Die Nachfolge von WEF-Chef Klaus Schwab schlägt mediale Wellen. Überdies vollzieht sich beim WEF eine Kehrtwende: Der Klimawandel hat ausgedient. Und damit auch Schwabs Favoritin Christine Lagarde.
Christine Lagarde hat ein Problem. Ihr alter Freund Klaus Schwab, Gründer des einflussreichen Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum, kurz: WEF), hat sich verplappert. In einem Interview mit der Financial Times vom 28. Mai gab Schwab zu verstehen, dass Lagarde vorhabe, ihren Chefposten bei der Europäischen Zentralbank (EZB) vorzeitig zu verlassen, um WEF-Präsidentin zu werden. Was die EZB umgehend dementierte.
Doch nun ist die Botschaft in der Welt. Wechselt Lagarde, deren nicht verlängerbare achtjährige Amtszeit bei der EZB Ende Oktober 2027 ausläuft, womöglich tatsächlich zum WEF? Auszuschließen ist es nicht, denn die Beziehung zwischen Lagarde und Schwab ist durchaus eng. Gibt man auf der Webseite des WEF den Namen Lagardes ein, erhält man 977 Treffer. Und auch auf der Webseite der EZB findet sich unter anderem ein Interview, das Schwab bereits im August 2021 mit Lagarde führte. Darin sagte er, dass er Lagarde vor ungefähr 20 Jahren zum ersten Mal getroffen habe. Und Lagarde stimmte ihm zu: „Ja, es waren 20 Jahre voller glücklicher Reisen, in denen sich unsere Wege oft gekreuzt haben und wir gemeinsam die Welt beobachtet und versucht haben, sie zu verbessern, wo immer es möglich war.“ Die beiden kennen sich offensichtlich gut und sprechen sich auch mit Vornamen an. Brisant daran ist, dass sich das WEF als Vertreter der 1000 führenden Unternehmen der Welt versteht, die EZB jedoch in erster Linie die Aufgabe hat, die Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet zu gewährleisten, und nicht, den Interessen globaler Konzerne zu dienen.
Im Interview von 2021 ging es vor allem um COVID-19, den Klimawandel und die sogenannte vierte industrielle Revolution, womit Schwab die zunehmende Verschmelzung von Mensch und künstlicher Intelligenz meint. Zwischen den Zeilen gelesen, signalisierten Schwab und Lagarde damit nicht zuletzt, dass Investoren der Impfstoff-, Klimatechnologie- und KI-Industrie mit einem sicheren Absatzmarkt rechnen können. Lagarde lobte dabei insbesondere die Globalisierung, dank derer in kürzester Zeit Impfstoffe entwickelt worden seien.
Normalerweise dauere es mehr als fünf Jahre, um einen erfolgreichen Impfstoff zu entwickeln. Diesmal seien es jedoch nur neun Monate gewesen. Sie zeigte sich allerdings fassungslos darüber, dass die Weltgemeinschaft nicht in der Lage sei, 50 Milliarden Dollar aufzubringen, um die Impfungen in den Ländern der Welt durchzuführen, in denen nur 2 Prozent der Bevölkerung geimpft seien – also Länder mit niedrigem Einkommen. Wenn jedoch nicht die gesamte Welt geimpft werde, werde COVID-19 zurückkommen, so die EZB-Chefin im August 2021.
Und Lagarde fuhr fort: „Ich denke, die Welt, in der wir leben werden, wird die Stigmata von COVID tragen. Damit meine ich, dass wir nicht mehr so reisen werden wie bisher.“ Und weiter: „Wir werden wahrscheinlich nicht mehr so eng miteinander sozialisieren. Und wir werden wahrscheinlich zu einem besseren Schutz der biologischen Vielfalt und des Klimas übergehen, als wir es sonst getan hätten.“ Das war also die Erwartungshaltung Schwabs und Lagardes vor knapp vier Jahren. Zum Glück sieht die Realität heute doch etwas anders aus: Der Reisedrang der EU-Bürger ist ungebrochen, und auch soziale Kontakte finden wieder wie eh und je statt.
Eine linientreue Nachfolgerin?
Schwab fragte damals Lagarde übrigens noch, was Institutionen wie die EZB tun könnten, damit die Geldpolitik zu einem gesunden Planeten beiträgt. Und Lagarde bedankte sich für diese großartig Frage. Es gebe zwar einige traditionell denkende Menschen, die der Meinung seien, dass Zentralbanken sich aus dem Kampf gegen den Klimawandel ganz heraushalten sollten, doch sie selbst sei ganz und gar nicht dieser Meinung. Die EZB vertrete die Ansicht, dass der Klimawandel ein wichtiger Faktor bei der Festlegung der Geldpolitik sei, weil er ganz offensichtlich Auswirkungen auf die Preisstabilität habe. Zum Beispiel müssten die Wirtschaftsakteure viel höhere Versicherungssummen abschließen, um sich gegen die Folgen der Klimaerwärmung zu schützen. Außerdem beeinträchtige der Klimawandel die Bewertung von Vermögenswerten, da er ein Risiko für Unternehmen darstelle und aus buchhalterischer Sicht sowohl zukünftige Gewinne als auch Risiken berücksichtigt werden müssten.
Lagarde gab zu, dass ein Kompromiss zwischen der Bekämpfung des Klimawandels und der Sicherung eines ausreichenden Wirtschaftwachstums gefunden werden müsse, um den legitimen Ansprüchen der Bevölkerung gerecht zu werden. Dieser werde wahrscheinlich eine gewisse Umverteilung erfordern. Denn es sei klar, dass die am stärksten gefährdeten Menschen die weniger privilegierten seien und daher Hilfe benötigen würden. Diese Aussage ist an Zynismus kaum zu überbieten: Lagarde und Schwab ging und geht es offenkundig keineswegs um benachteiligte Menschen, die an den Folgen der Corona- oder der Klimamaßnahmen leiden, sondern eiskalt um Marktvorteile für einschlägige Unternehmen und Investoren.
Schwab kam sogleich auch noch auf sein Lieblingsthema – die vierte industrielle Revolution – zu sprechen und beteuerte, dass es ihm ein besonderes Anliegen sei, „wie wir Technologie zum Wohle der Menschheit einsetzen und wie wir auf globaler Ebene zusammenarbeiten können.“ Und er führte digitale Währungen als einen wichtigen Aspekt dieser Revolution an. Daraufhin bekräftigte Lagarde, dass die Europäische Zentralbank über eine entsprechende Technologie verfügen sollte, um auf Kundenwünsche reagieren zu können. Wenn Kunden lieber digitale Währungen verwenden möchten als Bargeld, werde die EZB auf diese Nachfrage reagieren. Kein Wort davon, dass immer mehr Banken geschlossen und Bankautomaten abgebaut werden: Die EZB richtet sich angeblich lediglich auf die Kundennachfrage aus.
So weit der Rückblick auf das durchaus programmatische Interview, das Schwab Ende August 2021 mit Lagarde führte und das immer noch auf der EZB-Webseite nachzulesen ist. Es wundert also nicht, dass Schwab Lagarde als Nachfolgerin favorisiert: Kann er sich doch bei ihr sicher sein, dass sie seine Linie fortsetzen würde. Lagarde gehört übrigens bereits seit 2008 dem Kuratorium („Board of Trustees“) des WEF an. Weitere illustre Mitglieder sind der ehemalige US-Vizepräsident und Klimafanatiker Al Gore, die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Kristalina Georgiewa und Blackrock-Chef Larry Fink. Letzterer wird seit wenigen Wochen von Philipp Hildebrand, dem ehemaligen Nationalbankpräsidenten der Schweiz und Vize-Chairman von Blackrock, verstärkt. Nun sitzen also gleich zwei BlackRock-Funktionäre im WEF-Gremium.
Soll Schwab vergessen werden?
Welche Grabenkämpfe um die Nachfolge Schwabs derzeit im WEF toben, lässt sich nur erahnen. Schwabs Abgang spricht allerdings Bände: Nachdem der 87-Jährige Anfang April erklärt hatte, er woll im Januar 2027 als Vorsitzender des WEF-Kuratoriums zurückzutreten, wurde er bekanntlich nur wenige Wochen später vom WEF-Vorstand geradezu rausgeworfen, weil ein anonymer Informant Schwab unter anderem finanzielle Vorteilnahme vorgeworfen hatte. Wie die Handelszeitung berichtete, hatte Schwab seinen Rücktritt ursprünglich bereits für 2020 geplant und Lagarde als Nachfolgerin bestimmt. Doch diese – damals noch IWF-Chefin – wurde dann an die Spitze der EZB berufen. Fast hat es den Anschein, als kämpfe Schwab nun noch mit allen Mitteln darum, Lagarde doch noch in die geplante Position zu hieven.
Möglicherweise will eine neue WEF-Führungsriege jedoch das Image des Forums aufpolieren, indem sie Schwab möglichst dem Vergessen anheimstellen will. Schließlich hat sich dieser mit seiner Buchveröffentlichung „The Great Reset“ im Jahr 2020 bei einer größeren Öffentlichkeit bekannt und unbeliebt gemacht, da die WEF-Ambitionen zum Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft im Zuge der Coronakrise plötzlich offen zu Tage traten. So könnte es gut sein, dass auch Lagarde in den Augen der neuen WEF-Spitze ausgedient hat.
Doch unabhängig von der Regelung der Schwab-Nachfolge wird das WEF kaum an Strahlkraft einbüßen. Schließlich handelt es sich bei der Stiftung um ein gigantisches Unternehmen: Ende Juni 2024 wies das WEF immerhin einen Jahresumsatz von rund 470 Millionen Euro aus, und die Mitglieder lassen es sich einiges kosten, um beim WEF dabei zu sein. Wer zum Beispiel zum elitären Kreis der WEF-Partner dazugehören will, muss dafür eine Jahresgebühr von rund 640.700 Euro aufbringen. Es zahlt sich für die beteiligten Konzerne offenbar dennoch aus.
Schwund bei der "Klimarettung"?
Schaut man sich die aktuellen Veröffentlichungen des WEF an, stellt man allerdings eine Neuausrichtung der Agenda fest. So stößt man etwa auf eine 47 Seiten umfassende Broschüre von Januar 2025 mit dem Titel „Gesundheitswesen in einem sich wandelnden Klima: Investitionen in widerstandsfähige Lösungen“. Im Infotext dazu heißt es, dass der Klimawandel tiefgreifende Auswirkungen auf Menschen und Volkswirtschaften haben und bis 2050 schätzungsweise 14,5 Millionen zusätzliche Todesfälle sowie wirtschaftliche Kosten in Höhe von 12,5 Billionen US-Dollar verursachen werde. Durch Investitionen in verbesserte Prävention, Diagnose und neuartige Behandlungsmethoden könnten jedoch 6,5 Millionen Menschenleben gerettet, die wirtschaftlichen Verluste um 5,8 Billionen US-Dollar verringert und eine Milliarde durch Behinderung beeinträchtigte Lebensjahre (DALYs) eingespart werden.
Hier kommt also noch der geballte Klimahype zum Ausdruck mit den enstprechenden Verheißungen an Investoren. Im April legte das WEF dann das 33-seitige Weißpapier „Das Leuchtturm-Betriebssystem: Verantwortungsbewusste Transformation vorantreiben“ („The Lighthouse Operating System: Driving Responsible Transformation“) vor. Es enthält einen Entwurf für die industrielle Transformation und sechs Kernprinzipien, die digitale Transformation, Nachhaltigkeit und operative Exzellenz miteinander verbinden und einen Fahrplan für langfristige Wettbewerbsfähigkeit bieten. Auch hier ist also „Nachhaltigkeit“ durchaus noch ein Thema. In den Prognosen der Chefökonomen („Chief Economists Outlook“) vom 23. Mai hingegen wird vor allem der „sich verstärkende Effekt einer anhaltenden KI-Revolution“ thematisiert.
Der Bericht basiert auf Umfragen mit führenden Chefökonomen aus dem öffentlichen und privaten Sektor, die vom 3. bis 17. April 2025 durchgeführt wurden, und untersucht Trends in der Weltwirtschaft hinsichtlich Wachstum, Inflation sowie Geld- und Fiskalpolitik. Dabei sehen 79 Prozent der befragten Wirtschaftsexperten die dramatischen Veränderungen in der US-Politik eher als Teil eines langfristigen strukturellen Wandels denn als kurzfristige Störung. Die Chefvolkswirte sind sich weitgehend einig in ihrer Einschätzung, dass höhere Zölle und anhaltende Handelsspannungen die Inflation anheizen und das Handelsvolumen dämpfen werden und dass die anhaltende Unsicherheit der Weltwirtschaft erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen wird, u. a. durch eine gelähmte Entscheidungsfindung und ein erhöhtes Risiko politischer Fehlkoordination. Hinzu komme der Fortschritt der künstlichen Intelligenz (KI), der eine weitere Ebene der Komplexität darstelle.
45 Prozent der Chefvolkswirte gehen davon aus, dass KI das globale BIP in den nächsten zehn Jahren um bis zu fünf Prozentpunkte steigern wird, während ein Drittel sogar noch größere Gewinne erwartet. Dies wäre angesichts der gegenwärtig schleppenden Konjunktur ein bedeutender Impuls für die globale Wirtschaftstätigkeit. Allerdigs rechnen 47 Prozent mit einem Nettoverlust an Arbeitsplätzen und nur 19 Prozent mit einem Nettozuwachs. Daher müssten Arbeitskräfte entsprechend umgeschult werden. Die 45 Seiten des Berichts sind mit zahlreichen Grafiken versehen, die die Erwartungen und Befürchtungen der Topökonomen zum Beispiel hinsichtlich des US-Dollars, der europäischen Wirtschaft, Chinas oder des Pazifikraums illustrieren.
Plötzlich ist das Klima kaum einer Erwähnung wert
Nur ein Stichwort sucht man vergebens: „Klima“. Das war im Vorjahr noch anders. Im Bericht von Mai 2024 taucht der Begriff „Klimawandel“ sogar als eigene Kategorie auf, und es finden sich Sätze wie: „In Bezug auf die Auswirkungen des Klimawandels herrscht ein deutlich stärkerer Konsens zwischen Ländern mit hohem und niedrigem Einkommen: 54 Prozent bzw. 60 Prozent der Befragten erwarten negative Auswirkungen auf das Wachstum.“ 2025 ist „Klima“ für die Ökonomen dann plötzlich überhaupt kein Thema mehr. Es ist also zu vermuten, dass es bei der Amtsenthebung und Nachfolge Schwabs um weit mehr geht als um Personalien: Die woke Klimaideologie hat ausgedient. Zumindest in den USA. Auch BlackRock-Chef Larry Fink ist in letzter Zeit eindeutig auf die neue Linie der Trump-Regierung in den USA eingeschwenkt. So hat Fink zum Beispiel die Initiative „Net Zero Asset Managers“ und deren Klimaziele verlassen. Die EU versucht allerdings, noch länger auf Spur zu bleiben. Wahrscheinlich bestehen hier noch zu viele Verpflichtugen gegenüber den Investoren in diesem Bereich. Früher – oder eher später – wird es aber auch in Europa zu einem Umdenken kommen.
Fragt sich nur, ob die Deindustrialisierung dann noch aufzuhalten ist und ob die Konzentration der Investoren etwa auf KI, Digitalisierung, neue Impfstoff- und Militärtechnologien das Leben der Bürger weniger belasten. Am 3. Juni hat das WEF bereits einen Bericht zur „Technologiekonvergenz“ publiziert. Dazu heißt es: „Die immer schnellere Kombination von Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI), Quantencomputing und Bioengineering verändert ganze Branchen und schafft neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Werte. Viele Unternehmen haben jedoch Schwierigkeiten, zu erkennen, wo und wie sie investieren sollen.“
Der Bericht zur „Technologiekonvergenz“ soll nun Führungskräften eine strategische Perspektive bieten, um sich in der „Ära der kombinatorischen Innovation“ zurechtzufinden. Und gleich am 4. Juni folgte ein Bericht über „digitale Technologien für ein intelligenteres Wassermanagement in der Landwirtschaft“. Die Landwirtschaft verbrauche nämlich über 70 Prozent des weltweiten Süßwassers. Daher sei eine „digitale Transformation“ des Wassermanagements nötig. Mit anderen Worten: Das WEF entdeckt mühelos immer neue Geschäftsfelder für seine Konzerne. Vor allem hinsichtlich der Erfassung von Daten. Vielleicht war der Kampf gegen den Klimawandel da noch ein relativ harmloses Gebiet.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.