Vera Lengsfeld / 23.09.2016 / 06:20 / 4 / Seite ausdrucken

Was Marxismus und Islamismus eint

Schon im Jahre 1960 rief der amerikanische Soziologe Daniel Bell in seinem gleichnamigen Buch das Ende der Ideologien aus. Eine Kombination aus Demokratie und Massenwohlstand habe jene politischen Fragen gelöst, die seit Platons Zeiten die Menschen umtrieben. Damit hat Bell den damals noch mächtigen kommunistischen Block übersehen, der fern vom Massenwohlstand total ideologiegesteuert war.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der von Francis Fukuyama vorschnell als Ende der Geschichte ausgerufen wurde, stellte sich bald heraus, dass es nicht mal mit den Ideologien vorbei war. Wie der britische Autor Theodore Dalrymple feststellte, trat lediglich eine „Balkanisierung“ der Ideologien ein, das Entstehen zahlreicher neuer Ideologien für ideologieempfängliche Menschen.

Dabei hat sich eine Ideologie besonders hervorgetan, der Islamismus. Dalrymple: „Weil diese Ideologie so sehr die Rückkehr zur islamischen Reinheit betonte und sich ...lautstark gegen die Moderne wandte, bemerkten viele Leute nicht, wie modern das Phänomen des Islamismus eigentlich war...Das lässt sich anhand der Lektüre eines der Grundtexte des Islamismus erkennen, nämlich der zuerst 1964 veröffentlichten „Meilensteine“ von Sayyid Qutb. Der Einfluss des...Leninismus ist unverkennbar.“ Qutbs Kulturkritik, nach der die Vorherrschaft des Westens zu Ende geht, weil es ihm zunehmend an den sinnstiftenden Werten mangelt, die den Westen einst groß gemacht haben, kann man als erstaunliche Hellsichtigkeit bewundern. Da, so Qutb, die sinnstiftenden Werte aber auch nicht aus dem Ostblock kommen können, brauche es einen dritten Weg. Dieser Weg wäre der Islam. 

Wenn alle Gottes Gesetz einhalten wird ein Staatsapparat überflüssig

So wie bei den Kommunisten die Proletarier die Interessen der ganzen Menschheit auf sich vereinigten, sind es bei Qutb die rechtgläubigen Muslime. Wie bei Marx nach dem Sieg des Kommunismus der Staat verschwinden sollte, so bei Qutb nach dem Sieg des Islam. Nach der Errichtung des wahren Islam werde es keine Interessengruppen mehr geben, da alle Menschen Gottes Befehle befolgen, ohne sie interpretieren zu müssen. Wenn alle nur noch Gottes Gesetz einhalten, gibt es keinen Konflikt mehr und ein Staatsapparat  wird überflüssig.

Die vom Kommunismus propagierte Einheit von Theorie und Praxis findet sich auch bei Qutb: „Diese zwei Dinge, das Predigen und die Bewegung zusammen, konfrontieren ´die menschliche Situation` mit allen notwendigen Methoden. Um Freiheit für die Menschheit auf Erden zu erreichen...ist es notwendig, dass diese Methoden ineinandergreifen.“ Wie Lenin war auch Qutb der Überzeugung, dass Gewalt eingesetzt werden müsste. Bei Lenin gegen die Kapitalisten, bei Qutb gegen die Ungläubigen.

Wie Lenin glaubte auch Qutb, dass die Autorität des Führers absolut sein muss. Der Mensch müsste „dazu angeleitet werden, die Ordnung einer Gemeinschaft anzunehmen, die unter der Herrschaft eines Führers steht“, und er müsste „diesem Führer gehorchen, auch wenn dessen Verordnungen seinen Gewohnheiten und seinem Geschmack widerstreben sollten.“ Das entspricht dem Anspruch der Leninschen Parteien neuen Typus auf das Leben ihrer Mitglieder. Wie Lenin ist Qutb der Meinung, dass seine Partei eine Vorhut, keine Massenpartei sein soll, denn nur so kann gewährleistet werden, dass die Umwälzung aller Verhältnisse effizient bewerkstelligt werden kann.

Beiden gemeinsam ist der Kampf bis zur ewigen Seligkeit für die ganze Menschheit

Der Islamismus Qutbs ist dialektisch: Der Islam „hat keine praktischen Probleme mit abstrakten Theorien und geht verschiedene Etappen auch nicht immer mit den gleichen Mitteln an. Wer über den Dschihad im Islam spricht und koranische Verse zitiert, berücksichtigt diesen Aspekt nicht und versteht nicht die Natur der verschiedenen Stufen, über die eine Bewegung sich entwickelt…“ Für Lenin bricht sich der neue Inhalt über „alle nur denkbaren Formen Bahn“. Kommunisten seien verpflichtet, „alle Formen zu meistern und es zu lernen, eine Form durch die andere zu ersetzen.“

Eine weitere Parallelität ist die Inkompatibilität beider Ideologien mit irgend etwas anderem. Beiden gemeinsam ist der Kampf bis zur ewigen Seligkeit für die ganze Menschheit. Für diese Seligkeit ist jedes Opfer zu bringen. Für Qutbs Ideologie trifft der Name Islamleninismus eher zu als Islamfaschismus. Kein Wunder, dass der Islamismus gerade bei Linken auf so viel Nachsicht trifft.

Der Islamismus ist eine Bewegung. Sinngemäß hat der türkische Präsident Erdogan gesagt, die Demokratie sei eine Straßenbahn. wenn er am Ziel wäre, stiege er aus. Hat unsere Kanzlerin das gehört, bevor sie ausgerechnet Erdogan zu ihrem Helfer in der von ihr verursachten Einwanderungskrise gemacht hat? In diesem Zusammenhang darf man auch fragen, was Präsident Obama meinte, als er auf dem kürzlichen Flüchtlingsgipfel der UNO von einer „Flüchtlingsbewegung“ sprach und warum er unsere Kanzlerin ausdrücklich für ihre unkontrollierte Grenzöffnung für diese Flüchtlingsbewegung lobte.

Alle Qutb-Zitate nach Theodore Dalrymple: Der Untergang Europas

Zuerst erschienen auf: Freedom is not free

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Leserpost

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Dr. Christian Rother / 24.09.2016

Interessant ist die Frage, warum manche Linke „Nachsicht“ mit dem Islamismus zeigen. M.E. hat das aber nur sehr eingeschränkt damit zu tun, dass beide wirklich dieselben oder ähnliche Ziele hätten. Stattdessen sehen Linke den Islam bzw. Muslime und dann auch Islamisten häufig als eine diskriminierte Minderheit an, als Opfer des Kolonialismus, als die neuen Juden etc. Diese Unterdrückten gilt es dann gegen „die“ Rechten, „den“ Westen etc. zu verteidigen. Eine solche Anschauung findet sich in extremer Form ausgeprägt z.B. bei dem Islamisten und ehemaligen Linksterroristen Bernhard Falk. Was die Parallelen zwischen Qutb und Marx/Lenin angeht: Man muss kein Islamapologet sein um festzustellen, dass aus der Schrift eines Cheftheoretikers der Muslimbrüder weder allgemeine Aussagen über den Islamismus noch gar über den Islam ableitbar sind. Im Gegensatz zur Rede vom Islamofaschismus ist der Hinweis auf Gemeinsamkeiten zwischen Islamismus und Marxismus zwar neu, m.E. aber letztlich genauso wenig erkenntnisfördernd. Das sieht man schon daran, dass z.B. Abdel-Samad seine These vom Islamischen Faschismus gerade auch anhand der Ideologie der Muslimbrüder zu belegen versucht und den Faschismus mit Recht als dezidiert antimarxistisch charakterisiert.

Karla kuhn / 23.09.2016

Wahrscheinlich wähnt sich Obama am Ziel als er aus der “Straßenbahn” von Erdogan ausgestiegen ist und Frau Merkel jovial für die unkontrollierte Grenzöffnung dankte. Der Mann wird in Kürze Geschichte sein. Sein yes we can war auch nur Makulatur.  Wir sollten in Deutschland dringend eine Begrenzung der Regierungszeit nicht nur für den Kanzler, sondern für alle Politiker einführen.  Dann hätten wir nämlich jetzt nicht den Salat.

Oliver Förstl / 23.09.2016

Der Faschismus verhält sich zu dem Islamismus ebenfalls identisch.

Heinz Stiller / 23.09.2016

Wir brauchen nicht bis zum Islamismus zu gehen, um aktuelle totalitäre Ideologien zu finden. Wir haben sie bei uns selbst. Antonio Gramsci würde seine Idee der kulturellen Hegemonie (siehe seine ‘Gefängnishefte’) bei uns in exemplarischer Form bestätigt sehen.  Einige Sozialwissenschaftler haben in der Tat in ihrer grenzenlosen Naivität vom Ende der Ideologien gesprochen. Man könnte genau so gut über das Ende des Hungers und des Durstes sprechen. Für viele Menschen ist ein geistiges Weltgebilde ein natürliches Bedürfnis, ohne dessen Befriedigung sie nicht leben können. Die Kirchen haben jahrhundertelang gut von dieser Tatsache gelebt. Was sollten geschockte Linke denn machen, denen man mit dem Ende des Kommunismus ihr geistiges Opium (Raymond Aron) weggenommen hat? Entzugserscheinungen sind schmerzhaft. Deshalb musste schleunigst eine Ersatzdroge her. Und siehe, es ward Licht - in Form eines selbsthassenden grünen Drittweltismus, der nahtlos an den Mythos des Edlen Wilden anknüpft. Böse alte weisse Männer nehmen die Position des Satans ein, von denen alles Unheil dieser Welt ausgeht. Erlösung ist möglich durch Selbstverleugnung und Aufnahme der Opfer unserer angeblich so infamen Taten gegenüber der Dritten Welt. Die Idiotie dieser Weltsicht zeigt ihren religiösen Kern-Charakter. Denn nur in Religionen und Pseudo-Religionen gibt es dermassen bizarr-realitätsleugnende Ideen. Diese Pseudo-Religion muss auch totalitär sein, denn Ketzer könnten Unsichere und Zweifler von der “guten Sache” abhalten. Deshalb müssen sie mit allen Mitteln bekämpft werden. Was die “Parabolani” des frühen Christentums, später die Inquisitoren waren, sind heute die Antifa, die Amadeu-Antonio-Stiftung und die linken Mainstream-Medien. Die geistige Grundlage des eigenen linken Selbstbildes erträgt keinen Zweifel. Sonst droht kalte geistige Heimatlosigkeit. Und das ertragen Linke nicht.

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