Henryk M. Broder / 17.10.2023 / 06:15 / Foto: Achgut.com / 137 / Seite ausdrucken

Wenn freischwebende Intelligenzen abstürzen

Wenn es um Israel oder die USA geht, geben manche Menschen ihren Verstand an irgendeiner Garderobe ab, vor allem die Angehörigen der gebildeten Stände. So war es nach 9/11, und so ist es wieder heute, nach dem Überfall der Hamas auf Israel. 

Am 11. Mai 2010 erschien in der Online-Ausgabe der SZ ein Artikel über ein „umstrittenes Zitat“, das dem damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zugeschrieben wurde, das dieser aber „nie gesagt“ hatte – so die Autorin des Beitrags, die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur

Der Satz, um den es ging, lautete in der englischen Version „Israel must be wiped off the map“ und in der deutschen Übersetzung „Israel muss von der Landkarte radiert werden“. Katajun Amirpur, die Farsi lesen, schreiben und sprechen kann, schaute sich „die persische Originalversion von Ahmadinedschads Äußerungen über Israel“ an und kam dabei zu dem Schluss, diese sei „weit weniger martialisch als die Übersetzung, die verschiedene Agenturen verbreitet haben“. Dabei ging es ihr „nicht darum, Ahmadinedschad zu verteidigen, sondern um die journalistische Redlichkeit“. Man sollte „auch politische Gegner korrekt… zitieren – und sei es nur, um politische Optionen realistisch zu beurteilen“.

Tatsächlich, so Frau Amirpur, habe der iranische Präsident auf einer Konferenz zum Thema „Die Welt ohne Zionismus“ gesagt: „Dieses Besatzerregime muss von den Seiten der Geschichte (wörtlich: Zeiten) verschwinden“ bzw. „Das Besatzerregime muss Geschichte werden.“ Das wiederum, so Frau Amirpur weiter in ihrer Analyse des Satzes, den Präsident Ahmadinedschad nie gesagt hat, sei „keine Aufforderung zum Vernichtungskrieg, sondern die Aufforderung, die Besatzung Jerusalems zu beenden“. Dabei müsse, so Frau Amirpur ohne einen Anflug von Scham oder Angst, sich lächerlich zu machen, genau zwischen dem transitiven Verb „eliminieren“ und dem intransitiven Verb „verschwinden“ unterschieden werden. Das eine meine „ein zielgerichtetes, aktives Handeln“, das andere eine „eine ungezielte, passive Entwicklung“. 

So kam Frau Amirpur zu der Schlussfolgerung, „dass Ahmadinedschad nicht die Auslöschung Israels forderte oder die Vernichtung des jüdischen Volkes, sondern einen Regimewechsel“ – vermutlich einen friedlichen mit Hilfe iranischer Wahlbeobachter.

Bösartig, dumm oder naiv?

Man könnte an dieser Stelle fragen, wie bösartig, dumm oder naiv eine promovierte Islamwissenschaftlerin sein muss, um in der SZ gedruckt zu werden; man könnte auch überlegen, ob eine Zugreise nach Auschwitz in den frühen 40er Jahren ein transitiver oder intransitiver Vorgang war, „ein zielgerichtetes, aktives Handeln“ oder „eine ungezielte, passive Entwicklung“. Man kann alles zu Tode differenzieren und für jeden Unsinn eine Erklärung finden. Und wird trotzdem jedes Mal über die Begeisterung staunen, mit der sich deutsche Intellektuelle dem Bösen andienen.

Stalin-Fans wie Erich Weinert („Im Kreml brennt noch Licht“) oder Johannes R. Becher („Danksagung“), Luise Rinser („Nordkoreanisches Reisetagebuch“) oder Peter Sloterdijk, der die Terroranschläge von 9/11 mit den Worten kommentierte, vor dem Hintergrund der „Katastrophenlandschaft des 20. Jahrhunderts“ gehörte „der 11. September… eher zu den schwer wahrnehmbaren Kleinzwischenfällen“ der Geschichte. Ein Großzwischenfall wäre es wohl nur gewesen, wenn Sloterdijk zur Zeit der Anschläge in der Bar „Windows On The World“ im 106. Stock des Nordturms gesessen hätte.

Nun hat es wieder so einen „Kleinzwischenfall“ gegeben, diesmal nicht in New York, sondern an der Grenze zwischen Israel und dem Gaza-Streifen. Peter Sloterdijk hat sich zu dem Vorfall bis jetzt nicht geäußert, möglich, dass ihn die Nachricht noch nicht erreicht hat. Allerdings, so wie er 9/11 vor dem Hintergrund der „Katastrophenlandschaft des 20. Jahrhunderts“ neu kontextualisiert hat, so wird der Angriff der Hamas auf Israel in den Weiten des Internets jetzt neu kontextualisiert. 

Mit dabei ein Kollege, dessen Beiträge wir in den Corona-Tagen geschätzt und gelegentlich geteilt haben, der „Jurist & Publizist“ Milosz Matuschek, 1980 in Bytom, dem ehemaligen Beuthen, geboren, Herausgeber des Blogs „Freischwebende Intelligenz", der „kritische Texte und Analysen zur geistigen Situation der Zeit“ anbietet, Matuscheks gesammelte Werke. 

Auge um Auge in den Dritten Weltkrieg?

Die letzte Ausgabe der Freischwebenden Intelligenz vom 14. Oktober stand im Zeichen der aktuellen Krise in und rund um Gaza. Die Überschrift lautete: „Auge um Auge in den Dritten Weltkrieg?“, der Teaser klärte auf: „Wir müssen die Hintergründe aufklären, statt in das Geheul des Revanchismus einzustimmen.“

Damit war alles Relevante schon gesagt, wenn auch nur kryptisch angedeutet. Eine Handvoll Fettaugen in einer ansonsten kalorienarmen Suppe: Auge um Auge, Weltkrieg, Hintergründe, Geheul, Revanchismus. 

Aber die Botschaft war klar: Die Juden sind wieder auf dem Kriegspfad, wenn „wir“ ihnen nicht entgegentreten, werden sie uns mit ihrem revanchistischen Geheul ins Unglück stürzen. Achtet nicht nur darauf, was auf der Bühne gespielt wird, schaut auch hinter die Kulissen!

Ja, schreibt Matuschek, die Hamas hat „ein Massaker in der Zivilbevölkerung angerichtet“, aber: „Die von Netanjahu forcierte Covid-Impfkampagne via Pfizer dürfte in Israel weit mehr Menschen dahingerafft und gesundheitlich geschädigt haben. Ein geschmackloser Vergleich? Wer vom Hamas-Terror spricht, sollte vom Staatsterror Israels (und anderer Regierungen) gegen die eigene Bevölkerung nicht schweigen.“

Der Holocaust – ein Joint Venture

Und dann stellt Matuschek einige Fragen, die dem Leser den Weg zu der Erkenntnis weisen sollen, dass Israel über die Pläne der Hamas Bescheid wusste und nichts unternahm, um den Überfall zu verhindern. Man wird ja mal fragen dürfen! „Ist die Terrorgruppe schlicht willkommene Verfügungsmasse im Einsatz gegen die eigene Bevölkerung, um selbst Vorwände für Gegenschläge zu fabrizieren?“ Um auf so etwas zu kommen, muss man das Gemüt eines Bluthundes haben, mindestens.

Dabei ist die Idee als solche nicht einmal neu. Sie gehörte zum Standardprogramm der Altnazis nach 1945, die keine Gelegenheit verpassten, darauf hinzuweisen, der Holocaust sei ein Joint-Venture des NS-Regimes mit den Juden gewesen, die ihrerseits erkannt hatten, dass der Weg nach Zion in Auschwitz anfängt, dass also Millionen von Juden geopfert werden müssen, damit der Judenstaat zum Leben erwacht. In Matuscheks Miniatur der Weltgeschichte ist es nun Netanyahu, der mit der Hamas kooperiert, um „die eigene Bevölkerung“ hinters Licht zu führen und „Vorwände für Gegenschläge zu fabrizieren“. 

Bleibt nur eine Frage offen: Warum macht die Hamas bei diesem perfiden Spiel mit?  

Die Antwort könnte in der nächsten Ausgabe der „Freischwebenden Intelligenz“ stehen, unter „Kritische Texte und Analysen zur geistigen Situation der Zeit“.

Foto: Achgut.com

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Leserpost

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j.pomer / 17.10.2023

Herr Matuschek, dessen Corona-Beiträge unvergessen gut waren, hat sich wieder blamiert. Bereits vor einigen Monaten hielt er in der Weltwoche die (erfolglosen) Versuche der Absage der Roger Waters-Konzerte in Deutschland, für erneute Beispiele der cancel culture. Er ist gut, nur mit Juden hat er es nicht so. Wie kann es sein, dass er (angeblich) für die Jüdische Allgemeine schrieb?

Horst Hack / 17.10.2023

Wenn Juden in Eretz Israel sich gegenseitig als Nazi beschuldigen und dann nach Jom Kippur - Simcha Thora feiern wollen hat das ernste Konsequenzen? Hat der Ewige sein Volk erinnert was Nazi bedeutet, Wie reagiert Israel? Mit Haß, Zorn und Wut? Mein ist die Rache und ich will vergelten…..... Irren euch nicht,  Gott läßt sich nicht spotten, der Mensch aber erntet was er sät!

Thomin Weller / 17.10.2023

@Ralf Pöhling Heute haben in Karachi hunderttausende Pakistani für Palestina demonstriert und keine Presse berichtet davon. rumble zeigt mehr. Georg Schramm hat schon bei der Erich Fromm Ehrung gesagt das sie sich im Zweistromland zum großen religiösem Final, Fanal treffen wollen.

Wolfgang Richter / 17.10.2023

@ S. Marek - ” Welche Gebiete “Besetzt” Israel nach ihrer Meinung? ” Aug YT kursirrt dass Video eines Neffen der Bundestagsvize Özoguz, der den Hamas-Angriff auch ständig mit dem “israelischen Besatzungsregime” rechtfertigt. Der scheint auch noch nicht mit bekomme zu haben, daß es im Gaza-Streifen schon länger keine jüdischen Bewohner mehr gab, um der dortigen Bevölkerung das eigenbestimmte ud “ungestörte” Entwickeln ihres Lebesbereiches zu ermöglichen. Von Israel gab es gar Strom-, Wasserversorgung und wer wollte, konnte in Israel für den Lebensunterhalt seiner Familie arbeiten. Wenn das “Besatzungsregime” sein soll? Was haben sie draus gemacht? Aufgerüstet, regelmäßig Raketenbeschuß auf Siedlungen in Israel, dort auf zivile nicht militärische Ziele, immer “munter” ins Zentrum, unter Rufen Israel vernichten zu wollen, beklatscht jeweils von ihren jetzt jammernden Mitbürgern. Die jetzigen Reaktionen Israels haben sie sich redlich und beharrlich erarbeitet, können mir mit ihrer nun wieder üblichen Jammerei über das Ergebnis ihrer Handlungen ziemlich am verlängerten Rücken .  . . .

Steve Acker / 17.10.2023

Rolf Wächter im Mai gab es einen Raketenanschlag aus dem Gazastreifen. So lang ist das noch nicht her. Ich finde es höchst seltsam dass die Israelis so überrascht worden sein sollen. Die Hamas muss doch massenhaft Material reingeschmuggelt haben. Israel hat doch die tollste Überwachungstechnik im Einsatz Und das ganze genau 50 Jahre nach dem Jom kippur Krieg, wo Israel schon mal nachlässig war und überraschend angegriffen wurde.

smok wawelski / 17.10.2023

Choneinu meítecha daát binah u haßkel :  Achtzehnergebet 4 betreffend freischwebende Intelligenz - der Bundesregierung gesagt. Oder frei nach Lichtenberg : Lehre einen Ochs das apportieren. Nebbich Daitschland.

Wolfgang Richter / 17.10.2023

@ Silas Loy - “Man muss auch gar nicht Mossad heissen, um zu wissen, dass es neuralgische Jahrestage gibt, die eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern.” Und wenn es stimmt, daß just zu diesem Datum 2/3 der militärischen Grenztruppen auf Anordnung des zumindest die Hamas seinerzeit “möglich machenden” (um Fatah u. andere mittels Konkurrenzorganisation zu schwächen)  Herrn Netanjahu zum Schutze einer Feieraktion jüdischer Siedler abgezogen waren, war es dann Absicht oder Dummheit? Zumal die voran gegangenen Übungen für diesen Hamas-Überfall im West-Jordanland den israelischen Sicherheitsorganen nicht verborgen geblieben waren und mindestens der ägyptische Geheimdienst vor eier Hamas-Aktio gewarnt hatte. Und egal ob “Lusitania” oder “Pearl Harbor” - es hat sich inzwischen immer wieder im Nachhinein bewiesen, daß politische und militärische Entscheider die Opfer zumindest zugelassener Ereignisse in Kauf genommen haben, um Maßnahmen zum Erreichen ihrer “Höheren Ziele” umzusetzen. Und was ist schief gelaufen, wenn die israelischen Sicherheitskräfte 5 Stunden brauchten, um vor Ort zu erscheinen und die Kämpfer zu vertreiben / zu “neutralisieren”. Gab es in der von der Hamas eingenommenen Polizeidienststelle von Sderot weder Funk noch Telefon, um nach Verstärkung zu rufen, den Terrorüberfall höheren Orts mitzuteilen? Und neben den ermordeten Zivilisten haben die ca. 250 getöteten Soldaten die Ereigisse um die Angriffe nicht gemeldet? Da war die “DDR 1.0” zu ihre analoge Zeiten bei jeder angezeigten Grenzverletzung um vieles agiler, und das bei Leuten, die raus wollten und nicht mit Panzerfäusten rein kamen.

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