Nun ist der Hype um Wasserstoff auch bis zu den Kernkraftwerken durchgedrungen. Warum auch nicht? Wenn der Staat Subventionen austeilt, greift man halt gerne zu. Bisher ist Wasserstoff (H2) überwiegend ein Grundstoff für die Düngemittel-Industrie (Ammoniak NH3) und zur Veredelung in der Petrochemischen Industrie (zum Beispiel Entschwefelung von Kraftstoffen, Methanolherstellung etc.). Heute werden über 95 Prozent aus fossilen Energieträgern – hauptsächlich aus Erdgas durch Dampfreformierung – und knapp 5 Prozent über Elektrolyse als Nebenprodukt, zum Beispiel bei der Chlor-Elektrolyse, gewonnen.
Nachdem sich nun auch bei „Energiewendern“ die Erkenntnis rumspricht, dass man für die Stromproduktion durch Windmühlen Wind benötigt und bei der Photovoltaik zumindest Tageslicht, kommt man auf die Schnapsidee, Wasserstoff als Energieträger im großen Maßstab einzusetzen. Die neuen Zauberwörter der Schlangenölverkäufer sind „Wasserstoffwirtschaft“ und „Sektorenkopplung“: Man will nicht nur elektrische Energie während der Dunkelflauten aus Wasserstoff herstellen, sondern ihn auch als Kraftstoff, zur Gebäudeheizung und für alle möglichen industriellen Anwendungen einsetzen. Auf solch eine Kopfgeburt kann nur einer kommen, für den Thermodynamik lediglich ein Wort mir 13 Buchstaben ist.
Hans im Glück
Wasserstoff kommt in der Natur praktisch nur in chemischen Verbindungen (Wasser H2O, Erdgas CH4 und so weiter) vor. Diese müssen erst mal geknackt werden, um Wasserstoff zu gewinnen. Dazu ist viel Energie nötig. Will man Wasser mittels Elektrolyse zerlegen, benötigt man etwa 4,4 kWh pro Normkubikmeter Wasserstoffgas. Verbrennt man diesen einen Normkubikmeter wieder, kann man nur 3,0 kWh (unterer Heizwert) zurückgewinnen. Geschieht dies in einem modernen Kombikraftwerk (Wirkungsgrad 60 Prozent) werden daraus nur 1,8 kWh elektrische Energie zurückgewonnen. Wohlgemerkt, hier wurde noch kein einziger Kubikmeter transportiert oder gespeichert. Beides ist – ob verdichtet oder verflüssigt – nur mit beträchtlichem Energieaufwand möglich. Wie man es auch dreht und wendet, in der Praxis bekommt man nur rund ein Drittel zurück – oder anders ausgedrückt, haben sich die Stromkosten (ohne jede Investition für die Elektrolyse) schon allein wegen der Umwandlungsverluste verdreifacht.
Man hat uns ja inzwischen beigebracht, dass der Wind – wie schon vorher die Sonne – keine Rechnung schickt. Gleichwohl sind gewaltige Investitionen in die Errichtung von Windparks notwendig. Hinzu kommen noch Betriebs- und Wartungskosten, die ebenfalls nicht gering sind, wie man heute gelernt hat. Alle Kosten müssen jedenfalls durch die Stromerlöse und Subventionen wieder eingebracht werden. Unter Grundlast in einem Netz versteht man die kleinste Leistung, die immer anliegt – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Will man die Grundlast durch Windmühlen abdecken, braucht man dafür etwa die 8–9-fache installierte Leistung. Der Grund ist trivial: Wenn kein Wind weht, wird auch kein Strom produziert, egal, wie viele Windmühlen man gebaut hat!
Will man in schwachen Zeiten zufüttern, muss man die erforderliche Menge elektrischer Energie vorher produziert haben. 2019 betrug die Arbeitsausnutzung der Windmühlen in Deutschland 28 Prozent (installierte Leistung 53,912 GW, Stromproduktion 131,8 TWh). Leider muss man die hierfür produzierte Energie speichern und bekommt über den Weg Wasserstoff nur etwa ein Drittel zurück (siehe oben). Hinzu kommen selbstverständlich noch die Investitionen für die Elektrolyse, die Speicher und das Backup-Kraftwerk. Man könnte es auch anders formulieren: Wer den Menschen vorgaukelt, es wäre eine (wirtschaftliche) Stromversorgung nur mit Wind und Sonne möglich, der lügt. Es ist deshalb kein Zufall, dass alle einschlägigen „Energiewender*Innen“ immer von Zwangsabschaltungen – sprachlich getarnt als „Smart-Meter“ – und Konsum- und Wohlstandsverzicht – sprachlich getarnt als „Energieeffizienz“ – schwadronieren.
Transport und Speicherung
Wasserstoff ist ein Gas mit extrem geringer Dichte: Ein ganzer Kubikmeter wiegt noch nicht einmal 90 Gramm. Es muss deshalb verdichtet oder verflüssigt werden, um es überhaupt transportieren und lagern zu können. Wenn man es auf 700 bar verdichtet (Industriestandard für PKW), hat es gerade mal einen Energiegehalt von 1,32 kWh/Liter. Selbst wenn man es durch Abkühlung auf -253°C verflüssigt, beträgt sein Energiegehalt gerade mal 2,34 kWh/Liter. Zum Vergleich: Benzin hat einen Energiegehalt von rund 8,7 kWh/Liter.
Selbst für den Transport in Rohrleitungen oder der Speicherung in Kavernen muss es verdichtet werden. Jede Verdichtung erfordert eine Menge elektrische Energie und ist immer mit erheblichen Verlusten verbunden. Wenn es in Pipelines strömt, entstehen ebenfalls Verluste durch Reibung. Man bevorzugt deshalb für sehr lange Strecken eine Verflüssigung und Tankschiffe. Allerdings werden für die Verflüssigung von Wasserstoff allein rund 35 Prozent seiner Energie benötigt. Spätestens hier sollte der geneigte Leser verstehen, warum wir uns in einer Welt von Mineralölen und Erdgas bewegen.
Oder anders ausgedrückt, welche brutalen Konsequenzen drohen, wenn wir alle Fahrzeuge auf Wasserstoff umstellen wollen. Das Gerede von „Sektorkopplung“ (Strom aus Wind und Sonne wird benutzt, um Kraftstoffe und andere Energieträger herzustellen) ist nur ein weiteres Neusprechwort für „Mobilitätsverzicht“. Ganz davon zu schweigen, dass Deutschland viel zu klein ist, um es mit der erforderlichen Anzahl von Windmühlen zupflastern zu können. Bahnt sich hier schon wieder das „Volk ohne Raum“ an?
Wasserstoff durch Kernenergie
Hat man erst einmal die Konsequenzen des „Grünen Wasserstoffs“ verstanden, ist die Produktion durch vorhandene Druckwasserreaktoren nicht mehr so abwegig. Immer unter der Voraussetzung, man lehnt die Produktion aus fossilen Energieträgern ab. Das erste Argument liefert die Arbeitsausnutzung (Kernkraftwerk 90 Prozent, Windmühlen in Deutschland 28 Prozent) oder mit anderen Worten, wieviel Wasserstoff man mit einer gegebenen Anlage produzieren kann.
Das zweite Argument sind die Energiekosten. Wärmeenergie ist immer billiger als elektrische Energie. Dies ist der Grund, warum heute rund 95 Prozent des Wasserstoffs aus Erdgas hergestellt werden. Aber auch bei der Elektrolyse kann man durch erhöhte Temperaturen elektrische Energie einsparen. Bei einem Kraftwerk ist die Auskopplung von Wärme kein Problem. Der Anbau an konventionelle Kernkraftwerke ist hier nur der erste Schritt. Kommen (später) Reaktoren mit höheren Betriebstemperaturen zum Einsatz, wird der Vorteil noch gravierender. In fernerer Zukunft könnten Hochtemperaturreaktoren sogar den Weg über chemische Verfahren (zum Beispiel Jod-Schwefelsäure) gehen.
Das U.S. Department of Energy (DOE) fördert eine Dampf-Elektrolyse-Anlage an einem Kernkraftwerk (wahrscheinlich Prairie Island Nuclear Generating Station von Xcel Energy) in den USA mit 13,8 Millionen US-Dollar. Xcel Energy verfügt über einen hohen Anteil von Windenergie mit dem entsprechend stark schwankenden Angebot. Eine Fragestellung soll deshalb sein, ob man Energie aus dem Reaktor auskoppeln kann, ohne diesen bei Windspitzen abregeln zu müssen. Dies wäre damit die erste unmittelbare Kopplung von Wind- und Kernenergie bei einem Versorger. Böse Zungen könnten auch sagen: Eine den Markt verzerrende Subvention der Windenergie soll durch Subventionen bei einem vorhandenen Kernkraftwerk geheilt werden.
Ein zweites Förderprogramm des DOE über 12,5 Millionen US-Dollar unterstützt die Kooperation von FuelCell Energy of Danbury mit dem Idaho National Laboratory. Ziel ist die Entwicklung von Festkörper-Elektrolyse-Zellen mit hohem Wirkungsgrad und geringen Kosten als 200- bis 500-MW-Module zur Nachrüstung bei Kernkraftwerken. Es soll der Wechsel zwischen Wasserstoffherstellung und Stromproduktion demonstriert werden, um Kernkraftwerken ein zweites wirtschaftliches Standbein zu erschließen.
Ausblick
Im Jahr 2019 wurden weltweit 69 Millionen Tonnen Wasserstoff in Raffinerien und Düngemittelfabriken verbraucht. Der Markt ist also vorhanden. Allerdings wird nur sehr wenig Wasserstoff über größere Entfernungen transportiert. Wegen der bekannten Transportschwierigkeiten wird er unmittelbar in der Nähe der Verbraucher erzeugt. Es gibt allerdings bedeutende regionale Pipeline-Systeme, zum Beispiel in den USA an der Golfküste, die verschiedene Chemiezentren untereinander verbinden. In dieser Region ist ein bedeutender Ausbau für „Blauen Wasserstoff“ geplant. Dabei wird der aus den reichlich vorhandenen Erdgasvorkommen über Dampfreformierung gewonnen. Das dabei anfallende CO2 ist beileibe kein Abfall, sondern kann an die Ölproduzenten in dieser Region verkauft werden.
Ein doppeltes Geschäft wird möglich: Einsparung von CO2-Abgaben und zusätzliche Ölförderung aus bereits erschöpften Quellen. Damit ist auch klar, warum die Erdgasindustrie immer ein Förderer der „Alternativ-Energien“ war und ist. Man weiß sehr genau über die Dunkel-Flauten Bescheid. Erdgas ist der Energieträger, der mit den geringsten Investitionen Backup-Kraftwerke erlaubt – jede Windmühle und jeder Sonnenkollektor bedeutet also zusätzlichen Absatz. Es gibt momentan auch kein Henne-Ei-Problem: Man kann den Absatz an Wasserstoff schnell durch Beimischung zum Erdgas steigern. Es laufen bereits Verhandlungen über neue Spezifikationen. Es scheint möglich, bis zu 20 Prozent Wasserstoff ohne große Modifikationen an den Pipelines und Verbrauchern untermischen zu können. Auch hier wird klar, wer größtes Interesse an der Einführung von CO2-Abgaben hat.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Klaus-Dieter Humpichs Blog „Nuke-Klaus“.