Wasserstoff aus Kernenergie: In den USA läuft’s

Die erste Demonstrationsanlage der 1-MW-Klasse einer Proton Exchange Membrane (PEM) Elektrolyse zur Herstellung von „Violettem Wasserstoff“ aus Kernenergie hat im Kernkraftwerk Nine Mile Point ihren Betrieb aufgenommen.

Das KKW Nine Mile Point besteht aus zwei Siedewasserreaktoren mit 620 MWel bzw. 1.369 MWel. Block 1 (BWR/2) wurde erstmalig 1969 kritisch und Block 2 (BWR/5) 1987. Die verlängerte Betriebsgenehmigung läuft für Block 1 voraussichtlich bis August 2029 und für Block 2 voraussichtlich bis Oktober 2046. Das Kraftwerk wird mit Wasser aus dem Lake Ontario gekühlt. Es liegt in Oswego, im Bundesstaat New York und ist im Besitz von Constellation.

Eigentlich ist die Installation einer Elektrolyse in einem KKW nichts besonderes: Es steht ausreichend elektrische Energie zur Verfügung, es gibt eine Wasseraufbereitung und es ist Fachpersonal und Infrastruktur vorhanden. Sollte es tatsächlich einen Ansturm auf Wasserstoff geben, stehen die KKW der Welt bereit. Betrachtet man z.B. Frankreich, stehen sie als „Tankstellen“ im ganzen Land zur Verfügung – anders als irgendwelche Anlagen im Meer, für die erst mal eine Transportkette aufgebaut werden muss. Für die Betreiber von KKW ist es einfach nur eine zusätzliche Einnahmequelle – letztendlich reduziert auf die Frage: Was bringt mehr Gewinn, Strom oder Wasserstoff? Betrachtet man Nine Mile Point, gibt es auch sicherheitstechnisch kein Problem. Der Elektrolyser besteht aus handelsüblichen Containern am Rande des Kraftwerksgeländes. Realisierung in wenigen Monaten möglich.

Es verwundert deshalb nicht, dass Constellation bis 2025 900 Millionen USD in die Wasserstoffproduktion durch Kernenergie stecken will. Constellation (ehemals Exelon Generation) ist Eigentümer und Betreiber der größten Flotte kommerzieller Kernreaktoren in Amerika. Das Unternehmen besitzt und betreibt 21 Kernreaktoren. In Zusammenarbeit mit verschiedenen öffentlichen und privaten Einrichtungen will man regionale Produktions- und Verteilzentren für Wasserstoff aufbauen.

Weitere Projekte

Energy Harbor wird noch in diesem Jahr in seinem Kernkraftwerk Davis-Besse in Ohio mit der Herstellung von Wasserstoff beginnen. Man hat dafür die „Great Lakes Clean Hydrogen Partnership“ gegründet (Energy Harbor, Linde, University of Toledo and GE Aerospace). Diese Region im Mittleren Westen wurde ausgewählt, weil es ein Verkehrsknoten ist und ein Industriestandort mit mehrere Werften etc. – sprich, hier gibt es potenzielle Nachfrage. Das Energieministerium plant mit seinem H2Hubs (DOE’s Regional Clean Hydrogen Hubs programme, or H2Hubs) 6 bis 10 solcher Zentren für „sauberen Wasserstoff“ in den USA anzuschieben. Es nimmt dafür rund 8 Milliarden USD in die Hand.

Der vielleicht nächste Schritt, ist bereits im Kraftwerk Prairie Island von Xcel Energy in Bau. Dort wird ein Elektrolyseur auf Feststoffbasis von Bloom Energy errichtet. Bei diesem Verfahren wird im Gegensatz zu Polymer-Elektrolyt-Membranen oder Alkali mit heißem Dampf gearbeitet. Dadurch kann ein Teil der notwendigen (wertvollen) elektrischen Energie durch (minderwertige) Abwärme ersetzt werden – beides ist in jedem Kernkraftwerk in großen Mengen vorhanden.

Noch einen Schritt weiter geht man im Kernkraftwerk Palo Verde. Dort will man nicht nur Wasserstoff herstellen, sondern auch durch verfeuern in einer Gasturbine bzw. in Brennstoffzellen zur Abdeckung von Spitzenlast einsetzen. Im Sonnengürtel der USA inzwischen eine zwingende Notwendigkeit.

In GB wurde das Bay Hydrogen Hub Projekt gestartet. Es soll die britische Asphalt- und Zementindustrie „dekarbonisieren“. Zu diesem Zweck soll im Kernkraftwerk Heysham 2 eine SOEC (solid oxide electrolysis) Anlage errichtet werden. Sie soll Wärme und elektrische Energie des Advanced Gas-cooled Reactor verwenden.

Lassen wir die Zahlen sprechen

Dank Nine Mile Point liegen jetzt Zahlen auf dem Tisch: Die Anlage produziert aus 1,25 MWel Strom 560 kg Wasserstoff pro Tag. Wasserstoff hat einen Heizwert Hi von 33,3 kWh/kg und einen Brennwert Hs von 39,4 kWh/kg. Technisch kann man nur den Heizwert Hi nutzen, da die Kondensationswärme des gebildeten Wasserdampfs mit dem Abgas durch den Schornstein geht. Eine einfache Umrechnung zeigt nun, daß man aus den 1250 kW lediglich maximal 777 kW (Hi) bzw. 919 kW (aber nur in einem sehr guten Brennwertkessel, da Hs) zurückgewinnen kann. Das ergibt einen Energetischen-Wirkungsgrad von 62% bzw. 74% als theoretische Obergrenze. Damit haben wir schon den ersten Taschenspielertrick der „alternativen Energetiker*Innen“ erkannt: Will man elektrische Energie großtechnisch aus dem erzeugten Wasserstoff zurück gewinnen, sind an dieser Stelle schon 38% unwiederbringlich weg. Will man zeitweise (Dunkelflaute) Strom erzeugen, kommen noch der Wirkungsgrad der Gasturbine (≈40%), eines Großdiesels (≈50%) etc. hinzu. Technisch kann man kaum mehr als 1/4 der eingesetzten elektrischen Energie wieder zurück gewinnen. Setzt man Wasserstoff als Ersatz für Erdgas in der Heizung ein, könnte man wenigstens 2/3 zurück gewinnen. Alles ohne Transport und Speicherung wohl gemerkt.

Aber der Wind schickt doch keine Rechnung

Sicher nicht, aber die Uranader übrigens auch nicht. Beide Energieformen sind so lange völlig wertlos, bis man sie durch Technik nutzbar macht und dazu sind Investitionen nötig. Dieser Kapitaleinsatz muß über das Produkt wieder eingefahren werden. Viel Produkt führt dabei automatisch zu kleinem Stückpreis – und hier wird die verzweifelte Lage der Schlangenölverkäufer der Wind- und Sonnenindustrie überdeutlich. Nehmen wir dieses Beispiel mal als Grundlage. Die Anlage hat allein eine Förderung von 5,8 Millionen USD erhalten. Über 5000 USD/kW für eine Elektrolyse ist sicher ein stolzer Preis. Wahrscheinlich wird es da noch eine steile Lernkurve geben. Aber nur mal so am Rande, dafür kann man auch gleich ein ganzes Kraftwerk bauen und erhält nicht nur den Energieträger. Wasserstoff ist halt eine Grundchemikalie und kein Brennstoff – und wird vielleicht auch nie einer werden.

Völlig absurd ist aber der Plan, man produziert Wasserstoff, wenn der Wind mal weht oder die Sonne scheint und lagert und transportiert ihn, um daraus bei Dunkelflaute wieder Strom zu machen. Sollte man tatsächlich die Chemikalie Wasserstoff, die heute fast ausschließlich aus Erdgas hergestellt wird (auch mit CO2 Abscheidung) ersetzen müssen, dann aber mit Sicherheit nicht durch „Grünen Wasserstoff“. Die dafür notwendigen Subventionen kann keine Volkswirtschaft in großem Maßstab dauerhaft aufbringen. Sehen sie sich dazu etwa diese Tabelle einmal an.

Das Jahr hat 8760 Stunden. In einem Kernkraftwerk könnte der Elektrolyseur theoretisch (keine Wartung oder Reparatur notwendig) stets in Betrieb sein, da immer Strom zur Verfügung steht. Bei einem einzelnen Reaktor verkürzt sich die theoretische Betriebszeit auf 90% (Brennstoffwechsel etc.). Bei Windmühlen auf dem Meer wird mit 4000 Volllaststunden gerechnet, bei Windmühlen auf dem Land mit 1651 Volllaststunden (gemessen nach Fraunhofer-Institut). Bei Photovoltaik mit nur noch 850 Volllaststunden (ebenfalls nach Fraunhofer). Das sind alles Werte aus Deutschland. Es soll nicht verschwiegen werden, daß diese Werte in den USA auf Grund der besseren geographischen Bedingungen zumindest bei der Sonneneinstrahlung (Texas liegt etwa auf der Breite der Sahara) erheblich besser sein können. Entscheidend ist nun die letzte Spalte der Tabelle: Definiert man die Investition in einem Kernkraftwerk mit 1,00, ergeben sich die Multiplikatoren für die notwendigen Investitionen bei Wind- und Sonne.

Bevor nun alle Schlangenölverkäufer gleich Schnappatmung bekommen:

  • Natürlich weht der Wind auch öfters mal schwach. Das ändert aber nichts an der erzeugten Energiemenge. Der Flatterstrom ist eher schädlich für jeden Elektrolyseur. Man denkt deshalb bereits über zusätzliche Batterien (weitere Kosten) nach, um die Produktion überhaupt stabil zu bekommen.
  • Ein Windpark hilft da gar nichts. Kein Wind – kein Strom. Wenn es auch für manche ideologisch kaum erträglich ist, 100 mal Null ist und bleibt Null.
  • Der vermeintliche Vorteil der Hohen See (mehr Wind) kehrt sich schnell zu einem Nachteil um: Es ist eine zusätzliche Meerwasserentsalzung nötig (frißt selbst sehr viel elektrische Energie) und eine Speicherung und ein Transport (Verdichtung oder Verflüssigung bei -252°C) sind zusätzlich erforderlich. Alles sehr kapitalintensiv und verursacht hohe zusätzliche Betriebskosten.

Eine Prognose gefällig? Wenn wir tatsächlich „Grünen Wasserstoff“ in Deutschland produzieren wollen, wird dieser mächtig schwarz werden (Kohlestrom, da keine KE und kein Erdgas politisch gewollt sind), damit wenigstens die Elektrolyse-Anlagen laufen können. Die Preise werden astronomisch hoch werden, sodaß sie für die Industrie subventioniert werden müssen, damit diese überhaupt auf dem Weltmarkt konkurrieren kann – Wasserstoff statt Rente? Man kann höchstens dem Michel solchen Wasserstoff für seine Heizung oder sein Auto aufs Auge drücken. Der soll ja sowieso den Gürtel enger schnallen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors nuke-klaus.

Foto: ENERGY.GOV via Wikimedia Commons

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Leserpost

netiquette:

Elias Schwarz / 27.03.2023

Das Problem jeden Atomkraftwerks ist, daß man es schlecht bis gar nicht mit Teillast fahren kann. Und wenn auch, wird es nicht empfohlen. Noch Anfang 80-er Jahre gab es in Sowjetunion Überlegungen, wie man die überflüssige Energie sinnvoll verwenden kann. Speicherseen, Wasserstoff - alles, wovon man heute redet, war damals (1981) ein Thema. Heute träumen viele über kleinere und praktische und sonst wer-weiß-was-für-fantastische Anlagen, aber gebaut werden fast ausschließlich die russischen WWER mit 1200 bis 1300 kW eklektischer Leistung pro Block.

PeterBernhardt / 27.03.2023

Energie ist ewige Freude. Ein leerer Kopf ist eigentlich gar nicht leer, sondern vollgestopft mit Mumpitz. Deshalb kriegt man auch so schwer etwas in ihn hinein.

PeterBernhardt / 27.03.2023

@Jochen Brühl ++++++++++ Die hysterisierende Krankheit unserer Zeit ist das pfäffische zur Schaustellen von heuchlerischer, moralischer Überlegenheit.

Arthur Erhardt / 27.03.2023

@j. heini: “Einseitige Abhängigkeit von Uran”: Das ist - im Prinzip - schon richtig, aber man kann nicht nur das wenige Uran 235 in Strom oder Prozesswärme verwandeln, sondern auch U-238 (Spaltung mit schnellen Neutronen oder Synthese von Pu-239 und dessen anschließende Spaltung) sowie Th-232 (n-Einfang, 2 Betazerfälle zu U-233, letzteres mit thermischen Neutronen spaltbar). Verfahren für jeden genannten Brennstoff existieren und werden in anderen Ländern verwendet. Das bedeutet, die “einseitige Abhängigkeit” ist zumindest für sehr lange Zeit ein eher kleines Problem.

Uwe Schäfer / 27.03.2023

Herr Henri Brunner bringt es auf den Punkt: Mumpitz, weil gigantische Energieverschwendung!

S. Wietzke / 27.03.2023

“Sicher nicht, aber die Uranader übrigens auch nicht. Beide Energieformen sind so lange völlig wertlos, bis man sie durch Technik nutzbar macht und dazu sind Investitionen nötig. Dieser Kapitaleinsatz muß über das Produkt wieder eingefahren werden.” Endlich mal jemand der es verstanden hat. Nur das mit dem “Kapitaleinsatz” ist nicht ganz korrekt. Denn Kapital ist ja nicht Geld, sondern sind Produktionsmittel. “Geld” kosten die nur weil auch da menschliche Arbeitskraft einfließt.  Alle anderen Inputfaktoren, denn wie korrekt erwähnt schickt das Universum grundsätzlich keine Rechnung. Und der ist umso geringer je mehr die notwendige menschliche Komponente in der gesamten Kette durch Fremdenergie gehebelt wird. Deswegen ist das Schlangenöl ja auch (am Ende) unendlich teuer, da es keine Exergie liefert, sondern sie nur verbraucht. Stellt sich noch die Frage warum man überhaupt Wasserstoff “produzieren” sollte, sofern man ihn nicht als Input für z.B. die Herstellung chemischer Produkte benötigt. Warum man die thermodynamisch wertvollste Exergiequelle (elektrische Energie) in ein minderwertigere chemische Bindungsenergie “downgraden” sollte, erschließt sich nun wirklich nicht. Vor allem da gigantische Mengen vorkonfektioniert in der Erdkruste lagern. Das macht erst dann Sinn wenn das dort gelagerte Zeug verballert ist. Was aber kein Problem der nächsten Jahrhunderte sein dürfte.

George Samsonis / 27.03.2023

Es gilt immer noch und heute noch viel mehr die alte Weisheit: Atomkraftgegber überwintern bei Dunkelheit und kaltem Hintern. Obwohl: Bei der von LinksGrün ohne wissenschaftliche Belege (oder ist GRÜNE PYHSIK etwa “Wissenschaft”?) angedrohten “Erderwärmung” wird der Hintern wohl eher heiß werden - ohne zuverlässigen Strom aus Kernenergie zum Betreiben der dann notwenigen Klimaanlagen zur Kühlung ...

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