Henryk M. Broder / 10.07.2022 / 12:00 / Foto: Achgut.com / 59 / Seite ausdrucken

Welchen Schaden die Juden anrichten

Der woke Antisemit macht nicht die Juden für den Antisemitismus verantwortlich, er ist ontogenetisch einen großen Schritt weiter. Er macht Juden dafür verantwortlich, dass sie „Schaden für die Antisemitismusbekämpfung anrichten“. 

Wenn eine Erklärung, ein Statement oder eine Richtigstellung mit den Worten „Ich habe überhaupt kein Problem mit Juden“ anfängt, dann kann man davon ausgehen, dass das Gegenteil zutrifft. Vor allem, wenn es mit einem „Aber…“ weitergeht. „Ich habe überhaupt kein Problem mit Juden“, versichert Lars Wienand, Redakteur einer viel besuchten Online-Plattform, „aber ich finde die Auffassung… nachvollziehbar, dass Menschen wie Herr Weinthal und Herr Broder Schaden für die Antisemitismusbekämpfung anrichten.“

Wie nennt man so was? Könnte es sich um einen Fall von „strukturellem Antisemitismus“ handeln, einen nahen Verwandten des „strukturellen Rassismus“, der sich in Redewendungen wie „Ich habe nichts gegen Neger, aber…“ artikuliert? Ja, das könnte sein.

Zum Repertoire eines jeden Antisemiten, egal welcher Provenienz, gehört, dass er die Juden für den Antisemitismus verantwortlich macht, so wie ein Allergiker Schimmelpilzsporen dafür verantwortlich macht, dass seine Augen tränen und die Schleimhäute rebellieren. Der Antisemit reagiert nur auf die Zumutungen, die der Jude verkörpert. Mal ist es der reiche Jude und mal der arme, mal der intelligente und mal der dumme, mal der angepasste und mal der orthodoxe. Es spielt keine Rolle, wie oder was der Jude ist, das Ärgernis liegt darin, dass es ihn gibt. Und dass er sich weigert, aus der Geschichte zu verschwinden. Die Existenz und die Präsenz des Juden an sich lösen antisemitische Reflexe aus.

Und so denkt der woke Antisemit

Ein prototypischer Antisemit der alten Schule denkt so, wie Hans von Gluck in Fassbinders Theater-Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod” denkt: „Und Schuld hat der Jud, weil er uns schuldig macht, denn er ist da. Wär‘ er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen. Sie haben vergessen, ihn zu vergasen. Das ist kein Witz, so denkt es in mir.”

Der woke Antisemit, der gerne Klezmer-Musik hört, Woody-Allen-Filme schaut und morgens gleich nach dem Aufwachen zu Freuds „Traumdeutung“ greift, der woke Antisemit macht nicht die Juden für den Antisemitismus verantwortlich, er ist ontogenetisch einen Schritt weiter. Er macht Juden dafür verantwortlich, dass sie „Schaden für die Antisemitismusbekämpfung anrichten“, in diesem Fall die Herren Weinthal und Broder.

Ja, ohne solche Schädlinge wäre die „Antisemitismusbekämpfung“ schon weiter, möglicherweise gäbe es keinen Antisemitismus mehr. Niemand käme auf die Idee, dass die Juden den Sohn Gottes umgebracht haben, dass sie Brunnen vergiften und Christenkinder schlachten, um aus deren Blut Matzen zu backen, dass sie die Palästinenser so behandeln, wie die Nazis die Juden behandelt haben. Kurzum, dass Juden wie Weinthal und Broder das antisemitische „Narrativ“ bestätigen und damit „Schaden für die Antisemitismusbekämpfung anrichten“, derweil der woke Antisemit den Juden alles vergeben und verziehen hat, was sie ihm jemals angetan haben. 

Nun, was mich angeht, so habe ich kein Problem mit Antisemiten. Ich würde es aber begrüßen, wenn sie aufhören würden, so zu tun, als wären sie meine Freunde. Und wenn sie sich fortan der Bekämpfung der Islamophobie widmen würden. Da ist noch viel zu tun. Und Frau Ataman allein wird es nicht schaffen.

Update Lars Wienand, Leitender Redakteur Recherche bei t-online, legt nach. Er klagt bei Twitter, ich hätte "weggelassen", dass er nur "die Auffassung von Meron Mendel" zitiert habe, die er, Lars Wienand, "nachvollziehen kann". Ob ich "jetzt Meron Mendel zum Antisemiten erklären" wollte?

Wow! Das ist schon ordentlich um die Ecke gedacht. Und eine alte Nummer aus dem Handbuch für sozialverträglichen Antisemitismus. Such dir einen Juden, hinter dem du dich verstecken, auf den du dich berufen kannst. Dann kann dir keiner vorwerfen, du hättest ein Problem mit Juden. Es gab und gibt immer noch einen Markt für nützliche Idioten jüdischer Provenienz, die sich gerne als Alibileister zur Verfügung stellen. Vorgestern waren es Gerard und Moshe Menuhin, die für die "Deutsche National und Soldatenzeitung" antisemitische Beiträge schrieben, gestern der Dichter Erich Fried, der Psychologe Rolf Verleger und der Hochstapler Reuven Moskowitz; heute sind es ehrenwerte Akademiker wie die Herren Zimmermann, Zuckermann und Chomsky, die sich als Kronzeugen gegen Israel und das ganze zionistische Projekt zur Verfügung halten.

Ich denke nicht, dass Meron Mendel ein Antisemit ist. Er ist nur ein praktizierender Opportunist, ein Adabei, der sich beim Zeitgeist anschleimt. Er hat die Documenta verteidigt, sich zum "Berater" befördert, nur um zu erleben, dass man ihn nicht haben wollte. Worauf er ein Amt aufgab, das er nie innehatte, und bekanntgab, er fühle sich "verraten". 

Lars Wienand, Leitender Redakteur Recherche bei t-online, hat jetzt seinen Alibi-Juden gefunden. Mehr noch: seinen Vorflüsterer. Am 30. März 2019 zwitscherte Meron Mendel diese Sätze bei Twitter: "Es ist unfassbar, was für einen Schaden jüdische Rechte wie Weinthal& Broder für Antisemitismusbekämpfung anrichten. In den jüd. Gemeinden nimmt der Unmut über ihre Diffamierungen zu."

Das ist jetzt über drei Jahre her. Der "Unmut in den jüd. Gemeinden" kommt irgendwie nicht in die Gänge. Außer bei Lars Wienand und Meron Mendel.

Update 2 Kurz bevor Ferda Ataman zur Antidiskrimierungebeauftragten gewählt wurde, machte Meron Mendel betreits einen Diener: „Mit unserer politischen Bildungsarbeit setzen wir uns gegen Hass und Ausgrenzung und für eine gerechtere Gesellschaft ein, an der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben dürfen. Mit Ferda Ataman werden wir dabei künftig eine erfahrene, kompetente und durchsetzungsstarke Partnerin auf Bundesebene haben, der wir für ihre Aufgabe viel Erfolg und ein dickes Fell wünschen!“ 

 

Foto: Achgut.com

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Heinrich Moser / 10.07.2022

Ich habe Juden schon geliebt, als ich noch garnicht wusste, dass es Juden waren. Wer in Österreich aufwächst und gern liest, kommt um Weigl, Torberg, Zweig und viele andere nicht herum. Ich weiß nicht, ob Verdi (Grün) und Rossini (Rot) auch Juden waren, aber es könnten welche gewesen sein. Die Lebensgeschichte von Farkas und Grünberg macht mich unendlich traurig, der Librettist Lehars, Fritz Löhner-Beda, große Teile Wiens,  wohl auch Strauß, der österreichischen Kultur waren jüdisch und ihr einziges Verbrechen war, Jude zu sein. Niemand, der die Geschichte dieser Menschen kennt, kann Antisemit sein. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Die Verzweiflung Zweigs im Exil; von Grünberg gibt es die Anekdote, das er meinte: “Wer sich keine Seife leisten kann, soll kein KZ führen”, als er im KZ keine Seife bekam. Man möchte ihn posthum in den Arm nehmen. Es ist eine ganz schreckliche Entwicklung und eine Tragödie, dass die Deutschen die größten Antisemiten der Welt zu Millionen nach Deutschland holen und dass an der Staatsoper in Wien vor einigen Jahren die Vernichtung Israels über Lautsprecher gefordert werden konnte (Ein Video wurde in der Online-Krone veröffentlicht, das nach einem Tag wieder verschwunden ist). Ich weiß nicht, was man da tun kann.

Peer Munk / 10.07.2022

Eine Frage am Rande: Warum war eigentlich Herr Melnyk mit seinen für meinen Begriff doch antisemitismus-verdächtigen (oder leugnenden) Äußerungen bezüglich Bandera nie Thema bei Ihnen? Oder habe ich da etwas übersehen? Dann bitte ich um Entschuldigung.

Ralf Pöhling / 10.07.2022

Ich habe da so eine Idee, Herr Broder. Ich meine, über 2000 Jahre Judenhass sind genug. Es reicht. Ich habe die Juden als intelligente, freundliche und hilfsbereite Menschen kennengelernt. Dieses andauernde Verteufeln des Judentums muss ein Ende haben. Wir brauchen endlich Normalität. Das muss vollkommen egal sein, ob jemand Jude ist oder nicht. In der Praxis spielt es eh keine Rolle. Es ist schlichtweg egal. Also was soll das alles? Warum ist das nach über 2000 Jahren immer noch ein Thema? Der Wunsch reift in mir, jedem, der mir beim Thema Judentum oder Israel sofort die alten antisemitischen Horrormärchen um die Ohren haut, direkt zu sagen: “Halt einfach dein Maul, ich kann es nicht mehr hören”.

Steffen Raschack / 10.07.2022

Sehr geehrter Herr Broder!  “....Frau Ataman allein wird es nicht schaffen!” zeigt mir ganz besonders , dass nicht allein Kishon ein Beispiel für jüdischen Humor ist, sondern, dass Humor in seiner ganzen Bandbreite, vom Wortwitz bis zur ätzenden Satire offensichtlich eine rein jüdische Eigenschaft ist, Wenn Sie tatsächlich Jude sind und nicht nur “Alter weißer Mann”! wie ich, der darüber wirklich seit einer Stunde lacht!...einfach Volltreffer

Charles Brûler / 10.07.2022

Was ist das denn für ein hirnrissiger Satz („Ich habe überhaupt kein Problem mit Juden“)? Unter Juden und Nepalesen gibt es genau so bescheuerte Arschlöcher, wie unter Warmduschern und Limbotänzern

Hans-Peter Dollhopf / 10.07.2022

Herr Broder, die Äußerungen Lars Wienands über Sie und Benny Weinthal sind ja zu veröffentlichende Meinung aus dem Politbetrieb, hier vertreten durch Michael Blume. Wienand ist nur das Medium, das hier verkündet, was Blume von Ihnen hält. Er ist sozusagen ein Mitläufer. Der Antisemit aus eigenem Antrieb ist und bleibt hier aber Blume selbst. Offensichtlich will Mitläufern wie Wienand ebenso wenig wie den Stuttgarter Funktionsjuden, die die Nestwärme in Kretsches Arsch genießen dürfen, auffallen, welchen Krampf Blume als Kampf gegen Antisemitismus inszeniert, etwa den Blödsinn, Klimawandel zu bekämpfen als Beitrag gegen Judenhass. So was dürfen Sie doch nicht als Mogelpackung dieser Fehlbesetzung auf dem Beauftragten-Posten kritisieren -  und auch sonst nichts, womit der Typ sich im Amt die Eier schaukelt! Obwohl. Sie reizen ihn mit Ihrer Kritik geradezu, sich als Antisemit selbst zu entlarven, von daher: good job, man ;)

giesemann gerhard / 10.07.2022

... und der Liebe und der Zucht, 2.Timotheus (ein Freund von Paulus) 1, Vers 7. Gucksdu “Jahreslosungen” im ww-net, dort 1933, 1949 und 1984. Halleluja.

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