Das Problem der deutschen Liberalen ist nicht vermittlungstechnischer Natur, sondern ein strukturelles: Die Wähler sind oft Freiberufler, die in einer Welt außerhalb der Marktwirtschaft angesiedelt sind. Sie leben vom Staat und mit dem Staat. Darum haben sie ja auch staatliche Privilegien wie Gewerbesteuerfreiheit, Honorartafeln, Staatsaufträge, staatliche Regulierung des Gesundheitswesens und des Kaminkehrens. Das Brüderle hat sich immer um die Anpassung der Honorartafeln gekümmert, aber nie darum, die Kammern zu verbieten und die Wirtschaftsteilnehmer in die Freiheit und in die Marktwirtschaft zu entlassen. Da liegen die Defizite. Eine korporatistische Wirtschaft mit tausend Kammern und Verbänden landet zum Schluß nicht in der Marktwirtschaft, sondern im Faschismus oder mit etwas Pech im Nationalsozialismus. Die deutschen Liberalen haben ihren marktwirtschaftlichen Geist mit dem Tod von Eugen Richter 1907 aufgegeben. In den 50er Jahren hat der Christdemokrat Ehrhardt die Wirtschaft modernisiert und nicht Theodor Heuss.
Nach diesem Artikel frage ich mich als erstes, wie es mit Liberalismus zu vereinbaren ist, eine richterliche Überheblichkeit aufzufahren, von wegen „Dummkopf“ und „Ganz sicher ist so ein Mensch kein Liberaler“, sollte jemand anderer Meinung sein als der Autor. Desweiteren müsste endlich aufgeräumt werden mit dem Mythos, sozialistisch orientierte Politiker seien generell mitfühlend. Sie instrumentalisieren zuvorderst schlechter gestellte Personenkreise zwecks Stimmenfang, um Machtpositionen zu sichern. Was langfristig gesehen für diese Personen am besten sein könnte, interessiert viel weniger, als sie in – schmackhaft gemachter – staatlicher Abhängigkeit zu halten. Wäre Mitgefühl im Spiel, dann hätte sich diese Denkweise nicht etabliert. Ein ehrlich gemeint mitfühlender Liberalismus – welcher Liberale wollte schon dieses Gedankenkonstrukt verbieten? – müsste sich also von links erst recht abgrenzen, anstatt zu meinen, damit wäre eine Öffnung dorthin die Folge. Im Übrigen muss die Diskussion nicht immer nur auf Erfolg orientiert sein und sich dabei auf Arbeit und Bildung beschränken. Ein freiheitsliebender Diskurs würde berücksichtigen, dass es Menschen gibt, die ihren Erfolg im Leben nicht an der beruflichen Karriereleiter messen; denen es vielleicht wichtiger ist, einen authentischen Lebensstil zu pflegen, Bescheidenheit dem Luxus vorziehen etc. Ich will daraus keinen politischen Auftrag formulieren, es geht mir hierbei um das zugrunde liegende Menschenbild, das im Liberalismus offen genug für individuelle Definitionen von Erfolg sein sollte bzw. könnte und dies auch so in die Öffentlichkeit transportiert. Jedenfalls könnte man sich dadurch einen weit größeren Fankreis erschließen und bliebe nicht auf die Gutverdienenden beschränkt. Es stünde darüber hinaus einem Liberalismus gut zu Gesicht, zum Beispiel Tierschutz, Religiosität und andere unpopuläre Themen ernst zu nehmen. Der passende Begriff für das Ganze wäre dann „respektierender Liberalismus“.
Liebe Kommentatoren Uhr und Gruner, Wie Hr. Schnoor richtig darlegt, ist es tatsächlich nicht die Aufgabe des Staates, seine Politik oder gar seine Gesetze “mitfühlend” zu gestalten. Der Staat ist doch nicht für den liebevollen Umgang seiner Bürger untereinander da. Chancengleichheit für die Bürger bedeutet nicht Ergebnisgleichheit, um Menschen unterschiedlicher Begabung die gleichen Positionen zu verschaffen, wie es leider dank Quotenregelungen einklagbare(!) Mode wurde. Wer den klassischen Liberalismus, von dem sich die FDP weit entfernte, als kalt empfindet, dem unterstelle ich, dass er in einer unübersichtlicher werdenden Welt die Schwierigkeiten der Freiheit fürchtet und die Leichtigkeit einer sozialistischen Gesellschaft vorzieht, in der er den Staat für alles verantwortlich sieht. Gruß, Bernd Hönig
Ach. Jeder Mensch soll “mitfühlend” sein. Und jedes System - nennen wir den Libaralismus mal eines - soll es auch sein. Nur: In der Demokratie der BRD kann keine Partei ihr System zu 100% durchsetzen. Jede Partei bringt das ihre ein. In einem Parteiensystem, in dem alle Partei sich in ihrem “Mitfühlen” gegenseitig zu übertreffen suchen, braucht es keine mitfühlende FDP. Dafür sind die Koalitionspartner da. Oder, sollte man sich überraschenderweise in der Opposition befinden, eben die Regierung. Will die FDP Wahlen gewinnen, ist der mitfühlende Liberalismus ein Schuß ins Knie. Dafür knuddeln einen die rotgrünen und die Parteiführer werden zu all den schicken Empfängen mit Schnittchen und Champager eingeladen - aber aus dem Bundestag fliegt man genau so raus.
Das, was Felix Schnoor über - auch für mich - wünschenswerten Liberalismus geschrieben hat, gehört mit zum besten, was ich über Liberalismus bislang las. Nach Ende der Lektüre war mir jedoch sofort klar, welche Reaktionen es darauf wohl geben wird. Bestätigung heute in zwei Lesermeinungen. Deutschland ist ein zutiefst sozialdemokratisch geprägtes Land, mit starkem Hang und allgemeinem Wunsch nach Sozialismus, der Staat möge alles sorgenvoll und planwirtschaftlich für seine Bürger richten und regeln, mit starken Eingriffen in den Markt, gegen die Wirtschaft. Was ja durchaus geschieht. Marktwirtschaft, Freiheit und Eigenverantwortung werden nicht verstanden, gelten als unerwünscht. Wer wagt es denn noch, wohlwollend das Wort Kapitalismus auszusprechen? Daher wird es nur immer eine sozialdemokratische FDP geben. Das gilt auch recht bald für die AfD, wenn sie erst einmal vom in Deutschland unvermeidlichen Linksdrall erfaßt wird. Wenn es eng wird, hilft immer noch die Nazi-Keule, gemeinsam geschwungen von Politikern und Medienschaffenden. Ich habe die DDR überlebt, ich werde auch das Deutschland mit sozialistischem Antlitz überleben. Keine Wahlbeteiligung mehr, politisch heimatlos. Ich wähle grundsätzlich keine sozialistischen, sozialdemokratischen Parteien, ob nun grün, braun, rot, blau oder gelb eingefärbt! Aus Überzeugung nicht! Viel Spaß und Freude, wenn Deutschland wegen Überforderung, gleichsam auch EU und Euroraum kurz vor Erreichen des sozialistischen Morgenrots zusammenbrechen!
Hallo Herr Schnoor Sie brauchen nur einmal die Bibel aufschlagen – 1 Korinther 13 – dann wüssten Sie, dass Genscher Recht hätte. Ganz gleich was man tut, sei es als Kapitalist, Kommunist, Sozialist oder auch Liberalist, ohne Liebe ist alles was man tut bedeutungs- und wertlos. Und Mitgefühl bedeutet zwar nicht, das Liebe vorhanden ist, fehlendes Mitgefühl zeigt aber schon, dass sie nicht vorhanden ist. Ihr Konzept der Liberalen Politik wurde von genau dem als „zum Scheitern verurteilt“ vorgeführt, die Sie nannten – Rösler. Und ich möchte hinzufügen, Westerwelle gehört auch in diese Liste. Und ganz gleich, welche Lehrbücher Ihre Religionsgründer geschrieben haben und was da drin steht. Ohne Mitgefühl sind sie in jeder Partei eine Niete, mit Mitgefühl hängt es dann nur noch von ihrer eigenen Qualifikation ab, ob Sie Erfolg haben oder nicht. Das Problem des Mitgefühls ist aber ein anderes. Sie müssen nicht nur davon reden und es auf Plakaten optisch gut darstellen können, sie müssen wesenhaft mitfühlen, es also ernst meinen. Und was Ihre Chancengleichheit angeht. Es gibt nur einen Weg zur Chancengleichheit. Wir müssen jede Schulausbildung verbieten, denn erst wenn keiner von uns mehr schreiben, rechnen oder lesen kann haben wir alle die gleiche Chance – gar keine.
In der Politik hat sich leider der Grundsatz der linksgerichteten Parteien durchgesetzt: Was wir machen, ist egal, die Hauptsache ist, wie wir es benennen. Auf diese Weise verbinden viele die Linken, die Grünen und die SPD mit Themen wie “Chancengleichheit” und “Solidarität”. In der Realität verhindern diese Parteien mit ihrer Politik eine höhere Durchlässigkeit von ärmeren zu reicheren Schichten (zum Beispiel in der Schulpolitik, zum Beispiel mit Daueralimentation, zum Beispiel mit höheren Steuern). Lindner springt jetzt auf diesen Zug auf. Er möchte den Liberalismus von seiner “kalten” Aura befreien und nimmt den leichten Weg: Er redet einfach von einem mitfühlenden Liberalismus. Der schwere wäre es, den Leuten, wie hier in diesem Artikel, klarzumachen, daß ihre Startposition in keinem System besser ist als im Liberalismus, auch, wenn man arm ist.
Ich teile Felix Schnoors Meinung nicht. Der Staat, d.h. die Menschen in seinen Organen (Politik, Justiz, allg. Verwaltung, ...) soll m.E. Mitgefühl haben. Z.B. sollen Kinder, die in asozialen Verhältnissen aufwachsen müssen und daher benachteiligt sind, über die entscheidende Phase hinweg mit überdurchschnittlichen Aufwand gefördert werden um den Start-Nachteil zum entscheidenden, wichtigen Teil auszugleichen, von da an sind aber auch Eigenbeiträge des Betroffenen zu fordern. (Andererseits werden ja Begabte mit hohem Potential auch mit hohem Aufwand gefördert, was der Gesamtgesellschaft zugute kommt.) Das Mitgefühl darf nur nicht ausarten in für alle schädliche ideologische Verirrungen. Die Krankheit unserer Zeit liegt unter anderem darin, dass jemand der einmal in die Gruppe der “Benachteiligten” eingestuft ist, sich nahezu alles erlauben kann und dennoch ewig mit “Milde und Mitgefühl” rechnen kann: Kriminelle und Gewalttäter, Arbeitsscheue, ... Ein anders Übel ist Ideologie wie die ursprünglich aus berechtigtem Mitgefühl mit Menschen “unspezifischer sexueller Identität”, die zu der inzwischen universitär “beforschten” Theorie führte, dass das Geschlecht ein “soziales Konstrukt” und in Wahrheit nicht existent sei. Viele andere Übertreibungen könnte man hier anführen ...
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