Die meisten Parteien haben sich eindeutig auf die Seite der woken Trans*-Bewegung gestellt. Leider auch die Hauptstadt-CDU. Ist die Union gewillt, sich dem woken Trend zu widersetzen? Achgut.com veröffentlicht einen Auszug aus dem neuen Buch „Woke“ von Zana Ramadani und Peter Köpf.
Es ist selbstverständlich gut und richtig, dass auch Parteien sich um Minderheiten kümmern. Wenn jedoch deren überzogene Forderungen sich gegen die Interessen der Mehrheit richten und selbst die Union sich unterwirft, wird die Mehrheit den etablierten demokratischen Parteien den Rücken kehren. Wem werden sie sich zuwenden?
Der Verband Schwule und Lesben in der Union (LSU) ist seit 2022 offizielle Parteiorganisation der Christlich-Demokratischen Union (CDU). Auch die Frauen-Union diskutiert mit der LSU über das Selbstbestimmungsgesetz. Und das ist gut so. Politiker wie Norbert Röttgen, Hendrik Wüst und andere setzten sich schon 2021 dafür ein, die Diskriminierung aufgrund der „sexuellen Identität“ in Artikel 3 des Grundgesetzes aufzunehmen.
Das will nun auch Berlins CDU, die sich laut Koalitionsvertrag mit der SPD für ein „modernes Selbstbestimmungsrecht“ einsetzt. Außerdem hat sie zugestimmt, in der armen „Regenbogenhauptstadt“ eine Menge Geld für die „Sichtbarkeit“ der LGBTQ-Gemeinde auszugeben: Berlin wird „eine:n ›Queer- Beauftragte:n der Landesregierung Berlin für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt‹ schaffen“, und „die Bezirke benennen jeweils eine Person als Queerbeauftragte:n als Vollzeitstelle“. Die Koalition will „die besonderen Bedürfnisse von queeren Menschen im Gesundheitsbereich, vor allem die Bedürfnisse von trans* Personen … verstärkt berücksichtigen“ und „medizinische Angebote für trans* Personen – mit dem Fokus auf trans* Frauen – fördern und ausbauen“. Mitte April wurde bekannt, dass Alfonso Pantisano den Posten übernehmen könnte, Landesvorsitzender der SPDqueer Berlin und Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands Deutschlands (LSVD). Er hatte Jahre zuvor Wolfgang Thierses Worte über linke Identitätspolitik und Cancel Culture als „reaktionär“ und „neurechten Sprech“ bezeichnet, via Twitter Jan Böhmermanns Sendung vom 2. Dezember 2022 über „TÖRFS“ gelobt und Frauen TERFs sowie die Kolleginnen von Emma „Hündinnen“ genannt (Tweet von @pantisano vom 22.1.2022, mittlerweile gelöscht).
Für viele sind diese Veränderungen zu schnell
Die CDU in der Hauptstadt ist damit Vorreiter einer woken Sexualpolitik geworden. Ihrer Wählerschaft dürfte – sobald sie die über Rechte von Homosexuellen weit hinausreichenden Folgen erkennt – darüber reichlich verwundert sein. Dabei wäre doch gerade die CDU dazu prädestiniert, sich gegen die Ideologie der Woken zu wehren – wenn nicht sie, welche Partei dann! Das gilt auch für die bayerische Schwester, die CSU, deren Ministerpräsident sich jedoch vom Versprechen eines „Queer-Aktionsplans“ offenbar mehr Wählerzuwanderung als -abwanderung erwartet.
Noch scheinen die Anhänger der Union sich über den woken Weg der Partei nicht den Kopf zu zerbrechen. „Im kleinen Kosmos der Kleinstadt ist das Thema ›Woke‹ meiner Wahrnehmung nach kein oder kein großes Thema“, sagt die saarländische Landtagsabgeordnete und frühere Staatssekretärin im Finanzministerium Anja Wagner-Scheid, die auch Mitglied der Frauen-Union ist, in einem Telefonat mit uns. „Man wundert sich eher über das Geschehen und die Diskussionen. Für viele sind diese Veränderungen auch zu schnell.“ Da das Thema da sei, sollte sich ihre Partei jedoch damit auseinandersetzen. „Aber nicht auf jeden Zug aufspringen, weil es trendig ist.“ Die Ampel schieße mit ihrem Selbstbestimmungsgesetz „weit über das Ziel hinaus“. Die Bundesregierung versuche, „Pflöcke reinzuhauen und unsere Gesellschaft nach und nach zu verändern. Da müssen wir als CDU aufmerksam sein.“
Wagner-Scheid geht es darum, an potenzielle Probleme zu denken: „Wie regelt man es, wenn ein biologischer Mann, der eine weibliche Identität gewählt hat, eine Frauensauna oder ein Frauenhaus betreten möchte? Natürlich gibt es Ängste, und die muss man ernst nehmen. Da muss man sagen: Es braucht konkrete Regelungen dafür von Anfang an. Denn Frauen haben aus gutem Grund Rückzugsmöglichkeiten und brauchen die auch weiterhin in vielen Situationen.“
Für konservative Partei wenig zu gewinnen
Wagner-Scheid plädiert für eine verpflichtende Beratung, wenn Kinder und Jugendliche den Wunsch äußern, ihre sexuelle Identität zu ändern und dafür Hormone einnehmen und sich operieren zu lassen: „Was das mit den Jugendlichen macht und dass das nicht einfach rückkehrbar ist, das darf man nicht außen vor lassen.“ Auch die Pläne zur „Leihmutterschaft“ sieht sie kritisch. Bei der „reproduktiven Selbstbestimmung“ gehe es ja nicht nur um das Altruistische, dass eine Frau ihre Schwester bittet, ein Kind für ihren Mann und sie selbst auszutragen. „Es ist eben mehr. Und zwar gewerblich und kommerziell. In Amerika, in der Ukraine und anderen europäischen Ländern ist es Realität, eben ein Geschäft.“
Bei denen, die sich für Avantgarde halten, gibt es für die konservative Partei wenig zu gewinnen. Offenbar gibt es innerhalb der CDU dennoch Zweifel daran, ob sie gewillt ist, sich dem woken Trend zu widersetzen. „Wenn die CDU sich den identitätspolitischen Eiferern nicht entgegenstellt, wird es über kurz oder lang einen deutschen Trump geben“, warnte eine Handvoll CDU-Politiker in der FAZ. „Gleiche Rechte, faire Chancen und freie Entscheidungen für alle Menschen – unabhängig von Hautfarbe und ethnischer Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung, Religion oder Alter: Dafür muss eine zukunftsfähige CDU stehen.“ Gleiche Rechte für alle, so ist das zu verstehen, heißt auch: keine Sonderrechte. „Wenn es in der Mitte kein Sprachrohr für Alltagsvernunft gibt (zum Beispiel: dass auch die Existenz von Inter- und Transsexualität nichts daran ändert, dass es genau zwei biologische Geschlechter gibt), dann wird Unbehagen in Wut und Radikalisierung umschlagen.“
Andere Parteien haben sich eindeutig auf die Seite der jungen Avantgarde gestellt. Mit den Grünen sind Tessa Ganserer und Nyke Slawik, zwei offen transgender-lebende Frauen, in den Bundestag eingezogen. Ganserer fiel mit Aussagen wie jener in der taz auf: „Ein Penis ist nicht per se ein männliches Sexualorgan.“ Kritik wurde aber laut, weil mit Ganserer seit den Wahlen im September 2021 jemand einen grünen Frauenquotenplatz besetze, „der physisch und rechtlich ein Mann ist“. Das kann Feministinnen natürlich nicht gefallen, die Jahrzehnte für Frauenquoten gekämpft haben. Wo Frauenrechte zugunsten von Minderheiten geopfert werden, wo Mordfantasien gegen die sogenannten TERFs geäußert werden, droht Loyalitätsverlust. Frauen machen mehr als die Hälfte der grünen Wählerschaft aus. Eine Partei, die den Anspruch erhebt, Volkspartei zu werden, muss auch die Interessen der Mehrheitsbevölkerung berücksichtigen, übrigens nicht nur bei Fragen der sexuellen Identität.
„suck my huge trans dick“
Die Grünen seien „gefangen in den gehobenen metropolitanen Milieus akademisierter Mittelschichten und ihrer eigenen Besserwisserei“, urteilt der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel. „Für die untere Hälfte der Gesellschaft sind weder ihre Identitätspolitiken noch die postmaterialistische Umweltpolitik, die Verkehrspolitik und nicht einmal die Klimapolitik attraktiv.“ Bis heute merke man der Partei die Herkunft aus dem westdeutschen Wohlstandsmilieu an. „Milieus, Sprechweisen, politische Korrektheit, eine von oben belehrende Weltsicht kommen weder im Osten noch bei alten weißen Männern besonders gut an, die ja noch stets geschmäht werden“, sagte Merkel im Interview mit der NZZ.
Auch die Linke rutscht auf dem woken Eisfeld aus: In einer Pressemeldung der Fraktion in Thüringen war die Rede von „Menschen mit Uterus“. Auch sie verprellt damit die Hälfte ihrer Wählerschaft, die Frauen, die auf ihre Gebärfunktion reduziert wird, nur um einer winzigen Minderheit potenzielle Pein zu ersparen. Geht es kurzsichtiger?
Aber es gibt bei den Linken noch größere sprachliche Sauereien zu „bewundern“ als bei den Grünen: Sogenannte Volksvertreter des Netzwerks DIE LINKE.queer in Baden-Württemberg haben eine „Anti-TERFS“-Postkarte verbreitet – natürlich auch über die sozialen Netzwerke. Darauf war eine zweifelhafte Botschaft zu lesen: „TERFs can suck my huge trans dick.“ Braucht die Welt derartig vulgäre Nachwuchspolitiker?
Ferda Ataman antwortet nicht
Und wie findet die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung und Diversity-Unternehmerin Ferda Ataman die genannte „Suck my dick“-Postkarte? Zana Ramadani schrieb ihr einen Brief: „Müssen wir als Nicht-Queer-Frauen diese Art von Beleidigungen und Diskriminierungen hinnehmen? Fühlen Sie sich in Kenntnis einer solchen Widerwärtigkeit nicht dazu berufen, wenn schon nicht als Frau – Entschuldigung, wenn ich davon ausgehe, dass Sie sich als solche definieren –, dann als Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung Ihre Stimme zu erheben, etwas zu unternehmen? Wie stehen Sie zu solchen Auswüchsen des unsozialen Miteinanders?“ Eine Antwort kam nicht, das war leider auch nicht zu erwarten.
Die Debatten der Parteien in der Mitte drehen sich immer häufiger um Zeitgeistthemen, während sich die Menschen bis hinein in Schwulen- und Lesbengruppen missachtet fühlen. Denen, die den Karren ziehen, hilft der woke Zeitgeist nicht. Auch denen nicht, die sich vor Armut fürchten oder gar schon prekär leben, weil die Erhöhung des Mindestlohns längst von der Inflation aufgefressen ist. Sie werden noch immer ausgebeutet, sie sind die wahren Gedemütigten und Benachteiligten. Diesen Menschen zu helfen war einmal die Kernkompetenz bzw. der Zuständigkeitsbereich der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Leider scheint auch sie die untere Hälfte der Gesellschaft vergessen zu haben. (…)
Dies ist ein Auszug aus dem neuen Buch von Zana Ramadani und Peter Köpf
„Woke. Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht“. Hier bestellbar.
Zana Ramadani, 39, ist Frauenrechtlerin und Gründerin von Femen Deutschland. Für ihre Kritik an patriarchischen Strukturen im Islam bekam sie Morddrohungen. Sie ist Mitglied der CDU und des Thinktanks AUSTRIA, der die österreichische Regierung berät.
Peter Köpf, 62, ist Journalist und Autor mehrerer Biografien sowie politischer Sachbücher, darunter INSIDE AFD (2018, mit Franziska Schreiber).