Carlos A. Gebauer, Gastautor / 25.01.2021 / 06:07 / Foto: Pixabay / 137 / Seite ausdrucken

Weimarer Corona-Urteil – Stufe 2 der Rakete gezündet

In der vergangenen Woche berichtete Achgut.com über einen "Vorbildlichen Akt richterlicher Souveränität". Ein aktuell veröffentlichtes Urteil des Amtsgerichtes Weimar (noch nicht rechtskräftig) vom 11. Januar 2021 bestätigt in beeindruckender Argumentationstiefe die Vermutung, dass die „Lockdowns“, die unser aller Leben seit Monaten einfrieren, mit unserem Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen sind. Kernsatz des Urteiles: „Es gab keine ‚epidemische Lage von nationaler Tragweite‘, wenngleich dies der Bundestag mit Wirkung ab dem 28.03.2020 festgestellt hat.“

Der Fall entwickelt sich wie eigentlich nicht anders zu erwarten weiter. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat am vergangenen Freitag  beim Amtsgericht den Antrag auf Zulassung einer Rechtsbeschwerde eingereicht, sagte der Sprecher der Behörde, Hannes Grünseisen, am Freitag in Erfurt der Deutschen Presse-Agentur. Die Sache solle zu einer neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Richter zurückverwiesen werden.

Das erinnerte den einen oder anderen Kommentator an die Rückgängigmachung der thüringischen Ministerpräsidentenwahl im vergangenen Jahr. Der Fall liegt jedoch anders. Im Gegensatz zum Rückgängigmachen einer Landesministerpräsidentenwahl auf südafrikanischen Unerträglichkeitszuruf der Kanzlerin hin handelt es sich bei einer Rechtsbeschwerde um ein von dem Gesetz formgerecht vorgesehenes Rechtsmittel.

Als Staatsanwalt in der Lage des dort Zuständigen hätte ich wahrscheinlich haargenauso gehandelt. Denn ein erstinstanzliches Urteil ist eben „nur“ ein erstinstanzliches Urteil in einer Einzelfallentscheidung.

Eine ganze Armada an Argumenten geliefert

Sehr viel spannender wird es, wenn nun ein Obergericht die Sache bearbeitet und entscheidet. Und exakt das ist der „Clou“ an einer bußgeldrechtlichen Rechtsbeschwerde. Die geht nicht erst noch zu einem Landgericht, sondern sie „hüpft“ gleich in die OLG-Ebene.

Das war natürlich auch dem Amtsrichter bekannt, der sein Urteil formuliert hat. Deswegen hat er keine kurze und knappe Entscheidung abgesetzt, sondern eine ganze Armada an Argumenten geliefert, das jedes für sich (!) die Sanktionierung des „Abstandsverstoßes“ ordnungsrechtlich unmöglich macht.

Die Richter des OLG sind dadurch nun in die Lage manövriert, jeden einzelnen dieser Gesichtspunkte detailliert widerlegen zu müssen, um noch zu einer Verurteilung des „Täters“ zu kommen. Das geht auch nicht simpel durch Zurückverweisung an das AG, wo dann (wie in solchen Fällen nicht unüblich) ein anderer Richter erneut entscheiden muss. Denn das OLG ist eine reine Rechtsprüfungsinstanz. Es werden keine Tatsachen mehr überprüft. Ein OLG erhebt in der Rechtsbeschwerde keinen Beweis. Das ist hier auch nicht erforderlich, denn die „Tat“ steht ja fest. Es geht „nur“ um die reine Rechtsfrage. Die kann und muss das OLG selbstständig entscheiden.

Von daher ist alles andere als vergnüglich, nun der OLG-Senat zu sein, bei dem die Sache jetzt gelandet ist. Die Richter dort müssen nämlich – wollten sie die landesrechtliche Verordnung „retten“ – jedes einzelne Argument des Amtsrichters entkräften. Das ist m.E. schwierig bis unmöglich. Darauf bezog sich die Formulierung in meiner Urteilsbesprechung von der „argumentativen Gewalt“ des amtsgerichtlichen Urteils.

Das OLG kann das ihm von dem AG gelieferte harte Brett aber auch nicht auf billigem Wege mit einem einzigen Killer-Argument aus dem Weg  bohren (Nach dem Formulierungstopos: „Es kann dahinstehen, ob x, y, z, … denn schon a, … deswegen folgt …“). Denn das ginge nur mit einer Freispruchbestätigung, die dann wiederum spiegelbildlich die landesrechtliche Verordnung aushebelt.

Rechtsstaatlich sehr robuste und resiliente Rechtsschutzstruktur

Damit nicht genug. Der Amtsrichter hat auch weit über seinen Einzelfall hinaus (in einem sog. „obiter dictum“) zusätzlich die spätere Gesetzeslage als rechtswidrig beschrieben. Wollte das OLG nun vorsorglich auch für die Zukunft klarstellen, dass „Abstandsverbrecher“ mit Ahndungen zu rechnen haben, müsste es die zusätzlichen Argumente des Amtsgerichtes präventiv gleich mit aus dem Weg räumen und ein entsprechendes eigenes obiter dictum mitliefern.

In der Zwischenzeit kann allerdings auch jedermann, der irgendwo sonst in Deutschland einen Bußgeldbescheid wegen zu großer mitmenschlicher Nähe kassiert und dagegen erfolglos Einspruch hat, seinerseits unter Berufung auf die Argumente aus Weimar Rechtsbeschwerde zu seinem OLG (in Berlin: zum Kammergericht) einlegen und damit sämtliche Obergerichte in Bußgeldsachen veranlassen, sich ebenfalls zu der Thematik zu äußern. So lange nicht alle Obergerichte übereinstimmend jeden einzelnen Kritikpunkt des AG Weimar gegen die Corona-Verordnung ausgeräumt haben – jedes Gericht für die entsprechende Verordnung in dem jeweiligen Bundesland – ist es heikel, „Täter“ ordnungsrechtlich zu sanktionieren.

Merke: Die Konstruktion des Grundgesetzes, jedem Richter die Befugnis eingeräumt zu haben, nichtförmliche Gesetze wegen Verfassungswidrigkeit für nichtig zu halten, hat eine rechtsstaatlich sehr robuste und resiliente Rechtsschutzstruktur geschaffen, um Bürgerrechte zu wahren und zu schützen. Damit Richter Bürger schützen können, muss man sie aber auch anrufen. Wo kein Kläger, da kein Richter.

Schließlich: Das Urteil aus Weimar vom 11. Januar 2021 konnte bei allem noch nicht berücksichtigen, dass die WHO mit ihrer „User Information“ vom 20. Januar 2021 jetzt den simplen Rückschluss von einem positiven PCR-Test auf das Vorliegen einer infektionsschutzrechtlich relevanten Infektion für unzulässig erklärt hat. Anders als es der immer wieder erstaunliche Christian Drosten inzwischen plaudernd dargestellt hat, ist die User Information der WHO damit nicht bloß eine redundante Mahnung an minderbegabte Test-Nutzer, die Gebrauchsanweisung des Test-Kits zu lesen. Die WHO hat vielmehr Kriterien formuliert, die allesamt kumulativ – d.h. gleichzeitig und zusammen! – vorliegen müssen, um überhaupt eine Infektion und also eine Infektiosität annehmen zu können.

Lässt sich aber eine Infektion nach den Vorgaben der WHO nicht (mehr) aus einem positiven PCR-Testergebnis ableiten, so ist nicht nur der individuell Getestete kein „Infizierter“ mehr im Rechtssinne, sondern er kann auch nicht in die allgemeine Inzidenz-Statistik als „Fall“ Eingang finden. Damit kollabieren die Statistiken, auf denen die allgemeinen Beschränkungen beruhen. Und damit wiederum wird unmöglich, rechtmäßig bußgeldrechtliche Sanktionen festzusetzen. Voraussetzung dafür, dass dies gerichtlich ausgesprochen wird, ist aber eben eine Anrufung der Gerichte durch Betroffene. Nichts passiert von selbst. Man muss es auch tun.

Lesen und hören Sie zum gleichen Thema: 

Vorbildlicher Akt richterlicher Souveränität: Lockdown gecrashed

Indubio Folge 92 – Verfassungs-Beschwerde

Die Justiz und Corona: Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte gegründet

WHO beendet Epidemische Lage von Nationaler Tragweite

Foto: Pixabay

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Oliver Günthner / 25.01.2021

@ HaJo Wolf “Der Södergerichtshof hat sich nicht entblödet, seine eigene Dummheit zu offenbaren”... Nicht zu vergessen: Die Arroganz, was sich übrigens nicht gegenseitig ausschließt. Anderswo artikuliert sich dies auch mal in “mia san mia!”, wobei ich im sportlichen Original in letzter Zeit eine deutliche Besserung erkennen zu können glaube (was immer einzelnen, maßgeblichen Akteuren zu verdanken / zuzurechnen ist). Der Grat ist schmal, ein GESUNDES Selbstbewusstsein ist auch sinnvoll und vonnöten. Letzteres aber muss und soll auch nicht zu herablassendem Gebaren gegenüber Anderen (Andersdenkenden) führen. Wenn dies dennoch zu Tage tritt, dann braucht man sich halt auch nicht über die genüssliche Schadenfreude wundern, wenn’s den ARSCH dann auf die Schnauze haut. Dies erachte ich als kein typisch bayerisches Problem (dort aber “schön” ersichtlich ausgeprägt), dies gilt auch für “deutsches” Auftreten gegenüber / in der restlichen Welt. Politisch fällt mir dazu ein Ekel erregend “gelackter”, schleimiger MAAS-Anzug ein, der sich berufen fühlt, den USA Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie zu geben (und wegen Auschwitz in die Politik gegangen sein will; selten so gelacht, wenn sich jemand SELBST so moralisch überhöhen will!) - im sportlichen Bereich fällt mir dazu eine Werbekampagne zur Fussball-WM in Russland ein, die viel über die geistige Verfasstheit sowohl des (negativ-)“werbenden” Automobilherstellers als auch des (Werbe)Managers der Nationalelf aussagt. Für “[The?!] Best neVer rest” war dann schnell (zurecht) “Ende Gelände”, sehr zur Erbauung von Realisten, die genüsslich Hohn und Spott über diese an-MAß-enden Gestalten AUSKÜBELN durften.

Dr, Mephisto von Rehmstack / 25.01.2021

@ Frances Johnson: Sie haben mit Ihrem Kommentar beispielhaft klar gemacht, wie wenig die “Informationen” der MSM wert sind, da sie bei den “Überschriften” bleiben. Im Detail und ins Verhältnis gesetzt, entsteht eine völlig andere, richtige Darstellung; die Informationstiefe macht den Wert der Nachricht aus, denn die halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge.

Silas Loy / 25.01.2021

@ Robert Kern - Eine starke Minderheit kann das auch wieder und wieder vor Gericht bringen, der Weimarer Amtsrichter hat eine Blaupause geliefert und die Justiz muss dementsprechend strapaziert werden. Und zwar ganz amtlich und historisch relevant.

A.Pinkvos / 25.01.2021

@Renate Bahl, ich habe ja hier gelesen, es solle ein gewisses Netzwerk an skeptischen Richtern/ Staatsanwälten geben. Man zieht dort gruppendynamisch die Augenbraue höher und betrachtet mit Sorge. Von dort kann ja dann Hilfe, und auch Entsatz nachkommen wenn der Weimarer Richter fällt.

Sabine Schönfelder / 25.01.2021

Gudrun@Dietzel, „FOCUS Online hat recherchiert - und ist fündig geworden. Der zuständige Amtsrichter Matthias Guericke ist auch privat ein Gegner von Maskenpflicht und Abstandsregeln. Um die Bestimmungen zu kippen, klagte er bereits zweimal im Eilverfahren vor dem Thüringer Oberverwaltungsgericht (OVG) in Weimar gegen den Freistaat Thüringen – und verlor, zuletzt im August 2020. Die Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus.“ -  Offensichtlich ist unser beider Gerechtigkeitssinn sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Privatleben eines Richters herumzuschnüffeln, um ihn in Richtung „Coronagegner“ öffentlich zu diskreditieren, finde ich unverschämt. Wenn Sie sich auf der politischen Bühne für das Recht auf Abtreibung politisch stark machten, sollte es keine Rolle spielen, ob Sie persönlich 8 Kinder großzogen oder 4 Abtreibungen hinter sich haben. Es geht hier um die Inhalte einer richterlichen Entscheidung, die ein politisch brandheißes Thema anspricht, juristisch fundiert und gut begründet und NICHT um den Richter selbst. Haben Sie schon mal was von der richterlichen Unabhängigkeit gehört? Der Richter ist NUR dem Gesetz unterworfen. Das bedeutet nicht, daß er keine eigene Meinung haben darf. Der Focus hat Boulevard- Niveau und das empfinde ich als UNSACHLICH. Ich behaupte weiterhin, daß Focus mit diesem Artikel beabsichtigt, dem Richter eine gewisse Voreingenommenheit und beschränkte Urteilsfähigkeit zu bescheinigen. Zum Inhalt seines Urteils, kein Ton. Das Thema, der zentrale Punkt, die Kritik und Argumentationen des Richters bleiben AUßEN vor, obwohl das Urteil für jedermann einsichtig ist. Auch das ist beabsichtigt, unterstelle ich. Denke, mit Ihren Ansprüchen an die Presse, sind Sie mit dem Focus gut beraten.

armin wacker / 25.01.2021

Sorry ich vergass, auch Ihnen vielen Dank Herr Gebauer.

armin wacker / 25.01.2021

Ich freue mich riesig über das Urteil. Vielen Dank auch an den Richter für die Mühe, die er sich gemacht hat.

Bernhard Krug-Fischer / 25.01.2021

Nachtrag: Es gibt ein aktuelles Interview von Frau PRERADOVIC mit RA Reiner Fuellmich. Da wird auch nochmal auf das Urteil von Weimar eingegangen. Ich empfehle dieses Interview anzuhören. Dauert ca. 50 min, lohnt sich aber. Ist leicht zu googeln.

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