Vince Ebert / 25.06.2010 / 19:36 / 0 / Seite ausdrucken

Was Manager von Meyer-Landrut lernen können

Viele Menschen glauben, je komplexer ein System ist, desto weniger dürfe man es sich selbst überlassen. Deswegen erfanden die Russen die Planwirtschaft. Die Erfolge sind hinreichend bekannt. Zum Beispiel baute man dort gigantische Maschinen, die Kohle und Erz förderten. Dann verbrannte man die Kohle, um das Erz zu schmelzen, das man dann zum Bau von gigantischen Maschinen benutzte, die Kohle und Erz förderten.
In Deutschland heißt die vielleicht beliebteste planwirtschaftliche Idee „Casting-Show“. Seit Jahren versuchen Fernsehmacher in einem gänzlich unkreativen Verfahren Kreativität zu produzieren. Individualität als Massenphänomen. Die Ergebnisse sind ähnlich bescheiden, wie die im Kommunismus. Von der Kohle, die dabei verbrannt wird, gar nicht zu reden.
Der Grund ist klar: Bohlen, Klum und Co. wählen nicht diejenigen aus, die ihnen am besten gefallen, sondern sie wählen diejenigen aus, von denen sie glauben, dass sie den Zuschauern am besten gefallen. Genauso funktioniert übrigens das Börsengeschäft. Man kauft Aktien, weil man denkt, die anderen Leute denken, dass diese Aktie später mehr wert sein wird, als man selbst glaubt, dass sie jetzt wert ist. Ökonomen sprechen in dem Fall von der Theorie vom Noch-Größeren-Idioten.
Deswegen melden sich bei jeder neuen Casting-Show Millionen perspektivloser Menschen in der Hoffnung an, einfach nur berühmt zu werden. Nachvollziehbar ist das. Wenn ein Mann wie Kurt Beck allen Ernstes Bundeskanzler werden wollte, kann man es Jugendlichen kaum verdenken, wenn sie eine Karriere als Superstar anstreben.
Nun aber hat es aber komischerweise doch geklappt. Und zwar, weil eine junge Frau mit einem unprätentiösen Doppelnamen genau das falsch gemacht hat, was die Bohlens und Klums dieser Welt als richtig erachtet haben. Lena Meyer-Landrut ist der banale Beweis, dass man Originalität nicht planen kann.
Eine Einsicht, die auch von vielen Managern konsequent ignoriert wird. Kein Wunder, denn das Wort „Management“ stammt ursprünglich vom italienischen Begriff maneggio und dem französischen manège ab. Beides bezeichnet die Trainingsarena, in der Pferde lernen, im Kreis zu laufen, während sie der Trainer mit einer Peitsche dirigiert. Was aber passiert, wenn die Pferde irgendwann einmal lernen, alleine im Kreis zu laufen? Was, wenn es die Pferde ohne diesen Mann im dunklen Maßanzug und Peitsche in der Mitte sogar besser können? Oder wenn die Pferde plötzlich herausbekommen, dass es wesentlich sinnvollere Dinge gibt, als weiter im Kreis herumzulaufen?
Ich glaube, wenn vor drei Millionen Jahren Innovationsmanager über unser Schicksal entschieden hätten, würden wir uns immer noch auf allen vieren bewegen. Denn die Erfindung des aufrechten Gangs war eine hochriskante Neuerung. Sehr selten kamen radikale Innovationen von etablierten Marktführern, sondern von Außenseitern und Freaks, bei denen kein Direktor Zirkus macht und die Peitsche schwingt. Der erste Web-Browser kam nicht von Microsoft, die erste Suchmaschine nicht von der Telekom, der erste mp3-Player nicht von Sony.
Dennoch denkt der Großteil der Führungselite weiterhin in Dreimonatszyklen, perfektioniert das Bestehende und lehnt Neues, Unplanbares ab. Heutzutage würden Controller mit allen Mitteln verhindern, dass sich Kolumbus auf den Weg gemacht hätte. Und wenn er dann zurückkäme, würde ihn die Geschäftsführung feuern, weil er statt einem Seeweg nach Indien, nur Amerika entdeckt hat. 
Neuerungen sind nicht kalkulierbar. Und gerade durch diese Unkalkulierbarkeit setzten sich wie durch Geisterhand immer wieder Dinge durch, auf die man vorher keinen müden Cent gewettet hätte. Vor einigen Jahren hat ein ehemaliger Schulkollege von mir seinen ersten Amateurfilm gemacht. Beim Drehen jedoch verwechselte er aus Versehen bei der Kamera „Record“ und „Pause“ – und gewann damit den Deutschen Kurzfilmpreis…

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