Thomas Rietzschel / 06.03.2019 / 14:30 / 18 / Seite ausdrucken

Wenn du nach Namibia fährst, vergiss die Peitsche nicht

In der letzten Woche besuchte Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer das einstige „Deutsch-Südwest“. Im Gepäck hatte sie eine Lederpeitsche und die Familienbibel von Hendrik Witbooi (um 1830 - 1905): geraubtes Kulturgut aus der Kolonialzeit. Mit der Knute soll der Stammesführer der Nama in seiner Jugend die Rinder gehütet haben. Die Heilige Schrift, eingeführt aus Europa, war ihm von den Missionaren in die Hand gedrückt worden.

Mit ihr bekehrten sie den Afrikaner, indem sie ihn den Göttern seiner Vorfahren abspenstig machten. Nach dieser geistigen Kolonisation kämpfte Witbooi zunächst auf Seiten der Deutschen gegen die Hereros, bis er wieder zu seinen Landsleuten überlief, um schließlich beim Aufstand der Nama und Herero umzukommen. Etwa 70.000 Eingeborene sind den Masskern der Kolonialherren damals, in den Jahren von 1904 bis 1908, zum Opfer gefallen, niedergemetzelt auch im Namen des Christentums.

Ob sich Theresia Bauer dieser Vorgeschichte bewusst war, als sie Witboois Bibel als „afrikanisches Kulturgut“ restituierte, wissen wir nicht. Auf jeden Fall gab sie sich laut dpa „zutiefst berührt“. Die Peinlichkeit wurde zum Staatsakt hochgejubelt. Mit der scheinheilig zelebrierten Rückgabe dessen, was unsere Vorfahren ehedem hatten mitgehen lassen, wiegte sich die Ministerin im Hochgefühl der besseren Moral. „Wir können“, sagte sie, ohne rot werden, „Geschichte nicht ungeschehen machen, aber wir stellen uns unserer Verantwortung“.

Die Ministerin schwimmt im Strom der Zeit

Und was, um alles in der Welt, wäre mehr zu erwarten, zumal die Ministerin mit der Schmierenkomödie, die sie in Namibia aufführte, auch nur im Strom der Zeit schwamm. Seit längerem schon mehren sich Stimmen, die eine Rückführung der Raubkunst aus der Epoche des Kolonialismus verlangen. Um sich ein gutes Gewissen zu machen und mit ihrem Verantwortungsgefühl politisch zu punkten, fordern sie die Ausräumung der deutschen Völkerkunde-Museen.

Von der Sache, um die es vorgeblich geht, haben sie keinen blassen Schimmer. Die Geschichte, von der sie faseln, muss den nachgeborenen Tugendbolden ein Buch mit sieben Siegeln sein. Wäre es anders, wüssten sie, dass ein Großteil des kulturellen Welterbes verloren wäre, wären seine Zeugnisse nicht in Europa erhalten worden.

Gab es doch während der grausamen Kolonialzeit nicht bloß „Völkerschauen“, in denen die Weißen dem staunenden Publikum verschleppte Afrikaner oder Indianer vorführten, als wären sie Tiere im Zoo. Vielmehr wurden zugleich großartige Museen gegründet, in England, Frankreich sowie in Deutschland. Schon die aufwendige Architektur der Häuser verriet die Wertschätzung dessen, was man darin aus fernen Ländern zusammentrug. Heute sind es Archive der Weltkultur. Sie erzählen die Geschichte ganzer Kontinente.

Ihre Entstehung verdanken sie nicht der Gier der Eroberer, sondern dem Geist einer Aufklärung, deren klügste Köpfe, Männer wie Alexander von Humboldt, die Welt als Ganzes begreifen wollten. Kein Geringerer als Goethe prägte den Begriff der Weltliteratur. Es waren nicht zuletzt die Deutschen, die Anfang des 19. Jahrhunderts begannen, als Historiker über den Tellerrand der eigenen Kultur zu blicken, sprachforschend zunächst, und Objekte sammelnd danach.

Bewahrt wurde nur, was gebraucht wurde

Ihre wissenschaftliche Neugier und ihr Geschichtsbewusstsein, das Wissen um die fortdauernde Bedeutung der materieller Hinterlassenschaft früherer Epochen, stifteten dazu an, nach Europa zu holen, was die ausgebeuteten Naturvölker meist nur solange aufbewahrten, solange es sich gebrauchen ließ, abgesehen von Kultgegenständen, die über Generationen hin weitergereicht wurden.

Etwas praktisch nicht Brauchbares lediglich als historisches Zeugnis aufzuheben, untersagte in der Regel schon die Existenznot. Erst der wachsende Wohlstand erlaubte den Aufbau musealer Einrichtungen. Dass diese Entwicklung zunehmend durch den Kolonialismus befeuert wurde, mag man beklagen, ein Grund, jetzt nachträglich Hand an die Völkerkunde-Museen zu legen, ist das aber keineswegs. Auf eine derart aberwitzige Idee kann nur verfallen, wer auf dem Bildungsniveau der moralisierenden Klippschule stehengeblieben ist.

Weil sich die Zeit nicht zurückdrehen lässt, muss auch jeder Versuch einer Rückabwicklung der Geschichte scheitern. Soweit muss man Theresia Bauer zustimmen. Ebenso wenig aber können wir uns über die Vergangenheit erheben, indem wir zerschlagen, was sie hinterlassen hat. Mit der politisch intendierten Plünderung der Völkerkunde-Museen wäre niemandem geholfen, nicht einmal den Afrikanern. Wer dieser Barbarei das Wort redet, ist intellektuell nicht satisfaktionsfähig. Und schon gar nicht stellt er sich „unserer Verantwortung“.

PS. Oder könnte es sein, dass das Theater um die Rückgabe geraubter Kulturgüter nur materiellen Ansprüchen vorbeugen soll? Die Bundesregierung hat Forderungen nach materieller "Wiedergutmachung" mehrmals zurückgewiesen. Verschenken wir lieber Kulturgut, Peitsche und Bibel, als dass wir zahlen? Dann freilich hätte sich über die Zeiten wenig geändert.

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Karl Mallinger / 06.03.2019

Warum auch sollten heutige deutsche Steuerzahler, einschließlich derer mit Migrationshintergrund, für etwas zahlen, was vor über hundert Jahren geschah und mit dem sie nicht das Geringste zu tun haben? Zahlen heutige Australier Wiedergutmachung an die Aborigenes? Zahlen heutige Belgier Wiedergutmachung an den Kongo? Zahlen heutige US-Amerikaner - einschließlich der schwarzen Amerikaner, Latinos und Asian-Americans - Wiedergutmachung an die amerikanischen Ureinwohner, an die Philippinen oder an Vietnam?

Herbert Frankel / 06.03.2019

“grüne Wissenschaftsministerin”. Grün und Wissenschaft passen doch nicht zusammen, sie schließen sich gegenseitig aus. Was ist nur aus dem “Musterländle” geworden, daß Grüne ausgerechnet mit Wissenschaft etwas zu tun haben wollen? Aber halt, Wissenschaft hat sich ja mittlerweile der Politik weitgehend ergeben. Na dann, Prost Mahlzeit! Weiter so, Deutschland!

Andreas Rühl / 06.03.2019

Ironie der Geschichte kann man das nennen: dem Museum der Weltkulturen in Frankfurt beispielsweise gehen nach und nach die Objekte flöten, mit denen es Einblicke in die Ethnologie und das Verständnis für fremde Kulturen fördern wollte - um die angebliche Kolonialschuld gerade abzutragen. Daraus wird in Zukunft nichts! Die Sachen gehen zurück und vermodern dort irgendwo im Dreck. Klasse Idee. Wenn man dann sich im Klaren ist, wieviel etwa Südamerika einem Forscher wie Humboldt zu verdanken hat, so viel, dass ihm noch heute dort ein ehrendes Andenken gewahrt wird, hört man nicht mehr mit dem Kopfschütteln auf. Anders gesagt: Die angeblich Kolonisierten haben mit der Kolonisierung weit weniger Probleme als einige hiesige Jetztzeitige, die weder das eine sind, noch das andere tun. Hinweis: Vergangenes lässt sich nicht “korrigieren”, Unrecht deshalb auch nicht wieder gutmachen. Auch der Pergamonaltar wurde faktisch gerettet, nicht geraubt, er wäre bis auf das letzte Stück Marmor von türkischen Bauern zu Kalk gebrannt worden. Gleichwohl dauert es nicht lange, da wette ich drauf, da werden Spinner wieder lauthals tönen, der Altar müsse in seine türkische Heimat (!) zurückgebracht werden, vermutlich, um dort das Schicksal der antiken Kunstwerke Palmyras erfahren zu dürfen. Wenn es ein Weltkulturerbe gibt, das allen Menschen gehört, warum sollte es uns dann verboten sein, es zu besitzen?

Sabine Schönfelder / 06.03.2019

Eine lächerliche Zurschaustellung einer geschichts-und kenntnislosen grünen Fehlbesetzung, die hoch -moralisch aufgerüstet, gerne mal nach Namibia fliegen wollte. Oder is se mit’m Zuch gefahren, de kleene Ökologin?

K. Pape / 06.03.2019

Im letzten Jahr sah ich eine Doku über das künftige Humboldt Forum in Berlin. Die Mitarbeiter jetteten um die Welt und boten quasi Ausstellungsstücke den Stammeshäuptlingen aus den Herkunftsregionen an. Einige von diesen wurden sogar nach Berlin eingeflogen, um die Stücke vor Ort zu besichtigen und zu bereden, ob die Objekte wohl in Berlin verbleiben und öffentlich gezeigt werden dürften. Man darf gespannt sein, ob dies eine Art fotografisches Museum sein wird, oder nur noch Repliken gezeigt werden. Mit Sicherheit aber wird es voll von Texten sein in denen kübelweise “Schuld” über den deutschen Forschern ausgegossen wird.

Robert Jankowski / 06.03.2019

Zuerst Barley als Freiheitsstatue, jetzt eine grüne Sektiererin namens Theresia Bauer auf den Spuren von Indiana Jones “Jäger des geraubten Schatzes”. Statt hehrer Worte, welche die Afrikaner zur Genüge von ihren ehemaligen Kolonialherren gehört haben, hätte man doch besser ein sinnvolles Projekt zur Schaffung langfristiger Arbeitsplätze beginnen sollen. Aber die Selbstinszenierung als guter Mensch, der mit allen rassistischen Vorurteilen Kolonialdeutschlands gebrochen hat, funzt natürlich eher über Symbole. Da kann man anschließend nämlich weniger nachprüfen, als in der sogenannten “Umlagenaffäre” an der Verwaltungshochschule Ludwigsburg. Immerhin das hat die gute Theresia schon gelernt.

Karl Eduard / 06.03.2019

“Etwa 70.000 Eingeborene sind den Masskern der Kolonialherren damals, in den Jahren von 1904 bis 1908, zum Opfer gefallen, niedergemetzelt auch im Namen des Christentums.” Es wäre schön, wenn sich der Autor solcher Aussagen mit der Geschichte vertraut machen würde, anstatt Propaganda wiederzugeben. Da die Eingeborenen nicht Mein und Dein unterscheiden konnten, übrigens auch untereinander nicht, gab es Angriffe auf weiße Siedler und Morde, um deren Eigentum sozial gerecht umzuverteilen. Wie das heutzutage heißt. Das Kaiserreich stand aber in der Pflicht, die Einwohner seiner Kolonien vor Raub und Gewalt zu schützen. Nicht nur die betroffenen Deutschen. Da die Angriffe bandenmäßig erfolgten, vielleicht zum Verständnis auch “clanmässig” und in großer Zahl, ging die damalige deutsche Polizei, Schutztruppe genannt, dagegen vor. Wir können uns das heute nicht vorstellen aber von Gewaltlosigkeit hatten die Herero nichts gehört und schon gar nichts gehalten und deshalb wurde aufeinander geschossen. Jetzt können wir die Waffenungleichheit beklagen, moderne Gewehre und Maschinengewehre und Gebirgsgeschütze gegen Banditen, für die wir ja ein Herz haben,  aber die Schutztruppe umfasste ca 2000 Mann gegen Zehntausende “Aufständische” und mußte 800.00 km² abdecken, die Bundesrepublik hat 357.386 , und das zu Pferde. Googeln Sie einfach mal nach “Reichstagsprotokolle Herero”. Da finden Sie genug Quellen, die frei von sozialistischer Geschichtsverdrehung sind.

Udo Kemmerling / 06.03.2019

Die Herero als Eingeborene zu bezeichnen deutet auf erhebliche Lücken in den Geschichtskenntnissen hin. Mit derselben Begründung könnte man die weiße Bevölkerung Nordamerikas auch als Eingeborene bezeichnen, denn die sind dort auch ab etwa dem 16. Jahrhundert zugezogen.

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