Huch! Man kann die Überraschung förmlich hören, die aus den Berichten über „Manufacturing Dissent“ spricht, jenen neuen Film, in dem Debby Melnyk und Rick Caine die Methoden des beliebtesten Dokumentarfilmers der Welt enthüllen. Michael Moore, der gute Amerikaner, der Bush-Jäger, soll es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen? Ausgerechnet er, der doch für die Wahrheit kämpfte gegen das böse Establishment von Waffenlobby, Ölindustrie und Militär? Huch!
In der Überraschung über diese sensationelle Enthüllung liegt eine Komik, die Moore gefallen würde. Denn dass der linke Aktivist ein Faktenbieger ist, das ist wirklich nicht neu. Man muss dafür nicht die Blogs von überzeugten Bush-Anhängern lesen, die ihn für einen „dicken, fetten, Dummkopf“ halten. „Spiegel Online“ hätte gereicht. Schon vor drei Jahren, nachdem „Fahrenheit 9 / 11“ in die Kinos kam, war dort eine Geschichte über „Moores vereinfachte Welt“ zu lesen. Auch der britisch-amerikanische Kolumnist Christopher Hitchens hatte sich detailliert mit dem Film befasst und ein halbes Dutzend Ungereimtheiten genannt. So behauptet Moore in seinem Film, die US-Regierung habe wegen ihrer guten Kontakte zum saudischen Regime die Familie von Osama Bin Laden kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 einfach so ausreisen lassen, ohne sie zumindest zu befragen. Klingt spektakulär, ist aber Quatsch: Laut dem offiziellen 9 / 11-Untersuchungsbericht wurden die Familienmitglieder vom FBI verhört, bevor sie ausreisen durften.
In den Filmen von Moore gibt es zahlreiche Beispiele für solche Darstellungen. Sie stimmen zwar so nicht, sie hören sich aber so am besten an. „Unfair“ ist noch verharmlosend für die Art und Weise, wie Auftritte der Hassfigur George W. Bush von Moore aus dem Zusammenhang gerissen und verfremdet werden. Er zeigt Bush bei einem Galadinner. Der Präsident begrüßt die anwesenden „Reichen und Superreichen“ und nennt sie „meine politische Basis“. Was nach Entlarvung aussieht, entlarvt in Wahrheit Moore, der folgendes einfach verschweigt: Bush spricht auf einer Versammlung von Katholiken, bei der selbstironische Reden verlangt werden. „Die Botschaft dieser Szene wäre gewesen, dass Bush Humor hat“, sagt Melnyk. Das aber passt nicht in ein Drehbuch von Michael Moore.
Dass Melnyk und Caine, zwei aufrechte Linke und ursprünglich Moore-Fans, einen Coup für sich beanspruchen können, liegt an ihrem Medium: Sie enthüllen die Methoden des Filmemachers mit Hilfe eines Films. Der erstaunte Zuschauer lernt, dass Moore mitnichten - wie in seinem Anti-Waffen-Werk „Bowling for Columbine“ behauptet - zur Eröffnung eines Bankkontos einfach so ein Gewehr geschenkt bekam. Vielmehr hatte er den Bankangestellten einen Tag lang bedrängt. Er wolle unbedingt ein Gewehr, und es müsse ihm in der Bankfiliale überreicht werden. In seinem Erstling „Roger and Me“ behauptet Moore, er habe erfolglos beim General-Motors-Manager Roger Smith um ein Interview ersucht - Smith stand als eiskalter Jobvernichter da, der unbequemen Fragen ausweicht. In Wahrheit gab Smith Moore ein Exklusiv-Interview im New Yorker Hotel Waldorf Astoria. Aber im Film taucht es nicht auf.
Moore lässt weg, er bläst auf, er lügt, er schneidet zusammen, was nicht zusammengehört. Er macht Dinge, die sich für einen Dokumentarfilmer nicht gehören. Huch? Nein, denn genau das ist der Punkt: Moore war nie ein Dokumentarfilmer. Er ist ein Polit-Aktivist, der zum Teil sehr vergnügliche Propagandafilme dreht. Dass es für diese „unbequeme Wahrheit“ extra eines Films bedurfte, ist das wirklich Überraschende an der Diskussion um „Manufacturing Dissent“.
Vielleicht fallen nun noch ein paar andere Mythen, zum Beispiel der, dass Moore ein einsamer Underdog im gleichgeschalteten Kulturestablishment Amerikas sei. Das ist spätestens seit 2003 vollkommener Unsinn - Underdogs gewinnen in Hollywood keine Oscars. Oder der Mythos, Michael Moore sei im Gegensatz zu den bösen Kapitalisten und der Familie Bush ein guter Mensch. Dabei ist ihm für sein Ziel, die Bush-Regierung vorzuführen, jedes Mittel recht. In „Fahrenheit 9 / 11“ gibt es eine Szene, in der Moore den Irak unter Saddam Hussein als friedliches, fröhliches, freies Land darstellt. Glückliche Kinder spielen auf der Straße - bis amerikanische Bomben fallen.
Moores Bücher wimmeln von billigem Populismus, dummen Sprüchen und Verschwörungstheorien. Die Natur wehre sich gegen den weißen Mann, weswegen immer weniger männliche Babys geboren würden, behauptet Moore in „Stupid White Men“. Oder: Die Israelis übten „als Kollektiv“ eine „Terrorherrschaft“ über eine andere Gruppe aus, „nur weil diese einer bestimmten Rasse und Religion angehört“. Einer, der so denkt, verkaufte in Deutschland weit mehr als eine Million Bücher und wurde als Retter der Wahrheit gefeiert. Das allein wäre es wert gewesen, „Huch!“ zu rufen.
Kölner Stadt-Anzeiger, 3.5.07