Von Rudolf Taschner.
Die Frage eines Journalisten, was Jesus wohl zum Terror von heute sagen würde, beantwortete Margot Käßmann, Pfarrerin und Botschafterin für das Lutherjahr 2017, so: „Jesus hat eine Herausforderung hinterlassen. Liebet eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen! Er hat sich nicht verführen lassen, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Für Terroristen, die meinen, dass Menschen im Namen Gottes töten dürfen, ist das die größte Provokation. Wir sollten versuchen, den Terroristen mit Beten und Liebe zu begegnen.“
Kaum waren diese Worte der umtriebigen Pfarrerin verklungen, knallte die Bombe, die ein islamischer Religionslehrer im pakistanischen Lahore zündete und mehr als 70Menschen in den Tod riss und mehr als 300 verwundete. Unter den Opfern befinden sich drei Dutzend Kinder. Der sich zu dem Attentat bekennenden Terrororganisation zufolge hat der Anschlag dezidiert Christen gegolten. Dass auch andere zu Schaden kamen, störte den Mörder und seine Hintermänner anscheinend nicht.
Solchen Teufeln „mit Beten und Liebe zu begegnen“ ist, da hat Käßmann recht, wahrlich eine Provokation. Nicht aber „für Terroristen, die meinen, dass Menschen im Namen Gottes töten dürfen“, sondern für die Opfer und deren Angehörige. Und auch für all jene, die sich den politischen Islam mit all seinen verruchten Auswirkungen in den tiefsten Kreis der Hölle wünschen.
Natürlich stört es Käßmann nicht, wenn sie das von ihr zitierte Jesuswort durch die Versetzung aus der Kategorie des Existenziellen in die Kategorie des Politischen frevelhaft missdeutet. Offenkundig ergötzt sich die Pfarrerin daran, selbst um den Preis der Schändung eines Bibelwortes ihre Mitbürger provozieren zu können.
Und was das Tragische an dem Ganzen ist: Margot Käßmann wird ernst genommen. Natürlich nicht von den Agitatoren des politischen Islam. Diese lachen wahrscheinlich über sie und nehmen das Liebesangebot der Frau Pfarrerin keinesfalls als Provokation, höchstens als blauäugige Geste der Kapitulation beiläufig zur Kenntnis. Ernst nimmt die Frau Pfarrerin das deutsche Feuilleton. In atemberaubend naiven Kommentaren von Volker Zastrow in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und, mit ausdrücklichem Lob für Käßmanns Humbug, von Claudia Keller im Berliner „Tagesspiegel“.
Da passt es bestens, wenn der sonst nicht für seine Kirchenfestigkeit bekannte Spiegelkolumnist Jakob Augstein ganz im Sinn von Pfarrerin Käßmann zur Bibel greift, den Apostel Paulus zitiert und von der Versöhnung mit Terroristen deliriert. Denn laut Augstein ist natürlich nicht der politische Islam für das Inferno des Terrors verantwortlich, sondern im Einklang mit dem französischen Maoisten Alain Badiou erklärt er den Terror „als unser eigenes, anderes Gesicht. Badiou nennt ihn das versteckte Phantom des globalen Kapitalismus. Es sind der Neid und der Hass der Ausgeschlossenen, die sich hier manifestieren“.
Obwohl es „im Angesicht der Toten eine Zumutung“ sei, verurteilt der Hamburger Kolumnist ganz im Sinn von Käßmann jegliche Unbarmherzigkeit gegenüber Terroristen.
Dies sei nämlich, so Augstein, „der totale Krieg. Denn wer den Kampf gegen den Terror als Krieg begreift, wird ihn als totalen Krieg führen müssen – als Krieg, dem auf Dauer Recht und Zivilität zum Opfer fallen“.
Augstein, der von antisemitischen Ressentiments nicht frei ist, vermeint dies an einem tragischen Vorfall aus Israel belegen zu können. Was umso perfider ist, als sich Europa beim Kampf gegen den Terror just an der Sicherheits- und Geheimdienstpolitik Israels ein Beispiel nehmen könnte. Doch bibelfeste Leute wie Käßmann oder Augstein setzen bei den Terroristen eher auf Liebe und Versöhnung. Das Bild der Unterwerfung, das Michel Houellebecq in dem gleichnamigen Buch meisterhaft zynisch skizziert, wird von ihnen mit noch drastischeren Pinselstrichen überzeichnet.
Rudolf Taschner ist Mathematiker an der TU Wien. Er schreibt eine wöchentliche Kolumne für die Wiener Tageszeitung Die Presse