Günter Ederer / 28.01.2016 / 06:30 / 2 / Seite ausdrucken

Wenn der Koran zum Gesetzbuch wird (3)

Die Re-Islamisierung der Türkei und die Folgen für Deutschland

Zurzeit schießt sich die deutsche Linke auf Saudi-Arabien ein. Ein barbarisches Urteil gegen einen Internetblocker, die Massenhinrichtung von Regimegegnern, darunter einem schiitischen Prediger haben Empörung ausgelöst - mit Recht. Aber der Einfluss Saudi-Arabiens auf die deutschen Moslems ließe sich leicht durch eine kompromisslose Ausweisung von wahhabitischen Predigern und ihren salafistischen Jüngern eindämmen.

Dabei wäre es dringend geboten, dass sich Deutschland mit der Entwicklung des Islams in der Türkei auseinandersetzt. Was Erdogan in Ankara verordnet hat Einfluss auf die Millionen Türken, die in Deutschland leben. So sehr sich die europäischen Staaten gemeinsam vom IS bedroht fühlen, so unterschiedlich sind die Probleme, die sich aus dem Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen und Ethnien entwickelt haben.

Die Konflikte in Frankreich beruhen weitgehend auf den Befreiungskriegen der Kolonien und dem Selbstverständnis der "Grand Nation." Vor allem der Algerienkrieg und der Hass, der sich dabei auf beiden Seiten festgefressen hat, wirken immer noch nach. Auch in Großbritannien beruhen die Spannungen zwischen der mohammedanischen Bevölkerung und der Mehrheitsgesellschaft auf der kolonialen Vergangenheit. Auf der Insel gibt es heute Stadtteile in denen ausschließlich Einwanderer aus Pakistan oder Bangladesch leben, die ihre eigene Welt geschaffen haben. Wohin das führen kann, zeigt der Skandal von Rotherham in Mittelengland, wo pakistanische Banden über ein Jahrzehnt über tausend englische Mädchen systematisch missbraucht haben und die lokale Polizei und Behörden haben nichts unternommen, weil sie nicht als Rassisten gelten wollten.

Die große Masse der in Deutschland lebenden Muslime aber stammt aus der Türkei und die haben wir geholt, weil wir Arbeitskräfte brauchten und sonst nicht darüber nachgedacht haben, was daraus werden könnte.

Wegen dieser verfehlten Ausländerpolitik sind wir es hauptsächlich von der Entwicklung in der Türkei betroffen. Die erste Generation kam noch aus einem ziemlich säkularen Staat zu uns. Ihre Betreuung wurde unter anderem durch einen Vertrag geregelt, den die deutsche Regierung mit DITIB vereinbarte, die unter dem Dachverband der Diyanet, eine dem türkischen Staat unterstellte Behörde steht, und die in Deutschland unter das Vereinsrecht fällt. Jahrzehnte gab es kaum Probleme. Das hat sich geändert, seit der Islamist Erdogan die Macht in der Türkei ausübt. Seither ist DITIB "ein Organ der türkischen Regierung mit religiöser und sozialer Zielsetzung, die in der Türkei vorherrschenden Richtung des sunnitischen Islam zu stärken".

Der Vertrag beinhaltet auch die Regelung, dass hauptamtliche Hodschas, die der deutschen Sprache nicht mächtig, denen die deutsche Kultur fremd ist, als türkische Staatsbedienstete, von Ankara besoldet und beaufsichtigt in den Moscheen den Ton angeben. Der Stadtstaat Hamburg hat sogar einen Staatsvertrag mit DITIB abgeschlossen. So züchten wir uns einen Islam, der mit unserem Grundgesetz nichts zu tun hat.

Wir müssen dringend die Hoheit über die Moscheen zurück gewinnen und das bedeutet, keine von Erdogan besoldete Imame mehr aus der Türkei in unseren Moscheen - und das heißt auch, dass die in Deutschland ausgebildeten Imame von DITIB anerkannt werden müssen, will diese Organisation Gesprächspartner der deutschen Regierung bleiben. Zurzeit lehnt DITIB die unseren Universitäten ausgebildeten Islamwissenschaftler und Prediger ab. Das nehmen unsere politischen Akteure achselzuckend hin oder was wahrscheinlich für die meisten zutrifft: Sie haben keine Ahnung, wie missionarisch die Erdogan-Türkei vorgeht.

1923 gründete der Reformer Kemal Atatürk die Diyanet, eine staatliche Behörde, die für die Religion zuständig ist. Seine Intention war ganz klar, die Trennung zwischen Staat und Religion durchzusetzen und die Diyanet achtete darauf, dass die Religionen, vor allem der Islam nichts gegen den Staat unternimmt. Das blieb so, bis in die Neuzeit, bis Erdogan anfing den Kemalismus wieder zurück zu drängen.

Zurzeit ist das Diyanit der verlängerte Arm der Islamisierung der Gesellschaft in der Türkei und die Verbreitung der sunnitisch- türkischen Version des Islam. Das Diyanet ist gleichzeitig die höchste islamische Autorität in der Türkei und erlässt in jüngster Zeit Richtlinien, die mit einem liberalen Staat nichts mehr zu tun haben. Dazu gehört zum Beispiel, dass Frauen in der Öffentlichkeit kein Parfüm mehr tragen dürfen, dass sie nicht mehr gemeinsam arbeiten dürfen und 2015 veröffentlichte sie ein Fatwa (Religionsgesetz) dass Händchenhalten von Verlobten in der Öffentlichkeit verbietet.

Für Katrin Göring-Eckardt mag das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das es erlaubt, dass muslimische Frauen mit Kopftuch in deutschen Schulen unterrichten dürfen, einen Sieg für unsere weltoffene Gesellschaft darstellen. Für die türkische Religionsbehörde ist das aber ein Sieg über die dekadente westliche Kultur, ein Sieg für die Werte des Islam nach türkisch-sunnitischer Vorstellung.

Die zunehmende Verbreitung des Kopftuchs ist für die meisten Frauen in der islamischen Welt erzwungen, ein Symbol ihrer Ausgrenzung. Da braucht es dann deutsche Naivität um dies zu übersehen. Vor Erdogan war es in der Türkei noch verboten, mit Kopftüchern eine Universität zu betreten oder gar eine Position im Staatsdienst zu besetzen. Aber selbst die Vollverschleierung soll in Deutschland akzeptiert werden. Das ist nicht nur Toleranz bis zur Selbstverleugnung, das bedeutet auch, Millionen Frauen in ihrem Kampf um die Selbstbestimmung in Stich zu lassen.

Die Diyanet hat für ihre Aufgaben mittlerweile 100 000 Mitarbeiter und einen Etat von 1 Milliarde Euro. Sie ist direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt. Ein Schwerpunkt der Missionierung ist neben Deutschland vor allem der Balkan. In Tirana wird gerade eine Moschee gebaut, die bei weitem das nahe gelegene Parlament Albaniens überragt. Beim Bau von über 100 Moscheen in 25 Staaten ist die türkische Religionsbehörde beteiligt .

Bevor unsere Regierung sich völlig in der Flüchtlingsfrage in die Abhängigkeit dieser türkischen Regierung begibt, sollte sie - und auch die Abgeordneten, die die Politik mittragen (Schwarz, rot und grün) die Studien des in Graz lehrenden  Türkeiforschers Kerem Oktem lesen. Er stellt fest, dass die türkische Unterstützung mit massivem Einfluss verbunden ist. Erdogan erzwingt mit seinen finanziellen Zuwendungen, dass sich die Spendenempfänger auf seine Seite stellen. Das ultimative Ziel ist, so Prof. Oktem, die Vorstellung, "dass die Türkei zum Führer der ganzen islamischen Welt aufsteigt".      

Die wankelmütige und inkonsequente Politik gegenüber Diktaturen und autoritären Staaten durch den Westen, vor allem auch durch die Bundesregierungen der verschiedenen Koalitionen ist gescheitert. Ein Symbol dafür ist die Szene in der Türkei, in der die deutsche Kanzlerin als Bittstellerin vor dem selbsternannten Sultan um dessen Beistand gegen die Flüchtlingsströme bittet und ihm dafür drei Milliarden Euro versprach. Das war eine beschämende Wahlhilfe für einen skrupellosen Autokraten.

Was geht da nur in den Köpfen der Berliner "Großen Koalition" vor. Als der Mörder Assad anfing seine Bevölkerung zu bombardieren und zu vertreiben, verlangte die Türkei sichere Zonen in Syrien, die durch ein Flugverbot für die syrische Luftwaffe geschützt werden müsse. Das lehnte der Westen ab. In Deutschland verteufelnden dies die Linken und Friedensideologen als "Eskalation der Gewalt", als "Völkerrechtsverletzung", als "Kriegstreiberei." Als Assad dann anfing, mit Fassbomben aus Helikoptern die Zivilbevölkerung zu verjagen, floh diese in die Lager nach Jordanien, den Libanon und in die Türkei. Und uns interessierte das reichlich wenig. Nur keine Einmischung, nur keine militärische Aktionen gegen diesen Verbrecher in Damaskus.

Heute wollen wir noch nicht einmal genau wissen, wie viele der Flüchtlinge vor Assad und wie viele vor den mörderischen Banden des "Islamischen Staates" zu uns kommen. Und erst seitdem sich hunderttausende auf den Weg nach Europa machen, nachdem die Attentate nicht nur in Somalia, Mali, Obervolta, Nigeria, Pakistan und der Türkei, sondern auch in Paris unschuldige Menschen betreffen, hat sich die deutsche Regierung aufgerafft, wenigstens so ein bisschen beim Kampf gegen den IS mitzumachen. Weil das aber die Ursachen der Flüchtlingsströme nicht abbremst, erflehen wir jetzt den Beistand eines weiteren Autokraten, der gerade einen blutigen Krieg im Südosten seines Landes führt und jeden im eigenen Land verfolgt, der für eine friedliche Lösung des Kurdenkonfliktes eintritt.

Das Flüchtlingsproblem mag zurzeit als die größte Herausforderung angesehen, die unser Staat zu bewältigen hat. Eine Million Zuwanderer, mehr oder weniger gläubige Muslime dabei, sind sicher eine Mammutaufgabe. Aber ein aggressiver Islam, von Saudi Arabien, dem Iran und Pakistan in die ganze Welt exportiert, ist wesentlich gefährlicher für den Frieden in der Welt.

Für Deutschland aber bedeutet dies, dass wir sehr darauf achten müssen, dass der selbsternannte Sultan Erdogan nicht über seine Organisationen Einfluss in den Moscheen und darüber hinaus in auf die Gesellschaft nehmen kann. Daher verbietet es sich von selbst, mit der jetzigen türkischen Regierung mehr Kontakt zu halten, als unabdingbar ist. Sie kann aber nicht unser wichtigster strategischer Verbündeter im Nahen Osten werden, nur weil Kanzlerin Merkel die Flüchtlingspolitik von Anfang an falsch angepackt hat.    

Den 1. Teil dieser Serie finden Sie hier

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Rainer Grell / 28.01.2016

Sehr geehrter Herr Ederer, herzlichen Dank für Ihren verdienstvollen sehr informativen Artikel. In einem Punkt kann ich Ihnen allerdings nicht zustimmen, wenn Sie schreiben “Die große Masse der in Deutschland lebenden Muslime aber stammt aus der Türkei und die haben wir geholt, weil wir Arbeitskräfte brauchten und sonst nicht darüber nachgedacht haben, was daraus werden könnte.” In „Migration und Politik“ (secolo Verlag, Osnabrück 1995, Seiten 305 ff.), seiner Habilitationsschrift, weist Johannes-Dieter Steinert nach, dass die offiziellen Stellen in Deutschland seinerzeit keinerlei Interesse an der Anwerbung von Arbeitskräften aus der Türkei (und anderen außereuropäischen Staaten) hatten (wegen der andersartigen kulturellen Gegebenheiten). Ein Vertreter der Türkei machte jedoch deutlich, „daß seine Regierung eine Ablehnung [ihres Arbeitskräfteangebots] als eine ‚Zurücksetzung’ des NATO-Mitglieds Türkei besonders gegenüber Griechenland betrachten müsse.“ „Damit waren die Würfel bereits gefallen, denn diesem außenpolitischen Argument konnte sich die Bundesregierung nicht entziehen. Jetzt ging es lediglich nur noch darum zu versuchen, die befürchteten Folgewirkungen möglichst gering zu halten“. Mit den besten Grüßen Rainer Grell

Elisabeth Bender / 28.01.2016

Bravo, Herr Ederer! Hier haben Sie einen zentralen Punkt für die Integration von Muslimen angesprochen. Und solange wir der Ditib (und anderen muslimischen Verbänden) nicht die Marschrichtung vorgeben, werden wir langfristig auch nicht die Rechte der Frauen hier garantieren können. Köln ist nur der Anfang… Hier sind vor allem die Stimmen der Frauen gefragt!!!!

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