Mit zehn Thesen zur Zuwanderung hatten sich im Nachwahl-Herbst letzten Jahres Richard Schröder, Eva Quistorp und Gunter Weißgerber zu Wort gemeldet. Das sorgte für einiges Aufsehen, zumal die fundierte Kritik an der Zuwanderungspolitik von zwei früheren SPD-Politikern und einer Mitbegründerin der Grünen kam. Und es war nicht nur Kritik. Es war ein klar formulierter Forderungs- oder Vorschlagskatalog, wie die gern verschwiegenen, ignorierten oder schöngeredeten Probleme der Massenmigration angepackt werden müssten, um Deutschland nicht in eine gesellschaftliche Katastrophe schlingern zu lassen. Es war die Zeit, als noch über das Zustandekommen einer Jamaika-Koalition verhandelt wurde. Man konnte sich nicht vorstellen, dass es nach einem Scheitern dieser Gespräche eine Fortsetzung der vom Wähler abgestraften Weiter-so-Koaltion unter Kanzlerin Merkel geben würde.
Das klingt inzwischen schon, wie aus einer anderen Zeit. Aber die Thesen sind auch heute gute Diskussionsgrundlagen für eine sinnvolle Zuwanderungspolitik. Von den politischen Verantwortungsträgern werden sie nach wie vor weitgehend ignoriert. Zu den zehn Thesen hatte Achgut.Pogo einige Beiträge produziert (siehe hier, hier und hier).
Nun sind sie auch als bemerkenswertes und lesenswertes Buch erschienen. Die drei Autoren erläutern sowohl ihre Thesen, als auch ihre Beweggründe. „Weltoffenes Deutschland?“ heißt das Werk.
Wer schon etwas länger hier lebt, wird vielleicht, wie der Rezensent, zuerst bemerken, dass ein Buch, in dem Dinge, die eigentlich Binsenweisheiten sein müssten, in aller Kürze klar und nachvollziehbar formuliert und zusammengefasst werden, einen irritiert, weil dies inzwischen schon außergewöhnlich ist. Man wird bei der Lektüre einfach herausgerissen aus der Flut all der wolkigen und verharmlosenden Textbausteine, mit denen heikle Diskursfelder inzwischen blockiert werden, wie ein deutscher Weihnachtsmarkt des Jahres 2017 von Betonblöcken.
Die Verweigerung der verschleiernden Neusprache
Man ist bei all den erfrischenden Klarstellungen einerseits froh, dass die drei sie so klar formulieren, aber fragt sich andererseits, ob das alles in einer gar nicht allzu fernen Vergangenheit nicht jedem denkenden Menschen begreiflich war. Heute sind Klarstellungen wie diese nötig:
„Ein weltoffenes Deutschland ist nicht dasselbe wie ein Deutschland mit völlig offenen Grenzen. Grundsätzlich bejahen wir Zuwanderung und begrüßen die Freizügigkeit in der Europäischen Union. Aber Zuwanderung nach Europa muss kontrolliert und maßvoll erfolgen. „Weltoffen“ heißt nicht Selbstaufgabe.
Deutschland wird sich durch Zuwanderung verändern, das war schon immer so, aber bitte nicht so, dass wir und unsere Urenkel es nicht wiedererkennen.“
Es ist in dieser Debatte ja schon selten, wenn sich die, die sich äußern, der verschleiernden Neusprache verweigern, nach der jeder Zuwanderer undifferenziert zum Flüchtling erklärt wird. Das Differenzieren ermöglicht aber die unverstellte Sicht auf einen Großteil der Zuwanderer, auf jene jungen Männer, die eben nicht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung geflohen sind, sondern dem attraktiven Angebot der Schleuser nicht widerstehen konnten. Die versprechen Geld und Versorgung am Zielort Deutschland, anstelle der heimischen Perspektivlosigkeit, woran Eva Quistorp erinnert:
„Davon profitiert die Schleppermafia, die sie verführen, in die Verschuldung treiben, in lebensgefährliche Fluchtwege locken und erpressen. Diese Versprechen, oft jenseits aller Arbeits- und Alltagsrealitäten in Deutschland, können in spätestens zehn Jahren zu großen Frustrationsausbrüchen führen, zu Depression und Aggression verbunden mit ethnischen Clanbildungen.
Die Versprechen der Schlepper, wie ich bei meiner Arbeit im Flüchtlingsheim erfuhr, lauten zum Beispiel so: ‚Ihr kriegt in Deutschland ein Auto, ein Haus und Frauen und viel Geld, Merkel lässt euch rein, ihr könnt eure Pässe wegwerfen.‘ Der Afghane, der mir das sagte, fügte hinzu: ‚Deutschland kaputt.‘
Die Schlepperindustrie profitiert mit ihren Milliardengewinnen von Medienberichten und von blauäugiger Rettungshilfe, die nichts am mafiösen Schleppersystem ändern. Sie muss als ein globaler Mafiakonzern des Menschenhandels mit brutalsten Geschäftsmethoden bekämpft werden. Noch wichtiger: Viele, die in Nordafrika für Frauen, Gewerkschaftsrechte und gegen die Salafisten eintreten, fliehen nicht: entweder, weil sie im Gefängnis sind oder weil sie eben in ihrem eigenen Land Reformen erreichen wollen. Die sollten wir vor allem unterstützen. Die EU-Millionen, die seit Jahren nach Nordafrika fließen, sollten deshalb genauer untersucht werden, wieweit sie Fluchtursachen wirklich bekämpfen, ob sie überhaupt beitragen zur besseren Kooperation der Regierungen dort mit Menschenrechtsgruppen und der EU.“
Asymmetrie zwischen Einwanderung und Auswanderung
Es ist die unprätentiöse Argumentation mit den einfachen klaren Sachverhalten, die sonst im Dauer-Nebel der ideologiegesättigten Sprechblasen verschwinden, die dem Büchlein – es sind nur 144 Seiten – eine eigenwillige Faszination verleiht. Wahrscheinlich könnte sie die gar nicht in dieser Form entfalten, wenn wir noch eine intakte Debattenkultur hätten. Was Richard Schröder hier beispielsweise erläuternd schreibt, liegt doch eigentlich klar auf der Hand:
„Zwischen Auswanderung und Einwanderung besteht eine Asymmetrie, die aufgrund der deutsch-deutschen Erfahrungen leicht übersehen wird. Es ist ein Menschenrecht, dass jeder (straf- und schuldenfreie) Einwohner sein Heimatland verlassen darf. Es gibt aber kein Menschenrecht auf Einwanderung, schon gar nicht in das Land seiner Wahl.
Die Dinge liegen beim Staatsgebiet so ähnlich wie bei der Wohnung: Niemand darf mich in meiner Wohnung einschließen. Aber ohne meine Erlaubnis darf sich niemand in meiner Wohnung niederlassen, er darf sie nicht einmal ohne meine Zustimmung betreten – außer Polizei und Feuerwehr. Das wäre Hausfriedensbruch.
Und wer auswärts übernachten möchte, kann das nicht als Recht einfordern, sondern muss bitten, auch wenn er bezahlt, und kann abgewiesen werden.
„Menschenrecht“ heißt hier: Das Recht auszuwandern ist sozusagen jedem Menschen angeboren. Das Recht einzuwandern muss dagegen verliehen werden von den Vertretern der dortigen Staatsbürger. Sie wollen entscheiden, wer zu ihnen kommen darf. Deshalb verlangen sie auch, dass jeder, der kommt, sich korrekt ausweist. Es kann keinen Staat ohne Grenzen und Grenzregime, also die Gesamtheit aller Maßnahmen zur Grenzsicherung, geben. Wo zwischen Staaten die Aufhebung der Grenzkontrollen vereinbart wird, muss das Grenzregime an die gemeinsamen Außengrenzen verlagert werden.“
Deutschland hat sich ein Spezialproblem geschaffen
Es mag normalerweise unschicklich sein, in einer Rezension so viel zu zitieren. In diesem Falle ist es nötig, um zu unterstreichen, dass diese bestechend präzise und gleichzeitig einfach nachvollziehbare Klarheit der Aussagen keine Einzelfälle sind. Dabei wird nichts unzulässig vereinfacht. Die Eindeutigkeit der Aussagen bedeutet keine intellektuelle Unterforderung und ist schon gar nicht populistisch. Populär könnten die Thesen allerdings werden. Nicht wenige wünschen sich, glaube ich, diesen unaufgeregten Ton im - bei solch heiklen Themen - aufgeheizten Gesprächsklima. Noch einmal Richard Schröder:
„Deutschland hat sich nun ein Spezialproblem geschaffen, indem es jedem, der ankommt und Asyl beantragt, bis zum Entscheid eine Aufenthaltsgestattung und die Lebenshaltungskosten gewährt, was offenbar einen mächtigen Anreiz zum Kommen darstellt, auch bei völlig aussichtslosen Asylanträgen.
Weltweit hat sich die Auffassung verbreitet, wer es einmal bis nach Deutschland geschafft hat, für den gibt es genugend Tricks, dauerhaft hierzubleiben.
Sie bekommen Unterstützung von denjenigen, die der Meinung sind, ein humaner Staat müsse alle aufnehmen, die kommen wollen. „Nächstenliebe kennt keine Obergrenze“ hat eine namhafte Politikerin gesagt. Es ist nur leider so: Jedes Konto, jeder Haushalt, jedes Portemonnaie kennt eine Obergrenze. Mehr Geld als drin ist, ist nicht drin. Wenn wir dauerhaft für schutzbedürftige fremde Menschen finanzielle Verpflichtungen übernehmen, weil sie bei uns erst nach Jahren für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, müssen wir sicher sein, dass wir das auch nach dem Ende der derzeitigen Hochkonjunktur werden finanzieren können.
Nothilfe hat immer Vorrang vor Wohlfahrtshilfe. Wir können doch nicht sagen: Jetzt wird es knapp in unserem Sozialetat, deshalb müsst ihr jetzt gehen. Wir können auch nicht plötzlich die Nothilfe einstellen, weil wir uns durch Wohlfahrtshilfe übernommen haben. Um weiterhin denjenigen helfen zu können, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, müssen wir auch in Hochkonjunkturzeiten diejenigen zurückschicken, die nicht anspruchsberechtigt sind. Das ist eine unangenehme Aufgabe, vor der sich manche Bundesländer drücken. Sie verdienen nicht ein Lob für Großherzigkeit, sondern Tadel für Kurzsichtigkeit.“
Die drei Autoren sprechen in dieser nüchternen Klarheit auch die Folgen für die innere Sicherheit an, den Islam, das Frauenbild, die Gewaltbereitschaft, die Terrorgefahr – also all das, was sonst möglichst nicht in den Vordergrund gestellt wird. Und was sie fordern, klingt in diesem Zusammenhang anders, als man es sonst hört, ist auch nicht so leicht denunzierbar.
In Angriff genommen werden müssen, wie auch schon in den zehn Thesen und nun im Buch ausführlicher beschrieben und begründet: die konsequente Rechtsanwendung einschließlich ebenso konsequenter Abschiebungen, die Abschaffung falscher Anreize, die Unterbringung in Aufnahmelagern während des gesamten Asylverfahrens (so wie es auch vor 1989 für DDR-Übersiedler und Flüchtlinge üblich war), Familienzusammenführung am Aufenthaltsort der Familie, so der sicher ist, anstelle eines Familiennachzugs nach Deutschland. Und wer das Verfahren behindert, indem er Papiere vernichtet und wahrheitsgemäße Auskunft über seine Identität verweigert, kann hierzulande ebensowenig seinen Platz finden, wie der, der nicht bereit ist, sich an hiesige Regeln zu halten, sondern stattdessen die Gebote und Verbote seiner Welt durchsetzen will.
Da müssen wir nichts aushandeln
Gerade das anmaßende Auftreten etlicher muslimischer Zuwanderer, die von der Überlegenheit ihrer Islamideologie überzeugt sind, darf als Problem nicht übersehen werden. Und so zu tun, als gehöre das seit jeher zum Migrations-Normalfall, hält Richard Schröder für ebenso unredlich:
„Kein einziger Hugenotte, Herrnhuter oder Vertriebener ist in zwei- bis dreihundert Jahren je auf die Idee gekommen, möglichst viele Unschuldige seines Gastlands umzubringen. Gegen solche Feststellungen wird oft entgegnet, man dürfe die Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen. Das tue ich auch nicht. Aber die amtliche Angabe, dass 750 sogenannte „Gefährder“ unter Beobachtung stehen, beunruhigt ganz zu Recht. Voriges Jahr waren es noch 500. Namentlich muslimische Einwanderer (nein, nicht alle, aber leider nicht wenige!) bringen Überzeugungen und Üblichkeiten mit, die wir doch nicht unter der Überschrift „bunt“ oder „Vielfalt“ begrüßen. Beispiele sind Polygamie, die Praxis der Ehrenmorde, die Genitalverstümmelung von Mädchen und viele Vorschriften aus der Scharia. Und sie kommen nicht zu uns mit der Absicht, diese ihre Überzeugungen und Üblichkeiten abzulegen. Bei solchen Punkten kann auch nicht die Rede davon sein, dass wir mit den Migranten einen neuen gesellschaftlichen Konsens „aushandeln“ müssten, zu dem sich jede Seite hinbewegen müsse. Wer zu uns kommt, muss sich nach unseren Regeln richten – oder er muss gehen.“
Hätte es solchen Klartext von mehr Sozialdemokraten und Grünen gegeben, idealerweise vor der Wahl, es hätte ein anderes Wahlergebnis geben können. Insbesondere der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber hält es für ein eklatantes Versagen der Politiker, insbesondere der Bundestagsabgeordneten, dass sie über solch folgenschwere Entscheidungen, wie der bedingungslosen Grenzöffnung für Zuwanderer, keine Debatte und Abstimmung im Parlament erzwungen haben. Wer, wenn nicht die gewählten Volksvertreter, soll denn in solchen Fragen entscheiden? Weißgerber erinnert daran, dass es früher häufiger Sondersitzungen in der Sommerpause gab:
„Lag das vielleicht auch daran, dass frühere Bundestage schlichtweg selbstbewusster waren? Ging hier etwas Grundlegendes in den letzten Jahren verloren? Ich bin überzeugt, dass kein Kanzler vor Merkel die Tore ohne Rücksprache mit dem Parlament und den europäischen Partnern geöffnet hätte. Nicht im Traume wäre denen das eingefallen. Damit meine ich nicht, dass die Abgeordneten sich dem Anliegen vielleicht verweigert hätten. Nein, aber sie hatten ein geordnetes Verfahren mit Ziel, Beginn und Ende der Aktion inklusive der Konsultation mit den europäischen Partnern beschlossen und der Regierung auf den Weg gegeben. Darin besteht die Verantwortung der gewählten Volksvertreter.
Es ist schockierend, wie lange das Parlament seinerseits untätig blieb. Ich will es direkt und aus meiner eigenen Politikerfahrung sagen: Ohne einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss wäre das früher nicht abgegangen, lieber Bundestag!“
Braucht das Land neue Parteien?
Eine deutliche Aufforderung. Und wer sich aus dem politischen Stillhalten nicht löst, bringt – wer würde Weißgerber da widersprechen - immer mehr Wähler dazu, sich von ihren einst angestammten Parteien zu trennen:
„Die meisten AfD-Wähler, die interessanterweise am 24. September 2017 zu zwei Dritteln West- und zu einem Drittel Ostwähler waren, wussten keinen anderen Ausweg mehr, als mit ihrer AfD-Stimme der politischen Klasse mitzuteilen, dass aus ihrer Sicht das Ende der Fahnenstange erreicht sei. Viele von ihnen hätten wohl viel lieber ihre Stimme wie bisher „ihren“ Parteien CDU und SPD gegeben. Doch der Eindruck, dass diese Parteien ihre Stimme offensichtlich nicht mehr wollten, ließen diese Wähler für die AfD stimmen.
Das Fatale daran: Diese Wähler zurückzuholen, ist eine unendlich schwere, vielleicht sogar beinahe unlösbare Aufgabe. Sind einmal die Millionen unsichtbarer Fäden zwischen Parteien und ihren Anhängern zerrissen, dann sind deren Enden kaum wiederzufinden, geschweige denn erneut zu verknoten. Vertrauensabrisse, auch im politischen Raum, haben immer einen Hauch von Endgültigkeit.“
Für die SPD drückt sich das schon in Zahlen aus. Wenn sich die Parteien aber verbraucht haben, vielleicht benötigt Deutschland dann für das ganze politische Spektrum neue Parteien. Nicht nur die von der CDU vertriebenen Konservativen, die sich auch jenseits der Protestwahl problemlos in der AfD wiederfinden können. Weißgerber und Schröder haben in der Endzeit des SED-Staats ja schon einmal eine sozialdemokratische Partei aufgebaut. Vielleicht sollten sie unzufriedenen jüngeren Sozialdemokraten im nächsten Buch erzählen, wie man das macht.
Gunter Weißgerber / Richard Schröder / Eva Quistorp
Weltoffenes Deutschland?
Zehn Thesen, die unser Land verändern
144 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
16,00 €, HERDER 2018, ISBN 978-3-451-38187-4,
Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de