Thomas Rietzschel / 01.06.2014 / 14:44 / 1 / Seite ausdrucken

Wehrdienst in Heimarbeit

Nein, so geht das nicht. Das hat Ursula von der Leyen nicht verdient. Wer sie jetzt dafür kritisiert, dass sie die Armee lieber mit Schminkspiegeln als mit neuen Waffen ausstatten will, um es den Soldaten/innen in der Kaserne ein bisschen heimeliger zu machen, tut der Frau Unrecht. Eine Gesellschaft, die mit der Wehrpflicht nichts mehr am Hut hat, muss sich nicht wundern, wenn die Verteidigungsministern 100 Millionen Euro für den Umbau des Heeres zur Windeltruppe ausgeben möchte. Das entspricht schlichtweg den Verhältnissen, unserer Abkehr von der Geschichte.

Wie die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht so war die Einführung der Wehrpflicht ein konstituierender Staatsakt der bürgerlichen Gesellschaft. Wenige Jahre nach der Revolution von 1789 wurde die Levée en masse, die „Massenaushebung“, zur Verteidigung der Republik vom französischen Nationalkonvent beschlossen. Das war 1793. Bis dahin, seit dem Zerfall des mittelalterlichen Lehnswesens, hatte das Kriegsgeschäft in den Händen der Söldner gelegen. Fortan, im bürgerlichen Gemeinwesen des 19. und des 20. Jahrhunderts, sollte der Wehrdienst von jedem Mann als staatsbürgerliche Verpflichtung empfunden werden, nicht nur in Frankreich.

Es verstand sich von selbst, dass jeder Mann bereit sein musste, für sein Land, für die bürgerlichen Rechte, auch mit der Waffe in der Hand einzustehen, selbst wenn das sein Leben kosten konnte.

Davon kann heute keine Rede mehr sein, auch deshalb nicht, weil es immer wieder Machthaber gab, Kaiser und Diktatoren, die das patriotische Engagement zur Durchsetzung imperialer Interessen befeuert haben. Wir Deutschen wissen nach zwei provozierten Weltkriegen davon ein Lied zu singen. Dass es einer Gesellschaft, die sich so gern auf ihren Verfassungspatriotismus beruft, gleichwohl gut angestanden hätte, die allgemeine Wehrpflicht nicht so mir nichts, dir nichts über Bord zu werfen, mag auf einem anderen Blatt stehen. Die Entscheidung ist gefallen. Und es entbehrt nicht der Heuchelei, wenn sich eben jene grünen, roten, gelben und auch schwarzen Politiker, die sie herbeigeführt geführt haben, nun aus parteitaktischen Gründen über die Konsequenzen mokieren.

Mögen die Pläne der Verteidigungsministerin zum Aufbau einer familienfreundlichen Armee auch noch so grotesk anmuten, mögen sie manchem gestandenen Bundeswehroffizier naiv, wenn nicht gar dümmlich vorkommen, sie resultieren aus dem Wehrkonzept einer Konsumgesellschaft, in der der einzelne nichts weiter als den eigenen Vorteil zu verteidigen hat.  Auch die Landesverteidigung hat längst den Charakter einer Dienstleistung angenommen; wir haben sie „outgesourct“. Und die, die den Job für uns machen, haben einen Anspruch darauf, nicht schlechter zu leben als alle andere.  Niemand hat das Recht, von den Freiwilligen mehr Patriotismus zu verlangen, als er sich selbst zumuten möchte. Ihr Lohn, der Sold, muss der Leistung der Soldaten entsprechen.

Nicht mehr und nicht weniger hat Ursula von der Leyen erkannt. Sie folgt nur dem politisch eingeschlagenen Weg, wenn sie aus der Bundeswehr einen „Arbeitgeber“ machen möchte, der „jedem Vergleich mit der Wirtschaft standhalten“ kann – mit ausgebauter Kinderbetreuung, Teilzeitbeschäftigung, geregeltem Feierabend und einen wachsenden Angebot an Heimarbeit. Wer sie dafür kritisiert, schlägt auf den Sack, weil er sich scheut, den Esel, sich selbst, zu treffen.

Zu fragen wäre vielmehr, was eine solche Armee überhaupt noch soll und ob es moralisch vertretbar ist, junge Frauen und Männer mit dem Angebot attraktiver Entlohnung und wachsender Sozialleistung für einen Dienst zu werben, bei dem sie bereit sein müssen, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Gab es das nicht schon einmal, in den dunkleren Tagen der Geschichte, als die Rekruten mit einem Handgeld geworben wurden? Auch deshalb, um diesem üblen Treiben eine Ende zu bereiten, hat sich die bürgerliche Gesellschaft ehedem dafür entschieden, den Wehrdienst jedermann aufzuerlegen. 

Aber das alles, die populistische Abschaffung der Wehrpflicht, ist wohl am Ende keinem einzelnen anzulasten, schon gar nicht Ursula von der Leyen. Sie handelt nicht besser oder schlechter als jeder andere Politiker, der es nicht gewesen sein will, wenn deutsche „Freiwillige“ nach der Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch in Särgen zurückgeflogen werden. Das sollten sich ihre Kritiker hinter die Ohren schreiben, um sich danach gefälligst an der eigenen Nase zu zupfen.

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Leserpost

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Franz Roth / 02.06.2014

Auch der Staat, der die Levée en masse “erfunden” hat, hat keine Wehrpflicht mehr, sondern nur noch Berufssoldaten. Und auch dort gibt es, man höre und staune, weibliche Offiziere, die Mutter und Kompaniechefin sind. Allerdings wird, wenn ich da nicht sehr irre, in den französischen Streitkräften mehr Wert auf adäquate Ausrüstung gelegt. Fängt bei so was einfachem wie dem Sturmgewehr an.

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