Gastautor / 24.09.2014 / 12:24 / 5 / Seite ausdrucken

Wenn der kleine Vogel kommt

Stefan Frank

Venezuelas sozialistische Regierung reagiert auf die von ihr selbst in immer größerer Zahl verursachten Katastrophen auf zwei Arten. Zum einen durch noch mehr allgemeine Tyrannei. So muss jetzt seinen Fingerabdruck scannen lassen (1), wer in Venezuela ein Pfund Mehl oder eine Tüte Milch kaufen will. Um die Lebensmittelpreise zu senken, sollten die Venezolaner „weniger essen“, empfiehlt Maduro. (2) 

Zum anderen durch gezielte Angriffe auf die, die es wagen, über die Wirklichkeit zu sprechen. Der Oppositionspolitiker Leopoldo López ist seit dem 18. Februar im Gefängnis; ihm wird die „intellektuelle Urheberschaft“ von „sozialen Unruhen“ vorgeworfen, weil er die Regierung kritisiert hat. Den Harvard-Ökonomen Ricardo Hausmann, der von 1992 bis 1993 Venezuelas Planungsminister war (was immer das sein mag), kann Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro nicht festnehmen lassen, ihn kann er bloß beschimpfen.

Hausmann hatte einen Meinungsbeitrag auf der Website „Project Syndicate“ (3)  veröffentlicht, unter dem Titel: „Sollte Venezuela den Bankrott erklären?“ Die Regierung habe schon zahlreiche ausländische Schuldner geprellt und auch gegenüber der eigenen Bevölkerung Bankrott gemacht, indem sie das Geld immer weiter entwerte, so Hausmann. Da sie nunmehr auch die Einfuhren von Lebensmitteln und Medikamenten nicht mehr bezahlen könne, solle sie ihre knappen Ressourcen lieber zur Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse verwenden, statt für den auswärtigen Schuldendienst (was ihr ohnehin nicht mehr lange möglich sein wird). Maduro nannte ihn daraufhin einen „Banditen“ und „Finanz-Auftragsmörder“.

Das war am 5. September. Etwa zur selben Zeit berichteten Ärzte im Land, dass die von Moskitos übertragene Seuche Chinkungunya, die früher fast nur in den tropischen Ländern Afrikas und Asiens bekannt war, sich in Venezuela ausbreitet.

Diese mit hohem Fieber einhergehende Krankheit kann jahrelange Schmerzen nach sich ziehen. Im Krankenhaus von Maracay, der Hauptstadt des an der Küste gelegenen Bundesstaates Aragua, sind nach ärztlichen Angaben im September zehn Menschen an der Krankheit –  bzw. an damit einhergehenden Komplikationen – gestorben.

Maduro handelte. In einer Fernsehansprache bezichtigte er die Mediziner des „psychologischen Terrorismus“. Er habe mit dem Generalstaatsanwalt gesprochen, „damit unsere Justizorgane mit aller Härte des Gesetzes“ gegen sie vorgingen. „Man muss diese Leute bestrafen.“ In einer späteren Rede kündigte Maduro an, die Krankheit auf sozialistische Weise zu therapieren (4)  „Medizinische Freunde aus anderen Teilen der Welt, einschließlich unserer Schwester-Nation Kuba, haben uns Biowaffenexperten geschickt. Wir werden feststellen, was an den faschistischen Gerüchten in Aragua wahr ist.“

Neben dem für Maduro typischen Wahn ist die Ironie zu bemerken, dass er es ist, der mit Kanonen auf Mücken schießt. Die Panik im Zuge des Ausbruchs von Chinkungunya verbreitet er selbst; die größere Gefahr geht wohl von Malaria und dem Denguefieber aus, beides von Moskitos übertragene, potentiell tödliche Krankheiten, die sich im „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ immer weiter ausbreiten.

Nach Angaben (5) des venezolanischen Gesundheitsministeriums stieg die Zahl der Malariafälle 2013 gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent auf 76.621 Fälle, die von Dengue um 40 Prozent auf 63.726. Das sind mehr als doppelt so viele Denguefälle wie 2004 – und Malaria gab es seinerzeit in Venezuela nicht einmal.

Venezuelas Gesundheitssystem ist in Auflösung begriffen – obwohl es in der Agenda der „Bolivarischen Revolution“ ganz oben stand. Warum das so ist, erklärt Daniel Duquenal, der auf seinem Blog „Venezuela News and Views“ (6) seit fast zwölf Jahren regelmäßig über „das Überleben in der Neodiktatur von Chávez und seinen Erben“ – so der Slogan des Blogs – berichtet, gegenüber der Achse des Guten.

Tatsächlich habe das Chávez-Regime ab dem Jahr 2000 und noch stärker ab 2003 in das Gesundheitssystem investiert, so Duquenal. „Doch statt das bestehende zu reformieren und zu stärken, entschied Chávez, ein paralleles Gesundheitssystem zu schaffen, das er den kubanischen Ärzten überantworten konnte.“ Das habe, außer dem Propagandawert, noch einen anderen Grund gehabt: „Nach venezolanischem Recht dürfen ausländische Ärzte in Venezuela ihre Profession nicht ausüben, es sei denn, sie absolvieren zuvor eine ergänzende Ausbildung. Die kubanischen Ärzte – in deren Tross das Regime zahlreiche ,Berater` und Agenten ins Land gebracht hat – konnten also in venezolanischen Krankenhäusern nicht arbeiten, darum wurde ein Parallelsystem geschaffen, das die Regierung nach ihrem Belieben führt.“

Dieses neue, unter dem Namen „Barrio Adentro“ bekannte System brachte in der ersten Phase eine Verbesserung, indem man eine medizinische Basisversorgung auch in abgelegenen Gebieten errichtete, wo es vorher keine gegeben hatte. Allerdings existierte schon vor Chávez ein öffentliches Gesundheitssystem, das gut funktionierte, bis es in den frühen achtziger Jahren heruntergewirtschaftet wurde. „Man hätte bloß das bestehende gesetzliche System überholen und wieder auf die Beine stellen müssen, es wäre nicht notwendig gewesen, ein neues zu schaffen. Dies aber war für den Populisten, der Chávez war, eine zu große Versuchung“, so Duquenal.

Zwischen 2006 und 2008 habe sich erstmals gezeigt, dass das System auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten sei. „Die Preiskontrollen, die allgemeine ökonomische Unsicherheit und andere wirtschaftliche Missstände, insbesondere die Devisenkontrollen, brachten den privaten Gesundheitssektor ins Straucheln.“ Obwohl die Bevölkerung von Caracas wachse, habe seit acht Jahren kein privates Krankenhaus mehr eröffnet – früher sei alle zwei bis drei Jahre ein neues hinzugekommen.

Zudem habe die Regierung das „Barrio Adentro“-System auf Kosten des gesetzlichen Gesundheitssektors gefördert. „Ab 2005 klagten die Ärzte über niedrige Löhne und fehlende Ressourcen. Seit 2010 gibt es eine starke Abwanderung von Ärzten ins Ausland, die sowohl den öffentlichen als auch den privaten Gesundheitssektor beeinträchtigt.“ Damals, 2010, sei das öffentliche Gesundheitssystem bereits so heruntergekommen gewesen, dass die Regierung entschieden habe, den Angestellten im öffentlichen Dienst eine private Krankenversicherung zu geben. „Selbst der Regierung war klar, dass weder das gesetzliche Gesundheitssystem noch ,Barrio Adentro` den medizinischen Bedürfnissen des anschwellenden Heeres von Staatsdienern gewachsen waren.“

Gleichwohl seien private Krankenhäuser vielen staatlichen Restriktionen unterworfen, weshalb auch sie – der letzte noch funktionierende Teil des Gesundheitsapparats – den Ansturm der Patienten seit 2012 nicht mehr bewältigen könnten. „2012 zeigte sich auch, dass die Ressourcen für ,Barrio Adentro` und daran angeschlossene kleine Krankenhäuser nicht mehr ausreichten. Es wird geschätzt, dass die Hälfte der zwischen 2003 und 2008 eröffneten Barrio-Adentro-Module wieder geschlossen wurde. Heute ist der venezolanische Gesundheitssektor schlimmer dran als 1999, als Chávez seine Regierung antrat. Es fehlt an Personal und an Geräten, in diesem Jahr ist auch noch ein Mangel an Gütern für die medizinische Grundversorgung – etwa für die Unfallchirurgie – hinzugekommen.“

Die derzeitige akute Krise sei durch die vom Regime erlassenen Preiskontrollen für medizinische Güter verursacht worden, während dieses sich gleichzeitig geweigert habe, die Einfuhr von Ausgangsstoffen zu subventionieren, so dass zumindest theoretisch die Möglichkeit bestände, die Preise von Medikamenten konstant zu halten. „Darum haben wir im Kampf gegen die Chinkungunya-Epidemie kein Paracetamol – was das einzige Medikament ist, das den Patienten helfen kann.“

Es fehlt also an Ärzten und Medikamenten, und auch die Bekämpfung der Moskitos kann sich Venezuela nicht mehr leisten. Bis 2005 wurden sie durch umfangreiche Programme eingedämmt. „Jetzt sind sie in großer Zahl zurück und damit auch die von ihnen übertragenen Krankheiten.“ Dabei war Venezuela in den sechziger Jahren eines der ersten tropischen Länder, die Malaria ausgerottet hatten, und blieb weitgehend malariafrei bis zu den ersten Jahren der Amtszeit von Chávez. Doch um diesen Zustand zu erhalten, braucht es ein aufwendiges Programm: „Sümpfe in der Nähe der großen Städte müssen trockengelegt werden; in regelmäßigen Abständen müssen Moskitos vernichtet werden; es bedarf einer Aufklärung der Bevölkerung, damit die Leute keine Behälter mit stehendem Wasser in ihren Häusern haben – und noch vieles mehr. Wir aber haben nun nicht mal mehr Insektenschutzmittel. Die einzige Verteidigung sind jetzt Ventilatoren und Moskitonetze – wenn man sie sich leisten kann.“

Das Maduro-Regime kämpft gegen die Bevölkerung, nicht gegen die Seuchen. Lateinamerikas sozialistische Staatslenker sind bekannt für ihre Paranoia. Hugo Chávez glaubte, der Kapitalismus habe das Leben auf dem Mars ausgelöscht. (7)

Boliviens Präsident Evo Morales warnt Männer vor dem Verzehr von Hühnerfleisch: Sie würden dadurch glatzköpfig und schwul (8). Fidel Castro unterzog vor einigen Jahren die Hippiebewegung einer Neubewertung: Zustimmend zitierte (9) er Äußerungen des litauischen Schriftstellers und Psychopathen Daniel Estulin, wonach die CIA und der britische MI6 auf Anweisung der Bilderberg-Konferenz in den späten sechziger Jahren Drogen, die Beatles und große Freiluftkonzerte unter Amerikanern populär gemacht hätten, um der wachsenden sozialen Unzufriedenheit zu begegnen.

Maduro selbst glaubt, dass eine „ausländische Macht“ Hugo Chávez „mit Krebs infiziert“  (10) habe und gibt an, dass ihm der tote Kommandant von Zeit zu Zeit als „niedlicher kleiner Vogel“ erscheine, um ihn zu beraten (11).

Das Regieren ist einfacher, wenn man keine Rücksichten auf die Wirklichkeit zu nehmen braucht. Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit. Übrigens wird allgemein erwartet, dass Venezuela bei der jetzt anstehenden Abstimmung in New York in den Weltsicherheitsrat gewählt werden wird.

(1) http://www.zeit.de/news/2014-08/22/venezuela-venezuela-fuehrt-fingerabdruck-scanner-an-supermarktkassen-ein-22114207
(2) http://www.radiolavoz.com.ar/nota/2141/el-inslito-pedido-de-maduro-a-los-venezolanos-para-combatir-la-escasez-coman-menos
(3) http://www.project-syndicate.org/commentary/ricardo-hausmann-and-miguel-angel-santos-pillory-the-maduro-government-for-defaulting-on-30-million-citizens—but-not-on-wall-street
(4) http://latina-press.com/news/185793-biologische-kriegsfuehrung-auslaendische-biowaffenexperten-in-venezuela/
(5) http://www.eluniversal.com/nacional-y-politica/140120/failed-epidemiological-system-precludes-control-of-diseases-in-venezue
(6) http://daniel-venezuela.blogspot.de/
(7) http://www.reuters.com/article/2011/03/22/us-venezuela-chavez-mars-idUSTRE72L61D20110322
(8) http://www.theguardian.com/news/blog/2010/apr/22/chicken-causes-homosexuality-evo-morales
(9) http://www.cuba.cu/gobierno/reflexiones/2010/ing/f170810i.html
(10) http://laprensa.peru.com/actualidad/noticia-10-inspiradas-frases-nicolas-maduro-11913/4
(11) http://www.huffingtonpost.com/2013/04/03/nicolas-maduro-hugo-chavez-little-bird_n_3007965.html

 

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Leserpost

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Peter Hünten / 25.09.2014

Es war nicht anders zu erwarten. Bis zum endgültigen Zusammenbruch des Regimes wird es noch lange dauern und es wird schrecklich werden.

Klaus Kalweit / 24.09.2014

Der Chávez war nicht dumm. Er hat sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Jetzt wird er als Halbgott verehrt und der arme, arme Maduro gerät so unter Druck, dass er langsam den Verstand verliert. Ob die Bevölkerung inzwischen den Irrweg des Sozialismus erkannt hat?

Rolf Menzen / 24.09.2014

Wie mein verstorbener Vater schon in den 60er-Jahren bei einem Besuch der Leipziger Messe ins Gästebuch schrieb:“Der Sozialismus siecht!”

Francesco Salatino / 24.09.2014

Lieber Stefan Frank, es geht nicht nur um das sozialistische Venezuela und um das Maduro-Regime, aber auch um die meisten zentral- und lateinamerikanischen Länder, die von Ex-Guerilla-Kämpfer und Kommunisten (Ortega,  Castro, Morales, Dilma Roussef u.a.) regiert werden. Länder,  die bei UNO-Resolutionen immer gegen Israel stimmen und die Juden unterdrücken.  Der Terrorist Che Guevara ist tot, aber seine Lehre, seine antiamerikanischen und antiwestlichen Ideale leben noch.

Reiner Schöne / 24.09.2014

So sieht der Niedergang eines sozialistischen oder kommunistischen Staates aus. Wie immer in solchen Fällen von Unfähigkeit und sozialistischer Intolleranz, die dieser Staatsform inne ist, ist das Volk an allem Schuld. Aber der Gedanke lebt, er lebt weiter in irgendwelchen kranken Hirnen auch hier in Deutschland.

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