Washington: Wenn der Sumpf kippt

Es gibt ein Geheimnis der US-Politik, das sich nur erschließt, wenn man zwei unscheinbare Fakten miteinander verzahnt. Der erste lautet so: Die Wahrscheinlichkeit als bereits gewählter Abgeordneter auch wiedergewählt zu werden, ist erstaunlich hoch. Diese „incumbency rate“ liegt nämlich bei über 70 Prozent.

Wer hätte gedacht, dass die Amerikaner ihre Politiker dermaßen liebhaben? Das war nicht immer so. Als sich 1816 die Kongressabgeordneten ihre Diäten fast verdoppelten, kam es zu einer zornigen Reaktion, einem „Gehältersturm“. Als Resultat schickten die Wähler etwa 70 Prozent ihrer Vertreter wieder nach Hause. Also genau der umgekehrte Wert von heute. Das politische Gemüt hat sich im historischen Vergleich abgekühlt. So scheint es zumindest.

Verblüffend wird es aber, wenn man den zweiten Fakt hinzunimmt: Der Kongress an sich kommt auf einen katastrophalen Zustimmungswert von knapp 20 Prozent. Don’t hate the player, hate the game! Dem eigenen Abgeordneten – sofern man von ihm gehört hat – wird applaudiert. Aber einem Amerikaner zu begegnen, der dem Kongress wohlgesonnen gegenübersteht, ist ähnlich unwahrscheinlich, wie unverhofft in die Nationale Kirschblütenparade in Washington hineinzustolpern.

Weitgehend gleichförmiges Weltbild

Kein Wunder, dass Rhetorik Aufwind hat, die politisch populistisch, aber persönlich unspezifisch ist. Der Demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders sprach unlängst von einer „herrschenden Klasse“, die sich des Landes bemächtigt habe. Es ist niedlich, dass er sich dabei auf „wirtschaftliche Eliten“ bezieht – und nicht etwa auf den Kongress, dem er ja selber seit fast 30 Jahren angehört. Wie man in den Sumpf hineinruft, so schallt es heraus.

Die Republikaner stehen Sanders dabei in nichts nach. Trumps Ansage, den „Sumpf trockenlegen“ zu wollen, ist die Fortschreibung eines beliebten Themas. Vor fast zehn Jahren stellte der konservative Intellektuelle Angelo Codevilla in einem Aufsehen erregenden Essay fest: „Noch nie hat es so wenig Vielfalt in der Oberschicht gegeben.“ Da diese überwiegend aus denselben, mit Steuergeldern gespeisten Trögen zehre, habe sie die Bodenhaftung verloren und verfüge über ein weitgehend gleichförmiges Weltbild. Der Unterschied zwischen der „Herrschaftsklasse“ und dem Land an sich sei größer als der Unterschied zwischen den beiden politischen Parteien.

Interessant an Codevillas Essay ist, dass er den naheliegenden Vergleich mit den französischen Eliteschmieden, aus denen sich dort Politiker und Bürokraten rekrutieren, nicht gelten lässt: „Um an der École nationale d’administration, der École polytechnique oder einem anderem Eintrittspunkt zu Frankreichs Herrschaftsklasse angenommen zu werden, muss man in blind benoteten Prüfungen andere Leute ausstechen, und ein Abschluss erfordert Tests, bei denen viele durchfallen. In Amerika jedoch geht es weniger um das Bestehen von Prüfungen, als darum, befriedigende Noten mit einem attraktiven sozialen Profil zu verbinden.“ Das Resultat sei Einhelligkeit – eine Art Sumpfmentalität.

Sumpfmentalität der Hauptstadt

Washington, D.C., ist ein Sumpf. Das ist keine Beleidigung, denn die Stadt steht auf ehemaligem Sumpfgebiet – so zumindest geht die Legende. Dasselbe gilt für Brüssel, dessen altniederländische Wortwurzel „bruok“, Sumpf, bedeutet. Das moderne Israel verdankt seinen Erfolg weniger dem erzwungenen Aufblühen der Wüste, als vielmehr dem gekonnten Trockenlegen der Sümpfe. Wer den Sumpf kultiviert, entlockt ihm seinen Charme.

Dass er als politische Metapher unschlagbar ist, hat aber gute Gründe. In Amerika ist es schwieriger geworden, die Sumpfmentalität der Hauptstadt zu bestreiten. Zwar brüstet sich Donald Trump mit seiner elitären Wharton-Ausbildung, allerdings hat seine Wahl einen besorgniserregenden Trend beendet: Seit 1989 hatten sämtliche US-Präsidenten Abschlüsse entweder von Harvard oder Yale. Sollte die Harvard-Dozentin Elizabeth Warren die nächste Wahl gewinnen, gliche das der Wiederherstellung eines Ancien Régime. Was in Amerika zunehmend zählt, sind nicht Familien-, sondern Bildungsdynastien.

Früher gab es den Witz: Die Republikaner sind die Partei des Mittelstands, die Demokraten die Partei von allen anderen. Das trifft aber nicht mehr zu. Die populistische Rhetorik von Bernie Sanders verdeckt die Tatsache, dass seine Partei sich immer stärker zu einem Elitenprojekt entwickelt, das der Wall Street genauso nahesteht wie dem Silicon Valley.

Eine Sumpfkreatur ist er nicht

Die Entwicklung der kulturell tonangebenden Universitäten ist das beste Beispiel. Eine Pew-Umfrage belegt, dass 61 Prozent der Amerikaner glauben, dass sich die höhere Bildung in die falsche Richtung bewegt. Innerhalb dieser pessimistischen Mehrheit beklagen sich nur 17 Prozent der Demokraten darüber, dass Professoren ihre politischen und sozialen Einsichten zu stark im Klassenraum verbreiten. Bei den Republikanern aber liegt die Zahl bei 79 Prozent (siehe hier).

Die Demokraten sind nun die Partei der Reichen, Schönen, und Privilegierten – die Partei von Harvard ebenso wie von Hollywood. Die zehn reichsten Wahlbezirke der Vereinigten Staaten sind alle in ihrer Hand. Für eine Partei, die sich als Beschützerin der zu kurz Gekommenen inszeniert, ist das eine bemerkenswerte Leistung. Es droht die vollständige Versumpfung.

Die Republikaner hingegen sind unter Trump zur Partei der Arbeiter und der Armen geworden. Diese sind „Abgehängte“ nur in dem Sinne, dass sie vom Machtkomplex der Demokratischen Partei zunehmend im Stich gelassen werden. Man sollte sich von der Tatsache, dass Trump ein Milliardär ist, nicht in die Irre führen lassen. Er hat in seinem Leben viel Zeit auf Baustellen verbracht und weiß, wie normale Menschen leben, arbeiten und denken. Sein Gespür für die Befindlichkeiten der nichtprivilegierten Mehrheit gehört zu seinen vielfältigen Talenten. Eine Sumpfkreatur ist er nicht.

Foto: Taymaz Valley Flickr CC BY 2.0

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Alexander Mazurek / 23.10.2019

Der Kommentar von Gunther Bartelt bringt es auf den Punkt, scheinbare politische Vielfalt in echter Einfalt der Interessen. Ich hoffe, dass Trump den Sumpf deutlich macht und trocken legt, soweit das in zwei Amtsperioden überhaupt möglich ist.

Sabine Schönfelder / 23.10.2019

Apropos Sumpf. “Political correctness” ist eine - Litotes -, ein Art ‘framing’, ein Stilmittel, um etwas in der Öffentlichkeit zu verneinen, was man tatsächlich selbst längst beschlossen und verwirklicht hat. Sie dient dazu ‘moralisch verbrämte’ Schweinereien zu kaschieren, damit man den Kritiker, der die Sprache darauf bringt, mundtot machen und ( das sagt man doch nicht!!) moralisch verwerfen ( eine Unverschämtheit!!, unanständig usw.) kann. Siehe TRUMP, BREXIT, AFD, MIGRATION, ÖKO. Man vermint damit ganze Themenbereiche, die somit undemokratisch, bar jeglicher Diskussionsgrundlage, mit sprachlicher Gewalt und psychologischer Finesse, am Volk und dem politischen Gegner vorbei, vom bezichtigenden Kombattanten beherrscht und durchgezogen werden. Im Grunde ist es nichts anderes als eine moralisch betitelte Lüge, der die herbei-phantasierte Moral die absolute Autorität und ALTERNATIVLOSIGKEIT verleihen soll. Eine perfide kleine Sauerei, meist von Linken in die Welt gesetzt, die Trump d i r e c t e m e n t unverhohlen, von Anfang an, ignorierte. Wenn Trump ‘klare Ansage’ macht, ist es ein Skandal. Wenn Gore, zur Geldakquise und aus transformationsideologischen Gründen, Blödsinn über Golfschlägerkurven abläßt und sich seine eigenen ‘naturwissenschaftlichen Betrachtungen’ über den IPCC finanziert, wird er noch für Preise vorgeschlagen. (Preise, n o c h so ‘ne Litotes oder B.Wilder- Hämorrhoide, ganz nach Geschmack) Gott schütze Donald Trump!!

Wilfried Nauck / 23.10.2019

Zu Trump: Im damaligen Wahlkampf sagte Trump: Er könne auf offener Strasse einen Menschen erschießen und würde trotzdem keinen Wähler verlieren. Er zog schlagartig seine Truppen aus Nordsyrien ab und verriet die verbündeten Kurden. Dann schob er noch die infame Bemerkung nach, die Kurden hätten den USA in der Normandie auch nicht geholfen. Der US-Botschafter in der Ukraine sagte aus, Trump habe Waffenlieferungen an die Ukraine von Ermittlungen gegen Bidens Sohn abhängig gemacht. Das ist obermieses Verhalten eines schmierigen Baulöwen und genauso sumpfig wie das Verhalten von Hillary.

Ilona G. Grimm / 23.10.2019

Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag, auch für den Link zu Angelo Codevillas Essay (den ich erst noch in Ruhe lesen muss). Die Herrschaftseliten zu kennen, ist eine Sache; die Ohnmacht, etwas dagegen ausrichten zu können, das Problem. Ich sehe zahlreiche Parallelen zu deutschen Verhältnissen, obwohl die Herrschaftseliten mangels Polit-Dynastien nicht so klar erkennbar sind. Momentan regiert die reine Dummheit; manche wissen das, sind aber ebenfalls ohnmächtig. Zu viele haben keine Zeit oder keine Lust, hinter die Kulissen der Polit- und Medienpropaganda zu blicken. Und wir in Deutschland haben zwar auch die üblichen Promis, die (gegen Bezahlung?) Propaganda für „Klima“, „Seenotrettung“, „Gender“, „Islam“, „Entwicklungshilfe“ oder sonst was Gutes machen, aber wir haben zum Glück kein Hollywood mit seinen Stars und politisch korrekten Produktionen, das den Würgegriff der Gutmenschen weiter verstärken könnte. // Die politische, wirtschaftliche und soziale Ausrichtung der beiden großen US-Parteien war meines Wissens niemals eindeutig rechts oder links zu verorten. Die Republikaner schafften z.B. die Sklaverei ab, was man eigentlich von den Demokraten hätte erwarten sollen. // Trump, gegen den ich anfangs eine große Aversion gehegt habe, wird für mich immer mehr zum Sinnbild eines geschickt agierenden (wenn auch nicht immer aufrichtigen) Landesvaters, der die Sorgen und Nöte der breiten Bevölkerung tatsächlich kennt und ernst nimmt und die Politik daran ausrichtet. „Soft skills“ interessieren ihn nicht. Seine Tweets habe ich ehedem lächerlich bis dämlich gefunden, nun erkenne ich darin oft großes Geschick, der Masse klarzumachen, dass er sie hört und sieht. Und außerdem erreicht er mit seinen simplen Botschaften oft ganz überraschend seine Ziele. // Berlin ist übrigens auch ein Sumpf: Der Name kommt aus dem Slawischen - genauer dem Altpolabischen - und bedeutet „Ort im Sumpf, Morast“.

Marc Stark / 23.10.2019

Mein Gott, was hatte ich 2016 noch für Sorgen, wenn dieser “Psycho” in die Nähe von Atomwaffen kommt… aber damals hab ich auch noch ernsthaft geglaubt die AFD seien verkappte Nazis und der Klimawandel sei menschengemacht….! Schon irre, wie der felsenfeste GLAUBE, unsere Medien erzählen uns die Wahrheit, jemanden in völlig falsche Richtungen lenken kann! Und noch immer hängen so Viele in dieser falschen Grundanahme der neutralen Presse fest,  weshalb unsere vordringlichste Aufgabe wohl die Entlarvung dieser Märchenonkel und Lügentanten ist! Bis auf die katastrophale Syrien-Entscheidung, würde ich sagen well done my president! Bei diesem Ergebnis sehe ich gerne über skurrile Eigenheiten und polterndes Gehabe hinweg!

Stefan Riedel / 23.10.2019

Goverment against the common people. (nicht nur in den USA). Warum dieser allgemeine Aufschrei gegen die Rückzugsentscheidung aus Syrien in Washington D.C. ( aber auch nur dort)? Krieg ist eine ganz wichtige Einnahmequelle der Sumpfblüten. Was hat nicht Obama alles versprochen: von Guantanamo bis Irak und Afghanistan ? Ergebnis: alles wie gehabt, Libyen und Syrien sind dazu gekommen. Bernie Sanders ( selbst Multimillionär) muss jetzt als Krönung der Scheinheiligkeit nur noch vom militärisch-industrieller Komplex (MIK) schwafeln.

Claudius Pappe / 23.10.2019

“Man sollte sich von der Tatsache, dass Trump ein Milliardär ist, nicht in die Irre führen lassen. Er hat in seinem Leben viel Zeit auf Baustellen verbracht und weiß, wie normale Menschen leben, arbeiten und denken. Sein Gespür für die Befindlichkeiten der nichtprivilegierten Mehrheit gehört zu seinen vielfältigen Talenten. Eine Sumpfkreatur ist er nicht.” Sitzt so einer im Deutschen Bundestag ? Gibt es solche Leute noch in der Führung der Gewerkschaften ?

Thomas Taterka / 23.10.2019

Als ich beim letzten Absatz ankam, dachte ich : ” Oh, oh, da musst du jetzt durch ! ” Ich hab einfach die Augen zugemacht, Luft angehalten und hopp. War wie der ” Mutsprung ” vom Ein -Meter -Brett, als ich noch ein Junge war. - Deshalb mal die einfache Frage : Wann war das GENAU , als Amerika noch unschuldig war ? ??  Bitte erlösen Sie mich vom Grübeln, Herr Mücke.

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