Ulrike Stockmann / 23.03.2020 / 14:00 / Foto: Achgut.com / 57 / Seite ausdrucken

Wenn der letzte Laden geschlossen ...

Das Corona-Virus lähmt das Land. Die meisten werkeln im Homeoffice vor sich hin, sofern sie können, beziehungsweise vertreiben sich anderweitig die Zeit, wenn sie von der Arbeit freigestellt sind. Glücklich sind die, die trotz Arbeitsausfall weiterhin ihr Gehalt beziehen und wenigstens kurzfristig nicht von wirtschaftlichen Sorgen bedroht sind. Mein Freund und ich sind in der günstigen Position, von zu Hause aus unser Geld verdienen zu können.

Anders sieht es bei denjenigen aus, die schon nach wenigen Tagen Corona-Panik mit ernsten finanziellen Problemen konfrontiert sind: Kleine Unternehmer und Selbstständige, denen wegen des eingeschränkten öffentlichen Lebens die Aufträge wegbrechen oder die ihre Geschäfte geschlossen halten müssen beziehungsweise ihre Restaurants nur noch begrenzt öffnen können.

Anfang der letzten Woche, als sich herauskristallisierte, dass demnächst die meisten Läden schließen würden, machte ich einige Erledigungen auf der Berliner Friedrichstraße. Ich kann mich nicht entsinnen, wann ich diesen Ort das letzte Mal so leer gesehen habe. Vielleicht irgendwann in den Neunzigern, als ich Kind war. Es war früher Nachmittag, die Sonne schien, und ich schlenderte gemütlich diesen traditionsreichen Boulevard entlang.

Eigentlich wollte ich nur kurz zu Rossmann gehen. Unser Supermarkt war nach den Hamsterkäufen vom vergangenen Wochenende wie ausgebombt, und da Drogerien auch ein gutes Lebensmittelangebot haben, wollte ich mal sehen, ob ich dort vielleicht noch ein, zwei Gläser Nudelsoße bekomme – ich gebe es zu, als eiserne Reserve. Gottseidank hat sich ja mittlerweile gezeigt, dass Hamstern nicht notwendig ist und uns wenigstens der Hungertod in nächster Zeit erspart bleiben wird.

Nun, Rossmann enttäuschte mich nicht, und nachdem ich dort noch weiteren Krimskrams erstanden hatte, beschloss ich, einen kleinen Spaziergang über die halbleere Einkaufsstraße zu unternehmen. Ich muss gestehen, dass ich mittlerweile eine überzeugte Online-Shopperin bin. Vor allem, wenn es um Mode geht. Ich weiß, was mir gefällt und was mir steht, kenne meine Größe genau und greife bei Bestellungen kaum daneben, sodass ich mir nur selten die Mühe machen muss, etwas zurückzuschicken.

Früher waren ausgiebige Shoppingtouren durch Einkaufszentren für mich das größte, heute ist mir das zu laut, zu voll und zu anstrengend. Shoppingcenter betrete ich mittlerweile nur noch, wenn es gar nicht anders geht. Oder wenn mich meine beste Freundin mal wieder dazu überredet, sie zu begleiten. Andererseits weiß ich natürlich nur zu gut um die Nöte des Einzelhandels, der angesichts der Online-Konkurrenz immer größere Probleme bekommt. Ich beobachte die hohe Fluktuation der Geschäfte, gerade kleinerer Läden, die beispielsweise in Berlin-Mitte ständig kommen und gehen.

Die entspannteste Einkaufs-Erfahrung

Unter derartigen Grübeleien lief ich schließlich an Hunkemöller vorbei, und mir fiel ein, dass ich ja eine Kundenkarte besitze, die ich allerdings noch nie benutzt hatte. Unterwäsche kann man immer gebrauchen, gerade in Krisenzeiten, also betrat ich beherzt den Laden. Da ich die einzige Kundin war, schien die Verkäuferin sich wirklich zu freuen, mich zu sehen. Zusammen stellten wir in kurzer Zeit wunderbare Wäschesets zusammen, schneller, als es mir per Mausklick möglich gewesen wäre. Beim Anprobieren gab sie mir wertvolle Hinweise, was den korrekten Sitz von Dessous anbelangt. Es kann wirklich nicht schaden, gut beraten zu werden. Und beim Bezahlen stellte ich fest, dass so eine Kundenkarte sich wirklich rechnet. Wenn man haufenweise einkauft.

Ich fühlte mich jetzt angesichts der schwierigen Lage schon mal etwas besser gewappnet. Im weiteren Verlauf meiner kleinen Shoppingtour fand ich heraus, dass es bei Tamaris gerade Sale gibt (und stieß auf eine reizende Tasche, sowas kann man auch immer gebrauchen) und dass & Other Stories wirklich tolles Parfüm verkauft (wenn man schon vor der Quarantäne steht, ist es tröstlich zu wissen, dass man dabei immerhin gut riecht).

Zum Abschluss beschloss ich, mir noch einen Frappuccino zu gönnen, mein liebstes Starbucks-Getränk. Der begehrte Kult-Coffeeshop zählte nur eine Handvoll Gäste, eine absolute Ausnahme. In Windeseile hielt ich meinen Eis-Kaffee-Verschnitt mit Crash-Eis, Schokostückchen, viel Sahne und Schokosirup in der Hand. Während ich auf dem Nachhauseweg an dieser von mir sehr geliebten Kalorienbombe schlürfte, wurde ich nachdenklich. Hinter mir lag eine der freudigsten und entspanntesten Einkaufserfahrungen meines Lebens, so banal das ganze auch gewesen sein mag. Mir wurde bewusst, dass der Einzelhandel unbestritten ein wichtiges Glied im gesellschaftlichen Leben darstellt. Sowohl die großen Ketten, die ich gerade aufgesucht hatte, als auch die kleinen, unabhängigen Läden, die es heute noch schaffen, sich zu halten.

Die ersten Schwierigkeiten

Dass unser öffentliches Leben, das Bild einer jeden Stadt größtenteils von ihren Einkaufs- und Gastronomie-Einrichtungen bestimmt wird, ist uns oftmals wohl kaum bewusst. Wir sind daran gewöhnt und nehmen es als selbstverständlich hin. Wenn man nun noch alle Dienstleistungsangebote sowie Freizeit- und Kultureinrichtungen hinzuzieht, hat man die Basis dessen, was unser tägliches Leben ausmacht. Ist es möglich, dass durch wochenlange Corona-Sperren ein Großteil dieses Angebots dauerhaft wegbrechen wird? Das wollte ich mir nicht vorstellen. Ab Mittwoch blieben dann die meisten Läden geschlossen, bis auf Supermärkte, Drogerien und Apotheken.

Die folgenden Tage ließen in meinem Umfeld die ersten Schwierigkeiten erkennen. Ein Unternehmen im touristischen Bereich sieht sich mit schwerwiegenden Verdienstausfällen konfrontiert und spekuliert nun auf staatliche Unterstützung. Ein Kameramann überlegt Hartz-4 zu beantragen, da seine Drehs für die kommenden Wochen abgesagt wurden. Ein Yoga-Studio steht vor dem Aus. Eine Berliner Designerin, die ihre Boutique geschlossen halten muss, wirbt auf Facebook mit 15-Prozent-Rabatt bei einer Online-Bestellung und bittet um die Unterstützung ihrer Kunden. Es macht eine Petition für Hilfen für Freiberufler und Künstler die Runde, die jetzt nichts verdienen können, da Veranstaltungen nicht stattfinden.

Ein wundervolles Hotel in Brandenburg, das ich mit meinem Freund Anfang April besuchen wollte, muss sämtliche Übernachtungen auf unbestimmte Zeit nach hinten verschieben. Genaue Ersatztermine können wegen der ungewissen Situation noch nicht angeboten werden. Ich wünsche dem Unternehmen, dass es die Zeit der Umsatzeinbuße überlebt. Es wäre sonst sehr schade darum.

Ich hoffe, dass die Maßnahmen, die zum Schutz vor Corona ergriffen werden, im Verhältnis zur tatsächlichen Gefahr stehen, die von diesem Virus ausgeht. Ich hoffe, dass das Durch-die-Luft-Wirbeln und im schlimmsten Falle Vernichten so vieler wirtschaftlicher Existenzen am Ende kein zu hoher Preis ist. Und ich hoffe, dass das politische Personal, das diese Entscheidungen trifft, bereit ist, die volle Verantwortung für die Folgen zu tragen, die sich aus derlei Beschlüssen ergeben. Und genau nachgerechnet hat, wie mit den Verlusten am besten umzugehen ist.

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T.Resias / 23.03.2020

” Und ich hoffe, dass das politische Personal, das diese Entscheidungen trifft, bereit ist, die volle Verantwortung für die Folgen zu tragen, die sich aus derlei Beschlüssen ergeben. Und genau nachgerechnet hat, wie mit den Verlusten am besten umzugehen ist. “ Tja, Frau Stockmann,  . Verantwortung für eine Entscheidung zu übernehmen bedeutete früher eben zurückzutreten wenn man einen entscheidenden Fehler gemacht hat. Wann haben Sie das unter Merkel das letzte Mal erlebt ? Nach Guttenberg und Wulff sind die doch einfach auch nach schlimmsten Fehlleistungen kackdreist auf Ihrem Sessel sitzengeblieben, dem Vorbild ihrer obersten Chefin gleich. Und mit dem Nachrechnen ist das ja auch so eine Sache, bei Leuten bei denen das Netz den Speicher bildet und elektrische Leistung in Kilobyte gemessen wird. Den Rest macht der Kobold im Eifon. Ein gängiger Spruch sagt ja : “Die Hoffnung stirbt zuletzt” Bei unserem derzeitigen politischen Personal ist aber jede Hoffnung vergeblich.

Detlef Dechant / 23.03.2020

Ich lebe in einer Kleinstadt am Rande der Eifel und gehe schon lange nicht mehr in die benachbarten Großstädte Bonn und Köln zum Shoppen. Der ÖPNV, die Park- und sonstige Infrastruktur mit entsprechenden Preisen haben mir gezeigt, dass die Städte für die Städter da sind, Einpendler sind unerwünscht. Dafür wundern sich die Städter, dass ihre kleinen Läden schließen und nur noch Ketten für das geistige und sonstige Prekariat hinzukommen, die mit Schüler-, Azubis- oder Studententickets kostenlos hin- und herfahren und Billigstangebote nutzen. Kulinarisch ist in den Voreifel- und Ahrtalregionen sowieso mehr geboten und der Erholungswert ist auch größer. Ansonsten sind Shoppingausflüge nach Maastricht und Venlo als Ganztagesausflug zu empfehlen, vielleicht mit Besuch in den Outlets. Aber zu Corona und den kleinen Selbstständigen. Ja, ich gehöre auch dazu und bin, durch Ausfall bzw. Hinausschieben von Projekten in Probleme gekommen. Da das absehbar war, habe ich vorausschauend bei meiner Geschäftsbank vor Ort nach einem entsprechenden Dispo gefragt. Ja, ich habe ihn bekommen, zu einem Zinssatz von 11,65 %.  Es gibt immer Gewinner bei einer Krise. Vielleicht helfen mir ja jetzt die Bundesprogramme, hier etwas zu ändern.

Christian Feider / 23.03.2020

Es scheint sich in Berlin doch eine ganz eigene Blase immer wieder neu zu bilden…. allein die Shopping-tour ist in einer deutschen Durchschnitts-Kreisstadt schon kaum mehr vorstellbar, da schlicht die Infrastruktur dafür fehlen würde. Ausser Döner-Buden, orientalischen Süssbäckereien und dutzendweise Cafe’s derselben Gattung findet man kaum noch traditionelle Einzelhändler,die unabhaengig Ihre Waren vertreiben. Eventuell waere es doch keine so GANZ schlechte Idee,den ganzen kulturell/medialen Klan jedes Jahr mal zwangsweise einen Monat mit Durchschnittsgehalt in der Provinz überleben zu lassen, es würde manche Stilblüte dieser mikrobiotopischen Gemengelage beiseite fegen und die Augen öffnen für die Realität im Land.

Karl Eduard / 23.03.2020

Glücklich, wer solche Sorgen hat. Nämlich ungehindert Shoppen zu gehen. Also sinnlos Sachen zu kaufen um das Belohnungszentrum zu aktivieren. Ein Yogastudio, eine Designerin, Freiberufler und Künstler ... .Werte Dame, das sind alles keine relevanten Unternehmen oder Berufe die zum Leben und Überleben benötigt werden. Gebraucht werden weiterhin, Mediziner, Apotheker, Arbeiter, Ingenieure, Menschen in der Energie- und Wasserversorgung, Bauern, Verwaltungsangestellte, die dafür sorgen, daß Anträge bearbeitet und bewilligt werden. Mitarbeiter von Geldinstituten, Mitarbeiter von Speditionen, Eisenbahner usw., damit ein Land funktioniert, Straßenbauer…. In der Krise trennt sich die Spreu vom Weizen. Das Nötige vom Unnötigen. 1945: “Hast Du Fleischkonserven?” “Nein, aber ich kann Dir für die Stange Zigaretten ein Lied singen. Oder ich gebe dir eine Yogastunde.” “Schieb ab.” 1973 DDR: “Hast Du Dachziegel?” “Was haste denn zu bieten, Wartburgersatzteile?” “Ich kann Dir ein Bild malen.” “Spassvogel!”

Wolfgang Kaufmann / 23.03.2020

Die gute Nachricht ist, dass alle, die bisher ihr Geld mit Schickimicki-Waren und Luxus-Dienstleistungen verdient haben, nun für eine Weile ihre Zeit und Kraft der Grundversorgung widmen können. Dessous, Yoga und Fremdenverkehr sind entbehrlich, zumindest in den nächsten zwei Monaten. Statt Gendertheorie nun Erntepraktikum. Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt. Oder war „vorwärts, und nie vergessen…“ nur eine hohle Phrase von Wichtigtuern (m/w/d)? – Macron hatte Recht mit seiner Wortwahl. Und nach dem Corona-Krieg wird es wieder einen Aufschwung geben und eine lebenswerte Zukunft. Qui vivra, verra.

E Ekat / 23.03.2020

ein Artikel, der womöglich derzeit so nicht in der Lombardei veröffentlicht werden dürfte.

Frank Stricker / 23.03.2020

Liebe Frau Stockmann, das hat schon was vom Tanz auf dem Vulkan, in Zeiten der Corona-Krise einen Dessous Laden unsicher machen. Aber Sie haben recht , man sollte gerade in dieser Zeit möglichst viel Normalität leben und erleben. Die Kanzlerin gibt sich ja auch bescheiden, der liebe Gott hat 10 Gebote erlassen , Angela Merkel gestern abend nur 9……….

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