Antje Sievers / 26.02.2016 / 06:30 / Foto: Danilo Škofič / 18 / Seite ausdrucken

21 Katastrophen, die meine Generation überlebt hat

1. Keuchhusten, Mumps, Masern, Windpocken, Scharlach, Röteln

2. Unangeschnallte Fahrten auf dem Vordersitz verkehrsuntüchtiger Personenkraftwagen

3. Fettes Fleisch mit totgekochtem Gemüse und geschmacksneutralen Kartoffeln

4. Zahnbehandlungen ohne Betäubung

5. Kilometerlange Fußwege zur Schule bei Schnee, Nebel, Glatteis, Sturm und Starkregen. Marschgepäck: Ein drei bis vier Kilo schwerer Schulranzen, Brottasche und Turnbeutel (auch als Schlagwaffe geeignet, siehe Punkt 12.)

6. Unbehandelte Hunde- und Katzenbisse

7. Lebensmittel aus nicht-nachhaltigem, chemisch gedüngtem und mit toxischen Insektiziden gespritztem Anbau. Biokost gab’s ausschließlich aus dem eigenen Garten, dafür reichlich: Äpfel, Birnen, Waldmeister, Schnittlauch, Petersilie, Sauerkirschen, Erdbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren

8. Zecken

9. Freistil-Geräteturnen ohne Turngeräte. Mangels Schwebebalken und Hochreck nahm man Zäune und Äste, Bodenturnen in geschlossenen Räumen zog gelegentlich zertrümmertes Mobiliar und stark blutende Wunden nach sich

10. Auf gnadenlosen Wettbewerb zur Auslese der Doofen und Schwachen ausgerichtete Spiele, als da wären: Monopoly, Die Reise nach Jerusalem, Völkerball, Fußball, Stadt-Land-Fluss, Schach, Halma, Mühle, 66, Lügenpasch, Tischtennis, Skat, Rommé, Seilspringen, Gummitwist, Scrabble, Der Plumpssack geht um, Halli Hallo etc.

11. Stürze vom Birnbaum, klaffende Schürfwunden von Ausrutschern beim Rollschuhlaufen, Brennesselquaddeln, Stiche von Bienen, Wespen und Hummeln

12. Schläge (Das war richtig Scheiße. Kinder sollte man grundsätzlich nur in Notwehr schlagen)

13. Stundenlanges „Draußenspielen“ weit außerhalb der Sicht- und Reichweite von Erziehungsberechtigten

14. Rangeleien, Demütigungen und Beleidigungen auf dem Schulweg, in der Schule und nach der Schule, heute bekannt als schwer traumatisierendes, Elternabend-relevantes Mobbing

15. Handy-, İPhone- und Computerlosigkeit. Das einzige Telefon (gelegentlich noch Fernsprecher geheißen) und der einzige Fernsehapparat war in vielen Haushalten heilig und für Kinder tabu

16. Aufbringung von Pockenimpfstoff durch Rasiermesserschnitte des Amtsarztes

17. Hausgemischte Cola aus Waldmeisterbrause und Himbeerbrause. Sah aus wie Cola, schmeckte wie toter Friseur

18. Berge von süßen, fetten und Kohlehydratehaltigen Nahrungsmitteln, die uns von Menschen aufgenötigt wurden, die einen Weltkrieg, wenn nicht zwei überlebt hatten. Da wir Tag für Tag mehrere Stunden Kriegen, Verstecken, Fuß- oder Völkerball spielten oder die dramatischsten Szenen aus „Der Schatz im Silbersee“ und „Prinz Eisenherz“ nachstellten, wurden die zusätzlichen Kalorien verbrannt wie nichts.

19. Schlittenabfahrten mit ausgefallenen akrobatischen Einlagen und infolgedessen ausgeschlagenen Milchzähnen

20. Ein Krampfadergeschwader von Urgroßeltern, Großeltern und Großonkeln, die ihre Vorstellungen von Disziplin bei der Waffen-SS gelernt hatten

21. Abwaschen, Abtrocknen, Küche fegen, Einkaufen, Post und Flaschen wegbringen, Rasen mähen, Garten sprengen, Obst pflücken, Zigaretten holen, Keller entrümpeln   

Zuerst erschienen hier.

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Frank Mora / 26.02.2016

Aus ostdeutscher Sicht fehlt: 22. Heizen. Mit Kohle von der Straße aufklauben. Eimer für Eimer in den Keller tragen. Eimer für Eimer in die Wohnung tragen, Kohlengrus dabei in Tüten verpackt mitnehmen. Kohlenfeuer in den Kachelöfen (in jedem beheizten Zimmer einen) anmachen. Nachlagen und dabei Kohlengasbildung verhindern. Asche und Schlacke aus dem Ofen kratzen (jeden Tag, mindestens 200 Tage im Jahr). Asche herunterbringen. Selbstverständlich ohne Fahrstuhl. 23. Freitags wird gebadet und dafür Kohlebadeofen anheizen. 24. Vormilitärische Ausbildung von der 1. Klasse an (Manöver Schneeflocke) mit Uniform, Sturmbahn, Handgranatenweitwurf, KK-Schießen und Exerzieren. Das war wirklich ätzend. Auch wenn so mancher LKW-Führerschein noch heute genutzt wird. 25. Arbeiten in der Produktion (UTP, ESP, PA). Noch heute kann ich feilen, bohren, Werkzeugmaschinen bedienen (nicht einstellen), Haushaltgeräte reparieren und weiß, das die Drehstromphasen R, S und T heißen. 26. Ferien im Betriebsferienlager. Einmal sogar beim Partnerbetrieb in der Tschechoslowakei. Meine erste Auslandsreise. Nix mit Mittelmeer. 26. Auf der Straße rodeln und Fußball spielen. 13 a. Durch die Wälder ziehen und heimfinden. 27. Zuhause sein, “wenn die Glocken läuten”. 28. Die Revolution im täglichen Leben durch den ersten Kühlschrank und die WM66 (erste Waschmaschine), später die erste Wäscheschleuder.

Niels Miller / 26.02.2016

Ja, wir sind vorsichtiger geworden. Ja, vielleicht auch manchmal zu sehr. Aber grundsätzlich ist es doch zu begrüßen, dass die Lebenerwartung um gestiegen ist: in Deutschland um ca. 15% seit 1960, in der Welt um ca. 30%.

Holm Felber / 26.02.2016

Danke, köstlich. Sie haben das sicher notiert, weil Sie an der grassierenden Bewahr-Pädagogik zweifeln. Das tue ich auch. Aber als Ex-DDR-Bürger habe ich Karl-Eduard von Schnitzler, Pioniernachmittage, Staatsbürgerkundeunterricht und die dazugehörigen Klassenarbeiten, FDJ-Sekretärinnen, die Politische Ökonomie des Sozialismus auf Hochschulniveau oder die damals alternativlose Wohnheim-Einquartierung in Sechsmannzimmern neben der Studentendisko überlebt. Die Dinge wirken manchmal anders als intendiert. Deshalb bleibt Hoffnung.

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