Ambrose Bierce definierte in seinem „Wörterbuch des Teufels“ den Begriff Zitat so: „Die fehlerhaft wiedergegebenen Worte eines anderen“. Manchmal stimmt jedoch das Zitat, nur wird es dem falschen Urheber zugeschrieben. Drei Beispiele.
Aufgrund des Krieges in der Ukraine tauchen wieder vermehrt drei Sätze auf, die oft einem falschen Urheber zugesprochen werden. Die Sätze lauten:
„Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“
„Lieber hundert Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“
„Ich missbillige, was du sagst, aber ich werde bis zum Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.“
Der erste Satz wird oft Bertolt Brecht zugeschrieben, der zweite Satz Helmut Schmidt und der dritte Satz Voltaire. Dies ist jedoch in allen drei Fällen nicht korrekt. Woher kommen die Sätze tatsächlich?
„Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“
Einige schreiben den Satz Bertolt Brecht zu. Manche behaupten sogar, der Satz ginge wie folgt weiter: „Und dann kommt der Krieg zu euch.“ Das stimmt aber nicht.
Der Satz „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ stammt ursprünglich von Carl August Sandburg. Er war ein US-amerikanischer Dichter, Journalist und Historiker und lebte von 1878 bis 1967. Bekannt ist er besonders durch seine Biographie von Abraham Lincoln, für die er den Pulitzer-Preis gewann. Sein bekanntester Satz stammt allerdings aus dem Buch „The people, Yes“. Dort wird ein kleines Mädchen beschrieben, das seine erste Militärparade sieht und dabei allerlei Fragen hat. Sie fragt, was Soldaten sind und bekommt als Antwort: „Sie sind für den Krieg. Sie kämpfen und jeder versucht, so viele wie möglich von der anderen Seite zu töten.“ („They are for war. They fight and each tries to kill as many of the other side as he can.“)
Darauf verstummt das Mädchen für eine kurze Weile und sagt dann: „Weißt du … ich weiß etwas? Irgendwann werden sie einen Krieg führen und niemand wird kommen.“ („Do you know … I know something? (…) Sometime they’ll give a war and nobody will come.“)
War’s Marx? (Harpo, nicht Karl!)
Laut Harpo Marx jedoch soll schon vor Carl Sandburg jemand diese Geschichte erzählt haben, nämlich der Schriftsteller Thornton Wilder. In seiner Autobiographie „Harpo speaks“ schreibt Marx:
„Meine Lieblingsgeschichte von Thornton Wilder ist die, wo ein kleines Mädchen ihn fragt, was Krieg sei. Wilder antwortete: ,Eine Million Männer mit Waffen gehen raus und treffen auf eine weitere Million Männer mit Waffen, und sie alle schießen und versuchen, sich gegenseitig zu töten.‘ Sie dachte darüber nach und sagte dann: ,Aber angenommen, niemand taucht auf?'“
(„My favorite Thornton Wilder story was the one about the time a little girl asked him what war was. Wilder replied, ‘A million men with guns go out and meet another million men with guns, and they all shoot and try to kill each other.‘ She thought that over, then said, ‘But supposed nobody shows up?‘)
Die amerikanische Frauenzeitschrift „McCall’s“ formulierte dann 1966 im Schatten des Vietnamkrieges die Schlagzeile: „Angenommen, sie geben einen Krieg, und niemand kommt.“ („Suppose They Give a War, and No One Came?“)
Spruch aus Amerika importiert
Ein Anti-Kriegs-Poster aus dem Jahr 1969, auf dem weiße Tauben zu sehen sind, die in einer Blumenwiese auf Waffen sitzen, nahm dann diese Schlagzeile auf. Auf dem Poster stand: „Was wäre, wenn sie einen Krieg geben und niemand kommt …“ („What if they gave a war and nobody came …“)
So kam der Satz dann nach Deutschland, wo er schnell in folgender Übersetzung benutzt wurde: „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“. Irgendwann wurde der Satz fälschlicherweise Bertolt Brecht zugeschrieben. Ein anonymer Scherzkeks kam auf die Idee, den Satz „Und dann kommt der Krieg zu euch“ hinzuzufügen, und hängte den Satz dann einfach an ein Gedicht von Bertolt Brecht an. Das Gedicht stammt aus dem Werk „Koloman Wallisch Kantate“ und wird nicht selten mit dem gefälschten Anfang zitiert, nämlich so:
„Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin,
und dann kommt der Krieg zu euch.
Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt,
und lässt andere kämpfen für seine Sache,
der muss sich vorsehen…“
Nicht vom Ex-Offizier Schmidt?
Das Gedicht ist somit nicht von Bertolt Brecht, sondern ein lyrischer Cocktail aus Carl Sandburg, Bertolt Brecht, Thornton Wilder, einem anonymen Scherzkeks und einem Schuss Marx – Harpo, nicht Karl! Kommen wir zum nächsten Satz:
„Lieber hundert Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“
Dieser Satz wird Helmut Schmidt zugeschrieben, und zwar im Internet, erstmals am 22. Mai 2014 auf der Homepage der SPD Oberhausen-Rheinhausen. Dort heißt es:
„In diesen Tagen sind wir in Gedanken besonders bei den Menschen in der Ukraine. Wir danken Frank-Walter Steinmeier für sein unermüdliches Engagement im Dialogprozess über die Zukunft der Ukraine. Denn für uns gilt der Satz von Altkanzler Helmut Schmidt: ,Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.'“
Die Suche nach einer Quelle für diesen Satz aus der Feder von Helmut Schmidt bleibt jedoch erfolglos. Die älteste Quelle dieses Satzes nach meiner bescheidenen Recherche ist bisher ein Leserbrief in der taz vom 15. April 1999. Dort wird der Satz jedoch mit Willy Brandt in Verbindung gebracht:
„Lieber 100mal verhandeln, als einmal schießen. Während der Verhandlungen die Interessen der jeweiligen Seite berücksichtigen. Das war die Entspannungspolitik eines Willy Brandt.“
Der Brief wurde verfasst von Heinz Kappei aus Berlin und beschäftigt sich mit dem Vertrag von Rambouillet. Dieser Vertrag war der Entwurf eines Friedensvertrages zwischen der Bundesrepublik Jugoslawien und der politischen Führung der Kosovo-Albaner.
Ominöser Brief
Es ist somit nicht klar zu benennen, auf wen dieser Satz zurückgeht, im Gegensatz zu dem letzten Zitat:
„Ich missbillige, was du sagst, aber ich werde bis zum Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.“
Immer wieder wird behauptet, der Satz stamme von Voltaire und zwar aus einem Brief von Voltaire an M. le Riche vom 6. Februar 1770. Dort soll er geschieben haben:
„Herr Abbé, ich verabscheue, was Sie schreiben, aber ich würde mein Leben dafür hergeben, dass Sie weiter schreiben können.“ („Monsieur l’abbé, je déteste ce que vous écrivez, mais je donnerai ma vie pour que vous puissiez continuer à écrire.“)
Das stimmt allerdings nicht. Es gibt keine Quelle, die die Existenz dieses Briefs bestätigen kann. Der Satz stammt von Evelyn Beatrice Hall (1868–1956). Sie war eine englische Schriftstellerin, die unter dem Pseudonym S. G. Tallentyre schrieb. Sie verwendete den Satz in ihrer im Jahr 1903 erschienen Biografie über Voltaire unter dem Titel „The Life of Voltaire“. In diese Biografie verwendet sie den Satz als Illustration der Philosophie von Voltaire. So wird es zu dem Glauben gekommen sein, Voltaire habe den Satz persönlich in die Welt gebracht.