Peter Grimm / 20.04.2022 / 06:25 / Foto: Pixabay / 142 / Seite ausdrucken

Wer sucht nach unseren Kriegszielen?

Die deutsche Regierung stellt sich in die Reihe der Unterstützer der Ukraine bei der Verteidigung im russischen Angriffskrieg. Wie weit die Hilfe geht, darüber wird eifrig diskutiert. Dabei muss vor allem geklärt werden, was eigentlich unser Kriegsziel ist.

Muss Deutschland schwere Waffen in die Ukraine liefern? Wann soll welches Kriegsgerät auf die Reise dahin gehen, wo es gerade im real existierenden Krieg gebraucht wird? Darum streiten Deutschlands Politiker. Alle? Nein, nicht alle. Der erste politische Verantwortungsträger im Land, der Bundeskanzler Olaf Scholz, schweigt so auffällig, dass die Koalitionspartner immer vernehmbarer nörgeln und die Interpretationen der Kanzler-Schweigsamkeit immer wilder werden. Ist es der immer noch nicht erkaltete Rest der alten SPD-Liebe zum Herrscher im Kreml, der die Spitzengenossen an einem härteren Kurs hindert? Oder fürchtet er sich vor einer Eskalation? Ist ihm die Verantwortung zu groß, was er aber nicht eingestehen kann, weil er dann ja sein Amt aufgeben müsste? Darüber spricht der Kanzler nicht, während sich andere Politiker und die Medien munter über Art und Umfang deutscher Waffenhilfe streiten.

Dabei wird manchem Beobachter des Zeitgeschehens, der ein paar Jahresringe mehr gesammelt hat, zuweilen schon schwindlig. Manche Vertreter der höheren Moral schwadronieren jetzt im gleichen weltanschaulich überlegenen Ton, mit dem sie einst noch Spielzeugpistolen aus Kinderzimmern verbannen wollten, von der Notwendigkeit neuer schwerer Geschütze an der Front. Es ist natürlich nichts gegen die Einsicht zu sagen, dass in einem Krieg ein Angegriffener gegen einen militärisch überlegenen Angreifer hinreichend Waffen benötigt, um nicht überrannt zu werden. Doch wie soll man diejenigen ernst nehmen, die ihre neuen Erkenntnisse nicht mit der durch die eigenen früheren Fehlschlüsse angemessenen Demut vortragen, sondern auftreten, als hätten sie ein Dauerabo auf moralische Überlegenheit?

Es ist in dieser Gemengelage sicher ein interessanter Schachzug, dass die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag nun droht, den Kanzler mittels einer Abstimmung im Parlament über die Ukraine-Bewaffnung unter Druck zu setzen. Leider scheint es den Akteuren aber kaum um mehr zu gehen als um diesen politischen Stich, also nicht um die Sache, sprich den Krieg und das Ausmaß unserer Beteiligung daran.

Dürfen waffenliefernde Verbündete beim Waffenstillstand mitreden?

Bei all den lauten Debatten über Art und Umfang deutscher Waffenlieferungen wird über eine Frage nicht gesprochen, die aber dringend geklärt werden muss, auch wenn man sich durch die Lieferung von Kriegsgerät „nur“ mittelbar am Krieg beteiligt: Was ist unser Kriegsziel?

Der eine oder andere Leser hält das vielleicht für eine leicht zu beantwortende Frage, denn es geht doch einfach nur um die Verteidigung einer souveränen Ukraine gegen den Aggressor Russland. Aber wie weit reicht die Verteidigung? Welche Optionen der Beendigung dieses Krieges gibt es? Entscheidet die Ukraine darüber allein oder dürfen die waffenliefernden Verbündeten dabei mitreden? Und welche Möglichkeiten einer Nachkriegsordnung sehen wir?

Kann es einen Waffenstillstand geben, wenn die russischen Truppen nicht mehr in dem ukrainischen Gebiet diesseits der bis Februar gültigen Waffenstillstandslinie stehen? Oder müssen erst auch noch Luhansk und Donezk vollständig in ukrainischer Hand sein? Vielleicht möchte manch ein ukrainischer Politiker auch erst Frieden schließen, wenn Russland die Krim geräumt hat? Streben wir vielleicht zur Klärung strittiger Grenzfragen Volksabstimmungen in den betroffenen Gebieten unter internationaler Aufsicht an? Drängen wir im Falle eines Falles die Ukraine dazu, die Ergebnisse solcher Abstimmungen zu akzeptieren? Dies sind nur einige der Fragen, die diskutiert werden müssten.

Auch darüber, wie wir mit Russland nach diesem Krieg umgehen wollen, sollte dringend gesprochen werden. Setzen wir auf einen Regimewechsel als Kriegsfolge? Halten wir den für erreichbar? Mit welchem System hätten wir es nach Putin zu tun? Oder müssen wir vor allem über eine Nachkriegsordnung mit Putin nachdenken? Wie könnte die aussehen?

Kehrt nach dem Krieg die Blauäugigkeit zurück?

Kehrt Deutschland wieder zu seiner gelassenen Gasabhängigkeit von Russland zurück, wenn der Präsident irgendwann tatsächlich nicht mehr Putin heißt? Wird die fertiggestellte Pipeline Nord-Stream-2 nach dem Krieg doch noch in Betrieb genommen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Nicht zu vergessen ist die Frage, wie die deutsche und EU-Politik nach dem Krieg mit der Ukraine umzugehen gedenkt. Seit Kriegsbeginn ging die Solidarität mit der politischen Führung der angegriffenen Ukraine im politisch-medialen Raum sehr weit. Im Kriegs-Pathos wurden wir beschworen, die ukrainischen Kämpfer würden nicht nur ihr Vaterland, sondern auch unsere westlichen Werte verteidigen. Das mögen etliche Kämpfer auch so sehen, aber alle stehen sicher nicht auf einem westlichen Wertefundament. Im Krieg ist es verständlich, dass man darauf verzichtet, dem Angegriffenen während der Bombenangriffe vorzuhalten, dass sein Land vor dem Krieg kein lupenreiner demokratischer Rechtsstaat, sondern stark von Korruption und Oligarchenmacht geprägt war. Doch wenn die Waffen schweigen und es um die Nachkriegsordnung, um Fragen wie EU-Beitritt etc., gehen wird, sollten sich unsere Verantwortungsträger von aller wohlmeinenden Blauäugigkeit verabschieden.

Dafür bietet das gegenwärtige politische Personal leider nicht hinreichend Gewähr. Über Kriegsziele und die Zeit nach Kriegsende scheinen sie auch kaum nachzudenken und wenn doch, lassen sie die Bürger daran nicht teilhaben. Kein Konzept für die Zeit nach dem Krieg zu haben, hatten deutsche Politiker und Journalisten in den letzten Jahrzehnten den jeweils kriegführenden US-Regierungen gern vorgeworfen. Ohne klares Konzept für die Nachkriegszeit ist der Westen, auch die Bundesrepublik, 1999 in den Kosovo-Krieg gezogen. Die fragile Übergangszeit mit einem Staat, der am Tropf des Westens hängt, den aber nicht einmal alle EU-Staaten offiziell anerkannt haben, ist auch nach 23 Jahren noch nicht überwunden.

Die Frage nach eigenen Kriegszielen mag dem heutigen politischen Personal noch anrüchig erscheinen, so wie vor wenigen Wochen die Frage von Waffenlieferungen. Doch wer sich an einem Krieg beteiligt, ob mittelbar oder unmittelbar, muss sich die Frage nach seinen Kriegszielen stellen. Und die Regierten sollten die Antworten von ihren Regierenden einfordern.

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Leserpost

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Christa Wolf / 20.04.2022

Erinnert sich eigentlich noch jemand von den Putinverstehern an den Ungarnaufstand, an den Einmarsch der Sowjetunion in der DDR? Die Angst der Polen vor dem gleichen Schicksal? Den Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei? Das Zittern der baltischen Staaten, ob ihre Loslösung vom sowjetischen Joch gelingen würde? Warum wohl hat sich die Sowjetunion aufgelöst? Schon mal darüber nachgedacht? Die ehemaligen Vasallen der Sowjetunion hatten die Schnauze gestrichen voll von der Bevormundung, sie wollten frei sein wie der Westen. Genau das strebt auch die Ukraine an. All die Putinversteher wollen ihr das nicht zugestehen? Ich verstehe das nicht. Warum fliehen gut ausgebildete Russen aus ihrer Heimat in den Westen? Warum floh Stalins Tochter Swetlana aus dem Reich ihres Vaters? Mich wundert und erzürnt die Geschichtsvergessenheit der Deutschen. Warum wollten die DDR-Bewohner die Westanbindung und nicht unter russischer Vorherrschaft weiterhin leben?! Wer hat dazu beigetragen? Richtig, die Amerikaner waren es. Die Englänger und Franzosen sowie die anderen westeuropäischen Länder waren dagegen.

Christa Wolf / 20.04.2022

Andrej Stoltz / 20.04.2022 Die Kriegsziele dieser Dreiparteienregierung sind nicht nur unterschiedlich, sondern sogar gegensätzlich und deswegen ist diese Koalition am Ende. Die Sozis möchten offenbar am liebsten, dass Putins Russenpanzer die Ukrainer überrollen und dass dieses Land verschwindet. Damit das Sowjetreich wieder entstehen kann. Weil die SPD wieder von der Sowjetunion “siegen lernen”.... Sehr treffend geschrieben. Meine Anmerkung noch zu einem anderen Leserbrief: Die Ukraine soll sich ergeben, damit das Blutvergießen aufhört. Warum fordern Sie das nicht von Putin? Er ist doch der Aggressor, der die Ukraine überfallen hat. Überfällt Sie jemand in Ihrem Haus, wehren Sie sich dann auch nicht, sondern lassen sich bestehlen, zusammenschlagen oder ermorden?

Christa Wolf / 20.04.2022

Ich bin entsetzt über die vielen Amerika-Hasser. Amerika, schon vergessen, hat uns die Wiedervereinigung ermöglicht. Amerika hat Berlin vor der Aushungerung bewahrt mit ihren Rosinenbombern. Amerika hat uns davor beschützt, von der Sowjetunion vereinnahmt zu werden. Schon vergessen, wie viele Mauertote es gegeben hat? Amerikanische Diplomatenfahrezeuge haben Fluchtwillige in den Westen gebracht und nicht nach Russland. Wollen Sie alle einen Diktator namens Putin? Sind Sie für Nationalismus und Imperialismus? Können Sie sich ein Leben in Russland vorstellen? Dann wandern Sie dahin aus und nicht in die Schweiz. Mir wird ganz übel ob des Pharisäertums.

Christa Wolf / 20.04.2022

Michael Hofmann: Sie sollten nur Fakten verbreiten und keine Diffamierungen betreiben. Mich stößt das ab.

Christa Wolf / 20.04.2022

Sind wir vielleicht ein lulpenreiner demokratischer Staat? Ich denke definitiv nein. Bei uns herrscht Korruption, auch in der EU gibt es das. Also, wir sollten nicht mit Steinen werfen, wenn wir selbst im Glashaus sitzen. Ich denke an den Bruder von Olaf Scholz und den Krankenhausbetten, Maskendeals etc. Unsere Justiz ist nicht mehr unabhängig; siehe Harbarth. Unsere Richter fällen Urteile, die nicht mehr an Recht gebunden sind. Unsere Polizei prügelt wild auf friedlich demonstrierende Bürger ein. Demos gegen die Impfpflicht werden verboten, sabotiert, Provokateure werden eingeschleust, um die nötigen Bilder zu bekommen. Es wird zensiert, diffamiert und ausgegrenzt; alles schon vergessen? Es gibt wieder Kontaktschuld. Die Aktion der Schauspieler wurde verunglimpft, sie verloren ihre Jobs usw. usw. Also bitte nicht mit dem Finger auf die Ukraine zeigen. Beginnen wir bei uns aufzuräumen. Es gibt genug zu tun. Uns haben die Amerikaner nach dem Krieg Demokratie eingebläut. Wir haben ziemlich lange dafür gebraucht und jetzt benötigen wir schon wieder Nachhilfe. Wir müssen den Ukrainern helfen, damit sie ein gesunder und prosperierender Staat werden können. Es wird ihnen gelingen, da bin ich mir sicher.

S. Meyer / 20.04.2022

@ g. giesemann: Ihre antirussische Haltung und Ihre Unterstellungen sind unerträglich. Etwas mehr faktenbasierte Sachlichkeit wäre mehr als angebracht. Auf den Russen „rumhacken“, weil es Russen sind, bringt niemandem etwas. @ H, Oltmannssohn: Genauso ist! Treffer! Versenkt!

Franz Michael / 20.04.2022

Deutschland wird am Hindukush verteidigt. Pakistan führte am 16.4. einen militärischen Angriff in Afghanistan Khost und Kunar durch. Dort wo die Bundeswehr Friedensgespräche führte. Es ist bestimmt eine schwere Kanzleraufgabe wenn Deutschland vom Nord- bis zum Südpol verteidigt werden muss, während innenpolitisch die Gesellschaft auseinander bricht. Noch keiner kam auf die Idee das es zwischen dem HSH 40Mrd. Debakel in dem Warburg bezüglich Immobilien ebenso involviert ist und den scholzen Altlasten die wie Blei in den Schuhen stecken. Da muss jeder Schritt eines roten Hinterzimmer Gespenst, so wie er teilweise bezeichnet wurde, genau austariert sein. Da die Ukraine inzwischen direkt in Russland Orte angreift, ist die Lage sehr brenzelig und sollte jegliche Waffenlieferung verhindern. Sollten die Videos und Gerüchte stimmen, es gibt Videos und Bilder, scheint der Comedian aus der Ukraine ein Problem mit Drogen zu haben. Da ist er wohl nicht der einzige der eine große Party feiert. “Der Pessimist ist jemand, der vorzeitig die Wahrheit erzählt.”

Curt Handmann / 20.04.2022

“Dabei muss vor allem geklärt werden, was eigentlich unser Kriegsziel ist” .... Pardon, aber ich sehe das als relativ einfach zu beantworten an: Wenn die Ukraine weiterhin derart mit Waffen vollgepumpt wird, kann das Ziel nur die totale Vernichtung der Ukraine sein! Was ist bloß so schwer daran zu verstehen? Man verzeihe mir bitte meinen Zynismus, aber—so einfach und so abartig ist das.

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