Maßlosigkeit allerorten: Weil es trotz der gefühlten 99.000 Forschungsinstitute im gesellschaftspolitischen Feld immer noch nicht genug zu sein scheint, wurde Ende November das neue Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) eröffnet. Ziel: „die zivilgesellschaftliche Protest- und Bewegungsforschung systematisch mit der Analyse politischer Konfliktstrukturierung und der Sozialkapitalforschung zu verbinden“, um zur Beantwortung grundsätzlicher Fragen der Zukunft der Demokratie und des gesellschaftlichen Zusammenhalts beizutragen.
Dazu gehöre etwa die Erforschung der Mobilisierung politischer Konfliktstrukturen durch soziale Bewegungen und politische Parteien sowie der Veränderungen der zivilgesellschaftlichen Organisationslandschaft. „Geplant ist außerdem die Institutionalisierung einer Dateninfrastruktur zu politischem Protest in Europa.„Welcher Richtung sich das Ganze schon wieder andient, ist angesichts der Rhetorik, der Kooperation mit der Freien Universität Berlin, der Förderung durch die Stiftung Mercator sowie der Volkswagen-Stiftung und der Einladung eines Zeit-Journalisten sowie des Bundestagspräsidenten a.D., Wolfgang Thierse, zur Eröffnungsfeier ausreichend klar – spätestens dann nach Durchsicht des Interviews der Stiftung Mercator mit dem Gründungsdirektor Edgar Grande.
Frage an Grande: „Bislang war mit dem Begriff der ‚Zivilgesellschaft‘ stets ein demokratiestützendes Motiv verbunden. Muss das angesichts der Wutbürger und der Pegida-Proteste anders gesehen werden?" Antwort von Grande: „…Zivilgesellschaftliche Vereinigungen können auch Gegner der Demokratie sein…“ Die Konfliktlinie „Einwanderung und Europa“ gehe „mit Ausnahme der Grünen mitten durch alle Parteien“.
Wenn sich der Gründungsdirektor da mal nicht vertut.
Neben dem grünen Kritiker der Zuwanderungspolitik Boris Palmer beklagt inzwischen auch das Grünen-Mitglied im Balinger Stadtrat Peter Seifert:
„Wir erleben hier am Bahnhof Tag für Tag, wie unser Rechtsstaat vorgeführt wird. Wie am helllichten Tag Drogengeschäfte abgewickelt werden, die keiner ahndet.“
Und wenn die Polizei seinen Mitarbeiter auffordere, Bilder von einer Situation zu löschen, weil das gegen die Persönlichkeitsrechte des Randalierers verstoße, habe er
„so langsam den Eindruck, dass wir in einer falschen Welt leben…dass wir uns eine heile Welt zusammengebastelt haben, in der derjenige zum Bösen gestempelt wird, der versucht, seinen Mitmenschen die Scheuklappen von den Augen zu reißen.“
„Treuhänderische Übergangsverwaltungen in politischen Transitionsprozessen“
Zu weiteren unfassbaren Vorfällen im Land siehe auch in Homburg, in Krozingen, in Saarbrücken, in St. Ingbert, in Bielefeld, in Köln, in Milbertshofen, in der Hessischen Landesbahn, im Regionalexpress 4, in Neuwiedenthal oder in Bremen.
Was die Akademiker, etwa beim Zentrum für Demokratie- und Friedensforschung, angesichts der Lage umtreibt, sind erneut nicht die gravierenden Folgen für die Opfer und deren Umfeld, sondern: „Politisierungsprozesse in den Bereichen Terrorismusbekämpfung und Grenzsicherheit“ auf europäischer und nationaler Ebene: „Im Angesicht transnationaler Risiken (insbesondere Migration und Terrorismus) nutzen die EU-Institutionen ihre Sicherheitsfunktion zunehmend als Quelle der Legitimation, etwa im Kontext der ausgerufenen ‚Sicherheitsunion‘. Dies stellt im Gegenzug die Legitimität europäischer Sicherheitsinstitutionen zur Diskussion.“ Das Projekt verbinde Debatten zur Politisierung europäischen und globalen Regierens mit der Forschung zu Versicherheitlichung.
Beim Sonderforschungsbereich, Teilprojekt B05, geht es ebenfalls um „Ver- und Entsicherheitlichung“; im Rahmen externer Staatsbildung durch „treuhänderische Übergangsverwaltungen in politischen Transitionsprozessen“. Bisher darauf angelegt, in von Bürgerkriegen zerstörten Ländern wie dem Kosovo Sicherheit und demokratische Staatlichkeit wieder herzustellen, könnte die Angelegenheit bei fortschreitender Ignoranz regierender Politiker auch hierzulande mal relevant werden: „Dadurch soll eine Bevölkerung in die Lage versetzt werden, das Recht auf Selbstbestimmung ausüben und wirksam vor inneren und äußeren Bedrohungen geschützt werden zu können.“ Die Legitimität treuhänderischer Übergangsverwaltungen basiere auf „existenziellen Bedrohungen – wie die Rückkehr von Unterdrückung und Gewalt, mögliche Interventionen durch Nachbarstaaten oder der Aufstieg krimineller Gruppen – die eine temporäre Fremdherrschaft rechtfertigen“. Man sollte jedenfalls auf alles Mögliche gefasst sein.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel hier.