Vera Lengsfeld / 20.11.2017 / 10:28 / Foto: Ursula Stock / 41 / Seite ausdrucken

Waterloo statt Jamaika, Merkel gibt den Mugabe

Ehe man einem Projekt einen Namen gibt, tut man gut daran, sich über den Namensgeber kundig zu machen. Die Jamaika-Unterhändler, vor allem aber die Medien, hätten sie nur ein wenig recherchiert, hätten gewarnt sein können: Die Deutsche Botschaft im problematischen Jamaika liegt in der Waterloo-Street (Nummer 10). Nun haben Merkel und die Union ihr Waterloo erlebt.

Dass nicht wenigstens die CSU, notfalls ohne Seehofer, gemeinsam mit der FDP aus der verfahrenen Kiste ausgestiegen ist, zeigt, wie wenig Substanz in dieser Partei vorhanden ist. Ihre Positionen haben sich wieder einmal als Theaterdonner zur Irreführung der Wähler erwiesen. Nun wird sich zeigen, ob sie wenigstens die Kraft hat, den längst überfälligen Schritt zu tun und Seehofer als Parteichef abzulösen.

Was Kanzlerin Merkel betrifft, ist diese fest entschlossen, nach ihrem erneuten Debakel den Mugabe zu geben. Sie ist immer noch nicht bereit, persönliche Konsequenzen aus ihrem Scheitern zu ziehen. Mugabe musste aus dem Amt geputscht werden. Das wird die völlig entleerte Union nicht zustande bringen. Es wird noch Wochen, vielleicht Monate der Agonie geben, ehe es zu befreienden Neuwahlen kommen kann. Das geht deutlich aus Merkels Statement hervor, das sie eine Stunde nach Abbruch der Verhandlungen durch die FDP gegeben hat.

Großes Verhandlungsgeschick?

Das erste Drittel der Erklärung besteht aus den berüchtigten verschwurbelten Merkel-Sätzen, nach deren Sinn man sich vergeblich fragt.

„Wir hatten aus unserer Perspektive der Union sehr vieles erreicht in diesen Verhandlungen, was die Stabilität des Landes gestärkt hätte, sowohl die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung, bei den schweren Fragen der Erwartungen der Grünen an die Leistungen im Blick auf den Klimaschutz, aber vor allen Dingen auch was soziale Fragen anbelangt, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen.

Wir haben interessanterweise die erste Einigung über die Landwirtschaftspolitik erzielt, das wäre und ist, weil es bleibt, ja auch ein interessanter Bestandteil, was vielleicht auch versöhnend auf unsere Gesellschaft hätte wirken können, und jetzt müssen wir trotzdem mit den Tatsachen umgehen. Tatsache heißt, dass wir keine Sondierungsgespräche erfolgreich abschließen konnten.“

Mit der Beschreibung der Tatsachen steht Merkel allerdings auf Kriegsfuß. Lag der Abbruch an den den „schweren Fragen der Erwartungen der Grünen an die Leistungen im Blick auf den Klimaschutz“? Bleibt die Einigung über die Landwirtschaftspolitik?

Dann macht die Frau, die nicht in der Lage ist, deutliche Aussagen zu formulieren, der aber trotzdem von den Medien „Verhandlungsgeschick“ angedichtet wird, klar, dass sie unbelehrbar und absolut realitätsfern ist:

„Wir, CDU und CSU gemeinsam, ich sage das ausdrücklich, werden Verantwortung für dieses Land auch in schwierigen Stunden übernehmen und auch weiter sehr verantwortungsvoll handeln. Denn die Menschen in Deutschland haben sich heute mehrheitlich gewünscht, dass wir zusammenfinden. Und denen fühlen wir uns verpflichtet. Und wir werden dazu beitragen, mit unseren Kräften, die wir haben, zum Zusammenhalt dieses Landes auch einen Beitrag zu leisten.“

Die spannende Frage ist, wer von der CSU Merkel zugesichert hat, sich von der Kanzlerin in ihren Untergang hineinziehen zu lassen. Man kann nur hoffen, dass Dobrindt nicht dabei war.

Kein Wähler hat eine Jamaika-Koalition beauftragt

Was die „Menschen“ anlangt – die Bezeichnung Bürger für die Wähler kommt Merkel nicht von den Lippen – so haben sie der Union und Frau Merkel bei der Bundestagswahl das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 verpasst und Frau Merkel sicherlich keinen Auftrag für eine Jamaika-Koalition gegeben. Die Stimmung erhellten zahlreiche Umfragen in den letzten Monaten, die eine große Skepsis gegenüber einer Jamaika-Koalition verrieten.

Merkel nimmt die Realität ebenso wenig wahr, wie ehemals die Politbürokraten der DDR. Aber anscheinend hat sich keiner aus ihrem Hofstaat mehr getraut, ihr aktuelle Umfrageergebnisse zu diesem Thema vorzulegen. Diese Frau ist kein „Stabilitätsanker“, weder für Deutschland, noch für Europa.

Ein Großteil der Medien steht auch vor einem Scherbenhaufen. Sie haben in den letzten Wochen mit allen  Tricks versucht, der Öffentlichkeit einzureden, eine Jamaika-Regierung wäre wünschenswert, ja alternativlos. Nun müssen sie mit der erfreulichen Tatsche klar kommen, dass ihr Wunschdenken nichts gefruchtet hat.

Gut gebrüllt, Christian Lindner!

Last not least möchte ich dem in den letzten Wochen (auch von mir) verkannten Christian Lindner gratulieren, dass es ihm gelungen ist, im letzten Moment noch die Reißleine zu ziehen. Von den frustrierten Verhandlungspartnern, vor allem von jenen, die nun ihre lang ersehnten Dienstwagen davonfahren sehen, wird ihm der schwarze Peter zugeschoben.  Dafür werden ihm die schon verlorenen Sympathien der Wähler wieder zufliegen. Seine Erklärung enthält Sätze, die man schon lange von keinem deutschen Politiker mehr gehört hat:

„Die Freien Demokraten sind für Trendwenden gewählt worden. Und wer dieses Dokument ansieht, sieht: Es war nicht zu ambitioniert, es war nichts unrealistisch, sondern maßvoll. Wir sind für die Trendwenden gewählt worden, aber sie waren nicht erreichbar, nicht in der Bildungspolitik, nicht bei der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, nicht bei der Flexibilisierung unserer Gesellschaft, nicht bei der Stärkung der Marktwirtschaft und bis zur Stunde auch nicht bei einer geordneten Einwanderungspolitik.

Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten, viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich. Wir wären gezwungen, unsere Grundsätze aufzugeben und all das, wofür wir Jahre gearbeitet haben. Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind. Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Auf Wiedersehen.“

Gut gebrüllt, Christian Lindner!

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Leserpost

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Bettina Federlein / 20.11.2017

Liebe Frau Lengsfeld, viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen sind weit entfert vom reinen Wunschdenken. Da wurde und wird mit aller Macht versucht, gewünschte Ergebnisse, beispielsweise anlässlich der Präsidentschaftswahlen in den USA, der Bundestagswahlen oder aktuell der Jamaikakoalition herbeizuschreiben, um anschließend mit “Gift und Galle” über all jene herzufallen, die sich eben nicht Meinung oder Entscheidung vorschreiben lassen. Gerade heute offenbart sich erneut ein desaströses Demokratieverständnis nicht weniger Journalisten und Moderatoren. Es hat den Anschein, als versinken die 4. Macht im Staat im Kotau vor Merkel und deren Machtanspruch.

Karl Baumgart / 20.11.2017

Werte Frau Lengsfeld, Sie bescheinigen dem FDP-Vorsitzenden gutes Brüllen auf dem Berliner Podium. Ja, es liest sich tatsächlich so. Aber haben Sie auch zur Kenntnis genommen, dass seine FDP auf der nordrhein-westfälischen Ebene bereits eingeknickt ist in ihrer Zusammenarbeit mit Laschets CDU? Im Übrigen war es mir wieder mal eine Freude, Sie zu der aktuellen politischen Entwicklung zu lesen: “Dann macht die Frau, die nicht in der Lage ist, deutliche Aussagen zu formulieren, der aber trotzdem von den Medien ‘Verhandlungsgeschick’ angedichtet wird, klar, dass sie unbelehrbar und absolut realtitätsfern ist: ...”  Viele von uns, die ihn erlebt haben, sehen sich nach Helmut Schmidt. Wo ist er, wenn man ihn braucht? Eine Bemerkung am Rande, sehen Sie sie dem Englischlehrer in mir nach: Es heißt nicht ‘Last not least’ sondern ‘Last but not least’.

Rudolf George / 20.11.2017

Nach dem Abbruch der Sondierungen habe ich einen Mediensturm gegen die FDP erwartet. Und siehe da, es geschieht. Meine Erwartung für den kommenden Wahlkampf ist: Niederschreiben der FDP, so wie schon ein mal 2013 geschah. Merkels Medienmannen werden sich nochmal ins Zeug legen für die Alternativlose. Es wird aber nichts nützen. Der deutsche Wähler will eine glaubhafte Beschränkung der Migration; das kann Frau Merkel nicht liefern. Sollte sie wieder als Kandidatin antreten, dann trüge die CDU ein gewaltiges Risiko. Denn ihr Scheitern könnte nur dann abgewendet werden, wenn die AfD sich selbst zerlegt. Im Moment sieht es danach nicht aus, denn selbst der Petry-Austritt ging erstaunlich geräuschlos vonstatten.

Wolfgang Raub / 20.11.2017

Sehr gut Hr. Lindner, weitermachen.

Marianne Hildebrandt / 20.11.2017

Ihr Artikel trifft ins Schwarze. Respekt vor Herrn Lindner, der im letzten Moment noch den Mut hatte Nein zu sagen Schade, dass die CSU nicht lernfähig ist. Wer zum Teufel wollte Jamaika?

G.Rentrop / 20.11.2017

Mein Dank geht an Herrn Lindner. Ich hatte befürchtet, daß sich die FDP aus Machtgier von CDU/CSU und Grünen unterbuttern ließ. Ich habe mich geirrt und bin sehr froh darüber, daß Lindner diesem unseligen Schauspiel ein Ende bereitet hat. Ab dem heutigen Tag ist die FDP wieder eine bürgerliche und unverzichtbare Partei im deutschen Parteienspektrum. Frau Merkel dagegen hat überhaupt nichts begriffen. Sie klammert sich an die Macht, anstatt das einzig Richtige zu tun und zurückzutreten. Ich befürchte, daß die Dame in ihrer Machtgeilheit nun versucht, die SPD mit ins Boot zu nehmen. Sie wird der SPD alles anbieten und endgültig die CDU ruinieren. Ihre absolute Prinzipienlosigkeit dient nur ihrem Machterhalt. Deutschland ist ihr egal. Sollte die SPD ihren Verlockungen erliegen und es wieder eine große Koalition geben, dann gibt es ein „weiter so, wie bisher.“ In diesem Falle kann man nur auf eine starke Opposition von FDP und AFD hoffen, denn die Grünen und die Linke wird jeden Blödsinn der GROKO unterstützen. Vielen Dank für Ihren hervorragenden Artikel,  Frau Lengsfeld.

Werner Arning / 20.11.2017

Zusammen mit Merkel dürften nun auch, die sie unterstützenden Medien zittern, dass das gesamte Lügenkartenhaus in sich zusammenkracht und nicht nur Merkel als Kaiserin ohne Kleider dasteht,  sondern auch dem gesamten Medienhofstaat das Fürchten gelehrt wird. Dass die CDU- Parteimitglieder nun die Sache selber in die Hand nehmen, um zu retten, was noch zu retten ist, davon ist wohl leider nicht auszugehen.

Thomas Nuszkowski / 20.11.2017

Die alte, weiße Frau klebt gierig an der Macht. Merkel muss weg - jetzt erst recht.

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