Der Weltgesundheitsgipfel wird zum Marktplatz für Investoren und Impfstoffhersteller. Außerdem wurde eine Milliarde US-Dollar für die WHO zugesichert.
Beim Weltgesundheitsgipfel (World Health Summit) in Berlin tummelten sich vom 13. bis 15. Oktober wieder wie in jedem Oktober seit 2009 die globalen Protagonisten aus dem Bereich der Gesundheitspolitik. Darunter solch illustre Gestalten wie WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus, Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Kanzler Olaf Scholz, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Bill Gates, Christian Drosten und Lothar H. Wieler, die schon während Corona unter Beweis gestellt haben, wie vertrauenswürdig sie sind. Nämlich herzlich wenig. Und tatsächlich lautete das diesjährige Motto des Gipfels „Building Trust for a Healthier World“, also zu deutsch: „Vertrauen bilden für eine gesündere Welt“. Im Umkehrschluss lässt sich aus der Wahl dieses Mottos ableiten, dass es wohl Vertrauensverluste gegeben haben muss.
Dass der Gipfel in Berlin stattfindet, ist kein Zufall: Erstmals wurde er anlässlich des 300. Jahrestages der Gründung der Charité ausgerichtet. Seitdem steht er unter der Schirmherrschaft des deutschen Bundeskanzlers und des französischen Staatspräsidenten. Seit 2019 fungiert der WHO-Generaldirektor ebenfalls als Schirmherr. Neben etlichen Politikern befanden sich unter den diesmal rund 380 Rednern Vertreter von Pharma-Konzernen, Stiftungen, Banken, NGOs, Forschungsinstituten und Universitäten. Im vergangenen Jahr (achgut berichtete) warb Tedros vor allem für den Pandemieabkommen und die überarbeiteten Internationalen Gesundheitsvorschriften. Letztere wurden während der diesjährigen 77. Weltgesundheitsversammlung in Genf tatsächlich beschlossen, während der Pandemievertrag noch der Zustimmung harrt (achgut berichtete). In einem Redebeitrag am ersten Tag des Gipfels setzte sich nun Gesundheitsminister Karl Lauterbach nachdrücklich dafür ein, den Pandemievertrag spätestens auf der nächsten Weltgesundheitsversammlung im Mai 2025 zum Abschluss zu bringen. Die Verabschiedung der Internationalen Gesundheitsvorschriften bezeichnete er als großen Erfolg.
Auffällig war im vergangenen Jahr auch die Vermengung der Themen Gesundheit und Klimakrise, wofür sogar der Begriff „Green Health“ („Grüne Gesundheit“) verwendet wurde. Und auch hieran knüpft Lauterbach in diesem Jahr wieder an, indem er betont, dass sich der Planet im schlechtesten Gesundheitszustand aller Zeiten befinde. Zudem werde es künftig zu mehr Pandemien kommen. Es gebe rund 10.000 Viren, die Pandemien auslösen könnten. Und Lauterbach fügt hinzu, dass auch immer mehr künstliche Viren in die Atmosphäre gelangen würden. Außerdem spricht er sich für die Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen aus. Um die anstehenden Probleme zu lösen, gebe es vor allem eine „Impfung“: nämlich die Wissenschaft. Sie müsse zur Basis aller Politikgestaltung werden. Wissenschaft als Impfung in die Politik zu bringen, sei genau so wichtig, wie etwa eine Impfung in ein Kind zu bringen, weil es ansonsten nicht sehr lange leben würde. Doch Populismus sei der schlimmste Feind der Wissenschaft. Und jede Krise stelle eine Gelegenheit für Populismus dar. Eine Krise zu meistern, sei daher der beste Weg, die Demokratie zu verteidigen.
Lauterbach Auftritt als Lobby-Vertreter
So sei bessere Prävention nötig, was auch bedeute, dass reichere Nationen die ärmeren Nationen im Sinne eines One-Health-Ansatzes mit Investitionen unterstützen müssten. Im Notfall müssten die ärmeren Länder genauso schnell Impfstoffe erhalten wie die reicheren Länder. Doch das Vertrauen in die Wissenschaft müsse gestärkt werden, damit man auch tatsächlich über Impfstoffe verfügen und diese verteilen könne. Genau darum gehe es im Grunde in dem angestrebten Pandemieabkommen. Daher müsse man auch offen für die Position des globalen Nordens sein. Damit spielt Lauterbach vermutlich auf das Thema Patente an. Lauterbach hebt den globalen Pandemiefonds lobend hervor und dessen Beitrag zur Eindämmung der Affenpocken. Und er verspricht, dass Deutschland weitere 50 Millionen (er meint wahrscheinlich Dollar) zur Verfügung stellen werde. Darüber hinaus fordert er eine bessere Finanzierung der WHO, die etwa mit der Polio-Impfung von Kindern in Gaza eine wichtige Aufgabe erfülle. Deutschland werde alles tun, um EU-Investitionen für die Finanzierung der WHO zu unterstützen.
Mit dieser stellenweise wirr wirkenden Rede erweist sich Lauterbach einmal mehr als Lobby-Vertreter, der zwischen den Zeilen vor allem Investoren gute Geschäfte verspricht: Angesichts der von ihm erwähnten rund 10.000 Viren, die Pandemien auslösen könnten, sind die Aussichten für Impfstoffentwickler rosig, zumal auch sämtliche „ärmere Länder“ ausdrücklich damit beglückt werden sollen. Vor wenigen Wochen erst hatte beispielsweise die Impfstoffallianz Gavi bekannt gegeben, dass sie 500.000 Dosen des Mpox-Impfstoffs von Bavarian Nordic zur Bekämpfung eines Affenpocken-Ausbruchs in Teilen Afrikas kaufen will. Dabei will Gavi bis zu 50 Millionen Dollar für den Transport, die Lieferung und die Kosten für die Verabreichung der Impfstoffe ausgeben. Gavi ist eine Stiftung in Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft mit Sitz in Genf, die im Jahr 2000 beim Weltwirtschaftsforum in Davos unter maßgeblicher Beteiligung der Bill & Melinda Gates Foundation gegründet wurde, um den stagnierenden Impfquoten in den ärmsten Ländern der Welt zu begegnen. In einer zentralen Veranstaltung am Montagabend ging es denn auch unter dem Motto „All for Health, Health for All“ („Alle für Gesundheit, Gesundheit für alle“) um eine Investitionsrunde der WHO. Hintergrund ist, dass in den vergangenen beiden Jahren die Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten nur noch 13 Prozent des WHO-Haushalts abdeckten und die WHO überwiegend auf freiwillige, meist zweckgebundene und unvorhersehbare Beiträge angewiesen war. Die Mitgliedstaaten haben jedoch im Mai der Erhöhung ihrer Pflichtbeiträge auf 50 Prozent des WHO-Budgets bis 2030 zugestimmt.
Am Montagabend wurden nun Zusagen in Höhe von insgesamt 700 Millionen US Dollar gemacht. Hinzu kommen 300 Millionen US Dollar unter anderem von der EU und der Afrikanischen Union. Die zugesicherten Mittel belaufen sich damit auf insgesamt eine Milliarde US Dollar. Anwesend bei diesem Event waren u.a. Bundeskanzler Olaf Scholz, Bill Gates als Vorsitzender der Gates Foundation und WHO-Chef Tedros. Bei der Finanzspritze geht es vorgeblich darum, „den Fortschritt bei der Verwirklichung globaler gesundheitlicher Chancengleichheit zu beschleunigen“. Die Investitionsrunde soll die Finanzierung des 14. Allgemeinen Arbeitsprogramms (General Programme of Work, kurz: GPW 14) der WHO sicherstellen. Das GPW 14 legt einen Fahrplan für die globale Gesundheit im Vierjahreszeitraum 2025 bis 2028 fest, um die Maßnahmen zu verstärken, die erforderlich sind, damit die gesundheitsbezogenen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Agenda 2030 erreicht werden (achgut berichtete).
Kinder werden instrumentalisiert
Wer mag, kann sich dieses etwa anderthalbstündige Ereignis wie alle weiteren öffentlichen Veranstaltungen des Gipfels übrigens als Videomitschnitt ansehen. Doch Achtung: Wer es nicht gut ertragen kann, wie Kinder instrumentalisiert werden, sollte den Link besser nicht anklicken. Zu Beginn muss nämlich ein kleines Mädchen – von wabernden Klängen unterlegt – eindringlich aufsagen, dass ihr Krankheiten Angst machen, dass es ihr aber noch mehr Angst mache, dass jeden Tag Kinder an Krankheiten sterben, die geheilt werden könnten. Ungefähr ab Minute 31 spricht dann Bill Gates und lobt sich vor allem selbst: einmal für seine Microsoft-Gründung und zum anderen für seine Philanthropie. Die von ihm mitinitiierte Impfstoffallianz Gavi habe die Kindersterblichkeit maßgeblich gesenkt. Außerdem hebt Gates die WHO und die Weltbank lobend hervor und betont, dass globale Herausforderungen globale Lösungen erforderten. Die Innovationspipeline im Gesundheitsbereich sei so stark wie nie zuvor. Auch angesichts des Klimawandels seien Investitionen auf dem Gebiet von Gesundheit und Ernährungsinnovationen unabdinglich. Jeder Dollar, der in die globale Gesundheit investiert werde, produziere 20 Dollar im Gegenzug.
Bundeskanzler Scholz dankte direkt im Anschluss Gates überschwänglich. Er lobte auch die WHO und sagte voraus, dass sie in den kommenden vier Jahren u.a. aufgrund von mehr Impfungen 40 Millionen Leben retten werde. Außerdem sicherte er für das nächste Arbeitsprogramm der WHO 360 Millionen Euro von deutscher Seite aus zu. In seinem schriftlichen Grußwort hatte Scholz bereits betont, dass starke multilaterale Institutionen insbesondere im Gesundheitssektor wichtig seien und sich zum One Health-Ansatz bekannt. Auch Gavi und der Pharmastiftung Wellcome Trust sagte er Unterstützung zu. In einer Videoeinspielung wies danach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen darauf hin, dass Corona ein Test für die Solidarität im Bereich der globalen Gesundheit gewesen sei, der dank entscheidender medizinischer Investitionen und grenzüberschreitender Zusammenarbeit gemeistert worden sei. In Rekordzeit seien Impfstoffe entwickelt und in der ganzen Welt ausgeliefert worden. Die Europäische Kommission stehe fest an der Seite der WHO und habe 250 Millionen Euro zur Stärkung ihrer wichtigen Arbeit zugesagt. Von der Bekämpfung von Mpox und Marburg bis zur Eindämmung der Cholera. Außerdem habe die EU bereits mehr als 200.000 von insgesamt 560.000 Mpox-Impfdosen nach Afrika geliefert. Sie werde noch weitere 20 Millionen Euro bereitstellen, um die Demokratische Republik Kongo zu unterstützen, und über 75 Millionen Euro in das mRNA-Technologiezentrum der WHO in Südafrika investieren.
Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Wellcome Trust, John-Arne Røttingen, dankte Tedros für dessen Führungsrolle bei der Sicherung der Finanzierung der WHO und betonte die Bedeutung starker multilateraler Akteure wie der WHO. Seine Stiftung werde das Arbeitsprogramm der WHO mit 50 Millionen Dollar unterstützen, u.a. für die Untersuchung von Auswirkungen des Klimawandels auf die öffentlichen Gesundheitsprogramme. Tedros bedankte sich seinerseits sichtlich gut gelaunt bei allen Geldgebern. Sowohl in seiner Eröffnungsrede am Sonntag als auch in seinem schriftlichen Grußwort warnte er jedoch vor Desinformation: Während der COVID-19-Pandemie hätten sich Unwahrheiten über Masken, Impfstoffe und Lockdowns ebenso schnell wie das Virus verbreitet und seien fast genauso tödlich gewesen. Wörtlich hob er hervor: „Falsch- und Fehlinformationen untergraben auch die Verhandlungen über das WHO-Pandemie-Abkommen. Medien, Prominente, Influencer in den sozialen Medien und sogar einige Politiker verbreiten falsche Behauptungen dahingehend, dass das Abkommen die nationale Souveränität an die WHO übertragen und ihr die Befugnis geben würde, Ländern ,Lockdowns‘ oder Impfzwänge aufzuerlegen. Diese Behauptungen sind natürlich völlig falsch und gefährden die globale Gesundheit, indem sie ein dringend benötigtes Rechtsinstrument untergraben, das eine koordiniertere und gerechtere Reaktion auf künftige Pandemien gewährleistet.“
„Das Versprechen der Gentherapie verwirklichen“
Vor einem Jahr war es Christian Drosten, der am selben Ort vor einer „Desinformations-Pandemie“ warnte. Er verstieg sich damals sogar zu der Aussage, dass nicht jeder, der irgendeinen akademischen Abschluss habe, mitten in einer Pandemie über den Kern des Problems sprechen dürfe. Stattdessen müssten Expertengremien gebildet werden, die den Stand des Wissens für die Gesellschaft zusammenzufassen. Auch in diesem Jahr war Drosten wieder mit von der Partie, stand allerdings längst nicht mehr so im Lichte der Öffentlichkeit wie im vergangenen Jahr. Immerhin durfte er am Workshop „Forschung und Innovation im Bereich der Pandemievorsorge in der EU und im globalen Kontext“ teilnehmen. Hier sprach er sich u.a. für einen größeren Fokus auf Diagnostik aus. Auch Lothar H. Wieler, der mittlerweile den Lehrstuhl für Digital Global Public Health am Hasso-Plattner-Institut der Universität Potsdam bekleidet, ist ein alter Corona-Bekannter. Er war diesmal Gastgeber des Workshops „KI (Künstliche Intelligenz) und digitale Inklusion im globalen Gesundheitswesen“, in dem es u.a. um die Überwindung der digitalen Kluft durch die Einführung von KI-basierten Anwendungen ging.
Jeremy Farrar, WHO-Chefwissenschaftler, der von 2013 bis 2023 Direktor des Wellcome Trust war und wie Drosten im Verdacht steht, die Öffentlichkeit bei der Frage nach dem Ursprung des Coronavirus getäuscht zu haben, nahm an der Podiumsdiskussion „Kann KI das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft stärken?“ teil. Dabei sagte er u.a., dass Vertrauen über Jahre hinweg aufgebaut werde, aber in nur einem Augenblick verloren gehen könne. Hat Farrar vielleicht doch Sinn für Humor? Wenig vertrauenweckend beim Weltgesundheitsgipfel ist jedenfalls, dass nicht alle Veranstaltungen mitgeschnitten wurden. Ausgerechnet die Sitzung der Health Impact Investment Platform (HIIP) zum Beispiel fand hinter verschlossenen Türen statt. Diese Plattform bringt die Europäische Investitionsbank (EIB), die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB), die Islamische Entwicklungsbank (IsDB) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen, um die Regierungen der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMICs) bei ihrer Gesundheitsplanung und ihren Investitionen zu unterstützen.
Die Sitzung, zu der Pfizer einlud, kann man sich dagegen in voller Länge anschauen. Sie trägt den Titel: „Das Versprechen der Gentherapie verwirklichen: Herausforderungen für das Gesundheitssystem“ („ Realizing the Promise of Gene Therapy: Exploring Health System Challenges”). Gentherapie? Galt nicht jeder, der die Pfizer-Impfung mit Gentherapie in Verbindung brachte, als Verschwörungstheoretiker? Unnötig zu erwähnen, dass Pfizer neben u.a. der Gates Foundation, dem Wellcome Trust, der Impfallianz CEPI, der Europäischen Union, der European Investment Bank, der Weltbank, der Bertelsmann Stiftung, der Rockefeller-Stiftung, Bayer, Sanofi, Roche und Johnson & Johnson als Sponsor des Gipfels aufgeführt ist. Zu den weiteren Partnern aus der sogenannten Zivilgesellschaft zählen die Friedrich-Ebert-Stiftung, der WWF, Gavi und der Club of Rome. Auch das RKI und McKinsey sind aufgelistet. Und zu den Medienpartnern gehören ZEIT, Tagesspiegel und Deutsche Welle. Auch die Rockefeller-Stiftung war Ausrichter eines Panels zum Thema „Neudefinierung der globalen Gesundheit in der Ära der Klimaschocks“ („Redefining Global Health in the Era of Climate Shocks“). Präsident des World Health Summit ist Axel R. Pries, ehemaliger Dekan und Vorstandsmitglied der Charité, der sich jetzt für eine gesündere Welt engagiert.
Wenn man sich durch das 95 Seiten umfassende Programmheft oder die Videomitschnitte klickt, drängt sich jedoch unweigerlich der Eindruck auf, dass es beim „Weltgesundheitsgipfel“ weniger um Gesundheit geht als um Politik und vor allem ums Geschäft. Die Hochglanzveranstaltung gleicht eher einem Marktplatz für Investoren, Politiker und Konzerne, wobei sich die mRNA-Technolgie offenbar als besonders attraktives Geschäftsfeld erweist. Da stellt sich allerdings glatt die Frage, ob das dringendste Bedürfnis der ärmsten Länder der Welt tatsächlich in der Beschaffung von mRNA-Impfstoffen besteht. Aber Achtung: Ist diese Frage womöglich schon als Desinformation zu bewerten, vor der Tedros so vehement warnt?
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.