Henryk M. Broder / 03.05.2021 / 14:00 / Foto: Acgut.com / 57 / Seite ausdrucken

Wehrkaftzersetzung durch staatsfeindliche Propaganda

Es gibt etwas im deutschen Nationalcharakter, das jede Krise und jede Katastrophe unbeschadet überlebt, nach jeder Niederlage aufsteht und weitermacht, als wäre nichts passiert. Es ist die Überzeugung, dass Kritik „konstruktiv“ sein muss, dass man nichts schlechtreden darf, wenn man keine „Alternativen“ anbieten kann. „Was würdest du denn anders machen, wenn du ein Regierungsamt hättest?“, ist die Frage, die jeder zu hören bekommt, der die Corona-Politik von Merkel, Spahn, Söder, Müller, Lauterbach e.a. als missglückt bezeichnet. 

Auf einen solchen Vorhalt könnte man mit einem Zitat von Karl Kraus antworten und die Diskussion beenden: „Ich kann kein Ei legen, aber ich weiß, wann eines faul ist.“

Es geht nicht um eine bessere Alternative zum Bestehenden, sondern darum, Zweifler als eine Gefahr für das Wohl und die Gesundheit aller anständigen Bürger zu denunzieren, „feindlich-negative Elemente“, wie Dissidenten in der DDR genannt wurden. Schlimm genug, dass sie der Regierung nicht vertrauten, sie fallen ihr auch noch in den Rücken, und das in einem Moment, da „Solidarität“ und „Zusammenhalt“ gefordert sind. 

Ein Hauch von „Landesverrat“ liegt in der Luft, die noch nicht verschriftlichte Anklage lautet auf Wehrkaftzersetzung durch staatsfeindliche Propaganda.

Die Regierung hat versagt

Dabei ist eigentlich nichts passiert. 53 Schauspielerinnen und Schauspieler haben kurze Video-Clips ins Netz gestellt, in denen sie die Anti-Corona-Maßnahmen der Bundesregierung dermaßen überschwänglich loben, (#allesdichtmachen) bis auch dem letzten Freund der darstellenden Künste in Dinslaken klar wird, dass sie es genau andersrum meinen: Die Regierung hat versagt. Das Virus wütet weiter, das hastig verabschiedete vierte Infektionsschutzgesetz lädt zum Missbrauch der Staatsmacht ein.

In einem Land, in dem das Bundesverfassungsgericht immer wieder vom Bundestag verabschiedete Gesetze für verfassungswidrig erklärt und aufhebt, muss man so etwas behaupten können, ohne zum Staatsfeind erklärt zu werden. Und solange Schauspieler die Arbeit der Regierung mit Stellungnahmen unterstützten – für mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Klimaschutz und mehr Frauen in den Vorständen großer Unternehmen –, waren sie als Taktgeber willkommen. Denn, so tönte es aus allen Ecken des Kulturbetriebes: Promis tragen eine besondere Verantwortung, sie sollen Vorbilder sein, einen statt spalten; und aufpassen, dass sie sich nicht „vereinnahmen“ lassen, schon gar nicht von Populisten und Rechten.

Unter den ersten hauptamtlichen Kulturverwaltern, die sich zu Wort meldeten, war auch die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters. Sie sagte gegenüber dem ZDF, der Ton mache die Musik, sie persönlich hätte sich „deutlich mehr Empathie der beteiligten Künstlerinnen und Künstler für die Sterbenden auf den Intensivstationen gewünscht“.

Frau Grütters wünscht sich mehr Empathie

Monika Grütters ist als Staatsministerin in der Kultur- und Medien-Szene sehr beliebt, verwaltet sie doch über zwei Milliarden Euro, mit denen zahllose Projekte gefördert werden, darunter die „Aufarbeitung des Kolonialismus“ oder „kulturelle Bildung zur Prävention gegen Extremismus und Antisemitismus“. Einen Mangel an angewandter Empathie wird ihr niemand vorwerfen können. Warum sie aber Künstlerinnen und Künstler dazu aufruft, Empathie mit den Sterbenden auf den Intensivstationen zu zeigen, statt sich dafür einzusetzen, dass die Pflegekräfte besser bezahlt werden, das wird sie eines Tages wohl erklären müssen.

Ähnlich abgründig äußerte sich auch der Präsident der Deutschen Filmakademie, der Schauspieler Ulrich Matthes. Seine „Hauptkritik“ galt einem Punkt: dass die Kollegen und Kolleginnen, die bei der Aktion mitgemacht hatten, „indirekt Schützenhilfe für die ,Querdenker‘-Szene und die AfD“ geleistet hätten. Als er sich „diese Videos“ zum ersten Mal „reingezogen“ habe, dachte er sich: „Was wollt ihr mit eurem Ulk? Was ist der Gegenvorschlag? Worin besteht jetzt das Konstruktive dieser Aktion?“

Ja, wo finden wir nur das Konstruktive? Wo versteckt es sich? Wie können wir es ans Licht holen? Es ist eine Tragödie, die nicht enden will. Indiana Jones sucht nach dem Heiligen Gral, polnische Taucher suchen nach dem Bernsteinzimmer und deutsche Kulturschaffende nach dem Konstruktiven im Sinnlosen.

Vor 102 Jahren, im März 1919, erschien in der Weltbühne ein Aufsatz über die Tugend des Neinsagens, geschrieben von Kurt Tucholsky: „Wir Negativen“.

Ich kann die Lektüre Jedermann und Jederfrau nur empfehlen. Konstruktivsein ist einfach. Negativsein will gelernt werden. 

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

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Sebastian Gumbach / 03.05.2021

“In einem Land, in dem das Bundesverfassungsgericht immer wieder vom Bundestag verabschiedete Gesetze für verfassungswidrig erklärt und aufhebt, ...”. Auf dieses Gericht, das in die ferne Zukunft nach 2030 blickt und das GG unter den Vorbehalt des sog. Klimaschutzes stellt, gebe ich nichts mehr. Gar nichts mehr. NB: Dieses Gericht hat immer auch die Absorbierung Deutschlands durch die EU mit absolut fahrlässigen Urteilen gutgeheißen. Es ist ein politisches Gericht, es ist nicht unabhängig. Es täuscht Unabhängigkeit vor, wo es ganz klare politische Abhängigkeiten gibt

Udo Kemmerling / 03.05.2021

“Worin besteht jetzt das Konstruktive dieser Aktion?“ Es ist unglaublich, mit welchem Größenwahn, gekreuzt mit Bigotterie, aufgemöbelt mit Narzissmus und mit hartverdrahtetem Totalitarismus der gemeine Kulturmarxist daherkommt. Dass man mit überflüssigen, nachweislich nutzlosen, demokratievernichtenden, verfassungsfeindlichen und komplett selbst ausgedachten Maßnahmen schlicht und ergreifend aufhören kann, kommt dem Bundeskulturblockwart nicht in den Sinn. Wenn ich mir zur Verbesserung der Lebensfreude mit dem Hammer auf den Fuß dresche, der gewünschte Effekt aber einfach nicht eintreten will, was mache ich dann? Weiterhämmern? Andere anschreien, dass sie gefälligst auch hämmern sollen? Andere zwingen Hämmer zu kaufen? Die Deutsche Durchgehämmerte Republik gründen, Abkürzung “DDR”?

dr.goetze / 03.05.2021

@W.Hoffmann: Sie sind mir zuvorgekommen, “das Virus wütet weiter” - aber nur in den Köpfen der Politiker und denen der Schlafschafe, die ihre Tage vor “heute” und ähnlichen Panik verbreitenden Sendungen verbringen. @Herr Henryk M. Broder, informieren Sie sich doch mal dort, wo es Wissenschaftliches zum angeblichen Killervirus gibt. Z.B. hier auf der Achse im Podcast! “Gewütet” hat die Pest im Mittelalter, nicht vergleichbar mit “Corona” - auch wenn mir die Maßnahmen der Politiker seit 14 Monaten sehr mittelalterlich vorkommen. Mehr noch: vorsintflutlich! Nichts für ungut, Herr Broder! Verzeihen Sie einem alten weißen Mann das kleine Aufbegehren hier auf seinem Medium der ersten Wahl ;-)

Peer Munk / 03.05.2021

Wenn das zum deutschen Nationalcharakter gehört, dass es bei jeder Kritik immer etwas “Konstruktives” geben müsse, dann besitzt die unsägliche Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim diesen Charakter in Reinform. Sie ließ nämlich bei Illner urdeutsch verlauten, dass sie das “Konstruktive” vermisse und dass es darauf ankomme, jetzt “zusammenzustehen”. Also “strammstehen”. Es war unterirdisch, diese Frau hat es sich verdient, in Ihre Rubrik der bedeutenden Denker aufgenommen zu werden.

Silas Loy / 03.05.2021

Der eine ist Apparatschik der Deutschen Filmakademie, der andere Träger des Ifflandringes, der eine ist Kellner, der andere ist Koch. So sind die Rollen eben verteilt, im Film und im echten Leben und wie in Stein gemeisselt. Ein Kellner hält auch einen Einstein für einen Penner. Und zwar wegen der Haare. Das macht aber nichts, das ist einfach irrelevant.

George Samsonis / 03.05.2021

Das was ein Regierungsmitglied zu tun hat steht in seinem Amtseid, nachzulesen im Artikel 56 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Dtl. P.S. Sollte es - und das mögen alle höheren Mächte und die Wähler verhindern - zu einer GRÜNEN Regierungsbeteiligung oder gar LinksGrünen Regierung kommen, so müssen die Regierungsmitglieder dieser Parteien jeden Tag daran erinnert werden: Nutzen des dtsch.! Volkes mehren und Schaden von ihm wenden! Ein Blick in LinksGrüne Wahlprogramme zeigt, wie notwendig diese Erinnerung wäre!

Peter Krämer / 03.05.2021

Ich möchte der AFD einmal den Rat geben, in einem konstruktiven Vorschlag noch viel mehr und noch größere Windräder zu fordern. Wer könnte dann noch anschlussfähig an dieses Pack sein wollen und das gleiche verlangen?

B.K.Kopp / 03.05.2021

Warum haben die ” Künstler” nicht seit Januar 2021 die beiden Kapitalverbrechen der deutschen Gesundheitspolitik kritisiert,  und zum Volksaufstand aufgerufen,  als evident war, dass insbesondere seit Oktober deshalb so viele Leute an Covid-19 verstorben waren, weil es die Gesundheitspolitik versäumt hatte, die Alten- und Pflegeheimen mit relativ leicht machbaren organisatorischen Maßnahmen, und relativ bescheidenem finanziellen Aufwand abzuschirmen. Das war das erste Kapitalverbrechen. Das Impfstoffbeschaffungs-Debakel war das zweite. Beide zusammen haben zehntausendfache Todesfolge, und wirtschaftliche Schäden in dreistelliger Milliardenhöhe. Ganz erhebliche immaterielle Schäden, z.B. bei Schülern, zusätzlich. Das sind die großen Brocken der verfehlten Gesundheitspolitik. Im Vergleich dazu sind diese und jene Einschränkungen einfach chickenshit. Gegen chickenshit wird protestiert und wochenlang diskutiert, über die wirklich kapitalen Fehler und Versäumnisse der Politik wird geschwiegen - es wird akzeptiert, dass ” im Großen und Ganzen nichts schief gegangen ist “. Ich glaube das nicht.

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