halal-Restaurant einladen, damit sie „mal einen Abend nicht kochen müssen“? Ich finde, das ist eine super Idee! Die Muslime können sich ja spätestens am 25. Dezember mit der Zubereitung der Weihnachtsgans für ihre christlichen und kultur-christlichen Freunde revanchieren.
Am Ende darf man das alles nicht zu eng sehen, und das findet wohl auch Autorin Denise Primbet, denn ihr vierter Punkt lautet: „Es ist okay, Fehler zu machen.“ Es sei schließlich kein „Weltuntergang“, den muslimischen Kollegen im Ramadan gedankenverloren zu fragen, ob er mit zum Lunch kommt oder auch ein Glas Wasser haben möchte. „Niemand erwartet Perfektion“, fügt die deutsche Version hinzu. Puh, nochmal Glück gehabt! Ähnlich wird ja auch an gleicher Stelle argumentiert, wenn man es nicht regelmäßig zum Yoga schafft, das „Clean Eating“ nicht immer klappt und auch der perfekte Lidstrich nicht auf Anhieb gelingt. Der von mir eingangs kritisierte Hang des Frauenblätterwaldes zum Selbstoptimierungswahn wird vielleicht doch nicht so heiß gegessen, wie an Ramadan nach Sonnenuntergang gekocht wird. Politische Themen klingen viel leichter aus der Feder eines Lifestyle-Magazins. Aber ob die Vorschläge auch die besseren sind?
Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.