Letzten Monat stellt London bereits die vierte Stadtroute auf Elektrobusse um. „Bau deine Träume“, lautet das Programm der britischen Metropole. Es sind nämlich elf Busse der Shenzhen-Firma Build Your Dreams (BYD), die jetzt zwischen Park und Square von Finsbury pendeln. Transport for London (TFL) handelt beim Vertrauen auf Material aus der fast 10.000 km entfernten Stadt im Perlfluss-Delta keineswegs leichtsinnig. Sechs Jahre hat sich auf drei Linien die Zuverlässigkeit der chinesischen Fahrzeuge erwiesen. Das inspiriert sogar Liverpool, wo seit Oktober 2017 zwölf BYD-Busse die Stadtluft sauberhalten. Niemand beklagt die Fremdkäufe, weil British Leyland als letzter wichtiger Eigenhersteller seit 1993 bankrott ist. Europas Marktführer Mercedes und MAN verlieren ebenfalls nichts, weil sie keine Elektrobusse im Angebot haben. Weit über 300.000 Stück dagegen verkauft man in China seit 2011 – alle aus eigener Produktion.
Der Weisheit ihres Schrittes erkennen die Londoner jedoch in Shenzhen selbst. 1980 dient es mit 30.000 Einwohnern dem britischen Hongkong als Marktflecken zur Volksrepublik. Heute übertrifft es – als built-up urban area – mit 12,8 Millionen Menschen die Großräume Berlin, Köln, Hamburg, München und Frankfurt zusammen. Unter Chinas 102 Millionenstädten hält Shenzhen einen heftig umkämpften vierten Rang.
Die 1995 startende Firma BYD wird schnell Weltführer für aufladbare Batterien jeder Chemie und Größe. 2015 erklimmt sie vor Tesla die Spitze bei Plug-in-Elektrofahrzeugen. Schon 2010 sieht Bloomberg Business Week BYD als dynamischstes Technologie-Unternehmen weltweit. Davon will auch Stuttgarts 1890 gegründete Daimler AG profitieren. Die seit 2014 für 52.000 Dollar mit BYD verkaufte Elektrolimousine DENZA EV wird allerdings zum Flop. Im Januar 2018 schafft sie es nicht einmal unter die 21 bestverkauften Modelle auf dem chinesischen E-Mobil-Markt, wohingegen Tesla und Cadillac aus den USA mit 951 Fahrzeugen unter ca. 35.000 immerhin minimal dabei sind.
Nebenher revolutioniert BYD mit Geld von Warren Buffett den Personennahverkehr. Alle 16.500 Busse der Heimatstadt fahren seit Dezember 2017 elektrisch. Das sind fast dreimal so viele, wie New York mit sämtlichen Antriebskonzepten zusammen vorweisen kann. Deutschlands Kommunen betreiben mit insgesamt 22.000 Bussen (fast durchweg dieselgetrieben) auch nicht viel mehr.
Was ist Made in Germany in fünf oder zehn Jahren?
Gleichwohl muss BYD aufpassen. YUTONG aus der Siebenmillionen-Stadt Zhengzhou, global der größte Bus-Bauer, lässt erstmals 2016 seine Elektro-Coaches in Paris testen. Dort inszeniert man 2015 zwar eine rauschende Weltklimakonferenz, kann die verwöhnten Teilnehmer aber nicht geruchsfrei herumkutschieren.
Auch bei Elektro-PKWs schafft BYD Anfang 2018 mit drei Modellen nur noch 21 Prozent des Heimatmarktes. Mit 23 Prozent setzt sich der pfiffige BAIC EC aus Peking an die Spitze. Es stimmt also schon, dass chinesische Firmen den Weltmarkt für Elektrofahrzeuge aufrollen. Doch werden sie niemals Ruhe finden, weil ihnen pausenlos die Konkurrenz aus dem eigenen Land im Nacken sitzt. Das gilt auch für Antriebe mit Brennstoffzellen, bei denen seit 1994 mit NECAR 1 von Daimler Benz deutsche Pioniertaten berichtet werden. Doch ab 2018 ist es Shanghai, das die ersten 500 Schwerlaster mit dem Wasserstoff-Wunder auf die Straße bringt.
Wer im Fahrzeugbau der Zukunft ohne chinesisches Übernahmeangebot bleibt, muss sich Sorgen machen oder gar auf Erfindungen deutscher Politiker hoffen, die sich mit der Verhinderung solcher Vorstöße profilieren. So lässt GEELY – aus der Siebenmillionen-Stadt Hangzhou – im Juni 2017 Deutschlands letzte Firma für Antriebsbatterien, die EAS aus Nordhausen, schnöde links liegen. Mit den Thüringern hat man um die Elektrifizierung von Londons Qualm-Taxen konkurriert. Der einfache Sieg über EAS lässt GEELY nur genauer prüfen, was am Made in Germany in fünf oder zehn Jahren überhaupt noch vermarktbar ist.
Als im Mai 2016 Finanzminister Schäuble über Nacht 94 Milliarden Euro hergibt, um bildungsferne Flüchtlinge erst einmal fünf Jahre zu versorgen, scheint noch einmal blitzartig auf, was für eine langfristige Sicherung der deutschen Kernbranchen für eine Aufholjagd hätte verwendet werden können. Schon damals war man allerdings sehr spät dran, denn von den vierzehn weltweit größten Fabriken für Antriebsbatterien verwenden neun chinesische, vier südkoreanische (davon die einzige europäische in Breslau) und eine japanische Technik (für Tesla in Nevada). Heute kommt schon Fortschrittshoffnung auf, wenn es eine halbe Milliarde Staatsknete für die Abgasreinigung der 22.000 Stadtbusse gibt, um das Abwracken sämtlicher Dieselautos noch einmal herauszuschieben.
Produktwissen ist keine ewige Bestandsgröße
Als GEELY 2010 Volvo von Ford kauft, gibt es Dankbarkeit bei den geretteten Schweden. Erleichtert zeigt sich auch der deutsche Roboterbauer KUKA, als er 2016 zu MIDEA aus der Siebenmillionen-Stadt Foshan wechselt. Doch als GEELY im Februar 2018 knapp zehn Prozent von Daimler-Benz in Händen hat, beginnen von neuem die Jeremiaden über den Verlust deutschen Knowhows. Doch Produktwissen ist keine ewige Bestandsgröße, sondern permanenter Entwertung ausgesetzt. Die besorgen die unruhigen Innovateure aus der Kohorte der 25 bis 29-jährigen, die nach der Ausbildung doch nicht als Verlierer enden wollen. Im Jahre 2015 hat China davon 130 Millionen Köpfe. Dieselbe Kohorte wird im Jahre 2020 nur noch – allerdings besser gebildete – 101 Millionen umfassen. In Deutschland lauten die entsprechenden Zahlen 5,2 beziehungsweise 4,9 Millionen.
Liegt China heute bei der Gesamtbevölkerung nur um den Faktor 17 höher als die deutsche (1.400 zu 82 Millionen), so gewinnt es bei den 25 bis 29-jährigen 25:1. Die populäre Parole, dass der Riese alt sei, bevor er reich werde, hat aus dem Munde von 47 Jahre alten Durchschnittsdeutschen gegenüber den 37 Jahren im Reich der Mitte einen Hauch von Irrsinn.
Entscheidend sind jedoch die jungen Talente, weil – so 2015 Googles Personalchef Laszlo Bock – ein Spitzeningenieur dreihundert gute Ingenieure aufwiegt. Für diese rare Spezies bilden die Kinder aus der höchsten Matheleistungsgruppe den Rekrutierungs-Pool. Bei TIMSS 2015 (Trends in International Mathematics and Science Study) gehören unter den Ostasiaten 32 (Japan) bis 50 Prozent (Singapur) der Zehnjährigen ins Top-Segment. Da von den Chinesen nur Taiwan (35 Prozent) und Hongkong (45 Prozent) mitmachen, muss der Wert für die Volksrepublik geschätzt werden.
Er dürfte niedriger liegen als in den stärker selektierten Territorien. Nehmen wir – ungeachtet erwartbarer Beschwerden – 27 Prozent an, so sind aktuell 35 Millionen Asse an der Arbeit. Die Schweiz mit 565.000 Menschen in der 25 bis 29-Kohorte (555.000 in 2020) und einem – aus PISA 2015 extrapolierten – Könnersatz von 25 Prozent stellt gut 140.000 dagegen. In Deutschland aber gehören nur 5,3 Prozent, also rund 275.000 Kinder, zur Spitze. Das sind 0,8 Prozent des chinesischen Volumens.
Das Produkt aus Menge mal Könnerschaft
Nun geht es dabei um die 2005 Geborenen, mit denen die Bundesrepublik 2015 bei TIMSS auf Rang 24 abrutscht (nach 12 und 16 in den Jahren 2007 bzw. 2011). Doch selbst wenn wir die Besten der gegenwärtig arbeitenden 25 bis 29-Kohorte auf 500.000 hochziehen und das Qualifikationsfiasko auf 2025 und danach verschieben, käme immer noch ein 70:1 für China heraus. Die 2018 nach DIHK fehlenden 1,6 Millionen Fachkräfte entfallen ja nicht nur für die Rundumfinanzierung von knapp 8 Millionen Menschen (2016) in Mindestsicherung, sondern auch fürs Erfinden überlegener Antriebstechniken der deutschen Musterindustrie.
Wenn die vor Ostasiens Kompetenz-Massiv nicht gleich kapitulieren will, muss sie sich aus ihm sanieren. Es ist das Produkt aus Menge mal Könnerschaft, aus dem Chinas disruptive Vorstöße allein nachvollziehbar werden. Hat es etwa bei FinTech unter den besten fünfzig Unternehmen von 2014 nur eines, so gewinnt es 2017 die Plätze eins bis drei. Bei den besonders streng gesiebten PCT-Patenten wird China 2016 mit gut 43.000 Annahmen zwar nur Dritter (1995 erst 21.), legt aber gegenüber 2015 um 44,7 Prozent zu. Japan (gut 45.000) schafft auf dem zweiten Platz einen Anstieg um 2,7 Prozent. Die noch führenden USA (gut 56.000) sinken um 0,9 Prozent ab und werden bei unveränderten Trends spätestens 2018 überholt.
Wenn China gleichzeitig bei den ökonomischen Freiheiten zulegt, bleibt es unwiderstehlich. 2017 erreicht es beim International Property Rights Index unter 127 Nationen immerhin Rang 52. Es steht damit im selben Quintil wie Ungarn (48) oder Italien (49) und lässt Brasilien (58) oder Griechenland (60) sowie Lettland (63) oder die Türkei (78) souverän hinter sich.
Als tüchtig erweist sich hierzulande, wer chinesische Industriespione oder Aktienaufkäufe fürchten muss. Bleiben solche Manöver aus, mögen Politiker jubeln, Unternehmer aber wissen, dass sie etwas falsch gemacht haben.