Joachim Nikolaus Steinhöfel / 15.10.2019 / 06:18 / Foto: Achgut.com / 73 / Seite ausdrucken

Wenn Haltungsjournalismus und Vorverurteilung triumphieren

Es handelt sich um eines der Grundprinzipien des seriösen Journalismus, dem Objekt der Berichterstattung die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wird über jemanden berichtet, so ist er zu befragen, zu Vorwürfen oder Sachverhalten anzuhören. Zurück geht dies auf den bewährten Grundsatz des römischen Rechts „audiatur et altera pars”, „Gehört werde auch der andere Teil.“

So weit, so gut, dachte sich gestern vormittag um 11:45 Uhr wohl Ann-Kathrin Hipp vom „Tagesspiegel”, als sie von Jörg Baberowski eine Stellungnahme zu einer „Pressemitteilung” zweier linksextremistischer Vertreterinnen im Akademischen Senat der Humboldt-Universität erbat. Baberowski ist ein weltweit renommierter Historiker, die Damen aus dem Akademischen Senat hingegen müssen einen Hochschulabschluss erst noch erbringen. Bafta Sarbo, eine der beiden, studiert Sozialwissenschaften und arbeitet zum Verhältnis von Marxismus und Antirassismus. Sie leistet also mutmaßlich wichtige Beiträge für unser Gemeinwesen, vorläufig noch auf Kosten der Steuerzahler. Zwischen umstrittenen Mitgliedern des AStA der Humboldt-Universität und Jörg Baberowski gibt es seit einigen Jahren Meinungsverschiedenheiten, Beobachter nennen es gar Kampagnen, über die umfangreich berichtet wurde. Die „Neue Zürcher Zeitung” schrieb dazu schon 2017:

„Jörg Baberowski ist ein Verfechter des freien Disputs und eckt damit in Deutschland an. Eine trotzkistische Splittergruppe an der Humboldt-Universität in Berlin will den Geschichtsprofessor mundtot machen. Doch hält er dagegen und wirft linken Intellektuellen seinerseits vor, voraufklärerische Zustände zu zementieren.”

Baberowski hatte die beiden Studentinnen Bafta Sarbo und Juliane Ziegler in einem Facebook-Post vom 19. August als „unfassbar dumm“ und als „linksextreme Fanatiker“ bezeichnet, nachdem diese in einem Beitrag des „Deutschlandfunk“ mit tendenziösen und kontroversen Äußerungen aufgefallen waren.

Eine Anfrage von Ann-Kathrin Hipp

Die Damen erstatteten nun Strafanzeige gegen Baberowski. „Was trifft, trifft auch zu”, formulierte Karl Kraus, als würde er Kenntnis von der dünnhäutigen Reaktion der beiden Leistungsträger der Humboldt-Uni haben. Kommen wir nun zurück zum „Tagesspiegel”, der es als richtig erachtete, über diese Studentenposse auch noch zu berichten. Die oben erwähnte Anfrage lautete:

Sehr geehrter Herr Baberowki,

die beiden studentischen Vertreterinnen im Akademischen Senat der Humboldt-Universität, Bafta Sarbo und Juliane Ziegler erstatten Strafanzeige und reichen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Sie ein, nachdem Sie die beiden öffentlich in seinem Facebookpost vom 19. August 2019 als „unfassbar dumm“ und „linksextreme Fanatiker“ (sic!) beleidigt haben sollen. Können Sie zu dem Vorwurf Stellung nehmen?

Besten Dank und freundliche Grüße

Ann-Kathrin Hipp

Schon um 13:31 Uhr des gleichen Tages erhielt Frau Hipp die nachstehende Antwort von Prof. Dr. Baberowski:

Frau Sarbo hat am 2.9.2019 auf Twitter einen Tweet als „sehr gut“ bezeichnet, der lautete: „Wir sagen natürlich, die Springer-Journalisten sind Schweine, wir sagen, der Typ an der Tastatur ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen….und natürlich kann geschossen werden.“ Deswegen wird nun vom Staatschutz gegen sie ermittelt. Sie ist also nicht nur keine Demokratin, sie hat auch ein gestörtes Verhältnis zur Presse- und Meinungsfreiheit. Sie scheint offenbar auch nicht zu begreifen, dass Äußerungen dieser Art als „unfassbar dumm“ und „linksextremistisch“ bewertet werden müssen. Sie selbst liefert fast jeden Tag neues Beweismaterial für diese Einschätzung. Im übrigen sind meine Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Mir gefällt die Antwort, die die gesamte Story und deren Protagonisten in ein etwas vollständigeres Licht rückt, sehr gut. Dem „Tagesspiegel” offenbar nicht, denn er verschwieg die Erwiderung trotz Anfrage in seinem erst 14:54 Uhr online gegangenen Text komplett. Dafür prangt über dem Artikel von Inga Barthels, ohne Gegenrede, die vorverurteilende Überschrift „HU-Studentinnen zeigen Jörg Baberowski an”. Es muss halt jeder selbst entscheiden, wie sehr er journalistsche Standards opfert, wenn es darum geht, Haltung zu bewahren.

 

Nachtrag 1: Etwa zeitgleich gab es eine Presseanfrage der sozialistischen Tageszeitung „Neues Deutschland”. Dort ist die Stellungnahme von Prof. Dr. Baberowski in vollem Umfang veröffentlicht worden.

Nachtrag 2: Um 22:48 erscheint eine lediglich mit dem Hinweis „Update” veränderte Version des Artikels. Auf Facebook, wo ich einen Link zu diesem Text auf der Seite des „Tagesspiegel” postete, liest man jetzt: „+++ Update: Jörg Baberowski hat zu den Vorwürfen Stellung bezogen. Der Artikel wurde entsprechend aktualisiert. +++”. Auf der Online-Seite des „Tagesspiegel” fehlt der übliche Hinweis wie z.B. „In einer früheren Version dieses Artikels fehlte die Stellungnahme von Prof. Dr. Baberowski.” Niemand weiß, worin das Update besteht. Warum wurde die Stellungnahme von Baberowski, die der Redaktion Stunden vor Erstveröffentlichung vorlag, erst sieben Stunden nach dem Erscheinen des Artikels eingefügt? Zwei Gründe: 1. Dieser Text, der die journalistische Praxis kritisiert und 2. Es sollten noch erneute Stellungnahmen der linksextremen Studenten zu der Erwiderung von Baberowski eingeholt werden. Ein erneuter Verstoß gegen die Waffengleichheit.

Foto: Achgut.com

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Max Wedell / 15.10.2019

Inzwischen hat der Tagesspiegel die Replik Baberowskis in den Artikel aufgenommen, und mit der Einleitung “Darauf bestehend, dass seine Antwort „vollständig“ zitiert wird, schrieb Barberowski auf Anfrage” garniert. Damit wird ein völlig falsches Bild erzeugt - daß des Professors als Krümelk…er. Obiges ist keine valide Zusammenfassung dessen, was laut Steinhöfel tatsächlich passiert ist, und was der Tagesspiegel so hätte beschreiben müssen: “Nachdem wir zunächst die von uns angefragte Stellungnahme Baberowskis unerwähnt ließen, kontaktierte uns Baberowski und bat uns, seine Stellungnahme dem Artikel hinzuzufügen. Sie lautet:...”. Sofort wäre ein anderes Bild beim Leser ohne Hintergrundwissen (also dem Standardleser) entstanden, als es jetzt der Fall ist. Es sind nicht immer die großen Lügen, die unseren Medien das Etikett “Lügenpresse” bescheren. Es sind die Myriaden “kleinerer” Vorfälle wie diesem, in denen dem Leser Meinungen verordnet werden, die die realen Vorgänge falsch oder verzerrt darstellen, die zum Lügenpresseurteil einer stetig wachsenden Anzahl Menschen beitragen. Auf der anderen Seite hat Lügenpresse aber auch Erfolge, d.h. die Unbedarften unter den Lesern, und das sind nicht wenige, machen sich - wie vorgesehen - die verordneten Meinungen zu eigen. Das ist eine viel größere Bedrohung unserer Demokratie als die (von der Lügenpresse) behauptete Bedrohung durch rechtspopulistische Parteien. Was soll aus einem Staat werden, dessen vierte Gewalt mit ihrer wichtigen Aufgabe sich dem Lügen verschrieben hat, egal ob aus Überzeugung oder Gewinnsucht oder Angst?

Helge-Rainer Decke / 15.10.2019

Es ist von Interesse, ob gegen die aus meinem Horizont geurteilt,  beleidigenden Äußerungen seitens des Verlages juristisch vorgegangen wurde. Wenn nicht, so hat es einen Dritten nicht zu berühren, was über die Presse gesagt wird. Tut er es doch, obwohl er selber nicht persönlich mit diesen Attributen beglückt wurde, sondern äußert sich so wie er es tat, so ist nachvollziehbar, dass gegen ihn wegen Beleidigung Anzeige erstattet wird. Ob die Äußerungen strafbewehrt waren, entscheiden die Gerichte. Herr Steinhöfel, als alter Fuchs in Sachen Jurisprudenz sollten Sie einräumen, dass es sich um einen geschickten Schachzug handelte, auf den der Beklagte offensichtlich hereinfiel. Deshalb war der Tagesspiegel, nicht nur als weiterer Dritte, sondern in seiner Eigenschaft als Vertreter der Freien Presse, gut beraten, nicht auf Ihr Anliegen zu reagieren, sondern erst einmal den Urteilsspruch des Gerichts abzuwarten. Ich bin sicher, Sie hätten, vice versa, ähnlich reagiert. Mit „Haltungsjournalismus“, ein böses Wort, hat das nichts zu tun. Der Tagesspiegel jedenfalls ist nicht die Pressesabteilung der Regierung.

Rudhart M. H. / 15.10.2019

Falsch ! Wer den Tagesspiegel kauft, der will auch lesen, was er bereits schon erwartet, der braucht doch keine Information , nein , der braucht Bestätigung , Bestätigung dessen, was er sowieso schon weiß und glaubt. Damit hat doch diese ominöse sog. Qualitätsjournalistin doch bloß das getan, was von ihr erwartet wird, nämlich auf keinen Fall, ordentlich zu recherchieren und wahrheits- gemäß zu berichten, sondern ihre Leser bei der Stange zu halten und Auflage zu machen. Und das geht eben am allerbesten , wenn man das schreibt , was der Leser wünscht zu lesen. Simpel. Aber eben auch ein bißchen doof. Na ja, man braucht’s sich ja nicht an zu tun.

Jörg Plath / 15.10.2019

Ich besitze Baberowskis Buch “Verbrannte Erde Stalins Herrschaft der Gewalt”. Es wird als Standard-Werk zum Stalinismus bezeichnet und das ist es auch. Gut, dass Sie mal wieder über die Machenschaften des “Tagesspiegel” aufklären. Auch Frau Lengsfeld hatte ja schon mit dessen Journalisten zu tun.

Andreas Rühl / 15.10.2019

Lieber Kollege, die Antwort baberowskis ist mittlerweile (?) eingebaut worden in den Artikel, der gleichwohl tendenziell ist. Es scheint nicht mehr moeglich zu sein, sachlich zu berichten, ohne den Leser seine Meinung aufs Auge zu druecken. Wer eine dunkelhaeutige Person dumm nennt, ist wohl Rassist selbst dann, wenn diese person nur dummes von sich gibt. Daran sieht man auch, was der Rassismusvorwurf eigentlich bewirken soll. Frueher diente dazu der konterrevolutionaer oder der defaetist oder volksschaedling. Schlimm genug, dass viele Journalisten nicht einmal mehr merken, dass sie mit dem Feuer spielen.

Gottfried Meier / 15.10.2019

“Unfassbar dumm” ist in diesem Fall fast eine Untertreibung!

Frank Stricker / 15.10.2019

Kein Wunder , dass so jemand wie Frau Sarbo im heutigen Deutschland gehypt wird. Sie ist schwarz , hat eine linksextreme Gesinnung und ist dabei noch eine Frau. Da kann man gerne mal auf Qualifikation oder sonstige “Kleinigkeiten” verzichten.  Die NZZ hat den Vorgang bereits vor 2 Jahren kurz und bündig auf den Punkt gebracht, eben damals schon das"Neue Westfernsehen”. Bleiben Sie uns weiterhin erhalten Herr Steinhöfel , innerhalb und außerhalb deutscher Gerichtssäle !

Holger Uhrig / 15.10.2019

Typisch Tagesspiegel. Seid 2015 befindet sich das Blatt im Niedergang. Selbst ehemals differenzierte Köpfe sind zu strammen “Haltungsjournalisten” verkommen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Joachim Nikolaus Steinhöfel / 12.03.2024 / 16:00 / 16

Eberhard Wein fragt – Broder und Steinhöfel antworten

Eberhard Wein ist als Journalist bei der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten tätig. Hier ein kleiner Schriftwechsel mit ihm, der es wert ist, festgehalten…/ mehr

Joachim Nikolaus Steinhöfel / 07.03.2024 / 13:00 / 28

Broder zwingt Baden-Württemberg zur Antisemitismus-Bekämpfung

Henryk M. Broder verklagt Baden-Württemberg und zwingt das Bundesland zur Antisemitismusbekämpfung. Das Land hat sich verpflichtet, eine Spende von 5.000 Euro an den Verein Keren Hayesod…/ mehr

Joachim Nikolaus Steinhöfel / 05.02.2024 / 06:00 / 82

Broder siegt über Faeser

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg attestiert Verfassungsministerin Faeser einen Grundrechtseingriff zu Lasten von Henryk M. Broder. Das Innenministerium wurde mit gerichtlicher Hilfe gezwungen, diesen Rechtsbruch und die…/ mehr

Joachim Nikolaus Steinhöfel / 14.11.2023 / 12:07 / 55

Abmahnungen – Die dubiose Geschäftemacherei der Abgeordneten Strack-Zimmermann 

Es ist ohne Weiteres vorstellbar, dass Frau Strack-Zimmermann auf ihrem Abmahn-Feldzug, den sie auch über die deutschen Grenzen hinaus betreibt, mehr Geld einkassiert, als sie…/ mehr

Joachim Nikolaus Steinhöfel / 08.11.2023 / 13:00 / 15

Urteil rechtskräftig: Die Achse des Guten obsiegt gegen X (Twitter)

Das siegreiche Urteil, dass Achgut vor dem LG Karlsruhe gegen X (Twitter) erstritt, ist rechtskräftig. Eine Berufung wurde nicht eingelegt. Damit wurde gleichzeitig eine niederträchtige…/ mehr

Joachim Nikolaus Steinhöfel / 08.09.2023 / 16:33 / 43

Böhmermann, Schönbohm: Programm-Beschwerde an den ZDF-Fernsehrat 

Eine den ehemaligen Leiter des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik Arne Schönbohm desavouierende Böhmermann-Sendung ist immer noch beim ZDF aufrufbar, Persönlichkeitsrechtsverletzungen inklusive. Heute habe…/ mehr

Joachim Nikolaus Steinhöfel / 15.08.2023 / 13:00 / 14

Twitter, YouTube und „Die Achse des Guten“ vor Gericht

Der juristische Kampf gegen Löschungen auf Plattformen wie YouTube und Twitter ist oft langwierig, aber im Ergebnis auch immer erhellend. Hier ein Update zu den…/ mehr

Joachim Nikolaus Steinhöfel / 08.05.2023 / 12:00 / 44

Deutschlandfunk jetzt recherchebefreite Zone

Beim Deutschlandfunk wird ungeprüft als bare Münze dargestellt und berichtet und nachgeplappert, was irgendjemand irgendwo behauptet hat. Journalistische Standards: Null, nada, zero. Das gibt’s von dort…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com