Kaum erfuhr die Öffentlichkeit im Juni, dass der greise George Soros (93) die Führung seines Finanz- und Politimperiums von etwa 25 bis 30 Milliarden Dollar seinem Sohn Alexander (37) übergeben wird, ist schon die bange Frage aufgekommen, wie wohl der bis dahin eher als flatterhafter Lebemann bekannte „Alex“ die politischen Geschäfte seines Vaters weiterführen wird. Das einzige, was sicher ist: Man weiß es nicht.
Die Open Society Foundations mit über 20 regionalen und internationalen Stiftungen sind der Kern des philantropischen Soros-Imperiums. Das Konzept der OSF kann man in aller Kürze so zusammenfassen: Es gibt keinen Grund, die politische Entwicklung in den Ländern dieser Welt den unberechenbaren Launen des Wahlvolks zu überlassen. Vor allem in armen, instabilen oder im Umbruch befindlichen Ländern lässt sich mit Geld die politische Entwicklung in der von George Soros bevorzugten Richtung beeinflussen, auch wenn dort bis dahin die Bevölkerungsmehrheit nicht den Wunsch verspürt, in diese Richtung gehen zu wollen. Soros nennt sein Ziel die „offene Gesellschaft“, die jedoch mit dem ursprünglich von Karl Popper geprägten Terminus herzlich wenig zu tun hat. Die offene Gesellschaft nach Soros ist zwingend linksliberal und nur linksliberal, verwirklicht alle woken Anliegen von LGBT über Migration bis Klimakampf, nimmt keine Rücksicht auf nationale Geschichte, Glaube und Familie, und ist – neuerdings – ein unverbrüchlicher Verbündeter der USA.
Um diese Ideen zu verbreiten reicht das Soros Netzwerk viel weiter als die OSF-Büros selbst, denn über sie werden Stipendien und Ausbildungsprogramme, Think-tanks und regionale Initiativen finanziert, Politikerkarrieren und Parteien gefördert und beeinflusst. Besonders wichtig ist der Erwerb und die Gründung von Soros-treuen Medien, die in das aktuelle politische Geschehen und in Wahlkämpfe eingreifen. Die von Soros gegründete Central European University ist selbst ein Zentrum, über das Geld in ideologisch korrekte Forschungsprojekte, zu anderen Institutionen und sonstigen Initiativen, aber auch zu Personen fließt, deren Einfluss auf die Gesellschaft für wichtig und richtig erachtet wird. Mit einer Einlage von rund 18 Milliarden US Dollar sind die Stiftungen nach der Bill and Melinda Gates Foundation und dem Wellcome Trust aus Großbritannien der drittgrößte Wohltätigkeitsfonds der Welt, und werden weiterhin aus den Soros-Finanzinvestments großzügig gespeist.
Die nach der innerfamiliären Machtübernahme befürchtete schlechte Nachricht für die von Soros finanzierten NGO und Aktivisten im Westen ließ nicht lange auf sich warten. Im Juli schon hieß es, dass von den etwa 1650 Angestellten der Open Society Foundation (OSF) etwas mehr als die Hälfte würde gehen müssen, in Berlin, der Eurasien-Zentrale der OSF, würden 80 Prozent der Beschäftigten ihre Kündigung erhalten, da „die neue strategische Ausrichtung einen Rückzug und eine Beendigung weiter Teile unserer derzeitigen Arbeit in der Europäischen Union“ vorsieht, so der Direktor des OSF-Büros Thorsten Klassen an die Belegschaft.
Seit 1984, als Soros seine erste Stiftung in Ungarn gegründet hatte, haben sich die mit der Etablierung von „offenen Gesellschaften“ beschäftigten Aktivisten daran gewöhnt, dass es mit der Finanzierung ihres Lebens als bezahlte Funktionäre unendlich so weitergehen würde. Nicht, dass Soros das Geld ausgegangen wäre. Der neuen, von Alex verkündeten strategischen Ausrichtung liegen vielmehr zwei realistische Erkenntnisse zu Grunde: Die eine handelt von einem großen Erfolg, die andere von einer Niederlage.
Ein Sieg und eine Niederlage
Der Erfolg – an dem das Geld, das die Soros-Stiftungen in diverse europäische NGO gepumpt hatten, sicherlich eine große Rolle gespielt hat – ist im Westen Europas offenkundig. Die Anliegen der OSF und George Soros selbst sind in den westeuropäischen Ländern fast ausnahmslos zum Mainstream, ja direkt zur Regierungspolitik geworden, und dies gilt ganz besonders für die EU. Inzwischen hat die EU, nicht zuletzt im Ergebnis der zähen Lobbyarbeit von Soros Senior, weitgehend die Finanzierung der europäischen Öko-, Klíma-, Diversity- und Migrations-NGO übernommen, wie Alex Soros selbst darauf hingewiesen hat.
Die EU finanziert auch direkt die OSF, allein in diesem Jahr mit 3.302.330,18 Euro. Die parlamentarische Anfrage eines spanischen Abgeordneten, wofür dieses Geld geflossen sei, ist von der Kommission bis heute nicht beantwortet worden. Die enge Verflechtung von EU und OSF kann an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit dargestellt werden. Nach ungarischen Quellen, die sich auf ein internes, nach außen gelangtes Papier der OSF berufen, sollen über 200 Amtsträger und Abgeordnete der EU entweder auf der Gehaltsliste von Soros stehen oder anderweitig von OSF abhängen. Ein direkt für die Beeinflussung der EU gegründeter Think tank der OSF, das Open Society European Policy Institute (OSIPE) koordiniert den Auftritt der NGO in Brüssel, liefert wissenschaftliche Untersuchungen, führt Prozesse und nimmt durch Öffentlichkeitsarbeit Einfluss auf die Entscheidungen von Parlament und Kommission.
Ungarn ist nur ein Beispiel dafür, wie die EU die Soros-NGO übernimmt. Auf der ungarischen Liste der von der EU Geförderten, an die allein in diesem Jahr etwa 360 Millionen Euro verteilt werden, finden sich Soros-Organisationen wie das Helsinki Komitee, Amnesty International, Transparency International, verschiedene Homosexuellen- und Trans-Interessengruppen sowie diverse regionale Menschenrechtsorganisationen. „Bei all ihren Mängeln ist die EU weiterhin ein Leuchtturm der Werte, die unsere Arbeit bestimmen“, schreibt Alex dem entsprechend brav in einem Artikel für Politico.
Stärkere Konzentration in Richtung Osteuropa
Doch ach, und jetzt kommt die schlechte Nachricht, trotz des Einsatzes der vielen Millionen gibt in Europa weiterhin Zentren der Finsternis, die sich bisher hartnäckig der Verwirklichung des Soros-Programms verweigert haben. Offensichtlich halfen die OSF und ihr Einsatz für die „Zivilgesellschaft“ nicht gegen die Konservativen in Ungarn, Polen, Russland oder Serbien. „Die Bilanz des OSF beim Bestreben, den Panzer von autoritären Regierungen, wie sie heute in Russland, Ungarn und Polen herrschen, zu durchbrechen, ist erbärmlich“, schreibt dazu das amerikanische Magazin Foreign Affairs.
Daran sei auch Soros und die OSF mit schuldig, so der Artikel von Foreign Affairs weiter, weil sie in den neunziger Jahren die neoliberale Wirtschaftspolitik als Teil der liberalen Demokratie in Mittel- und Osteuropa verkauft hatten. Diese Politik sei der Nährboden für nationalistische, starke Männer nach dem Schlage Viktor Orbáns gewesen, denen es mit ihrer Kritik am Neoliberalismus gelungen sei, die unzufriedenen Massen um sich zu scharen. Inzwischen hätten jedoch Soros und die OSF dazugelernt und würden im globalen Süden statt der Idee der liberalen Wirtschaftsordnung mit der Idee der sozialen Gerechtigkeit auftreten. Alles in Allem sei die Neuausrichtung der Stiftung in Richtung des globalen Südens das Eingeständnis des Scheiterns der Demokratieförderung in Ost- und Mitteleuropa. Wie schräg auch die Begriffe sein mögen, mit denen der Artikel operiert, ist die Erkenntnis richtig, dass die strukturell konservativen mittel- und osteuropäischen Gesellschaften nach dem Zusammenbruch des Kommunismus keine Neigung verspürten neuen totalitären Chimären zu folgen, auch nicht, wenn sie im Gewand der totalen Freiheit daherkamen.
In diesem Sinne sind die Äußerungen von Alex Soros eher als Drohungen zu verstehen, wenn er eine stärkere Konzentration der Stiftungen in Richtung Osteuropa ankündigt, mit der Begründung, der Krieg in der Ukraine und „der Aufstieg Polens zu einer führenden Wirtschaftskraft“ würden ungeahnte Konsequenzen haben. So würde „die Zukunft der verantwortlichen und demokratischen Regierung in Europa neuerdings nicht nur in Paris und Berlin, sondern auch in Warschau, Kiew und Prag bestimmt.“ Man beachte, dass Soros Jun. von einer „Regierung in Europa“ spricht. Deshalb müsse OSF „Ressourcen und Personal in Richtung der drohenden Gefahren durch Autoritäre in der Region, ja, in der ganzen Welt umgruppieren“. Nichts Gutes ahnen lässt eine weitere Ankündigung, dass die Stiftung von der Förderung von Organisationen zur Förderung von Aktionen und konkreten Anliegen übergehen werde – deshalb würde man angestelltes Personal reduzieren, „um sicherzustellen, dass das Geld dorthin geht, wo es am meisten gebraucht wird.“
Es kann alles so kommen, und es wäre durchaus vorstellbar, dass der junge Soros, der sich selbst als radikaler und politischer bezeichnet als seinen Vater, genug hat von der ergebnislosen Alimentierung mittel- und osteuropäischer Phantasten und Schöngeister, und sich hinwendet zu direkteren, handfesteren Aktionen, wie unlängst die Proteste in Ungarn gegen die Errichtung von Batteriefabriken, oder gar wie 2014 auf dem ukrainischen Maidan.
Wer überhaupt ist Alex Soros?
Was uns mit den Soros-Stiftungen wirklich bevorsteht, kann man trotzdem nicht mit Sicherheit sagen, und das hat mit dem Charakter von Soros Junior zu tun. Immerhin lebte George, oder György, wie Soros Senior auf Ungarisch heißt, bis zu seinem 17. Lebensjahr in Ungarn, was Spuren bei ihm hinterlassen hat. Er spricht auf Grundschulniveau Ungarisch, er hat die meisten kommunistischen und postkommunistischen Führer persönlich gekannt. Er hat durch seine vielen Aufenthalte in der Region ab den 80-er Jahren ein gewisses Gespür für osteuropäische Befindlichkeiten erworben, auch wenn sie ihm sicherlich nicht gefallen.
Für Alex gilt das alles nicht. Er ist ein reicher, verwöhnter amerikanischer Junge, der die längste Zeit seines Lebens im Kreise von Promis und Sportstars verbracht hat und Europa nur von gelegentlichen Ausflügen kennt. In den 2010-er Jahren waren seine Partys in den Hamptons berühmt, wo er auf einem 85 Millionen Anwesen mit dafür extra ausgewählten Models, Footballern und unter anderen mit den Mitgliedern von Pussy Riot feierte und sich in ihrer Gesellschaft, meist in illuminiertem Zustand, fotografieren ließ.
2016 erwarb er ein PhD in Geschichte in Berkeley mit einer Dissertation unter dem Titel „Jewish Dionysus: Heine, Nietzsche, and the Politics of Literature“, deren Inhalt ebenso wirr ist, wie der Titel verspricht, und die hierzulande bestenfalls als germanistische Hausarbeit durchgehen würde. Seit 2018 lebt er seine homosexuelle Beziehung mit dem Modedesigner und Politaktivist Maxwell Osborne in aller Öffentlichkeit. Sie reisen als politaktivistisches Liebespaar durch die ganze Welt und dokumentieren ihr (intimes) Zusammenleben mit Fotos und Videos. Bei ihren Besuchen in Ungarn ließen sie sich nicht lumpen und stiegen – fotografisch dokumentiert – in der Präsidentensuite des Budapester Luxushotels Four Seasons ab, wo eine Übernachtung um die 5.000 Euro kostet.
Aufgrund dessen, was man von ihm weiß, ist es unmöglich vorauszusagen, in welche Richtung Alex die Stiftung führen wird, und ob es ihm überhaupt gelingen wird, sich außerhalb der woken Blase ernst nehmen zu lassen. Fürs erste wird das Beharrungsvermögen bürokratischer Apparate, wie es auch die OSF ist, für die undramatische Fortführung des Tagesgeschäfts sorgen. Ob für Alex diese Aufgabe mehr ist, als eine kurzfristige Laune, derer er alsbald überdrüssig sein wird, muss sich noch zeigen.
Krisztina Koenen war Redakteurin des FAZ-Magazins und der Wirtschaftswoche. Danach wechselte sie in die Unternehmenskommunikation. Sie ist Autorin mehrerer Bücher.