Von Ulrich Morgenstern
Seit den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg hat unübersehbar ein kritischer Diskurs zum linken Radikalismus eingesetzt. Zum Verständnis dieser durch Fundamentalopposition zum demokratischen Verfassungsstaat und in ihrer extremistischen Ausprägung durch Bereitschaft zur Gewalt gekennzeichneten Strömungen können auch Untersuchungen zu ihrem Umgang mit Musik beitragen.
Gleichwohl liegen bislang weit weniger Studien vor als zur rechtsextremistischen Musik. Dies ist erstaunlich angesichts der ungefähr gleichen Gewaltintensität in beiden Lagern. Die vorhandene kulturwissenschaftliche Literatur zur Musikpolitik der Linken leidet häufig an einer distanzlosen Haltung und an der Unkenntnis der fundamentalen Arbeiten zur politischen Musik von Vladimir Karbusicky, Wolfgang Suppan und Helmut Brenner. Die Politologie, zumal die Extremismusforschung, ist erst kürzlich auf Texte und Wirkung linksextremer Musik aufmerksam geworden.
Liedtexte werden seit Jahrtausenden als effektives Mittel der Publizistik eingesetzt. Die Idee, eine politische Positionierung mit einem Musikstil zu verbinden, ist dagegen relativ neu. Die Kommunistischen Partei der USA musste mit ihrem Versuch, durch ländliche Banjoklänge das städtische Proletariat zu agitieren, kläglich scheitern. Dafür verdanken wir ihr ein international wirksames Stilfeld, das nicht zuletzt das Idiom der linksalternativen Folkbewegung der 1970er Jahre geprägt hat.
In radikaleren Milieus jener Zeit hörte man dagegen mehr die parteitreuen Liedermacher wie Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp und (zeitweise) Hannes Wader sowie Wolf Biermann oder die österreichische Linksrock-Band Die Schmetterlinge. Bei all diesen ist die Verherrlichung von Gewalt sublimiert, sei es historisierend oder exotisierend. Weiter geht dagegen die feministische Folkgruppe Schneewittchen, die bereits die Waffen der Gegenwart besingt: „Komm reiß auch du ein paar Steine aus dem Sand“ (Unter dem Pflaster liegt der Strand , Text und Musik von Angi Domdey)
Von einer höheren Extremismusintensität zeugen die Hassparolen der ursprünglich im Umfeld des Linksterrorismus angesiedelten Ton Steine Scherben, deren Titel heute auch bei rechtsextremistischen Veranstaltungen ab- oder nachgespielt werden. Manche organisierten Maoisten durften ausschließlich neuchinesische Opern oder kommunistische Kampflieder der Weimarer Zeit hören. Das Eislersche Bürgerkriegsrepertoire wurde generell in zahlreichen Universitätsstädten von linken Blasmusikgruppen gepflegt – was freilich ohne eine solide bürgerliche Musikerziehung der Protagonisten nicht funktioniert hätte.
Scheibenklirren als „Bekanntmachungsschall“
Zu den erhebendsten Klangerlebnissen aktiver Linksextremisten gehören damals wie heute scharf akzentuierte Sprechchöre, als paramusikalisches, rituelles Attribut politischer Demonstrationen, wie auch das effektvolle Klirren von Schaufensterscheiben. Das auf den Zerstörungsakt regelmäßig folgende Triumphgeheul signalisiert, dass hier kein Unfall geschehen oder heimliche Sabotage verübt worden ist, sondern ein öffentliches Ritual stattfindet. Es ist also „Bekanntmachungsschall“ (Wolfgang Suppan).
Musikalische Manifestationen von Rechts- und Linksextremismus gebrauchen akustische Indices der Zerstörung, durch entsprechende Handhabung von Schlagzeug und E-Gitarre, sowie durch eine hassverzerrte Stimmgebung. Beides wird besonders im Punkrock kultiviert. Dessen Allianz mit der Linken war dabei keine rein musikalische. In zahlreichen besetzten Häusern der 1980er Jahre stellten die Punkrocker den inoffiziellen Ordnungsdienst, zuständig für die Abwehr von Drogendealern und selbst für die Einhaltung der Nachtruhe – wie dies der Verfasser dieser Zeilen erfahren musste, als ihm am Eingang des Freiburger Schwarzwaldhofs ein prominenter Vertreter der örtlichen Punkszene (kaum später als 22.00 Uhr!) nachdrücklich anhielt, das Singen und Gitarrespielen in kleinstem Kreis bei bescheidener Lautstärke einzustellen.
Die narzisstisch zelebrierten Chiffren des Hasses sind es, die linksextreme Rockmusik deutlich von den älteren Gattungen des chorischen Kampfliedes und des Sprechchores unterscheiden, welche auf klare Artikulation der Textbotschaft setzen. Durch seinen aggressiven Habitus wird der Punk in Deutschland zuweilen als (imaginiert) proletarischer Gegenentwurf zum sanften Männlichkeitsideal der Folkbewegung gedeutet. In ähnlich plausibler Weise hat kürzlich der kanadische Psychologe und Kulturkritiker Jordan Peterson das starke Interesse weißer Jugendlicher am Hip Hop erklärt als ”a necessary corrective to the insistance that the highest moral virtute for a modern man is harmlessness“ (Peterson, 2017).
Eine Feier des moralischen Narzissmus
Ein spezifisch linksextremes musikalisches Idiom ist gegenwärtig nicht erkennbar: „Erst durch die Texte wird die Musik zu linksextremistischer Musik“ (Ulrike Madest). Traditionell folgen diese Texte dem von Vladimir Karbusicky herausgearbeiteten Vier-Akte-Schema des Kampfliedes:
- Reduktion der Realität auf die suggerierte Kampfsituation, Konfliktbildung
- Meditation, Erkenntnis unserer Not und Schwäche, ethisch begründeter Gruppierungsappell
- Logische Begründung des Kampfes durch die Dramatisierung des Feindes, seiner Untaten; Imagination der Zusammenstöße
- Richtlinien, Zukunft, Erlösungsversprechung
Die Zielvorstellungen des heutigen Linksextremismus erschließen sich hierbei in den Liedtexten kaum. Von ihrer extremen Verschwommenheit zeugen schon die verzweifelten Bemühungen von Journalisten, aus dem Milieu der Autonomen irgendwelche Auskünfte zu gewinnen, die über Plattitüten wie „andere Gesellschaft“ oder „gerechte Welt“ hinausgingen. Erkennbar ist dagegen die Einbildung einer höheren ideellen Mission. Peter Schneider hat den „von einer Idee getriebene[n] Verbrecher“ treffend charakterisiert: „Die einzige Befriedigung, die er bei seinen Taten erfährt, ist die Feier seines selbst erfundenen politischen Auftrags und seines moralischen Narzissmus“ .
So dient linksextreme Musik in erster Linie der moralischen Suggestion, der gefühlsmäßigen Selbstbestätigung in einer wirren Gedankenwelt. In einem öffentlichen Umfeld, in dem zunehmend bis in die Parlamente hinein die zur Schau gestellte Emotion das politische Argument ersetzt, kann dies durchaus verfangen. Eine kritischere und systematischere Beobachtung linksextremer Musik ist deshalb im Interesse der offenen Gesellschaft und der sie tragenden Verfassungsordnung bitter nötig.
Ulrich Morgenstern, Jahrgang 1964, ist Professor für Geschichte und Theorie der Volksmusik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.
Nachtrag des Autors und Textbeispiele
Wenn ich von sublimierter Gewaltverherrlichung spreche, nenne ich Namen von durchaus widersprüchlichen Interpreten, die keineswegs durchgängig dem Genre der „Hassmusik“ (Ulrike Madest) zuzuordnen sind. Ich erlaube mir dennoch einige Textbelege zur Begründung meiner These anzuführen. Dies scheint mir schon deswegen nötig, da zahlreiche Texte und Videos heute auf extremistischen Plattformen kursieren und von den genannten Musikern lediglich Wolf Biermann durch eine kritische Reflexion seiner frühen Positionen in Erscheinung getreten ist – wobei seine Rechtfertigung des Krieges und Ästhetisierung der Gewalt schon von vornherein eine innere Zerrissenheit erkennen lässt.
Franz Josef Degenhardt / Degenhardt Live (1969)
„Rat an einem jungen Sozialisten“
Aber wenn du mich fragst, Junge, soll ich gehen in die Armee?
Kann ich dir nur raten, Junge, wenn du stark genug bist, geh.
Stark genug sein, das ist wichtig. Unterschätz die andern nie,
Denn die waschen die Gehirne. Das Geschäft verstehen sie.
Lern mit ihren Waffen kämpfen, wir gebrauchen sie einmal.
Dieter Süverkrüp /Ça ira – Lieder der französischen Revolution 1. Gesungen von Dieter Süverkrüp (1973)
Ah das geht ran
Ah, das geht ran, das geht ran, das geht ran.
Die Aristokraten an die Laterne
Hannes Wader /Hannes Wader singt Arbeiterlieder (1977)
Lied vom Knüppelchen
Doch es kommt noch der Tag, wenn der Bauer erwacht, reckt und streckt die gebundenen Glieder, und er schlägt seinen Feind, der ihn elend gemacht, mit dem Knüppel zu Boden darnieder.
Auch das von Wader weitestgehend unverändert gesungene wilhelminische (zeritweise kommunistische, zeitweise nationalsozialistische) Kriegslied "Auf, auf zum Kampf" ist hier zu nennen. Die hippieske Rumpelgitarre im Kombination mit dem Klatschen der indoktrinierten Menge erzeugt eine unfreiwillige Komik.
Wolf Biermann / Mit Marx- und Engelszungen(1981)
Genossen, wer von uns wäre nicht gegen den Krieg (alle Strophen)
Die Schmetterlinge (Proletenpassion 1977)
Kampflied der Bauern (2. Die Bauernkriege)
Tausend Haufen sind wir jetzt und schleifen unsre Sensen,
Schmieden sie zu Spießen um, die in der Sonne glänzen,
Tragen sie zum Bischofssitz und zum Herrenhaus,
Dort bricht der Abend heute an und das Zittern aus.
Marianne (3. Die Revolution der Bürger)
Frauen, packt die Pflastersteine
Macht den fetten Ärschen Beine
Haut sie und gebt kein Pardon!
Lied der Fragen (4. Die Pariser Kommune 1871)
Warum sind wir nicht nach Versailles marschiert
Damals am 18. März?
Den Feind entließen wir ungeniert
Und trafen nicht sein Herz.
Warum ließen wir die Heuchler frei
Und keiner schoß ihnen nach?
Literatur zum Thema:
Karbusicky, Vladimir: Ideologie im Lied. Lied Ideologie. Kulturanthropologische Strukturanalysen (Musikalische Volkskunde, Bd. II), Köln 1973.
Madest, Ulrike: Linksextremistische Musik, in: Gerhard Hirscher (Hrsg.): Linksextremismus in Deutschland. Bestandsaufnahme und Perspektiven (= Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen. 95). Hanns-Seidel-Stiftung, Akademie für Politik und Zeitgeschehen, München 2014, S. 35–42.
Morgenstern Ulrich: Ritual – Epos – Tanz. Die deutsche Anti-AKW-Bewegung aus ethnomusikologischer Sicht, in: Lied und populäre Kultur (Song and Popular Culture), 54. Jahrgang, 2009, S. 273–310.
Der Autor zur Entstehung dieses Textes:
Vor einiger Zeit erbat die Redaktion des Musikforums, der Quartalszeitschrift des Deutschen Musikrates, von mir einen Beitrag zum Thema „Musik linker Protestbewegungen. Was hört der Schwarze Block?“. Ich willigte ein, unter der Voraussetzung, den Titel leicht abzuändern. Im November 2017 ließ mich die Redaktion wissen, dass mein Text „ein sehr interessantes und lesenswertes Themenfeld beleuchtet“, man sich jedoch nicht in der Lage sehe, ihn zu veröffentlichen: „Die im Musikforum veröffentlichten Beiträge haben einen formal und inhaltlich abweichenden Ansatz, der sehr stark auf die Zielgruppe des Musikforums ausgerichtet ist.“ Ich habe es mir erspart, mir Zielgruppe und „abweichenden Ansatz“ näher erklären zu lassen und freue mich, den Text auf der Achse des Guten zu publizieren.