Das System der kommerzialisierten Politik stößt an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Man darf von den Berufspolitikern nicht verlangen, was auf längere Zeit hin niemand leisten kann: Diener zweier Herren zu sein. Wie sollen sie einerseits die Interessen eines politischen Betriebs bedienen, der auf seinen Selbsterhalt bedacht sein muss, und andererseits im Namen des Volkes dafür sorgen, dass dieser Betrieb dem Souverän nicht über den Kopf wächst? Sie müssten sich selbst die Karriere verbieten. Ein Ding der Unmöglichkeit in der erfolgsorientierten Erwerbsgesellschaft. Wer uns glauben machen will, dies leisten zu können, lügt sich ebenso in die Tasche wie derjenige, der es von ihm erwartet.
Nur als vorübergehend aus dem bürgerlichen Erwerbsleben Entsandter kann der Politiker mit dem Anspruch auftreten, als existentiell unbefangener Volksvertreter zu agieren. Dass das unter den Bedingungen der vielfach vernetzten und hochtechnisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts praktisch nicht machbar sei, ist eine Schutzbehauptung derer, die ihren politischen Job mangels anderer Verdienstmöglichkeiten verteidigen müssen. Mit ihrem Versagen widerlegen sich die Berufspolitiker selbst. Oder muss man das Schuldenmachen etwa auch von der Pike auf lernen, so wie andere Baumeister, Automechaniker oder Bäcker lernen, um etwas zu werden?
Die Berufe, die die Politiker in ihren Bioraphien angeben, haben die meisten nie ausgeübt. Der Grüne Tarek Al-Wazir ist seit seinem 18. Lebensjahr Parteiarbeiter. Der hessische Wissenschaftsminister Boris Rhein ist direkt vom Hörsaal in die Parteizentrale der CDU gewechselt. Wir könnten die Gehaltslisten der Kabinette, der Parlamente und der Parteien Namen für Namen durchgehen und würden fast ausnahmslos auf den gleichen Typus stoßen: den angelernten Politiker.
Im Regelfall sind diese Männer und Frauen aus dem bürgerlichen Erwerbsleben ausgestiegen, noch bevor sie sich darin einrichten konnten oder wollten. Sie kamen und kommen als blutige Anfänger in die Politik. Während andere Berufs- und Lebenserfahrung sammeln, müssen sie lernen, wie man in der Partei vorankommt, wie man Flügelkämpfe übersteht, einander absägt und wie man lange Reden hält, ohne ein Wort zu sagen, auf das sich das Volk nachher berufen könnte. Auch das will gelernt sein; und es gibt viele, die das Geschäft glänzend beherrschen, sich bestens auskennen mit dem organisierten Leerlauf. Freilich haben sie auch einen hohen Preis dafür bezahlt. Sie leben in Reservaten, die nicht mehr wertschöpfend in die Gesellschaft eingebunden sind. Die Demokratie könnte ganz gut ohne sie auskommen.
Es gibt keinen Beweis dafür, dass eine längere politische Laufbahn zu einer besonderen Befähigung führt. Oder was sonst außer vielstelligen Milliardenverlusten hat die politische Lebensleistung eines Wolfgang Schäuble der Bundesrepublik Deutschland eingetragen? Was außer Blamage auf dem internationalen Parkett verdanken wir dem Berufspolitiker Guido Westerwelle?
Nach allen Erfahrungen, die wir in der jüngeren Vergangenheit machen mussten, spricht nichts für die vorrangige Besetzung der politischen Führungsebene mit Berufspolitikern, die stets im Saft ihrer Parteien schmorten. Ihr Versagen liegt auf der Hand. Es verschlingt bereits unsere Rücklagen für das Alter. Da wird kaum jemand widersprechen. Ebenso sicher aber werden sich viele fragen, wer denn an die Stelle der Blender und Rosstäuscher treten soll. Schließlich muss irgendjemand für die reibungslosen Abläufe sorgen.
Und genau darum geht es, um die Rückbesinnung der Politik auf ihre eigentlichen Aufgaben. Sie ist nicht der Zweck der Veranstaltung, sondern ein Instrument, das so eingesetzt werden muss, dass die Bürger frei und in Sicherheit leben können. Dies zu garantieren, versprechen sogar die Diktaturen ihren Untertanen, wobei sie freilich ihre eigenen Vorstellungen von Freiheit und Sicherheit zur Norm erheben. Eben weil die Grenzen dicht waren, sollten sich die DDR-Bürger besonders sicher fühlen. Der Staat definierte die Freiräume so, wie es die Absicherung seiner Macht verlangte.
Anders in der Demokratie. Da geht alle Macht vom Volk aus. Die Politiker haben umzusetzen, was die Bürger für richtig halten. Entfernen sie sich von dieser Basis ihrer geliehenen Macht, können sie nicht mehr im Namen des Volkes, aus seinem Verständnis heraus handeln und entscheiden. Was ist die Demokratie noch wert, wenn die Begegnung eines Politikers mit dem Volk ein so außergewöhnliches Ereignis ist, dass sich die Medien verpflichtet fühlen, darüber zu berichten. »Zu Besuch in der Realität« titelte die FAZ, nachdem der deutsche Bundespräsident im November 2013 eine Mannheimer Schule besucht hatte, um, wie es in der Zeitung hieß, »der ›wirklichen Wirklichkeit‹ zu begegnen«. Geht es da nicht zu wie im Puppentheater, wo der Kaspar den Vorhang aufreißt und fragt: »Seid ihr alle da?«
Aus dem Buch „Geplünderte Demokratie. Die Geschäfte des politischen Kartells“