In Namibia läuft derzeit ein Projekt zur Herstellung von „grünem Wasserstoff“ an, das Wohlstand und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes fördern soll. Doch der Erfolg ist fraglich.
Das Vorhaben übersteigt hinsichtlich Finanzierung und technischer Durchführung die eigenen Kapazitäten des Landes um Größenordnungen. Es wäre nur mit massiver Unterstützung aus dem Ausland möglich, genauer gesagt aus Deutschland, welches auch Hauptkunde für das Produkt wäre, das auf dem freien Markt keine Chance hätte. Ist das nicht eine neue Form von deutschem Kolonialismus – ausgerechnet im ehemaligen Deutsch Südwest-Afrika?
Mein bevorstehender Besuch in Lüderitz (siehe Foto) veranlasst mich dazu, einen Blick auf das deutsch-namibische Wasserstoff-Projekt zu werfen, dessen Startlöcher in besagter Kleinstadt im Süden des Landes derzeit gegraben werden.
Vorab jedoch ein paar Worte zu Namibia: Es ist zweieinhalbmal so groß wie Deutschland, mit nicht mehr Einwohnern als Hamburg. Ich habe das Land sowohl im Auto als auch auf eigenen Schwingen bereist. Mein Resümee: Es ist das Land der gigantischen Entfernungen. Von A nach B sind es immer mindestens 500, meist aber 1.000 km. Es ist eine riesige Wüste, über die ein paar bewohnbare Flecken verteilt sind, an denen Städte entstanden. Es sind aber so wenige, dass es genügt, jeweils die erste Hälfte des Namens zu sagen, und jeder weiß was gemeint ist: „Swakop“, „Otji“ oder „Walvis“. Die unendlich lange Atlantikküste hat nur wenige Häfen, und der Name „Skeleton Coast“ spielt auf die sterblichen Überreste von Besatzungen gestrandeter Schiffe an, die sich hier zwar an Land retten konnten, dann aber verdursteten, statt zu ertrinken.
Im Mai 1883 nun kaufte der Geschäftsmann Adolf Lüderitz aus Bremen dem Häuptling Josef Frederiks II. von Bethanien einen Ankerplatz plus acht Kilometer Land im südlichen Abschnitt dieser Küste ab. Dort entstand dann die Stadt namens Lüderitzbucht, die nach Manier des Landes kurz Lüderitz genannt wird.
Wasserstoff – leicht und entflammbar
Es war ein guter Kauf, denn nicht nur wurden in der Gegend kostbare Diamanten gefunden, der Hafen war auch idealer Stützpunk für die Kolonisierung des Landes durch die kaiserlichen deutschen Truppen. Diamanten werden noch heute, anderthalb Jahrhunderte später, geschürft; aber wie steht es mit der Eignung von Lüderitz als Anlaufpunkt für Kolonisatoren? Werden wir da vielleicht bald ein Déjà-vu erleben?
Im heldenhaften Kampf gegen CO2 will Deutschland jetzt die Wunderwaffe Wasserstoff einsetzen. Das ist ein chemisches Element, und als solches besteht es aus nur einer Sorte von Atomen. Die haben die Tendenz, sich untereinander paarweise zu binden, welches zu dem Kürzel H2 geführt hat, wobei die Ziffer für die Anzahl der beteiligten Atome steht und das „H“ für das lateinische Wort Hydrogenium.
Atome und Moleküle, so klein sie auch sein mögen, haben dennoch ein Gewicht, wobei H2 das leichteste von allen ist. Deswegen steigt ein mit H2 gefüllter Luftballon nach oben, so wie ein Stück Holz unter Wasser. Dieses Phänomen benutzte man früher in Luftschiffen.
Der „Hindenburg“ wurde nun eine andere Eigenheit des Wasserstoffs zum Verhängnis, denn noch lieber als untereinander gehen die H-Atome eine Verbindung mit Sauerstoff ein. Da genügt ein Funke, das H2-Molekül bricht auf, und die jetzt freien H-Atome werfen sich dem nächstbesten Sauerstoff-Atom an den Hals, um mit ihm eine Ménage à trois zu bilden, nämlich das Hydrogenoxid – auch bekannt unter dem Namen Wasser. Bei dieser Reaktion wird Energie frei, etwa in Form von Flammen. In kontrollierter Form kann diese Energie sehr nützlich sein, und zwar nicht nur als Flamme, sondern auch in Form von Elektrizität. Und das Allerbeste: Es entsteht kein unerwünschtes CO2, so wie beim Verbrennen von Kohle oder Erdgas.
Her damit!
Worauf warten wir noch? Warum haben wir nicht längst alles auf H2 umgestellt? Das hätte doch nur Vorteile – oder? Nun, da ist ein kleines Problem: Es gibt keinen Wasserstoff auf unserem Planeten. Vielleicht gab es ihn einmal, aber seine Affinität zu Sauerstoff hat dazu geführt, dass er praktisch nur noch in Verbindung mit diesem, also in Form von Wasser vorliegt. Das H2O-Molekül kann man zwar wieder in seine Bestandteile zerlegen, aber dazu braucht man mehr Energie, als man dann zurück bekommt. Das ist kein gutes Geschäft. Aber, wie lautet doch das Motto unserer Regierung: Wenn man CO2 sparen will, dann darf nichts zu teuer sein. Es geht ja um die Rettung der Welt.
H2 lässt sich herstellen, indem man Gleichstrom durch Wasser leitet. Letzteres wird dabei in seine Bestandteile gespalten, und der Wasserstoff kann eingefangen werden. Natürlich muss der Strom bei diesem Prozess – genannt Elektrolyse – aus einem CO2-freien Kraftwerk kommen, sonst könnte man sich die Prozedur ja sparen. In Deutschland haben wir keinen Strom dafür übrig, wir müssen ja jetzt schon importieren. So entstand die Idee, in dünn besiedelten, aber windreichen Teilen der Erde Windgeneratoren zu installieren, um mit deren elektrischer Leistung per Elektrolyse H2 herzustellen. Einen griffigen Namen für das Produkt hat man schon: „grüner Wasserstoff“, denn weder bei seiner Herstellung noch bei seinem Verbrauch entsteht CO2.
Der grüne Wasserstoff „GH2“ muss jetzt allerdings noch nach Deutschland gebracht werden. Ein Transport im Zeppelin hat sich nicht bewährt, aber auch per Schiff in Gasflaschen wäre es zu ineffizient. Man macht stattdessen aus H2 und dem Stickstoff der Luft ein anderes Gas: Ammoniak. Das lässt sich verflüssigen und kann bei tiefer Temperatur per Tanker transportiert werden.
Am Ziel der Reise angekommen, wird der Ammoniak wieder in seine Bestandteile zerlegt, der Wasserstoff wird in so genannten Brennstoffzellen zu Elektrizität verwandelt, und die wird in unser Stromnetz eingespeist. Das ist eine weite Reise! Wie viel von dem ursprünglich aus Windkraft erzeugten Strom kommt dann letztlich bei uns an? Zwischen 10 und 20 Prozent. Und noch etwas: So richtig „grün“ ist die Sache jetzt nicht mehr, denn ein Tanker verbraucht von Lüderitz nach Bremerhaven gut und gerne seine 1.000 Tonnen Schweröl und pustet ganz gewaltig CO2 in die Luft – aber das passiert ja außerhalb Deutschlands Grenzen.
Ein paar Zahlen
Sie haben es erraten, Namibia soll für die Sache herhalten. Man beginnt derzeit mit einem bescheidenen Pilotprojekt namens „HYPHEN Tsau Khaeb“, welches in der Gegend von Lüderitz angesiedelt ist. Hier sollen erst einmal 300.000 Tonnen H2 pro Jahr produziert werden. Ist das viel? Bei permanentem Betrieb wären das 34 Tonnen pro Stunde. Für eine Tonne H2 sind 48 Megawattstunden erforderlich, die Windgeneratoren müssten dann also 34 x 48 = 1.632 Megawatt leisten.
Deutschlands 30.000 Windgeneratoren haben im Jahr 2023 pro Stück eine durchschnittliche Leistung von 0,433 MW erbracht. Für die erforderlichen 1.632 MW bräuchte man dann 3.769 Windgeneratoren dieses Typs bei „deutschem Wind“. Der mag in Namibia durchaus stärker sein, aber mit weniger als 1.000 Generatoren käme man wohl auch hier nicht aus.
Aber außer Strom braucht man auch noch Wasser für die Elektrolyse. Bei diesem Durchsatz wären das 34 Tonnen x 10 = 340 Tonnen = 340.000 Liter pro Stunde; und zwar Süßwasser, kein Meerwasser.
Das Pilotprojekt ist derzeit in der Vorphase. Da werden, unter anderem, die Windgeschwindigkeiten an verschiedenen Standorten gemessen. Dafür hat die deutsche Regierung schon mal 40 Millionen € spendiert. Das sind Peanuts im Vergleich zu den Kosten, die noch kommen werden. Und nicht nur für das Pilotprojekt. Das Land hat nämlich eine „Green Hydrogen Strategy“ verabschiedet, mit dem Ziel, bis 2050 in der Lage zu sein, 12 Millionen Tonnen GH2 pro Jahr zu produzieren. Das wäre also das 40-Fache der Kapazität des Pilotprojekts.
Hochgerechnet käme man dann auf 40 x 1.000 = 40.000 Generatoren, 10.000 mehr, als in Deutschland derzeit stehen.
Grünes Petroleum
Auch wenn diese Zahlen grob geschätzt sein mögen, es wird sofort klar, dass weder die Finanzierung noch das Engineering des Vorhabens durch Namibia geleistet werden können. Namibia würde nur sein Land zur Verfügung stellen, das dann von ausländischen Unternehmen ausgebeutet wird. Aber das geschieht ja schon heute. De Beers gräbt im namibischen Boden nach Diamanten und die Guangdong Nuclear Power Group nach Uran. Soll das Land noch tiefer in die wirtschaftliche Abhängigkeit von anderen Nationen sinken? Und will Deutschland hier erneut als moderne Kolonialmacht aufs Spielfeld treten? Und das ausgerechnet vom Hafen Lüderitz ausgehend?
Es könnte allerdings auch ganz anders kommen. Deutschland könnte demnächst eine Regierung haben, die andere Ziele verfolgt als die Ampel. Und die würde vielleicht die Milliarden nicht mehr so freudig verschleudern. Das Pilotprojekt HYPHEN Tsau Khaeb würde dann in einer frühen Phase verenden und die ersten Installationen würden von Wind und Sand malerisch begraben, so wie die historischen Hütten der ersten Diamantensucher von damals.
Namibia könnte sich dann auf ein ganz anderes, ein wirklich nachhaltiges und krisenfestes Geschäftsfeld konzentrieren: auf die riesigen Erdölfelder, die gerade vor Lüderitz unter dem Meeresspiegel entdeckt wurden. Das Zeug kann man ja dann „Green Petrol“ taufen.
Dr. Hans Hofmann-Reinecke studierte Physik in München und arbeitete danach 15 Jahre in kernphysikalischer Forschung. In den 1980er Jahren war er für die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien als Safeguards Inspektor tätig. Er lebt heute in Kapstadt. Dieser Artikel erscheint auch im Blog des Autors Think-Again. Der Bestseller Grün und Dumm, und andere seiner Bücher, sind bei Amazon erhältlich.