Werden wegen einer EU-Richtlinie drei Millionen Häuser in Deutschland ab 2033 nicht mehr bewohnt werden dürfen? Unter dem harmlos klingenden Motto „Fit für 55“ verfolgt die EU Pläne, die für viele ihre Bürger schlicht Enteignung bedeuten.
Unter dem harmlos klingenden Motto „Fit für 55“ verfolgt die EU Pläne, mit denen ihre Bürger nachhaltig enteignet werden könnten. Laut der offiziellen Webseite des Europäischen Rats bezieht sich „Fit für 55“ auf das Ziel, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken, damit Europa bis 2050 klimaneutral wird. Das europäische Klimagesetz mache die Verwirklichung des „Fit für 55“-Ziels zu einer rechtlichen Verpflichtung. Dazu geht es nicht nur etwa der Industrie und dem Flugverkehr an den Kragen, sondern auch dem privaten Gebäudesektor und dem individuellen Straßenverkehr.
In einer vom Europäischen Rat am 25. Oktober 2022 herausgegebenen Pressemitteilung wird konstatiert, dass 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der energiebezogenen direkten und indirekten Treibhausgasemissionen in der EU auf Gebäude entfielen. Bis 2030 sollen daher alle neuen Gebäude Nullemissionsgebäude sein und bis 2050 alle bestehenden Gebäude in Nullemissionsgebäude umgewandelt werden. Doch was bedeutet das konkret? Die Stadt Wien hat beispielsweise im Dezember 2022 ein Strategiepapier dazu veröffentlicht, das den Titel trägt: „Raus aus Gas – Wiener Wärme und Kälte 2040“. Denn Wien will bis 2040 „Klima-Musterstadt“ werden. Der Wiener Bürgermeister Dr. Michael Ludwig stellt im Grußwort fest: „Bis die 600.000ste Gastherme verschwunden ist, wird es eine Zeit dauern. Die Stadt Wien hat den Prozess dafür aber bereits in Gang gesetzt. Dafür bedanke ich mich bei allen Mitarbeiter*innen der Stadt, die an der Erstellung der Strategie ‚Raus aus Gas – Wiener Wärme und Kälte 2040‘ mitgearbeitet haben, sowie bei all jenen, die sie in die Tat umsetzen. Wenn auch künftige Generationen die hohe Lebensqualität in Wien schätzen, wissen wir, dass unsere Arbeit Früchte getragen hat.“
Auch Mag. Jürgen Czernohorszky, Amtsführender Stadtrat für Klima, Umwelt, Demokratie und Personal, ist sich ganz sicher: „Unsere Vision ist klar: Ab 2040 werden alle Gebäude in Wien klimaneutral, emissionsfrei und erneuerbar geheizt und – wo notwendig – auch gekühlt. Fossile Energieträger in der Raumwärme sind ab 2040 Geschichte!“ Doch auch er gibt zu, dass fast 90 Prozent der CO2-Emissionen im Gebäudesektor derzeit von Gasheizungen verursacht werden. „Raus aus Gas“ sei also wie die Mondlandung – eine komplexe Herausforderung: Für 600.000 Gasgeräte sowie für 460.000 Kochgasgeräte müssten Lösungen gefunden werden. In der 72 Seiten umfassenden Publikation wird klar, dass ein Großteil der Gasgeräte in Wien Gasetagenheizungen in den Altbauten sind. Neben einem Heizungswechsel ist daher eine thermische Sanierung je nach „Dekarbonisierungstyp“ des Gebäudes vorgesehen. Die geschätzten Kosten der gebäudeseitigen Wärmewende in Wien belaufen sich auf 1,6 Milliarden Euro. Stellt sich die Frage: Wer trägt diese Kosten? Dazu heißt es im Papier: „Damit diese Investitionen sozial gerecht umgesetzt werden können, braucht es Förderungen, die rechtzeitig überlegt und an die Gebäudeeigentümer*innen und Bewohner*innen kommuniziert werden müssen.“ Und: „Die Wärmewende kann nur durch eine breite Unterstützung der Öffentlichkeit, der Bürger*innen und Gebäude- und Wohnungseigentümer*innen gelingen.“ Für die Sanierungen der Gebäude und Umrüstungen der Heizsysteme brauche es zudem in naher Zukunft ausreichend Handwerker*innen, Installateur*innen und Planer*innen.
75 Prozent der Gebäude sind nicht "energieeffizient"
Aber nicht nur in Wien, auch in Deutschland droht durch die Überarbeitung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, die Teil des Pakets „Fit für 55“ ist, Ungemach. Vollmundig heißt es vom Europäischen Rat: „Mit der Überarbeitung der Richtlinie werden neue, ehrgeizigere Energieeffizienzstandards für neue und renovierte Gebäude in der EU festgelegt. Damit sollen die Immobilieneigentümer in der gesamten EU zur Renovierung ihrer Gebäude ermutigt werden.“ Schon bis 2033 sollen Häuser mindestens dem Niveau der „Gesamtenergieeffizienzklasse D“ entsprechen und bis 2040 mindestens dem „von jedem Land festgelegten Niveau zur Gewährleistung dessen, dass 2050 ein Nullemissionsgebäudebestand verwirklicht sein wird.“ Mit Gesamtenergieeffizienz ist die maximale Energiemenge gemeint, die Gebäude pro Quadratmeter jährlich verbrauchen dürfen. Ausnahmen bestehen nur für beispielsweise Kirchen, historische Gebäude oder zu Verteidigungszwecken genutzte Gebäude im Eigentum der Streitkräfte.
Derzeit seien 75 Prozent der bestehenden Gebäude nicht energieeffizient und müssten im großen Maßstab energetisch renoviert werden. Nachdem die Kommission am 15. Dezember 2021 ihren Vorschlag für eine Neufassung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden vorgelegt hatte, stimmte der Rat am 25. Oktober 2022 zu. Jetzt stehen die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament an. Das entsprechende 170-seitige Dokument „Allgemeine Ausrichtung zur Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden“ kann hier eingesehen werden. Darüber hinaus hatte die Kommission am 18. Mai 2022 schon den REPowerEU-Plan veröffentlicht, in dem ebenfalls Zielvorgaben für Energieeinsparungen formuliert sind.
Falls die Neufassung der Richtlinie vom Parlament verabschiedet wird, könnten nach Befürchtungen des Eigentümerverbands Haus & Grund etwa drei Millionen Häuser ab 2033 nicht mehr genutzt werden dürfen, da für viele Gebäude der Energieklassen F und G eine Sanierung keine Option sei. Was passiert dann mit diesen Häusern, die nahezu wertlos geworden sind? Was machen deren Bewohner? Zwar will das EU-Parlament einen Klimasozialfonds einrichten, mit dem „Energiearmut und Mobilitätsarmut“ entgegengewirkt werden soll, doch es ist fraglich, ob dieser Fonds ausreichen wird, um den Lebensstandard der durch die neue EU-Richtlinie verarmten Bürger zu halten.
Exklusives Vergnügen
Und nicht nur Wohneigentum könnte künftig für einen Großteil der Bürger unerschwinglich werden, sondern auch der Besitz eines eigenen Autos. Hier sind nämlich ebenfalls im Rahmen von „Fit für 55“ und auf Vorschlag der Kommission strengere Vorschriften für die CO2-Emissionen von Personenkraftwagen auf den Weg gebracht worden. Am heutigen Dienstag soll darüber im EU-Parlament abgestimmt werden.
In einer Pressemitteilung des Rates vom 27. Oktober 2022 wurde bereits bekanntgegeben, welche vorläufige politische Einigung der Rat und das Europäische Parlament darüber erzielt haben. Ziel sei der Übergang zu einer emissionsfreien Mobilität. Ausgehandelt wurde ein CO2-Emissionsreduktionsziel von 55 Prozent für neue Pkw und von 50 Prozent für neue leichte Nutzfahrzeuge bis 2030 gegenüber den Werten von 2021 sowie ein CO2-Emissionsreduktionsziel von 100 Prozent für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis 2035. Das würde bedeuten, dass in der EU ab 2035 Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor nicht mehr auf den Markt gebracht werden dürfen. Dabei sind CO2-neutrale Kraftstoffe noch nicht in Sicht, und auch Elektrofahrzeuge benötigen bekanntlich Energie. Wo ab 2035 der dafür erforderliche Strom herkommen soll, steht in den Sternen.
Die Zukunft sieht für die Mehrheit der EU-Bürger also nicht gerade rosig aus: Wenn die EU ihr „Fit für 55“-Paket tatsächlich umsetzt, wird Wohneigentum und der Besitz eines Pkw zu einem exklusiven Vergnügen, das sich nur noch wenige leisten können. EU-Politiker zum Beispiel.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet als Musikerin, Musikpädagogin und Musikwissenschaftlerin. Außerdem war sie als freie Journalistin tätig, darunter fünfzehn Jahre lang für die Neue Osnabrücker Zeitung.