Thomas Maul, Gastautor / 11.02.2020 / 12:00 / Foto: David Shankbone / 35 / Seite ausdrucken

Weinstein vor Gericht – Analyse zur Halbzeit

Am 6. Januar 2020 begann in New York der Strafprozess wegen (schwerer) Sexualverbrechen gegen den im Zeichen der MeToo-Kampagne seit Oktober 2017 bereits weltweit massenmedial vorverurteilten Filmproduzenten Harvey Weinstein, der sich in erster Linie fünf Anklagepunkten auf Basis der Aussagen von zwei (Haupt-)Zeuginnen gegenübersieht. 

Am 18. März 2013 soll Weinstein die Hairstylistin und damals angehende Schauspielerin Jessica Mann in einem Hotelzimmer in Manhattan vergewaltigt haben (darauf beziehen sich die Anklagepunkte: „first-degree-rape“, „third-degree-rape“ und „one count of predatory sexual assault“); am 10. Juli 2006 habe er der freien Produktionsassistentin Mimi Haleyi in seinem Soho-Apartment Cunnilingus aufgezwungen („criminal sex act“ und „one count of predatory sexual assault“). 

In zweiter Linie sollen ihm – erst bei Schuldspruch im Sinne der Anklage! – die Aussagen von vier weiteren mutmaßlichen Opfern, deren Fälle allerdings juristisch ungeklärt (teilweise auch verjährt) sind und an sich selbst nicht zur Verhandlung stehen, durch Glaubwürdigkeit ein „Muster“ (pattern) räuberischer sexueller Übergriffe, also den „Plan“ nachweisen, junge in Hollywood Beschäftigung suchende Frauen (seriell) sexuell zu attackieren oder auszunutzen („and that he used his power in the movie industry to prey on and manipulate young women who hoped to further their careers“, CNN, 04.02.2020), um so eine Erhöhung des Strafmaßes zu erwirken, auf dass Weinstein für insgesamt 25 (oder mehr) Jahre ins Gefängnis gehe.

Inzwischen – rund fünf Wochen nach Prozessbeginn – ist die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beweisführung durch. Zeit für eine Zwischenbilanz. Die Karten sind auf den Tisch gelegt, restlos alles wurde präsentiert, was die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten auf der Hand zu haben meinte – und das ist noch weniger, als man seit Herbst 2018 erahnen konnte, und das war damals schon: nichts. 

Von der sich abzeichnenden Blamage – dem, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, Freispruch Weinsteins – liest man in deutschen Mainstreammedien indes so wenig wie davon, dass es eine Blamage mit Ansage gewesen sein wird. Als die MeToo-Kampagne unterstützende PR-Agenturen haben sich die Gesinnungsblätter auf nichts weiter als Einfühlung in die tränenreichen Auftritte selbsterklärter Opfer verlegt, statt zu berichten, was sich vor Gericht tatsächlich zuträgt. In ihrer Funktion, nämlich zur Klärung von Sachverhalten beizutragen, scheinen etwa Kreuzverhöre nicht mehr zu existieren. Allein als Aufhänger für abstraktes Lamentieren übers sogenannte Victim Blaming sind sie hierzulande offenbar noch von öffentlichem Interesse. Das Realitätsprinzip könnte die Journaille also zeitnah eiskalt erwischen.

Eine Blamage mit Ansage

Aber der Reihe nach. Opferzeugen, die von ihren ersten Vernehmungen an über Verlautbarungen bei Pressekonferenzen zu ihren Aussagen vor der Grand Jury und dann im Prozess voneinander abweichende Versionen ihrer Geschichten präsentieren, von denen jede für sich eklatante Unstimmigkeiten enthält, die gravierende Erinnerungslücken bezüglich relevanter Tatabläufe und/oder Tatumstände aufweisen, und die während sowie nach der Tat ein nicht-nachvollziehbares Verhalten gegenüber dem Bezichtigten an den Tag legten, sind selbst dann für jede Staatsanwaltschaft ein Albtraum, wenn zusätzlich zu den Zeugnissen mutmaßlicher Opfer weitere Tatzeugen oder andere Beweise und Indizien vorgelegt werden können (wie beispielsweise ein Hotelpage, der den aufgelösten Zustand des Opfers bei Verlassen des Hotelzimmers beschreibt oder gar Schreie gehört hat, oder in einem Krankenhaus dokumentierte Verletzungen wie fremdzugefügte Druckstellen an den Handgelenken etc.).

Basiert die Anklage jedoch einzig und allein auf den Aussagen angeblicher Opfer zu Jahre zurückliegenden Vorfällen und bestreitet der Angeklagte die Tat, dann müssen die Zeugen der Anklage ganz besonders glaubwürdig sein, um in reinen Aussage-gegen-Aussage-Prozessen jeden begründbaren Zweifel an der Schuld des Angeklagten auszuräumen und seine Verurteilung zu erwirken. Exzessives Schluchzen und ein rausgepresstes Tränenmeer allein reichen da – normalerweise – bei Weitem nicht aus.

Insofern stand die im Mai 2018 erhobene New Yorker Anklage gegen den Filmproduzenten von Anfang an auf wackligen Füßen. Gemessen an 80 bis 100 sich in bodenloser Leid-Anmaßung selbst als „Weinstein-Überlebende“ titulierender Hollywood-Heulsusen haben die im Herbst 2017 gegen Weinstein eingeleiteten New Yorker Ermittlungen gerade mal, aber anfangs: immerhin, ganze drei Frauen auftreiben können, deren angezeigte Taten inhaltlich überhaupt Sexualverbrechen bezeichnen, sich zudem in New York und innerhalb der juristischen Verjährungsfrist ereigneten, und die gewillt waren, an einem Strafprozess teilzunehmen, statt sich der vorher eingeleiteten Zivilklage gegen Weinstein anzuschließen, bei der man mittels Vergleich wenigstens Geld abgreifen kann, ohne sich dafür einer peinlichen, auf die eigene Glaubwürdigkeit zielenden Befragung unterziehen zu müssen.

Ursprüngliche Anklage verliert Zeugin (2018)

Schon im Oktober 2018 musste die Staatsanwaltschaft eine dieser drei Opfer-Zeuginnen – die Schauspielerin Lucia Evans – und mit ihr auch einen von ursprünglich sechs Anklagepunkten wieder fallen lassen. Die Vorwürfe von Evans, Weinstein habe sie im Jahr 2004 zu Oralsex an ihm gezwungen, hatten den Prüfungen der Grand Jury nicht standhalten können. Das „Weinstein-Opfer“ erzählte ihrem Ehemann und einer Freundin, dass der Blowjob einvernehmlich war, um eine Filmrolle zu ergattern. Zudem hatte der leitende Ermittler diese Freundin im Sinne der Anklage zu beeinflussen versucht, indem er ihr nahelegte, nicht entsprechend auszusagen.

Um die Glaubwürdigkeit der beiden verbliebenen Opfer-Zeuginnen und die allein auf ihren Aussagen ruhenden fünf Anklagepunkte schien es nicht wesentlich besser bestellt zu sein. Zumindest behauptete Weinsteins Verteidigung, eine Fülle von Material zu besitzen, welches belege, dass beide Zeuginnen nach den angeblichen Taten erstens noch einvernehmlich mit Weinstein schliefen und zweitens über mehrere Jahre eine geschäftlich-freundschaftliche (Haleyi) bzw. sexuell-amouröse (Mann) „Beziehung“ in Zuneigung mit ihm fortsetzten. Einige Textnachrichten evidenten Inhalts kursierten bereits in der Presse, wurden der Grand Jury jedoch auf richterlichen Beschluss hin – aus welchen Gründen auch immer – nicht (vollständig) vorgelegt, wie Weinsteins Verteidigung seinerzeit bemängelte. 

Schon im Oktober 2018 also konnte man den Eindruck gewinnen, dass auf Biegen und Brechen an einer schlecht vorbereiteten Anklage festgehalten, ein Sexualstrafprozess gegen Weinstein unbedingt geführt werden sollte, auch wenn abzusehen war, dass die Staatsanwaltschaft sich selbst ein Bein mit Zeuginnen stellte, die sie offenbar empathielos ins offene Messer zu schicken gewillt war.

Eine irrelevante Expertise

Jedenfalls stand diese Staatsanwaltschaft spätestens seit Herbst 2018 unter dem enormen Druck, sich bis Prozessbeginn irgendetwas einfallen zu lassen, mit dem sie das offenkundig – und von ihr selbst nie geleugnet – Defizitäre ihrer Zeuginnen würde kompensieren und so ihr Gesicht wenigstens halbwegs wahren können.

Bis zum Sommer 2019 ist ihr anscheinend nichts Besseres eingefallen, als – auch das ging vorab durch die Presse – ihren Zeuginnen eine Vergewaltigungs-Expertin der forensischen Psychiatrie zur Seite bzw. voranzustellen, die jedoch keine individuellen Gutachten zu den Psychen der „Opfer“ vorlegen, sondern lediglich eine „allgemeine Forschungsmeinung“ vertreten würde. Und das tat Barbara Ziv dann auch im Zeugenstand vor Gericht. Erwartungsgemäß gäbe es laut dieser Expertise tausend Möglichkeiten, eine Vergewaltigung zu verarbeiten, weshalb jedes Opfer ganz individuell (und dabei eben auch nicht immer rational) reagiere. Erinnerungslücken und Widersprüchliches in Erlebnisberichten könnten Folge eines erlittenen Traumas sein, und es sei durchaus üblich, dass Opfer ihren Peinigern noch lange Zeit zärtlich verbunden bleiben, u.a. um das Erlebte zu verdrängen, dem Bewusstsein fernzuhalten. 

Der unbestreitbare Wahrheitsgehalt der abstrakten „Erkenntnis“, dass man von Erinnerungslücken, inkonsistenten Berichten und irrationalen Verhaltensweisen mutmaßlicher Opfer nicht automatisch auf deren Täuschungsabsichten rückschließen kann, wurde von Weinstein-Gegnern wie ein Durchbruch gefeiert, obwohl das für den Prozess gegen Weinstein nahezu irrelevant ist. Denn so ließe sich allenfalls negativ zur Verteidigung der Verleumdung angeklagter mutmaßlicher Opfer argumentieren, worum es im laufenden Verfahren bekanntlich nicht geht. Ein positives Argument zur Bekräftigung der Glaubwürdigkeit von Zeuginnen bzw. der Schuld Weinsteins wird daraus in der Sache kategorisch nicht, weil dies hieße, von Widersprüchen automatisch auf Tatsächlichkeit, von Liebesbriefen automatisch auf eine vorangegangene Vergewaltigung zu schließen, was nicht nur niemand wollen kann, sondern jede Form der Wahrheitsfindung verunmöglichen würde. Dass es auch jenseits einigermaßen fester Verbindungen zwischen Tätern und Opfern (etwa Arbeits-, Verwandtschafts- und eheähnliche Verhältnisse, gemeinsame Kinder und/oder gemeinsames Wohnen) geradezu die Regel sein soll, dass Opfer lange Zeiträume über die Tat hinaus dem Täter die Stange halten, darf ohnehin bezweifelt werden.

Zulassung von „prior-bad-acts“-Zeugen (2019)

Im Sommer 2019 dann ist der Staatsanwaltschaft endlich ein – nur vermeintlicher, weil geradezu zweischneidiger – Coup geglückt, mit dem sie nämlich zugleich noch einmal zur Schau stellte, wie wenig Vertrauen in die Überzeugungskraft ihrer eigenen Zeuginnen sie selbst hegt: Richter Burke segnete eine erneute Nachjustierung der Anklage bzw. der geplanten Prozessführung ab, die für die Verteidigung derart gravierend war, dass der schon mehrmals verschobene und für September geplante Prozessbeginn nur wenige Wochen davor wieder verschoben werden musste: auf Anfang Januar 2020.

Durch die richterliche Zulassung sogenannter prior-bad-acts-Zeuginnen (die außerhalb der eigentlichen Anklage stehen und nur das Strafmaß beeinflussen dürfen) – von denen eine (Annabella Sciorra) allerdings, US-amerikanischen Medien zufolge, zugleich irgendwie innerhalb der Anklage als Versicherungszeugin (insurance witness) fungiert, „für den Fall, dass die Jury den beiden Frauen nicht glaubt, deren Vorwürfe die Grundlage der fünf gegen ihn erhobenen Anklagen sind“ (eu.usatoday.com) – wurde die Verfahrensanlage in dem Sinne zum Nachteil des Angeklagten verkompliziert, als die Geschworenen das Verhältnis von Haupt- und prior-bad-acts-Zeuginnen womöglich nicht richtig gewichten. 

Genau darauf setzt die Staatsanwaltschaft, indem sie den kategorialen Unterschied ihrer Bedeutung für die Anklage verwischt, den Eindruck ihrer Gleichrangigkeit erzeugt: erstens mit der Reihenfolge, in der sie ihre Zeuginnen aufruft – 1. „Versicherungszeugin“ (Sciorra), 2. Erste Hauptzeugin (Haleyi), 3. Zwei prior-bad-acts-Zeuginnen (Tarale Wulff und Dawn Dunning), 4. Zweite Hauptzeugin (Mann), 5. Dritte prior-bad-acts-Zeugin (Lauren Marie Young) – und zweitens dadurch, dass sie auch für die prior-bad-acts-Zeuginnen gegen den von Richter Burke zurückgewiesenen Protest der Verteidigung corroborating witnesses (z.B. Freundinnen, denen die mutmaßlichen Opfer seinerzeit vom angeblichen Übergriff gegen sie berichteten) einbestellt. 

Die Anklagevertretung mag darauf hoffen, mit vermeintlich glaubwürdigeren Aussagen zu nicht-verhandelten „früheren schlechten Taten“ die defizitären Momente der Berichte über die zu verhandelnden, angeklagten Taten wettzumachen. Formal-juristisch ist dies eigentlich unzulässig. Dem Angeklagten ist das konkret zur Last Gelegte nachzuweisen, und das kann nicht darüber geschehen, dass er (an und für sich unbewiesen) früher schon mal Ähnliches oder Gleiches getan haben soll. So haben Berufungsgerichte auch schon Verurteilungen kassiert, wenn sie zu dem Schluss gelangt sind, dass den prior-bad-acts-Zeugen im betreffenden Verfahren zu viel Gewicht beigemessen wurde. Was Weinsteins Verteidigung im Vorfeld und auch während des laufendenden Prozesses als Ablenkungsmanöver der Staatsanwaltschaft kritisierte – eine beabsichtigte Verlagerung der Aufmerksamkeit der Geschworenen von den anklagerelevanten Hauptzeuginnen auf sekundär relevante prior-bad-acts-Zeuginnen –, dürfte jedoch umso weniger verfangen haben, als auch Letztere im Zeugenstand kaum glaubwürdiger agierten.

„Schockstarre“

Dabei ist ein Moment der Glaubwürdigkeit auch von US-amerikanischen Medien nicht (geschweige denn systematisch) angegangen worden: inwiefern die Zeuginnen den jeweils angezeigten Tathergang in sich schlüssig erzählten und dabei die Anforderungen des jeweiligen Anklagepunktes erfüllten. Zwar sind die diesbezüglichen Informationen zu kryptisch für eine sachliche Beurteilung, sie seien aber notiert, insoweit sie in die hinreichend aufbereitete Frage hineinspielen, nicht wie, sondern ob die Attacken glaubhaft stattgefunden haben. Was die jeweilig behaupteten Tathergänge für sich betrifft, ließen die beiden Hauptzeuginnen – wie in weiten Teilen übrigens auch die prior-bad-acts-Zeuginnen – die sexuellen Angriffe Weinsteins im unmittelbaren Sinne in einer Art „Schockstarre“ über sich ergehen. Sie haben ihren eigenen Angaben nach weder um Hilfe gerufen, noch zu fliehen versucht; sie haben sich weder „aktiv“ gewehrt (Um-sich-treten, Um-sich-schlagen, Kratzen, Beißen etc.), noch „defensiven“ Widerstand der Art geleistet, als sie mittels Wegwinden des Körpers oder Anstrengen der Beinmuskulatur dem Spreizen ihrer Schenkel entgegengearbeitet, den Zugriff auf ihr Geschlecht auch nur irgendwie erschwert hätten. Fragt man, mit welchen vorangegangenen mittelbaren Tathandlungen Weinstein jeden Widerstand im Keim erstickt und die „Schockstarre“ ausgelöst habe, ist kaum von expliziter Gewalt oder deren Androhung die Rede, dagegen viel von einem Richtung-Schlafzimmer-bzw.-aufs-Bett-„gedrängt“-werden und noch mehr von Weinsteins diffus bleibender „Macht“ sowie dem ebenso bedrohlichen Anblick seines (schwergewichtigen und „ekelhaften“) Körpers – letzteres Motive, die eine widersprüchliche Rolle beim Versuch von Staatsanwaltschaft und Hauptzeuginnen einnehmen, plausibel zu machen, dass die Art der fortgesetzten „Beziehungen“ mit Weinstein nicht gegen, sondern geradezu für vorangegangene Sexualstraftaten spreche.

Haleyis Botschaft

Die erste aufgerufene Hauptzeugin war Mimi Haleyi. Die freie, zu keinem Zeitpunkt fest bei Weinsteins Firma angestellte, daher ökonomisch von Weinstein unabhängige, Produktionsassistentin hat den Produzenten im Juli 2006 auf einer Party in Los Angeles kennengelernt, und fing kurz darauf an, am Set von Weinsteins Project Runway zu arbeiten.

Zur Verhandlung steht ihre Behauptung, dass Weinstein am 10. Juli 2006 in seiner Loft-Wohnung in Soho gegen ihren Willen Oralsex an ihr vornahm, den er insofern erzwungen habe, als die Schockstarre, dank der sie den unmittelbaren Akt völlig wort- und widerstandslos über sich hat ergehen lassen, von seinen vorangegangenen Handlungen ausgelöst worden sein soll. So habe sie beispielsweise besonders beschämt und in der Folge apathisiert, wie Weinstein Hinweise auf ihre Periode und einen Tampon („um ihn zu stoppen“) ignorierte: „er sagte so etwas wie ‚Nun, wo ist es dann?‘, und er zog schließlich meinen Tampon heraus.“

Die besondere Herausforderung dieser Zeugin bestand für die Staatsanwaltschaft vor allem darin, dass Haleyi mit jeder Befragung neue Versionen präsentierte zum unmittelbar folgenden Treffen wie zur fortgesetzten Beziehung mit Weinstein insgesamt, also ihre Sicht der Nachgeschichte stetig modifizierte. Von ihrer Pressekonferenz im Oktober 2017 über Aussagen bei der Staatsanwaltschaft im Juni 2018 (nach Weinsteins Verhaftung im Mai) und vor der Grand Jury bis zu den Einlassungen im aktuellen Prozess war sie einerseits gezwungen, Stück für Stück immer mehr von dem einzuräumen, was Weinstein entlastet, und erweiterte andererseits ihre Aussage um bis dahin unerwähnte Details, die ihn belasten sollten.

Davon, dass sie sich mit Weinstein zwei Wochen nach dem angeblichen sexuellen Übergriff, am 26. Juli 2006, in einem Zimmer des Tribeca Grand Hotel traf, und dort einvernehmlich mit ihm geschlafen hatte, war in ihrer Pressekonferenz ebenso wenig die Rede wie vom danach noch jahrelang nicht nur im E-Mail-Verkehr mit Weinstein dokumentierten Kontakt. 

Auf diese Weglassungen im laufenden Prozess angesprochen, meint sie: „Es war nicht relevant für die Botschaft (!), die ich verbreiten wollte.“ Die Haltung, für ihre Botschaft nicht Relevantes zu streichen, gibt auch der Zustand des minuziös geführten Terminkalenders wieder, den sie der Polizei aushändigen musste: Ausradiert oder wild überkritzelt sind ausschließlich sämtliche Treffen mit Weinstein über die Jahre hinweg, allein der zur Verhandlung stehende Oralsex-Tag vom 10. Juli 2006 – mit einem P (für „Periode“) versehen – wurde nicht nachträglich „bearbeitet“. Befragt, warum die Tage mit Weinstein im Kalender mit Herzen ausgeschmückt waren, ob das ihre damalige emotionale Verfassung wiedergebe, räumt sie im Zeugenstand ein: „Vielleicht.“

Um den Widerspruch zu lösen, dass sie zwei Wochen nach dem angezeigten Übergriff einvernehmlichen Sex mit Weinstein hatte, behauptete sie während der Verhandlung erstmalig, dass dieser Geschlechtsverkehr doch nicht so ganz „einvernehmlich“ gewesen sei. Vielmehr wollte sie an diesem Tag keinen Sex mit Weinstein, aber er habe sie auf ein Bett geworfen und sich ihr aufgezwungen. Unter Schock hätte sie ganz still da gelegen, während er sie als „Bitch“ und „Whore“ beschimpfte, was sie als seinen fehlgeleiteten Versuch deutet, sie oder sich anzuturnen. Auf Nachfragen meint sie, dass sie die Beleidigungen deshalb nie zuvor zu Protokoll gab, weil sie ihr erst kürzlich wieder eingefallen seien. Warum sie den Staatsanwälten anfangs gesagt habe, sie glaube nicht, dass der zweite Vorfall – der auch nicht Teil der Anklage ist – als Vergewaltigung gelten würde? Weil sie „nicht körperlich Widerstand geleistet“ habe.

Sieht man davon ab, dass das Nichtleisten körperlichen Widerstandes die Staatsanwaltschaft bezüglich des aufgenötigten Oral-Sexes vom 10. Juli auch nicht von einer Anklage abhielt, bleiben die zentralen Ungereimtheiten auch dann bestehen, wenn man den Geschlechtsverkehr vom 26. Juli zur Vergewaltigung erklärt. Denn einerseits habe sie ja das zu verhandelnde Geschehen vom 10. Juli schon als schmerzhaften Angriff empfunden. Ihre damalige Mitbewohnerin meinte, als Haleyi ihr mit Schwerpunkt auf die Tamponentnahme davon berichtete: „Das klingt wie Vergewaltigung“, und riet ihr, zur Polizei zu gehen. Andererseits war nicht nur die Polizei „für mich keine Option“, da Haleyi, wie sie meinte, ihre Honorare für Project Runway an „den Büchern vorbei“ kassierte, das Geheimhalten eigener Verstöße gegens Arbeits- bzw. Visumsrecht also für wichtiger nahm als eine Anzeige des ihr angetanen Verbrechens; statt wenigstens den Kontakt zu Weinstein abzubrechen, sucht sie ihn zwei Wochen später im Tribeca auf, wo es dann zur nächsten (seit neuestem: auch erzwungenen) sexuellen Begegnung kommt. 

Abgreifen, was geht

Warum also fuhr sie überhaupt noch einmal zu einem „Vergewaltiger“? – „Ich hatte keinen Grund, das nicht zu tun“, antwortete sie und fügte hinzu, dass es „seltsam gewesen wäre, abzulehnen“, nachdem sie sein Angebot für eine kostenlose Reise nach L.A. mit einer Einladung zu einer Filmpremiere für Clerks 2 angenommen hatte. In dem Zusammenhang bestätigte sie auch mehrere private Flugreisen, die sie noch nach dem Juli 2006 – ohne Weinstein, aber auf seine Kosten – unternommen hatte, um Freunde zu sehen, was auf die allgemeine Unstimmigkeit einer fortgesetzten geschäftlich-freundschaftlichen Beziehung nach angeblichen Übergriffen (ob einem oder zwei) verweist. 

Und Haleyi räumte im Zeugenstand durchaus ein, dass sie Weinstein nach Juli 2006 aufgesucht hatte und ihm immer wieder schrieb, unter anderem, um sich nach möglichen Jobs für sie zu erkundigen und ihm eine Idee ihrer Freunde für eine TV-Show schmackhaft zu machen. In einem Memo an Weinsteins Assistenz gab sie die Idee als ihre eigene aus, und bat um Weiterleitung an Weinstein. „Weil, wenn es von dir kommen würde, dachtest du, er würde es mit größerer Wahrscheinlichkeit lesen?“ – „Wahrscheinlich ja“, sagte sie. Im September 2006 bedauerte sie in einer E-Mail ein verpasstes Treffen in London. Im Mai 2007 ersuchte sie Weinstein um berufliche Hilfe und dankte ihm etwas später in einer langen und liebevollen E-Mail dafür, wie sehr er sie immer unterstütze. Noch 2008 war es in einer mit „lots of love“ beendeten E-Mail „great to see“ Weinstein. Im Juni etwa schlug Haleyi erneut ein Treffen vor, schrieb in einer E-Mail, ob er sich an den schönen Abend damals im Tribeca Hotel erinnere, wo der inzwischen als Vergewaltigung charakterisierte zweite Sexualkontakt stattfand.

Da die Zeugin in der Sache also offensichtlich unglaubwürdig ist, bleibt der Staatsanwaltschaft nur noch übrig, darauf zu setzen, dass die Geschworenen mit Verweis auf die Expertise der Vergewaltigungsexpertin gerade diese Unglaubwürdigkeit als Indiz dafür nehmen, dass ein traumatisierendes Ereignis tatsächlich stattgefunden haben muss. Wie schon so viele Opfer vor Haleyi habe auch diese nur gute Miene zum bösen Spiel gemacht (“Put on the brave face”) und die Beziehung mit Weinstein im Grunde fortsetzen müssen, um das ihr von ihm zugefügte Leid aus dem Bewusstsein zu halten.  

Dämonisierung des Angeklagten

Damit niemandem auffällt, wie praktisch und glücklich diese vom Experten beinahe angeratene Art der Traumabewältigung (jeder, der meint, ein echtes Opfer würde seinem Peiniger aus dem Weg gehen, pflege Vergewaltigungsmythen) mit dem aktiven und kalkulierten Abgreifen von luxuriösen Flugreisen, Hotelaufenthalten, Festivalbesuchen und Karrieresprüngen harmoniert, und wie schnell die Erinnerung, oder das Wissen darüber, was eine Vergewaltigung sei, zurückkehrt, sobald es mit dem schönen Leben – aus welchen Gründen auch immer – vorbei ist und eine Jahre später einsetzende massenmediale Kampagne gegen den einstigen Gönner dem Rachedurst und/oder der Geltungssucht (wieder) eine Bühne bietet, ist immer von einer passiv-diffusen Angst um sich und/oder die Karriere, Angst vor der ominösen Macht Weinsteins (die über seine Fettleibigkeit und sein Körpergewicht hinausgeht) die Rede, den man – weil angeblich irgendwie abhängig von ihm – nie auch nur ansatzweise verärgern oder reizen bzw. kränken habe dürfen oder wollen, als hätte man ihn nicht jederzeit ganz aus dem eigenen Leben streichen können. Was die Washington Post über Jessica Manns Auftritt schreiben wird, dass sie viel von „Angst“ angesichts von „Bedrohungen“ spricht, ohne ein einziges Mal zu spezifizieren, worin die Bedrohungen konkret bestanden haben sollen, trifft auch auf Haleyi zu.

Kein Wunder: Dass nämlich Weinstein de facto überhaut gar keine Macht besaß bzw. ausüben konnte über Menschen, die die eigene Daseinsberechtigung für sich selbst nicht von einer Karriere oder einem Leben in Hollywood abhängig machen, will den „Weinstein-Opfern“ und ihren Supportern nicht in den Sinn kommen, zumal selbst innerhalb Hollywoods eine Karriere nicht notwendig über Weinstein laufen musste. Es gab und gibt viele andere Produzenten neben Weinstein, die ihm ihrerseits keineswegs devot untergeben waren. Aber zur für viele inzwischen selbstverständlich gewordenen Dämonisierung Weinsteins und seiner angeblichen Macht gehört nun einmal, seinen Einfluss für Hollywood zu totalisieren und sogar weit über Hollywood hinaus strahlen und wirken zu lassen – und zwar letztlich via E-Mails, deren manipulativen Sogs man sich anscheinend kategorisch nicht entziehen könne. Eine irrationale Verabschiedung des Realitätsprinzips, die ihren Höhepunkt allerdings erst noch an den Tagen der Zeugenaussage Jessica Manns erreichen sollte. 

„Star witness“: Jessica Mann

Mit der von den MeToo-Hysterikerinnen im Vorfeld zur „star witness against Harvey Weinstein“ gekürten zweiten Hauptzeugin erlebte die Staatsanwaltschaft nicht erst im Kreuzverhör ein totales Debakel, was auch Berichten US-amerikanischer Medien nur indirekt (weil nie entsprechend bewertet) zu entnehmen ist. 

Hauptaufgabe der Staatsanwaltschaft und der Zeugin war, halbwegs plausibel zu machen, a) dass es sich beim zur Verhandlung stehenden Geschlechtsverkehr mit Weinstein am 18. März 2013 um eine Vergewaltigung handelt, b) warum sie zwischen dieser und anderen angeblichen Vergewaltigungen und Übergriffen in New York und Los Angeles eingestandenermaßen immer wieder einvernehmlichen Sex mit Weinstein hatte, c) warum sie darüber hinaus bis mindestens Anfang 2017 eine affären-ähnliche Beziehung u.a. mit kurzen Sex-Dates in Hotels mit ihm führte und d) warum in keiner einzigen der davon zeugenden 400 (!) Textnachrichten zärtlichen Tonfalls zwischen ihr und Weinstein wenigstens andeutungsweise ein sexuelles Fehlverhalten Weinsteins zur Sprache kommt.

Abgesehen davon, dass die Zeugin – quasi entgegen der vorangegangenen Versicherung der Staatsanwaltschaft, sie würde derzeit keine Psychopharmaka einnehmen – auf solche Warum-Fragen auch mal – wie unter Drogen – mit wirren und unverständlichen Antworten reagierte und insgesamt – wie selbst die Süddeutsche feststellen musste – an den unmöglichsten Stellen besonders affektiert wirkte, waren die Worte, die sie nutzte, und die Bilder, die sie erzeugte, um ihre Beziehung zu Weinstein zu charakterisieren und seinen „deformierten Körper“ zu beschreiben, mehr als auffällig. Nicht nur agierte sie darin wie eine Klischee-Borderlinerin mit klinischen sexuellen Störungen; im Kontext der staatsanwaltschaftlichen Gesamtstrategie zur Plausibilisierung der Inkonsistenzen ihrer Berichte und ihres Verhaltens haben die Prozesstage um Manns Aussage ein antisemitisches – mindestens – Geschmäckle erhalten.

Weinsteins grotesker Körper

Vorausgeschickt sei, dass man einer Frau, die ihrem Ekel über den Körper ihres Vergewaltigers und (Rache-)Phantasien von dessen Entmannung wort- und bildreich Ausdruck verleiht, nicht allein deshalb und automatisch schon Antisemitismus unterstellen kann, weil der Vergewaltiger zufällig Jude ist und Imaginationen vom entmännlichten, deformierten, angsteinflößenden und hässlichen jüdischen Körper zum Standardrepertoire des (vor allem alten) Antisemitismus gehören.  

Im Unterschied zu anderen selbsternannten Weinstein-Opfern, die dessen Hässlichkeit, Fettleibigkeit und schweres Gewicht beklagten, legte Jessica Mann im Rahmen ihrer Strategie aber Zeugnis von einer bisher nicht dagewesenen obsessiven Beschäftigung mit Weinsteins „groteskem Körper“ und insbesondere Genital ab. 

Der erste Teil ihrer Strategie bestand nämlich – wie bei Haleyi – in der Behauptung, dass eigentlich auch der einvernehmlich mit Weinstein praktizierte Sex nie wirklich von ihr gewollt war, aber irgendwie zu einer „Beziehung“ dazu gehörte, die sie – wie sie zugibt – bewusst und freiwillig führte, obwohl sie mit permanenten (nicht nur) sexuellen „Erniedrigungen“ vom entsprechenden Dirty Talk (u.a. angeblich: „Gefällt dir mein großer dicker jüdischer Schwanz?”) bis Anpinkeln einherging. 

Im Grunde verwischte sie den Unterschied zwischen den angeblichen Vergewaltigungen und Übergriffen – die sie entweder aus irgendwelchen Gründen in Schockstarre, also ohne Gegenwehr, über sich ergehen ließ oder durchs Vortäuschen von Orgasmen aktiv zu einem schnelleren Ende bringen wollte und anschließend mit Lobeshymen auf Weinsteins Liebhaber-Qualitäten legitimierte – und dem einvernehmlichen Sex mit ihm. 

Jedenfalls habe sie Weinsteins Körper immer und schon von Anfang an abgestoßen, mal überwog einfacher Ekel, mal Mitgefühl, entsprechend habe sie sich seine Wut aus seiner „körperlichen Schande“ erklärt und nicht immer nur aus Angst, sondern auch aus Mitleid mit ihm geschlafen. 

Die Staatsanwaltschaft fordert Details zu Weinsteins „groteskem“ Körper – und Jessica Mann liefert: Weinstein habe „extreme Narben“, er habe keine Hoden, es sähe so aus, als hätte er auch eine Vagina, seine Hygiene sei sehr schlecht. „Er roch nach s ---. Entschuldigen Sie mich bitte. Wie Kacke. Und er war nur dreckig.“ Ein paar Tage später wird die letzte prior-bad-acts-Zeugin, Lauren Marie Young, Ähnliches behaupten: Sie lässt sich über Weinsteins Körperbehaarung aus, seine Muttermale und spricht von einem „ekelhaften“ Penis. Sie hat „keine Eier im Sack erkennen können“ und die Vernarbung seines Geschlechts sei auch für Zirkumzisionen „unnormal“.

Merkwürdigerweise wird das Gericht es später zulassen, dass die Staatsanwaltschaft den Geschworenen von ihrem Fotografen im Vorfeld der Verhandlung erstellte Nacktbilder des Angeklagten zur Begutachtung vorlegt. Bisher war es jedenfalls nicht üblich, die ästhetische Qualität der entblößten Körper mutmaßlicher Opfer oder Täter einzuschätzen, um einem Urteil darüber näher zu kommen, ob eine Sexualhandlung freiwillig oder erzwungen zustande kam. Im Fall Weinstein sollen die Geschworenen offenbar den Ekel der mutmaßlichen Opfer nachempfinden und zur Auffassung gelangen, dass dieser Körper in den Genuss von Sexualität nur dann kommen kann, wenn er den unterstellten natürlichen Widerwillen Anderer gewaltsam bricht oder mittels magischer Hexerei in eine (Pseudo-) Einwilligung verwandelt.

In diesem Sinne tritt auch eine wenigstens behauptete Gewalttätigkeit Weinsteins in den Schilderungen Jessica Manns hinter ein Ausmalen des Grotesken zurück. Ein von ihr als „Vergewaltigung“ bezeichneter Geschlechtsakt lief so ab, dass Weinstein sie irgendwie dazu brachte, nackt auf dem Bett zu liegen und darauf zu warten, dass er – ebenfalls nackt – aus dem Bad zurückkomme, in das er sich für mehrere Minuten eingeschlossen hatte, um dann über sie zu steigen und in sie einzudringen. Daran interessierte sie keine nähere Ausführung zum von Weinstein dabei angeblich ausgeübten Zwang – was ihr im Zeugenstand schier den Atem raubte, ist, dass der Geschlechtsverkehr ohne Kondom stattfand, und vor allem, was Weinstein, wie sie später herausgefunden haben will, während seines Aufenthalts im Bad Unheimliches getrieben habe: Weinstein injizierte sich ein Medikament gegen erektile Dysfunktion in den Penis.

Weinsteins sinistre Macht

Nun kann Weinsteins hässlicher, grotesker und monströser Körper vielleicht erklären, warum sie ihn eigentlich sexuell nie gewollt habe und warum sie zwischen den angeblichen sexuellen Übergriffen im Jahr 2013 und nach diesen bis 2017 einvernehmlichen Geschlechtsverkehr innerhalb einer „Beziehung“ mit ihm hatte, weil das wohl in einer „Beziehung“ der permanenten sadistischen Erniedrigung auch keinen Unterschied mehr machte. Allerdings wird dadurch der liebevolle Ton hunderter Textnachrichten und das freiwillige Eingehen und jahrelange Festhalten an eben einer solchen „Beziehung“ ja nur umso erklärungsbedürftiger. 

Der zweite Teil der staatsanwaltschaftlichen Strategie lautet daher: Angst vor Weinstein(s Macht), und zwar sowohl Angst um die Karriere als auch Angst um sich selbst. Meistens hält Jessica Mann sich dran. Sie habe ihm liebevolle E-Mails geschrieben, damit er sie für naiv halte und in ihr keine Bedrohung wittere. Manchmal weicht sie davon ab. Sie habe nun einmal angefangen, mit Weinstein Sex zu haben, dann müsse sie auch dabei bleiben. Oder: Sie habe jetzt Weinstein und Sex mit Fremden sei nichts für sie. In jedem Fall war sie anfangs glücklich, Weinstein getroffen zu haben („ich hatte jetzt einen Hollywood-Mogul“), der ihr bei ihrer Karriere behilflich sein sollte, sei dann aber irgendwie in eine Beziehung der Gewalt und Erniedrigung geraten, und aus dieser aus Angst (und wegen: „vieler Ebenen“ bzw. einer „komplexen Dynamik“) nicht mehr herausgekommen.

Um alles, was evident gegen die Zeugin und für Weinstein spricht – jeden Selbstwiderspruch Manns und jedes schwachsinnige Detail ihrer Aussage – gegen Weinstein zu wenden, hat die Staatsanwaltschaft eine Legende gestrickt, die sie vor der Aussage ihrer Zeugin unterbreitete und in deren Sinne sie die Zeugin immer wieder mit entsprechenden Nachfragen zu lenken versuchte. Demnach kam da ein „naives“ 25-jähriges (!) Mädchen, das auf einer Milchfarm streng religiös (evangelisch) erzogen wurde, vom Lande nach Hollywood, um Karriere zu machen, und geriet dann – inzwischen 27-jährig – in die Fänge des über 60-jährigen Weinstein, das heißt, in eine sexuelle Beziehung auch seelischer Abhängigkeit, in deren Verlauf sie „innerlich gestorben“ sei, was wohl bedeuten soll: willenlos und unzurechnungsfähig wurde. 

Ein Magier in Aktion

Mindestens fünfmal wechselte Mann zwischen 2013 und 2017 ihre Telefonnummer, und jedes Mal gab sie Weinstein die neue durch, um schneller erreichbar zu sein. Am 26. Juli 2014 – etwas über ein Jahr nach der verhandelten Vergewaltigung – schlägt sie per E-Mail vor, dass Weinstein ihre Mutter kennenlernen solle. Ihr Einstieg geht so: „Hi... Just had you cross my mind thought I’d say hello.“ Weinstein antwortet: „Love to cross your mind, it’s my favorite exercise.“ Dann kommt sie auf ihre Mutter zu sprechen: „She would love to meet you plus you can see how good my genes are.“ In einer der letzten Kommunikationen vom 8. Februar 2017 fragt Weinstein: „hotel at five?“ – und sie antwortet eine viertel Stunde später: „I have an appointment then to see a room to rent. Ive got to make my housing a priority this week. I love you, always do. But I hate feeling like a booty call. :)“

Da Weinstein de facto und evident mittels vereinzelter Besuche Manns in Hotelzimmern zu Schäferstündchen physisch und auch durch E-Mailkontakt mitnichten eine totale Kontrolle über ihren Raum und ihre Zeit (ihren Alltag) ausüben konnte, „soll man ihn sich wohl – auch wenn die Staatsanwältin diese Worte so nicht benutzt – als finsteren Puppenspieler vorstellen, von dessen Strippenzieherei sich die Puppe Jessica Mann willenlos bewegen ließ.“ So interpretierte ich in einem Blog-Beitrag am 1. Februar die Argumente der Anklage vom Vortag. In ihren eigenen Worten wählte Mann bei der Fortsetzung des Kreuzverhörs am 3. Februar einen ganz ähnlichen Vergleich: „Mann beschrieb ihre Dynamik mit dem Film-Mogul als eine, bei der sie gezwungen war, zu ‚gehorchen‘ und zu ‚springen‘. Sie sagte, es fühlte sich an, als würde Weinstein einen ‚Köder ziehen und wechseln‘.“ (dailymail.co.uk/)

Ein Hauch von Antisemitismus

Nur als übermächtiger Manipulator konnte Weinstein sie ohne Gewalt und ohne ihr Zutun in einer Abhängigkeit halten, die objektiv nicht bestand. Sie wohnten nicht zusammen, hatten keine gemeinsamen Kinder; außer ihren gelegentlichen Sex-Treffen gab es kein Band, das beide zusammenzwang, nichts, was er so hätte gegen sie einsetzen können, wie es gewalttätige Ehemänner gegen Frauen und Kinder bisweilen tun. Weinstein muss Mann also mittels magischer und betörender Worte in Textnachrichten geradezu verhext haben, andernfalls hätte sie genug Zeit und Raum jenseits seiner physischen Präsenz gehabt, um Distanz zu ihm aufzubauen und sich von Freunden und/oder Familie den Rücken wenigstens für einen Kontaktabbruch stärken zu lassen. 

Um das Täter-Opfer-Verhältnis mit dieser Zeugin aufrechtzuerhalten, muss man Weinstein extrem dämonisieren. Und darauf liefen die Verhandlungstage mit Jessica Mann hinaus; die Staatsanwaltschaft und ihre schwachsinnige Zeugin dämonisierten den Körper und die Macht Weinsteins, hier riefen sie (bewusst oder unbewusst) antijudaistische Bilder vom schwächlich-weiblichen und verstümmelten, aber dennoch bedrohlichen Judenkörper auf, da knüpften sie (bewusst oder unbewusst) gleichzeitig an antisemitische Verschwörungstheorien von der All- und Übermacht reicher Juden an und projizierten dies Diabolische (schwächliche Stärke) auf einen Hollywood-Produzenten, der (dann vielleicht doch nicht ganz so zufällig auch) Jude ist.

Es ist nicht Aufgabe der Verteidigung, die mit ihrer Beweisführung vergangenen Donnerstag (06.02.) begonnen hat, Weinsteins Unschuld oder eine Täuschungsabsicht der Hauptzeuginnen zu belegen, sondern lediglich, begründeten Zweifel an den Versionen der mutmaßlichen Opfer zu formulieren. Dazu bieten diese mehr als genug Angriffsfläche. Solange das Rechtsprinzip: „Im Zweifel für den Angeklagten“ noch gilt, ist nichts anderes denkbar als ein Freispruch in allen fünf Anklagepunkten, womit die Aussagen der prior-bad-acts-Zeuginnen ohne Belang wären. In Zeiten von Selbstviktimisierung und des Gesinnungsimperativs „Believe all victims“ kann allerdings auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Geschworenen einen Hexer hinter Gittern sehen wollen…

Quellen: Der Autor hat zu jedem Prozesstag die ausführlichen Berichte von 3–4 US-amerikanischen Medien konsultiert und jeweils miteinander abgeglichen. Mitunter sind auch Artikel von Sarah Pines aus der NZZ in die Darstellung eingeflossen.

 

Zum „Fall Weinstein“ erschienen vom Autor auf Achgut.com bereits folgende Artikel:

Weinstein: Ein Monster am Pranger 

„Akte Weinstein“ (1): Die Verdrängung der Prostitution

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Sabine Schönfelder / 11.02.2020

Es ist insgesamt eine politisch motivierte, konzertierte Aktion, die zeitgeistig zu mehr weiblicher Dominanz innerhalb der Gesellschaft führen sollte, und gleichzeitig den alten weißen Mann als Dreckspatzen besudelte. Das zweite ist im Falle Weinstein wahrlich eine einfache Übung. Ein alter, geiler, häßlicher Sack, der sich bei jeder Gelegenheit seine Potenz beweisen möchte, stößt auf (ruhig ausatmen)  junge (und ältere) ehrgeizige, abgebrühte Karrieristinnen, die auch ein kleines ´Ekelnümmerchen ˋ, quasi im Sinne einer beruflichen Fortbildung, in Kauf nehmen. Es vielleicht sogar darauf anlegen. So weit so gut. Die späte Empörung der Damen deutet auf Kalkül, und die beschriebenen ´Begegnungenˋ lassen angebliches ´Schamgefühlˋ für die Jahrzehnte lange Verzögerung auch nicht glaubhaft erscheinen. Kein Geschlecht bekleckert sich in diesem Prozess mit Ruhm. Er ist eine Ohrfeige für alle Frauen, die wirklich verGEWALTigt wurden. Kein netter Zug von den Geschlechtsgenossinnen, die Schlimmes vorgeben und doch offensichtlich immer eine Wahl hatten!

Frank (in ZA) Theimer / 11.02.2020

Bei diesen Kommentaren verschlaegt es mir die Sprache (habe nur die erste Seite gelesen: Antje Sievers/Peter Holschke/Detlef Rogge/peter bruder…). Was hat jetzt Weinstein mit Eppstein zu tun? Der eine ist schuldig also muss es der andere auch sein? Weinstein hat die ‘naiven Maedels’ (Hallo? die sind erwachsen! und nicht erst 18 oder 20) wie ein Zuhaelter ‘eingeritten’? Ein Zuhaelter benoetigt da viel Gewalt dazu, nutzt den Umstand, dass seine Opfer oft Illegale sind, nimmt ihnen die Reisedokumente, haelt sie gefangen mit brutaler, physischer Gewalt. All dies trifft auf diese ‘Opfer’ nicht zu, sie hatten mehr als nur einmal die Gelegenheit, sich zu entziehen. Unglaublich. Und wenn die sogenannten Opfer nun mal Schwachsinn erzaehlen, konstanht mit anderen Versionen daherkommen und ihr Verhalten nicht plausibel erklaeren koennen, dann ist das eben Schwachsinn.

Wolfgang Kaufmann / 11.02.2020

Das Rechtsempfinden ist hierzulande einer moralischen Gefühligkeit gewichen, sagt Rupert Scholz. Es geht schon lange nicht mehr um objektive Tatsachen, die klar bewiesen werden müssen. – Früher wurde man gesteinigt, wenn man „Jehova“ sagt; heute wird man medial gesteinigt, wenn man sich völlig rechtskonform von den Falschen wählen lässt. Wer in der Union Werte einfordert, der frisst auch kleine Kinder. Und über allem wacht ein Apparat von selbsternannten Social Justice Warriors, die Verbrechen denunzieren, die nie stattgefunden haben. Siehe Chemnitz.

Andreas Rochow / 11.02.2020

“Deutsche Medien vernachlässigen eklatant Informationen, die für die Unschuld Harvey Weinsteins und gegen die Glaubwürdigkeit der ihn belastenden Zeuginnen sprechen.” Dem kann man leichten Herzen beipflichten! Ich erhöhe: Deutsche Medien lassen die Wahrheit verwahrlosen und wundern sich über Grüße wie “Lückenpresse”.

herbert binder / 11.02.2020

Jeder von uns Lesern, der zu diesem oder zu einem von unzähligen ähnlich gelagerten/gebetteten Fällen seinen “Senf” dazugibt, muß sich bewußt sein, daß er keinerlei Verantwortung zu übernehmen braucht. Das äußere Erscheinungsbild des Angeklagten, sein Berufsfeld u.ä., all das tut nichts zur Sache, sollte es jedenfalls nicht. Und die Restgrößen sind pure Gesinnung, Sym- oder Antipathie, Meinung, Geschmack, Mutmaßung, Relativierung, Vor[ver]urteil[ung], letztlich Gequake - und billig zu haben. Ganz anders das Gericht, was von da kommt, muß den Grundsätzen eines freiheitlichen Rechtsstaates entsprechen, muß wasserdicht sein (den äußerst unbefriedigenden Grenzfall “in dubio pro reo” eingeschlossen). Ich würde mich keinesfalls darum reißen, hier Richter spielen zu dürfen.

Chris Groll / 11.02.2020

@Ilona Grimm, genau das ist auch meine Meinung. Herr Weinstein ist mir äußerlich auch außerordentlich unsympathisch, aber die Klägerinnen waren nur auf ihren Vorteil und ihre Karriere bedacht. Wegen solcher Frauen werden dann auch die wirklichen Vergewaltigungsopfer diskreditiert Das finde ich besonders schlimm an der ganzen Sache.

Thomas Taterka / 11.02.2020

“Verbindlichsten Dank ” ( das ist ein Bill Murray - Zitat! ) für die äußerst informative Lesereise an den schwindelnden Abgrund echter weiblicher Gefühle. Mir tut er leid, mit seiner Besessenheit, seinem Potenz - Handicap, seiner immergleichen Objektwahl ( ich war immer der Meinung, daß das Schlafen mit Katzen , aber auch Hunden im fortgeschrittenen Alter unterschätzt wird ) . Den Weinstein -” Überlebenden” wünsche ich ein sehr, sehr langes Leben mit “anständigem” Sex und Dildos auf Rezept . P.S. : das Zitat stammt übrigens aus Sofia Coppolas ” Lost in Translation “, den Weinstein leider nicht produziert hat. Viel Verkommenheit wäre ihm erspart geblieben. Eigene und fremde.

Gerald Krüger / 11.02.2020

Sehr interessant und umfassend recherchiert. Was mich mal wieder erschreckt ist die Art der Einseitigkeit wie die MSM in Deutschland ihre Darstellungen verkaufen. Lückenpresse? Ja. Cui bono?

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