Thomas Rietzschel / 01.03.2019 / 15:00 / 7 / Seite ausdrucken

Wenn die Etikette zum Ritual wird

Alljährlich feiert der Iran die „islamische Revolution“, den Tag, an dem die Mullahs 1979 die Macht im Lande übernahmen. Von heute auf morgen war damals Schluss mit dem „dekadenten“ Treiben des westlich orientierten Schahs Reza Pahlavi. Fortan galten wieder die Gesetze der Religion. Es gab Massenhinrichtungen. Politische Gegner werden bis heute gefoltert und inhaftiert. Homosexuellen droht die Hinrichtung. Der Gottesstaat hält die Scharia hoch. Den religiösen Umsturz hat er zum Nationalfeiertag erklärt. Ihm dazu zu gratulieren gehört zu den Gepflogenheit deutscher Diplomatie.

Auch diesmal wieder telegrafierte Frank-Walter Steinmeier dem Staatspräsidenten Ruhani „herzliche Glückwünsche“, persönlich und „im Namen meiner Landsleute“. Dass dies „üblicherweise“ geschehen sei, konnte der Bundespräsident nachher, als Unmut laut wurde, ruhigen Gewissens erklären lassen. Seine Gratulation ist allemal historisch gedeckt.

Bereits 1980 schickte Carl Carstens „im Namen des deutschen Volkes“ Grüße zum ersten Geburtstag der „Islamischen Republik“. Auch für die nachfolgenden Bundespräsidenten verstand sich das von selbst. Lediglich das Adjektiv „herzlich“ vor den „Wünschen“ wurde vorübergehend weggelassen oder durch „beste“ ersetzt.

Einzig Horst Köhler, Christian Wulff und anfangs Joachim Gauck verzichteten von 2007 bis 2013 darauf, den Mullahs telegrafisch ihre Aufwartung zu machen. Später war der Pastor, gelobt sei die Stimme der Freiheit, wieder mit von der Partie. Ab 2014 gratulierte er ebenfalls „herzlich“. Und dabei sollte es dann bis heute bleiben. Von Karl Carstens über Roman Herzog und Johannes Rau bis zu Frank-Walter Steinmeier haben die Bundespräsidenten gegenüber dem iranischen Terrorregime die diplomatische Etikette gewahrt, ohne sich weiter um die Wahrung unsere Werte zu scheren.

Selbst wenn man ihnen zugute halten möchte, dass es sich bei den „herzlichen Glückwünschen“ eher um eine Floskel als um den Ausdruck einer Herzensangelegenheit gehandelt haben mag, sind sie mit ihrer diplomatischen Unterwürfigkeit seit Jahrzehnten einem Regime zu Diensten, das seinerseits auf Moral und Anstand pfeift, jedenfalls auf das, was die aufgeklärte Welt darunter versteht.

Wie kann man einerseits die Respektierung der Menschenrechte einfordern, in der UNO, der EU oder im rhetorischen Kampf gegen Trumps Mauerpläne, und andererseits denen Glück wünschen, die die Rechte von Homosexuellen, Frauen und „Ungläubigen“ von Staats wegen mißachten und Israel mit Vernichtug drohen.

Die vom Bundespräsidialamt verbreitete Behauptung, das gehöre sich nun einmal „zwischen Staaten, die diplomatische Beziehungen unterhalten“, ist ein ebenso dämlicher wie dreister Offenbarungseid: die Bloßstellung einer Politik, deren Handeln sich darin erschöpft, Rituale zu zelebrieren. Sei es, dass sich ihre obersten Repräsentanten dazu aufschwingen, einer Bande fanatisierter Moslems zur Feier ihrer Machtergreifung zu gratulieren; oder sei es, dass sie sich in Davos, München und sonst wo zu Gipfeltreffen versammeln, die um ihrer selbst Willen veranstaltet werden - eben als Rituale.

Gesellschaften, denen die Etikette über alles geht, dämmern ihrem Verfall entgegen. Politiker, die sich daran klammern, sind ausgebrannt wie der französische Adel vor der Revolution von 1789. Weil sie nicht mehr ein noch aus wissen, machen sie aus der Routine einen Staatsakt. Verdammt wird, wer aus den eingefahrenen Gleisen springt. Das gilt für Theresa May wie für Donald Trump. Dass er gerade eben ein Gipfeltreffen platzen ließ, nachdem er erkannt hatte, es werde zu nichts führen, können die erstarrten Berufspolitiker nur als Schwäche deuten. Gehört doch auch die Verbreitung vorab verfasster Abschlusserklärungen zum Ritual der politischen Andachten.

Same procedure as every year. Darauf können sich die Ajatollahs verlassen wie auf das Wort Allahs. Auch 2020 wird Frank-Walter Steinmeier nicht zögern, ihnen zum Jahrestag der islamischen Revolution zu gratulieren. Es sei denn, die Deutschen haben bis dahin genug von Seinesgleichen.

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Leserpost

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Karl-Heinz Vonderstein / 01.03.2019

Ich glaub, in der Geschichte der Bunderepublik Deutschland gab es immer schon Leute, gerade auch in der Politik, die Symphatien für totalitäre Regime oder auch einer totalitären Religion, wie die des Islam hatten und heute ist es auch nicht anders. Die totale Kontrolle zu haben im Land und über seine Bürger, fasziniert nicht nur Politiker, selbst in Demokratien und nicht nur in Deutschland. Will jetzt nicht behaupten, dass dies immer noch im deutschen Blut steckt, wegen des Dritten Reichs. Aber ich glaub, die heutige politische Elite in Deutschland träumt gerne davon, alles kontrollieren und lenken zu können und seine Bürger zu besseren Menschen hin zu erziehen. Heißt, dass sie lernen da nicht zu widersprechen, wo es unangebracht ist. Und unangebracht ist es dann, wenn es von der Regierung kommt. Weil die ja weiß, was richtig und was nicht richtig ist und was gut für das Land und seine Menschen ist.  

Lars Schweitzer / 01.03.2019

Nicht nur die diplomatische Etikette ist Ritual - einfach ALLES ist inzwischen Ritual. Einfacher als selbst zu denken, der Verfall ist schon im vollen Gange.

Gisela Fimiani / 01.03.2019

Wie sollten wir einen Bundespräsidenten los werden, wenn das deutsche Wahlrecht es bereits verhindert eine Regierung los zu werden. In immer neuen Koalitionen können die Parteien den Präsidenten und sich selbst perpetuieren….....dem Verfall entgegen.

Arnauld de Turdupil / 01.03.2019

Mein ganz persönliches theologisches Paradoxon: Diese europäischen Mainstream-Ajatollah-Versteher und Islam-Beweihräucherer wecken in mir den heiligen Zorn.

Thomas Taterka / 01.03.2019

Die ” Freundschaft ” mit dem Iran ist vielleicht der seit Jahrzehnten offengehaltene Weg zur Bombe für beide Staaten.

Ludeloff Klaus / 01.03.2019

Und der klerikale Adel in der EKD in der Person von Bischof Huber bejubelt Steinmeier für seine pharisäerhaftes Tun in der WELT mit parteipolitischer Unterwürfigkeit und rabulistischen Geschwurbel. Ob als Seelsorge oder auf Bitten des präsidialen Sünders, darüber lässt Herr Huber uns natürlich im Unklaren.

Martin Landner / 01.03.2019

Der Schah wurde durch die USA unterstützt, war also böse. Die Islamisten waren nicht Teil des Westblocks, also potentielle Verbündete, auch wenn sie unzählige Kommunisten ermordeten. Das Gleiche mit der RAF/Hamas und dem ‘Polizeistaat BRD’. Und das Gleiche auch heute wieder mit dem IS und der AfD. Die Feindbilder und Sympathien der Linken sind eindeutig.

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