Zum neuen Jahr ist mir ein Gemälde begegnet: „Die Verleumdung des Apelles“ von Sandro Botticelli (1445 - 1510). Es „basiert auf einem verlorenen Gemälde des altgriechischen Malers Apelles“, erfährt man in dieser Interpretation, und enthält wesentliche Aspekte, die hier und heute gesellschaftspolitisch aufs Tapet gehören.
In der Mitte des Bildes schleift die personifizierte Verleumdung den betenden Apelles an den Haaren vor den Thron des Königs. Sein Konkurrent, der Maler Antiphilos, hatte zuvor Apelles der Beteiligung an einer Verschwörung gegen den König beschuldigt. Die Verleumdung hält eine Fackel in der Hand – die Darstellung der Angelegenheit in einem falschen Licht respektive die Verbreitung von Lügen geschieht also in Lichtgeschwindigkeit.
„Ihr Haar wird von der personifizierten Schurkerei mit weißen Bändern arrangiert, während das Böse ihren Kopf mit Rosen schmückt. Beide Symbole der Reinheit und Unschuld werden durch diese Darstellung untergraben“, neudeutsch: instrumentalisiert. Während rechts im Bild zwei schöne Gestalten – die Dummheit und die Anmaßung – Verleumdungen in die Eselsohren von König Midas flüstern (heutzutage kann das natürlich auch eine Frau sein), streckt dieser seinen Arm zu einem Mann in einem schwarzen, heruntergekommenen Kapuzenmantel (einem Vertreter des Schwarzen Blocks nicht unähnlich) aus. Der Kapuzenmann stellt den Hass dar. Er verstellt dem König durch seine Körpergröße den Blick auf die brutale und verlogene Szenerie in der Bildmitte.
Ganz links steht die personifizierte „nackte Wahrheit“. „Sie ist voller Empörung und zeigt gen Himmel, als Zeichen dafür, dass das letzte Gericht von Gott kommt. Ihre schöne Figur wird einer alten Frau in schwarzem Gewand gegenübergestellt, die für Bestrafung steht und die Wahrheit mit Verachtung betrachtet.“ In einer anderen Interpretation heißt es dazu: „Während die nackte Wahrheit, des Malers schönste Aktfigur, beschwörend die rechte Hand hebt und sich vom Geschehen abwendet, blickt die als alte Frau dargestellte Reue zu ihr zurück. Barfuß wollte sie gerade nach rechts schreiten.“
Die Gestalten rund um den Königsthron demaskieren
Bei Bilderreisen ist die Sache noch ein Stück weit anders konnotiert: „Die Geschichte endet mit der Rehabilitierung Apelles und der Bestrafung Antiphilos. Botticelli stellt, wie vermutlich auch Apelles selbst, den Moment vor der Rehabilitierung dar: Der verleumdete Maler Apelles wird vor den rechts stehenden Thron von König Ptolemäus I. geschleppt, links steht die als alte Frau dargestellte Reue und die Wahrheit in Gestalt der nackten Venus. Sie sind als Gegengewicht zu den Personifikationen von Unwissenheit und Misstrauen zu verstehen, die den König flankieren.“
Eine einprägende Art, sich gegen Falschdarstellung zu wehren. Dringlichste Aufgabe im neuen Jahr wird für alternative Medien im Netz weiterhin sein, die unsympathischen Gestalten rund um den Königsthron zu demaskieren und bestenfalls vom Hof zu jagen. Es ist derzeit noch ein weithin undankbarer Auftrag. Das Gros der Bürger verbringt nämlich seine Zeit „nicht hier und heute und in der errechenbaren Zukunft“, sondern in belanglosen Jenseitswelten, wie es Aldous Huxley in seinem „Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt“ formulierte. Die Leute sind daher dankbar um die massenmediale Vorspiegelung einer konstruierten Welt samt ihrer eselsohrigen Financiers, die sie nicht dazu veranlasst, aus dem gemütlichen Ohrensessel in der guten Stube aufzustehen.
Aktuell werden alternative Medien diese in jeder Hinsicht wohlsaturierte Masse nicht erreichen können. Es ist trotzdem angezeigt, weitere Wege zu suchen, um das unvermeidlich erscheinende Drama historischen Ausmaßes zu verhindern. Die logische und erfahrungstechnische Vorausberechnung spricht gegen diese verbleibende Möglichkeit. Weil Logik und Erfahrung aber längst nicht alles ist, was die Welt zu bieten hat, kann sich doch noch Unvorhergesehenes ereignen; irgendwann, irgendwas. Solange niemand das Gegenteil beweist, muss das als Ansporn vorerst genügen. An dieser Stelle soll ein Physiker das letzte Wort haben: „Wunder geschehen plötzlich. Sie lassen sich nicht herbeiwünschen, sondern kommen ungerufen, meist in den unwahrscheinlichsten Augenblicken und widerfahren denen, die am wenigsten damit gerechnet haben.“ (Georg Christoph Lichtenberg)