Wolfram Ackner / 20.01.2019 / 06:00 / Foto: Е. Анискин / 12 / Seite ausdrucken

Interview im Weltraum

Von Claas R. (mit Hilfe von Wolfram Ackner)

„Kosmopolit“ – das wollten die meisten Heranwachsenden in jenem kleinen bayrischen Bergdorf sein, in welchem ich zusammen mit meinen acht Geschwistern aufwuchs. Wir hatten es satt, uns nach Altvätersitte als Niederbayern, Unterfranken oder Oberpfälzer zu definieren und scharf voneinander abzugrenzen. Die geistige Enge und Bigotterie unseres eigenen erzkatholischen Milieus stieß uns ab, ließ uns gegen die eigene Familie rebellieren, gegen dieses wirr gewebte Gespinst aus „Das-gehört-sich-so“ und „Das-gehört-sich-nicht“, welches den eigenen Alltag wie ein schwärendes, juckendes Büßergewand überzog. Ließ uns rebellieren gegen den eintönigen Lebensrhythmus aus Feldarbeit, Gasthaus und Kirche.

Doch Kosmopolit allein, das reichte mir persönlich nicht. Mein eigener Ansatz unterschied sich schon damals von dem meiner Freunde. Teil eines Stromes zu sein, der versucht, bergauf zu fließen, war sicher respektabel – aber mir zu wenig. Ich wollte mit meiner Wut, meiner Entrüstung die kleine Rinne neben dem Flussbett erkennen können, die sich im Vorbeifließen als plötzliche Möglichkeit zu erkennen gibt, die flache, schwache Uferböschung wahrnehmen und all meinen Zorn über die Ungerechtigkeiten dieser Welt in einer sich auftürmenden Welle konzentrieren, die gegen die Schwachstelle schiebt, um sich ihren eigenen Weg zu bahnen, andere zum Folgen zu motivieren, ein eigener mächtiger Strom zu werden. Ich wollte nicht einfach nur Kosmopolit wie meine Freunde werden, sondern Kosmonaut. Ein Bürger des Universums.

Natürlich verschwand dieser Anspruch irgendwann von meinem eigenem Radar, wie beispielsweise der startende Flieger LH 531 irgendwann vom Radar des Fluglotsen in Frankfurt verschwindet, ohne das dieser deswegen vergisst, dass es einen Flug namens LH 531 gibt, der sich im Moment irgendwo über dem großen Teich, Kurs auf New York, befindet. Dieser Traum war vielleicht vorübergehend von meinem Überwachungsschirm verschwunden, auf dem aktuelle Probleme wie Waldsterben, menschengemachter Klimawandel, der Themenkomplex Flucht und Migration sowie erstarkender Nationalismus als kleine rote Lämpchen blinkten, die meiner ganzen Aufmerksamkeit bedurften. Doch meine verbissene Hingabe, diese Menschheitsaufgaben zu lösen oder zumindest zu lindern, ließ diese alte Schwärmerei urplötzlich und unerwartet wieder als rotes, blinkendes Lämpchen am äußersten Rande meines inneren Radars erscheinen und Kurs auf das Zentrum nehmen.

Extrameilen-Reporter

Alles begann mit einem sensationellen Gerücht, das mir vor vier Wochen im Hamburger Hafen zu Ohren kam. Ich nahm den nächsten Flieger nach Moskau. Dort musste ich zu meiner Bestürzung aus einer deutschen Zeitung zur Kenntnis nehmen, dass meine Feinde – derer ich mittlerweile mehr als genügend hatte – meine Abwesenheit in Deutschland dazu nutzten, eine Hetzkampagne gegen mich zu fahren, mit dem Ziel der Vernichtung meiner Reputation. Leider war ich für meine Recherchen bereits incognito unterwegs, und die Geschichte war zu wichtig, als dass ich bereit gewesen wäre, aus egoistischen Interessen heraus ihre Enthüllung zu gefährden. 

Ich musste verschwiegen und diskret sein, denn es ging um ein Thema, von dem ich wusste, das es die verantwortlichen russischen Entscheidungsträger selbst bei einem feuchtfröhlichem mitternächtlichen Gelage genauso schamhaft beschweigen würden wie das Sexualleben der eigenen hochbetagten Eltern. Ich wusste, dass sie existiert und direkt vor mir liegt. Jungfräulich und bereit, abgegrast zu werden – eine der seltenen Weiden für jene rare Exemplare von Reportern, die bereit sind, nicht nur Agenturmeldungen abzuschreiben und literarisch aufzublasen, sondern die willig und fähig sind, die Extrameile zu laufen. Eine jener fetten satten Weiden, die auf Namen wie „Watergate“ hören. Die mich nun seit Wochen umschwärmenden Gerüchte lassen sich auf einen einzigen Satz verdichten: Roskosmos, die russische Weltraumbehörde, hat eine Gruppe noch lebender Kosmonauten der ersten Generation reaktiviert und als Dauerbesatzung auf die Raumstation MIR geschickt.

Sie lesen richtig – jene erste Kosmonauten-Generation aus den sechziger Jahren, als der Kalte Krieg jederzeit in einen heißen umzuschlagen drohte und sich Russen und Amerikaner einen erbitterten Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltall lieferten. Konfrontiert mit diesem Gerücht, stieß ich in russischen Behörden erst einmal auf eine Mauer aus Schweigen und Ablehnung, doch Zeit, Geduld, die eine oder andere kleine materielle Aufmerksamkeit und vor allem das russische Zauberwort „Sto Gramm“, ausgesprochen in jenen Moskauer Bars und Restaurants, wo sich Politiker und Journalisten über den Weg laufen, die Gespräche „unter Vier“ stattfinden und sich Wodka – zumal in Hundert-Gramm-Bechern – als großer Zungenlöser erweist, taten ihren Dienst.

Die Putin-Connection

Ich wurde einer von ihnen, vom „inner circle“. Ich lachte und feierte zusammen mit der Nomenklatura, wurde von ihnen auf ihre Privatdatschen eingeladen, die in jenen dichten, verschwiegenen Birkenwäldern rings um Moskau liegen, wo die Reichen und Mächtigen Russlands ihre schwerbewachten, öffentlich unzugänglichen Wochenendgrundstücke unterhielten. Doch selbst diese Generäle, Direktoren, Minister, die mir eben noch lächelnd den über sanft glimmender Holzkohle gegarten Bärenschaschlik oder einen uralten französischen Cognac aus Stalins Nachlass anboten, wurden steif, förmlich und ablehnend, wenn ich dezent meinen Interview-Wunsch im Weltall zur Sprache brachte. Es dauerte nicht lange, bis ich realisierte, dass es nur einen einzigen Menschen in Russland gab, der in der Lage war, mir diese Tür zu öffnen – der als Präsident getarnte Zar persönlich, Wladimir Putin. 

Auf meine bayrische Familie kam ich schon zu Anfang dieses Artikels zu sprechen, doch schlimmer noch war unsere Ost-Verwandschaft aus dem Erzgebirge. Onkel Gerd und Tante Hilda, beides ehemalige Stasi-Offiziere, die heute jeden Montag bei Pegida in Dresden mitmarschieren, „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ blökend. Wie verabscheute ich diesen Menschenschlag, der mir wie eine völlig überspitzte, ständig „Nu!“ und „Ni!“ rufende Karikatur meiner eigenen Eltern erschien. Wie belächelte ich doch das „scheene“ Erzgebirge meiner Verwandten als den Ort, wo „die Hasen Hosn und die Hosen Husn haaßen“ und ständig irgendjemand „Sgladschdglei!“ brüllt. Niemals hätte ich es mir träumen lassen, dass sich ausgerechnet Gerd, der Bruder meines Vaters, in diesen kalten Moskauer Januartagen des Jahres 2019 als mein großer Retter herausstellen sollte!

Doch genauso kam es. Gerd war in den Achtziger-Jahren – wie er nie zögerte, auf jedem Familienfest kundzutun – der zuständige MfS-Kontaktoffizier eines jungen Dresdner KGB-Beamten namens Wladimir Putin. Er wurde während dessen Dresdener Jahre einer seiner besten Freunde, und noch heute bekommen er und meine Tante jedes Jahr eine handgeschriebene Weihnachtskarte des russischen Präsidenten mit seinen besten Wünschen. Diesen Trumpf wollte ich mir zunutze machen, und die Gelegenheit ergab sich bald. Es war Sonntag, ich saß zum Kaffee, zusammen mit der bekannten russischen Olympiasiegerin im Biathlon Natalie W., bei Generaloberst Weltschuk, dem Chef der Raketenabwehrtruppen, als eine kantige, schwarze Limousine leise knirschend über den Kies der mit Statuen gesäumten Ausfahrt rollte und Wladimir Putin ausstieg, sich zwanglos zu uns setzend.

Der Judo-Handel

Nach einem kleinem Smalltalk, in welchem ich erzählte, dass ich einst in meiner Jugend – genau wie er – die Kampfsportart Judo betrieben hatte und desweiteren dezent durchblicken ließ, ebenfalls ein Naturbursche zu sein, der das Fliegenfischen an einsamen sibirischen Strömen, das Reiten in der Tundra, oder im Winter das Eisbaden in der zugefrorenen Moskwa liebt, fasste ich mir ein Herz. Ich richtete dem hocherfreuten russischen Präsidenten die besten Grüße meines Onkels Gerd aus, um endlich auf den Punkt zu kommen, ihn mit diesem Gerücht zu konfrontieren und um ein Interview auf der Weltraumstation MIR zu bitten. 

Wladimir Putin lachte bloß: „Warum willst du wissen, ob wir tatsächlich wieder diese alten Helden im Einsatz haben?“, fragte er. „Um im dekadenten Westen von der Überlegenheit des Sowjetmenschen zu künden!“, antwortete ich verschmitzt und schlagfertig mit der alten Phrase aus realsozialistischen Zeiten, worauf er lachte. Ich konnte seine Sympathie für mich spüren, seine Wertschätzung dafür, dass ich weder versuchte, mich anzubiedern wie die Journalisten seines eigenen Landes noch bewusst konfrontativ zu formulieren wie die Journalisten des Westens, sondern versuchte, mit Humor und Geist Klippen zu umschiffen.

„Claas, ich sage dir jetzt was!“, sagte Putin. „Auf deine Art bist du fast genauso einflussreich wie ich, und du besitzt denselben Sportsgeist. Lass uns einfach eine Wette eingehen. Wenn du mich beim Judo besiegst, darfst du für zehn Minuten an Bord der MIR, um dir ein eigenes Bild zu machen – und wenn ich dich besiege, wirst du mir vier Seiten im SPIEGEL für einen Meinungsbeitrag unter meinem Namen freiräumen. Ich weiß, du hast die Möglichkeit, dies in die Wege zu leiten.“ Ohne darüber nachzudenken, schlug ich in die angebotene Hand ein, worauf Generaloberst Weltschuk grinsend verkündete, im Haus über eine Tatami und genügend Judo-Anzüge in allen Größen zu verfügen. Unmerklich schluckend, folgte ich dem siegesgewissen russischen Präsidenten, während mir Natalie unmerklich die Hand drückte und „du schaffst das“ flüsterte.

„Wer weiß“, dachte ich skeptisch, denn meine Judozeit lag zwanzig Jahre hinter mir und ich war nie über den grünen Gürtel hinausgekommen, während Wladimir – inzwischen waren wir beim „Du“ – immer noch ein aktiver Athlet war und den schwarzen Gürtel trug. Doch wie so oft kamen bei mir Talent und Glück zusammen, ich überstieg seinen zwar kräftigen, aber vorhersehbaren Fußfeger und nutzte seinen eigenen Schwung gegen ihn, um ihn mit einer sogenannten Außensichel gekonnt zu Fall zu bringen, mit anschließender Würgetechnik, die er nach wenigen Sekunden abklopfte. „Sehr gut, Claas!“, sagte Putin lächelnd. „Du hast zehn Minuten, keine Sekunde länger. Halte dich bereit.“ Und damit verabschiedete er sich aus unserer Runde und ließ mich mit Zweifeln zurück, ob er sein Wort halten würde. Er hielt es.

Allein unter Astronauten

Schon sechs Tage später dockte mein Zubringer-Raumschiff mit einem bedrohlich knarzenden, rumpelnden Geräusch an der MIR an, zischend öffneten sich die Luftschleusen, und auf eine Handbewegung meines Begleiters hin schwebte ich hinüber in die MIR. Unbeholfen, unfreiwillig Saltos und Schrauben schlagend. Mit einem herzhaften „Dobri djen“ nahm mich ein drahtiger, grauhaariger Mann in Empfang und zog mich ins Innere der Station. „Parabelflüge haben sie offensichtlich nicht allzu oft mit dir trainiert!“, sagte er auf Russisch – einer Sprache, die ich mir in den letzten Wochen im intensiven Selbsttraining beigebracht hatte.

Eine Gruppe von drei anderen Kosmonauten, die wie er in ihren späten siebziger, frühen achtziger Jahren zu sein schienen, brachen in lautes Gelächter aus. 
Es stimmte also, ich war auf einer heißen Spur. Doch wie heiß sie wirklich war, sollte sich erst eine Sekunde später herausstellen. „Juri Gagarin“, stellte er sich vor. „Und das hier sind Alexej Leonow, Pawel Beljajew und Wladimir Komarow.“ Juri Gagarin! Der erste Mensch im All! Und Alexej Leonow, der den ersten Außeneinsatz im Weltall durchführte! Wie konnte das sein? Juri lachte über mein verdutztes Gesicht. „Nimm Platz!“, sagte er und half mir, mich auf meinem Stuhl anzugurten.

Auf meine Frage „Как это возможно“ (wie ist das möglich), antwortete Juri Gargarin ernst: „Was glaubst du denn, Claas? Russland ist ein Land, das sich abschottet. Das seine Grenzen schließt. Die Aussage, die euer damaliger Finanzminister Wolfgang Schäuble Anfang Juni 2016 in der ZEIT machte, dass Abschottung Europa kaputt machen, in Inzucht degenerieren lassen würde, genau dies ist doch in Russland bereits Wirklichkeit. Die russische Gesellschaft ist überaltert, genau wie eure. Und doch verschließt sie sich vor Zuwanderung beziehungsweise frönt einem absurden Nützlichkeitsrassismus, der vielleicht Konzerne wie Gazprom und Rozneft bereichert, aber doch nicht uns als Menschen und Gesellschaft! Und darum sind wir hier. Weil alle jungen, liberal und rechtsstaatlich eingestellten Menschen dorthin gehen, wo Hoffnung ist, wo man als Mensch atmen kann. Nach Berlin. Oder Brüssel.“

„Wie kann man nur so borniert sein?“

„Ich habe das Grauen des Zweiten Weltkriegs als Junge noch selbst miterlebt“, mischte sich Alexej Leonow in das Gespräch ein. Ich betrachtete ihn aufmerksam. Sein volles, fast noch durchgängig schwarzes Haar umrahmte ein zerknittertes, zerfurchtes Gesicht, das auf den ersten Blick den Gedanken, dass jemals ein Lachen dieses harte Bulldoggenantlitz aufgelockert haben könnte, absurd erscheinen ließ und das doch gleichzeitig merkwürdig sanft und fürsorglich wirkte. „Und wofür das alles? Damit jetzt wieder bei euch im Parlament die Nationalsozialisten sitzen? Wie kann das sein, dass bei euch in Deutschland die Menschen den Horror dieses Krieges, die 60 Millionen Toten einfach vergessen haben?“

Ich zuckte ratlos mit den Schultern, denn das ist eine Frage, auf die ich genauso wenig eine Antwort weiß wie die restlichen 87 Prozent des humanistisch und demokratisch gesinnten Deutschlands. „Это небольшое меньшинство“ (es ist eine kleine Minderheit), sagte ich beschämt. „Nur 13 Prozent. 13 Prozent zu viel, aber immer noch nur 13 Prozent, und die Zivilgesellschaft wehrt sich heftig.“ „Ich weiß, ich habe die Bilder von Bremen gesehen“, sagte Alexej, erkennbar milder gestimmt. „Auch wenn das viele bei euch nicht hören wollen, aber Antifaschismus ist immer noch Handarbeit, wie von 1941-45, und konsequenter Antifaschismus bedeutet nun mal: mit ALLEN Mitteln!“ Mit seinem Zeigefinger schrieb Alexej Leonow das Wort „ALLEN“  groß mit seinem Finger auf das Bullauge, das gerade einen atemberaubenden Blick auf das zarte Blau der Erde freigab. 

„Schau doch runter auf unseren Planeten“, ergreift Wladimir Komarow das Wort. Wladimir ist ein recht großer, schlanker Mann mit fast schon silbrigem, etwas längerem Haar, um dessen Gesicht immer ein verschmitztes Lächeln zu spielen schien. Man kann ihn sich gut als älteren Charmeur in der Moskauer Nachtschwärmerszene vorstellen, als Galeristen oder Orchestermusiker, aber nur sehr schwer als den begnadeten Techniker und Tüftler, der er ist. „Kannst du da irgendwelche Grenzen erkennen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Und jetzt schau zur anderen Seite hinaus. Siehst du die Unendlichkeit des Alls?“ Eindringlich schaute er mich an. „Erkennst du die Absurdität? Wir Menschen sind wie sieben Milliarden Viren auf einer Glasmurmel, die zusammen mit Quatrillionen anderer Glasmurmeln durch das Weltall schwebt, das sich in alle Richtungen ausdehnt, bevor es eines Tages wie ein Soufflee in sich zusammenfallen wird. Und was tun wir? Anstatt zu erkennen, das wir alle zusammen Gottes Kinder auf dieser winzigen zerbrechlichen blauen Glasmurmel sind, Kinder ein und derselben Erde, schlagen wir uns die Köpfe ein, ziehen willkürlich Grenzen, um uns abzuschotten, um Mitmenschen auszuschließen, anstatt einen Schritt zurückzutreten und einen Blick auf das große Gemälde zu werfen. Wie kann man nur so borniert sein?“

„Ja, ich bin bereit“

„Ich bin Asiate“, riss Juri Gagarin das Gespräch wieder an sich. „In meiner Jugend haben sie mich Schlitzauge oder gelber Junge genannt. Sergej ist Halbschwarzer, weil sein Vater als mosambikanischer Austauschstudent nach Moskau kam. Pawel ist eigentlich Japaner, der sich als 17-jähriger Soldat des Tenno 1945 unseren Truppen ergab und eine neue, russische Identität annahm, weil er erkannte, für die falsche Seite zu kämpfen. Wir sehen äußerlich alle komplett unterschiedlich aus, und nun schau hier hin.“ Gagarin winkte seine Kameraden an einen riesigen alten Röntgenscanner, hinter dessen Rückseite sie komplett verschwanden, während die Vorderseite das Bild ihrer Skelette zeigte. „Und, kannst du irgendwelche Unterschiede erkennen?“, fragte Gagarin. Ich schüttelte den Kopf. Vier Skelette, nahezu identisch. „Das liegt daran, dass wir alle gleich sind!“ sagte Gagarin. „Wir sind alle Menschen! Und das ist auch die Botschaft, die du für deine Leser wieder mit hinunter auf die Welt bringen solltest.“

„Die zehn Minuten sind um!“, knurrte der Offizier, der mich von der Erde hierher begleitet hatte und bis jetzt bedrohlich schwieg. Sein Ton und seine Mimik beunruhigten mich. „Habt ihr keine Angst, euch so weit aus dem Fenster zu lehnen?“, fragte ich abschließend. „Ihr mögt so denken und die Mehrheit des russischen Volkes mag so denken, aber ihr lebt immer noch in einer Diktatur.“ 

„Mach dir um uns keine Sorgen“, lachte Juri. „Was soll uns passieren? Wir stehen alle an der Schwelle des Todes und wünschen uns nichts sehnlicher, als diese letzte Botschaft des Friedens verkünden zu dürfen! Mach dir Sorgen um dich selbst! Sie werden alles abstreiten. Sie werden sagen, dass wir alle schon seit Jahren tot sind und die MIR schon lange außer Betrieb. Sie werden verkünden, wie lächerlich du bist und was für Witzfiguren deine Fans, während sie dir in dunklen Gassen nach dem Leben trachten. Du wirst nach dieser Reportage für immer untertauchen, für immer öffentlich schweigen müssen. Bist du tatsächlich bereit, diesen Preis zu zahlen?“ Ich nickte, während wir uns zum Abschied still umarmten. Das war ich.

Foto: Е. Анискин via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Dr.H.Böttger / 20.01.2019

Chapeau. W. Ackner ist ein köstliches, in jedem Satz fein schmeckendes Kunstwerk aus 24-karätiger Relotius-Melasse gelungen. Damit hat er bewiesen, wie gut er sich mit den Kunstschaffenden auskennt, die genau solche Kunstfertigkeit in die Position gebracht hat, getragen von der heißen Sehnsucht nach Staatssubventionen, die “Erklärung der Vielen” zu unterschreiben. Sein Relotius ist hoffentlich rechtzeitig aus dem Weltraum zurückgekehrt, um dort zu unterschreiben, falls er nicht wie viele diesem Gleichwertige dort schon unterschrieben hat.

Hjalmar Kreutzer / 20.01.2019

Danke, Herr Ackner, schön, wieder etwas von Ihnen zu lesen. Mit Bechlenberg, Maxeiner und Ihnen gleich drei sonntägliche Antidepressiva, einfach wunderbar.

Hans-Peter Dollhopf / 20.01.2019

Super Parodie! An einer Stelle hätte ich fast Kaffee über die Tastatur geprustet und konnte gottseidank gerade noch die Klappe dicht kriegen. Ich habe nie was von Relotius konsumiert, da mich im SPON einzig die neuste Kolumne von Fleischhauer interessiert, darum kann ich nicht vergleichen. Aber Fantasie und Erfahrung genügen zum vollen Genuss dieser Persiflage über “den Meister”: Auch “Scream” habe ich nie gesehen, mich bei “Scary Movie” trotzdem über “Scream” kaputt gelacht.

Peter Michel / 20.01.2019

Ein Glück, dass Sie ja noch einen Beruf in der Metallbranche haben. PS: Sie waren aber auch auf der Achse lange untergetaucht.

Hans-Jacob Heidenreich / 20.01.2019

Ein toller Artikel, Herr Ackner, brillant recherchiert und in der richtigen Dosis mit Fakten gewürzt. Schade, dass Ihr Alter Ego kürzlich aufgeflogen ist und das Opus Magnum drum nicht mehr vom Sturmgeschütz der Demokratie an der Ericusspitze abgefeuert werden konnte.

Rolf Lindner / 20.01.2019

Linke pur: Mit allen Mitteln. Bekämpfung des vermeintlichen Faschismus mit den Mitteln des echten. Herrliche Satire.

Karsten Dörre / 20.01.2019

Claas R. brauchte beim Verfassen dieses Textes Hilfe? Bei Gagarin, Komarin und Beljajew glaube ich fest daran, dass sie auf der MIR oder irgendwo da draußen als Astralleiber herumwandeln. Aber Alexej Leonow?

Werner Liebisch / 20.01.2019

Meine kleine Nichte wünschte sich Märchenbücher…da hatte ich ihr einige Spiegel Ausgaben mitgebracht… Als sie fragte was Journalisten sind, antwortete ich, dass das nur ein anderer Begriff für Märchenerzähler ist.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Ackner / 27.01.2024 / 06:15 / 110

Wie mich der Haltungssport aus dem Stadion vertrieb

Fußball war lange Teil meines Lebens. Heute nicht mehr. Für mich ist nicht die AfD die größte Bedrohung der Demokratie – sondern öffentlicher Bekenntniszwang und grüner…/ mehr

Wolfram Ackner / 16.07.2022 / 06:15 / 126

Ich habe einen Traum (nicht den von Milla)

Der Autor und Schweißer Wolfram Ackner über das Gesellschaftsbild der Grünenpolitikerin Emilia Fester, seine eigene Vision – und seinen Plan B, falls das grüne Paradies…/ mehr

Wolfram Ackner / 07.02.2022 / 10:00 / 69

„Es sind die gleichen Leute wie damals“

Der Autor gehörte 1989 zu den Leipziger Demonstranten. Heute geht er wieder auf die Straße. Er schreibt über die Ähnlichkeiten und Unterschiede des Protests von damals und…/ mehr

Wolfram Ackner / 19.09.2021 / 06:25 / 84

Die magische Kraft der Armbinde

Warum gibt es so viele Freunde des Ausnahmezustands? Er macht Leute wichtig, die es sonst nicht wären. Deutschland hat darin mehr Übung als andere Länder,…/ mehr

Wolfram Ackner / 05.07.2020 / 06:22 / 85

Ab heute korrekt gegenderte Texte mit Erkenntnis-Mehrwert

Mein Meinungsbeitrag „Ein Schweißer im Schneeflocken-Kombinat“ hat mir sehr viel Zuspruch, aber gerade in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke auch einiges an Kritik eingetragen. Dass…/ mehr

Wolfram Ackner / 25.11.2019 / 16:57 / 94

Ein Gleichnis zum Dresdener Raubzug

Dieser Raubzug durch das Grüne Gewölbe in Dresden, der einfach nur passiv hinnehmend beobachtet wurde, ist für mich persönlich eines der schmerzhaftesten Erlebnisse meines Lebens.…/ mehr

Wolfram Ackner / 09.05.2019 / 12:30 / 85

Neue Nationalhymne: „Schni schna schnappi, überschnappi schnapp!“

Wie heute morgen alle Medien unisono verkünden, hat sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow für eine neue Nationalhymne ausgesprochen, weil er „das Bild der Naziaufmärsche von…/ mehr

Wolfram Ackner / 14.04.2018 / 12:00 / 11

Nazi-Hobbits in der kritischen Ferndiagnose

Seit Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab” und Birgit Kelles Buch „Gendergaga“ gibt es eine neue Gattung in der Literaturkritik. Nennen wir sie „die kritische…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com