Henryk M. Broder / 22.12.2020 / 12:00 / Foto: Imago / 24 / Seite ausdrucken

Weltoffen mit einem Geschmäckle

Der Berg kreißte und gebar eine Ratte. Vertreter und Vertreterinnen bedeutender deutscher Kultureinrichtungen berieten über ein Jahr im Geheimen miteinander, um am Ende eine Art Manifest zum Schutze der Meinungsfreiheit im Kulturbetrieb zu verkünden, die sie durch einen Beschluss des Bundestages vom 17. Mai 2019 gefährdet sahen. Wäre Hans Hinkel noch am Leben und Geschäftsführer der Reichskulturkammer, würde er jetzt zufrieden in seine eiskalten Händchen klatschen und "Geschafft!" rufen. 

Zwar ist in dem Manifest von "Juden" keine Rede, aber wer gelernt hat, zwischen den Zeilen zu lesen, kann den Subtext leicht dechiffrieren: "Die Juden sind unser Unglück!" Anders ist es nicht zu erklären, dass der Bundestag sich dazu hinreißen ließ, eine Anti-BDS-Stellungnahme zu verabschieden, in der die BDS-Bewegung als das bezeichnet wird, was sie ist: Ein gäriger Haufen von Antisemiten, verkleidet als Antizionisten. 

Damit wäre auch alles gesagt, was dazu gesagt werden muss, wenn die Vertreter und Vertreterinnen bedeutender deutscher Kultureinrichtungen nicht auf ihrem Recht bestehen würden, BDS-Aktivisten einzuladen und die anfallenden Kosten dem Steuerzahler in Rechnung zu stellen. Derweil der Bundestag findet, wer z.B. den Postkolonialismus-Experten Achille Mbembe live erleben will, soll es gerne tun, aber eben ohne staatliche Förderung. Was ist falsch an dieser Festlegung?

Seit das Plädoyer der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit" der Öffentlichkeit im Deutschen Theater vorgestellt wurde, wird vor allem in den Feuilletons darüber debattiert, ob und falls ja, wie sehr das Plädoyer antisemitisch eingetrübt ist. Und ob die Kulturschaffenden mitten in der Pandemie keine anderen Sorgen haben als die, Gerechtigkeit im Umgang mit dem BDS einzufordern. Darunter Witzfiguren wie die Expertin für Fake News, Susan Neiman, die unter der Angst leiden, "durch missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs" würden "wichtige Stimmen beiseitegedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt"..  

Hoch die nationale Solidarität!

Sogar die radikal bunte und extrem progressive Amadeu Antonio Stiftung fand, der Aufruf habe "ein Geschmäckle", es ginge nicht an, "dass man vor einer vermeintlichen Zensur warnt, um im gleichen Atemzug Raum für eine Bewegung zu fordern, deren Agenda allein aus Boykott & Zensur besteht". Der "alarmistische Duktus" des Aufrufs höre sich so an, als stünde "Deutschland vor dem Ende der Meinungsfreiheit", ohne dass "Belege und Beispiele" für die Vorwürfe vorgelegt würden. Allerdings, man werde sich "von so etwas nicht spalten und gegeneinander ausspielen" lassen. Ein dreifach Hoch auf die nationale Solidarität der Guten und Gerechten!

Inzwischen hat sich der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, in die Debatte eingeschaltet. Thierry Chervel hat ihn für den Perlentaucher interviewt und  u.a. gefragt, was er von der Initiative der Kulturkoryphäen halten würde. Kleins Antworten sind ruhig, sachlich, streckenweise diplomatisch, aber am Ende doch eindeutig. 

Als Antisemitismusbeauftragter ist es meine Aufgabe, die Öffentlichkeit für aktuelle und historische Formen des Antisemitismus zu sensibilisieren. Dazu gehört auch, kritische Stellungnahmen zu Antisemitismus zu äußern – und das ist es, was ich getan habe. Das ist ein ganz normaler Teil des demokratischen Diskurses. Antisemitismus ist von der Meinungsfreiheit geschützt – er ist kein Straftatbestand oder so etwas –, aber wenn jemand antisemitische Narrative bedient, dann muss er oder sie damit rechnen, dass es Widerspruch gibt. Nichts Anderes habe ich gemacht.

Foto: Imago

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Franz Klar / 22.12.2020

” Bedauerlicherweise ignoriert der Beschluss die ausdrückliche Ablehnung „aller Formen von Rassismus, einschließlich Antisemitismus“ durch die BDS-Bewegung. Die BDS-Bewegung versucht, die Regierungspolitik eines Staates zu beeinflussen, der für die anhaltende Besetzung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes verantwortlich ist. Eine solche Politik kann nicht immun gegen Kritik sein. In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass viele jüdische und israelische Einzelpersonen und Gruppen BDS entweder ausdrücklich unterstützen oder das Recht darauf verteidigen. Wir halten es für unangemessen und beleidigend, wenn deutsche Regierungs- und parlamentarische Institutionen sie als antisemitisch abstempeln.”    Aus dem ” Aufruf von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftlern ” zum Antrag im Bundestag vom Juni 2019 .

lutzgerke / 22.12.2020

Angela Merkel: „Glauben Sie keinen Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen, die wir immer auch in viele Sprachen übersetzen lassen.“ George W. Bush: “Lasst uns niemals frevelhafte Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September tolerieren, boshafte Lügen, die bezwecken, die Schuld von den Terroristen abzulenken.” Deutschlandfunk: “Coronaleugner und Impfgegner - Kampagne gegen Ignoranz - vor 2 Tagen ... Es sei erschreckend, dass nur die Hälfte aller Deutschen derzeit bereit ist, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen.” - Beim Deutschlandfunk wird der Angriff im Passiv gestartet. Wie heißt denn die Person, die da erschreckt? SWR2: “Die Leugner der Klimakrise sind gut organisiert.” Faktencheck: “Selbst ernannte „Klimaleugner“ und „Klimaskeptiker“ sind überzeugt, dass der Klimawandel eine Lüge sei und dass das Klima sich gar nicht verändern würde.” - Der Faktencheck widerlegt sich gleich selber, denn “leugnen” kann man nur Tatsachen. Wer davon überzeugt ist, daß ein menschengemachter “Klimawandel” keine Tatsache ist, kann den Klimawandel gar nicht leugnen, zumal im selber Atemzug auch zugegeben wird, daß der Kritiker “überzeugt” ist. Und überhaupt, wer leugnet schon das Klima? Der Satz aus dem “Faktencheck” ist kaum zu verstehen und ein Oxymoron. - In allen diesen Sätzen wird immer dasselbe Prinzip der präventiven Gefahrenabwehr (Schuldabwehr) angewandt und vorauseilend diskriminiert. Solcherart Diskriminierung geht von Personen aus, die sich ertappt fühlen, anderslautende Tatsachen nicht anerkennen wollen, die ihre halbgaren Beschwörungen “leugnen”. Es ist immer umgekehrt: wer präventiv diskriminiert, das gilt auch für den Beruf “Antisemitismusbeauftragter”, hat etwas zu verbergen und ist Teil einer Verschwörung. Die Diskriminierung ist institutionalisiert. - Liest man Bushs Satz noch einmal genau, erklärt er uns ganz genau, was auf ihn zukommt, wenn das Komplott aufgedeckt wird.  

Pavel Hoffmann / 22.12.2020

Der Virus des Antisemitismus, der viel stärker ist als der Corona Virus, hat zur Folge, dass Europa in ein paar Jahrzehnten judenfrei sein wird. Die Reste der jüdischen Bevölkerung werden sich entweder vollständig assimilieren oder es bleiben die zurück, die durch die ständige Gehirnwäsche Israel hassen und sind den Nachfahren ihrer ehemaligen Peiniger , die sie am liebsten noch immer mit dem angenähten Judenstern betrachten dankbar, dass sie hier leben dürfen. Es gibt aber inzwischen Hoffnung und immer öfters auch positive Signale. Neben abertausenden Israelfreunden gab es eine Sternstunde im wiedervereinigten Deutschland, als sich auf der ersten Sitzung der neu gewählten Volkskammer alle Parteien als erstes an den Staat Israel für den seit 1949 ungeklärten Krieg mit folgenden Worten wandten: Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande. Nicht einmal die PDS als Nachfolger der SED wagte es, dagegen zu stimmen, aber sie enthielt sich bei der Abstimmung

Robert Loeffel, Bern / 22.12.2020

Herr Broder, nach diesem Super Artikel der die Finger in die Wunde legt nehme ich wieder ihr Buch “Hurra wir kapitulieren!” in die Hände. So kann man es auch umschreiben ...

sybille eden / 22.12.2020

Na wenn es dann ein paar “Wiedersprüche” gibt, ist ja alles in Butter.

Albert Pflüger / 22.12.2020

Wie “delegitimiert” man “historische Erfahrungen”? Eine Erfahrung kann nicht illegitim sein, man kann allenfalls falsche Schlüsse daraus ziehen. Die Wortwahl der Initiative der “Repräsentanten” von Kultur und Wissenschaft- können diese Leute nicht einfach für sich sprechen, ohne sich anzumaßen, irgendwen zu repräsentieren, der sie nicht darum gebeten hat?- zeigt sofort, aus welcher Ecke die Beteiligten kommen. Pseudointellektuelles Geschwafel wird aufgeboten, um Auffassungen zu kaschieren, die nicht im Mainstream liegen, ohne dabei das Risiko einzugehen, dafür ausgestoßen zu werden. Man bemüht sich mit aller Macht und passendem Vokabular um Anschlußfähigkeit, damit die Pfründe nicht in Gefahr geraten. Widerlich!

E Ekat / 22.12.2020

Nicht auf eine antisemitische Äußerung, eher scheint es darauf anzukommen, wer sich wann und wo antisemitisch äußert. Endlich ein Kriterium, wo Grenzen von Meinungsfreiheit tatsächlich verlaufen.  Aber ehrlich, das hat man sich auch denken können.  Es gab eine ganze Reihe hochrangiger Nazis, die sich selber ausdrücklich nicht als Antisemiten sahen. Sie waren, so deren Selbstverständnis, lediglich um die Volkshygiene besorgt.

Frank Stricker / 22.12.2020

Ah ja, “Antisemitismus ist von der Meinungsfreiheit gedeckt”, so der lustige Herr Klein, das berüchtigte “Juden ins Gas” , auf Demonstrationen von Heerscharen palästinensischer Unterstützer auf deutschem Boden hinausgeschrien, ist also demnach eine zu vernachlässigende Petitesse…........

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