Bernard Imhasly schreibt in der taz:
“Im indischen Lahore skandierten Protestierende am Dienstagabend ‘Tod für Großbritannien! Tod für Rushdie!’, Fotos der Queen gingen in Flammen auf. Ein pakistanisches Provinzparlament forderte die Regierung zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen auf, und der bereits zitierte Parlamentsvize in Teheran warf Großbritannien vor, ‘in einer Traumwelt’ zu leben, wenn es glaube, ‘immer noch eine Supermacht wie im 19. Jahrhundert’ zu sein.”
Darauf entgegnet Navid Kermani (im Interview ebenfalls mit der taz):
“Wenn jemand brüllt: ‘Du bist unwichtig, und ich rege mich überhaupt nicht auf’, zeigt dies natürlich das Gegenteil. Am besten sollte man den Vizepräsidenten des iranischen Parlaments antworten: Prima, wenn die Queen und der Ritterschlag so bedeutungslos sind, warum dann die Aufregung?”
Imhasly weiter:
“Alte antikoloniale Reflexe? Was bedeuten dann die Hitler-Porträts, die auf den pakistanischen Straßen auftauchen? Haben sich die Demonstranten, in Ermangelung einer positiven und vor allem einer hausgemachten antibritischen Reizfigur, in einem bizarren Gedankensprung jenen Mann vorgeheftet, der das Weltreich im letzten Jahrhundert wie kein Zweiter in existenzielle Bedrängnis gebracht hat? War es der verzweifelte Versuch, ‘den Hass auf jene zu zeigen, die Gotteslästerer ehren’, wie sich einer der Demonstranten ausdrückte?”
Gegenfrage: Bedeuten Hitlerportraits vielleicht einfach, daß die Islamofaschisten mit der Ideologie der Nazis sympatisieren?
“Man muss nicht lange in die Geschichte zurückgehen, um zwischen Rushdie und Großbritannien neben der Adelsfarce noch etwas Verbindendes auszumachen. Es ist die Haltung zum Irak. Nicht nur Tony Blair, auch Salman Rushdie hatte die Invasion in den Irak gutgeheißen und lange an Bushs Demokratieprojekt für das Land geglaubt. Die Demonstranten in Lahore, Srinagar und Teheran haben dies nicht vergessen. Sie mögen wie finstere mittelalterliche Assassinen aussehen und es auch sein. Dank Internet und al-Dschasira sind sie aber auch über das, was in der heutigen Welt geschieht, auf dem Laufenden.”
Vermutung: Könnte es sein, daß diejenigen, die jetzt Portraits der Queen und die Union Jack verbrennen, keine Ahnung haben, was Rushdie über den Irakkrieg denkt? Und natürlich auch keine Zeile aus seiner Feder jemals gelesen haben? Nur eine Idee…
Die Süddeutsche sprach zum selben Thema mit Kiran Nagarkar
“SZ: Der pakistanische Religionsminister Muhammad Ijaz-ul-Haq sagte, die Auszeichnung Rushdies sei eine Rechtfertigung für Selbstmordattentate.
Nagarkar: Man kann diesen furchtbaren Mann gar nicht ernst genug nehmen. Wir werden alle noch staunen, wie die Mullahs diese neue Rushdie-Geschichte zu ihren Zwecken instrumentalisieren.”
Nö, mich erstaunt da gar nichts mehr. Wirklich nicht.
“SZ: Mehrere Mitglieder des Komitees, das darüber entscheidet, wer von der Queen geadelt wird, waren erstaunt über die Reaktionen; sie glaubten, ihre Wahl würde die Beziehungen zwischen Europa und Asien verbessern.
Nagarkar: Das ist schon einmalig verlogener Unsinn. Und es erinnert mich an die merkwürdig unentschlossenen Multikulturalisten, von denen sie bezüglich der Fatwa sprachen. Diese Entscheidung wird in der muslimischen Welt enorme Erschütterungen auslösen, und das wird die Jury gewusst haben. Ich hätte mir gewünscht, dass sie sagen, wir geben ihm diesen Preis, weil er ihn nun mal verdient für sein Werk, egal, was dann passiert.”