Peter Grimm / 26.08.2018 / 16:00 / Foto: Tim Maxeiner / 35 / Seite ausdrucken

Was ist eigentlich ein Schiffbrüchiger?

Die richtige Gesinnung – oder heutzutage auch gern „Haltung“ genannt – wird für einen Amtsträger immer wichtiger. Kaum gebremste Zuwanderung beispielsweise ist gut, weil ja eigentlich alle, die da kommen, „Geflüchtete“, „Schutzsuchende“ oder auch „aus Seenot gerettete Menschen“ sind. Wer auf die realen Folgen aufmerksam macht, gegenüber der aktiven Einladung weiterer Zuwanderer skeptisch ist und an der praktischen Machbarkeit im eigenen Verantwortungsbereich Zweifel äußert, muss mindestens mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde rechnen.

Es begann vor ein paar Tagen damit, dass der Bielefelder Oberbürgermeister – angerührt vom Schicksal der Zuwanderer auf Migrantenschiffen im Mittelmeer, die keinen europäischen Hafen mehr finden, in dem sie willkommen sind – zusätzliche Zuwanderer in seine Stadt einladen wollte und zu diesem Zwecke an die Kanzlerin geschrieben hatte. Die Neue Westfälische berichtete:

„Das Leid von aus Seenot geretteten minderjährigen Flüchtlingen lässt Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) nicht unberührt. Er kündigte an, die Initiative „Sicherer Hafen Bielefeld“ zu unterstützen und hat an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geschrieben. Die „Aktion Seebrücke Bielefeld“ hatte Clausen in einem offenen Brief aufgefordert, ein Zeichen zu setzen und die Stadt zu einem „Sicheren Hafen“ zu erklären.

Wie Europa mit dem Elend von Flüchtlingen in Seenot umgeht, hält Clausen für „empörend“ und „inhuman“. In einem Brief an die Kanzlerin bittet er deshalb, dass Betroffenen geholfen wird – und bietet dabei die Unterstützung der Stadt an. Der aktuelle Fall des Küstenwach-Schiffs „Diciotti“, auf dem 177 aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge vor Catania (Sizilien) festsitzen, mache ihn betroffen, sagte Clausen und appellierte an die Bundesregierung, für eine schnelle Aufnahme und Verteilung zu sorgen.

Es sei „gerecht und solidarisch“, wenn Deutschland in Seenot geratene Menschen aufnehme, heißt in seinem Brief an Angela Merkel (CDU). Bielefeld sei deshalb bereit, mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen als bisher, obwohl es seine gesetzliche Quote bereits übererfüllt habe.“

Der Amtsgerichtsdirektor erinnert an Probleme

Genosse Clausen ist also bereit zur Planübererfüllung. Dumm nur, dass manch einer, der – umgangssprachlich gesagt – die Suppe auszulöffeln haben würde, damit nicht recht einverstanden war. Doch welcher Mitarbeiter im öffentlichen Dienst wagt heutzutage schon lautstarke Kritik an der Zuwanderungspolitik, schließlich gerät man damit ja umgehend in den Verdacht, von richtiger Gesinnung in Richtung rechter Gesinnung abzubiegen. Jens Gnisa, Direktor des Bielefelder Amtsgerichts, ging dieses Risiko ein und schrieb einen Offenen Brief an das Stadtoberhaupt. In dem eher nüchternen Ton eines Juristen sollte es doch kein Problem sein, den Oberbürgermeister an ganz praktische Probleme zu erinnern, die sein generöses Angebot zwangsläufig hervorruft:

„Im Jahr 2015 war die Bundesrepublik Deutschland von einem historisch zu bezeichnenden Flüchtlingszustrom betroffen. Wir stimmen sicherlich darin überein, dass die Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang Beeindruckendes geleistet hat. Auch mein Gericht, das Amtsgericht Bielefeld, war von den Folgen des Flüchtlingszustroms massiv betroffen. Insbesondere die Pflegschaften, die im Zusammenhang mit dem Zuzug unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge anzuordnen waren, haben meine Familienabteilung massiv belastet, sogar an den Rand der Arbeitsfähigkeit gebracht. Nunmehr scheinen die Dinge in einigermaßen geordneten Verhältnissen zu sein. Angesichts der hohen Zahlen ausreisepflichtiger Ausländer besteht allerdings insgesamt noch ein massives Vollzugsdefizit der Gesetze. […]

Als Direktor des Amtsgerichts Bielefeld möchte ich Sie jedoch darauf hinweisen, dass die Umsetzung Ihrer politischen Vorstellungen erneut zu einer massiven Belastung des Amtsgerichtes führen wird. Ich bin deshalb darüber erstaunt, dass Sie Ihre Initiative umsetzen wollen, ohne zuvor mit den Behörden und Gerichten der Stadt in irgendeiner Art und Weise Kontakt aufgenommen zu haben. Ich darf Ihnen versichern, dass wir weiterhin bereit sind, unsere gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Es geht jedoch nicht an, dass der Oberbürgermeister einer Stadt die Behörden und Gerichte auf Grund seiner politischen Auffassung zu einer Solidaritätsleistung zwingt, zu denen diese nicht verpflichtet sind. Ich möchte deshalb darum bitten, dass Sie vor der weiteren Umsetzung Ihrer Initiative dies nachholen, um auch die Interessen des Amtsgerichts Bielefeld in dem Abwägungsprozess ausreichend berücksichtigen zu können. Gerne biete ich Ihnen diese vertrauensvolle Zusammenarbeit weiterhin an.“

Probleme mit klarer politischer Tendenz?

Klingt das schon so böse, dass man eine Dienstaufsichtsbeschwerde schreiben muss, wie es Klaus Rees, der Geschäftsführer der Ratsfraktion der Grünen, jetzt tat? Wahrscheinlich, weil Rees dem Amtsgerichtsdirektor vorwirft, dass er in seinem Offenen Brief nicht verschweigt, dass er der Amtsgerichtsdirektor ist, besteht er gegenüber lokalen Medien darauf, dass er seine Dienstaufsichtsbeschwerde an den Landgerichtspräsidenten als Privatperson geschrieben hat.

„Herr Gnisa hat als Richter und Direktor des Amtsgerichts einen besonderen Status inne, der ihm durch das Grundgesetz und weitere gesetzlichen Bestimmungen garantiert ist. Bei der Wahrnehmung seines Amtes ist er zur Zurückhaltung und Neutralität verpflichtet. Gegen diese Pflichten hat Gnisa mit seinem ‚Offenen Brief‘ und den darin enthaltenen Wertungen und Positionierungen in grober Weise verstoßen und Meinungsmache betrieben“

Besonders geärgert hat sich Rees über eine Passage im Offenen Brief, die die Definition mancher Schutzbedürftiger klarstellt. Sein Vorwurf:

„In seinem Schreiben äußert sich Herr Gnisa sehr explizit und mit klarer politischer Tendenz zu Sachverhalten im Zusammenhang mit den Menschen, die auf ihrer Flucht über das Mittelmeer in Seenot geraten sind. Unter anderem unterstellt er den Menschen, sich ‚ein illegales Einwanderungsrecht nach Europa‘ verschaffen zu wollen und bestreitet, dass es sich bei den Geflüchteten, die auf See in Not geraten sind, um Schiffbrüchige handelt.“

„Unangemessener Vergleich“

„Geflüchtete“, „in Seenot geratene“ und „Gerettete“ aufzunehmen und zu versorgen, ist natürlich eine gute Tat. Die gleichen Wohltaten für Menschen zu erbringen, die sich eine illegale Einwanderung erzwingen wollen, kann nicht mit dem gleichen hochmoralischen Glorienschein versehen werden, das ist klar.

Aber Sie kennen ja nun die hier zur Rede stehende Stelle des Offenen Briefes noch nicht, denn es kann ja sein, dass sich der Amtsgerichtsdirektor an diesem Punkt im Ton vergriffen hat und eine klare politische Tendenz aufscheinen lässt. Hier also im Originalton:

„Ich kann nachvollziehen, dass Sie von den bedrückenden Bildern des Geschehens im Mittelmeerraum beeindruckt sind. Ich kann Ihnen versichern, dass es mir ebenso geht. Ich akzeptiere weiterhin, dass es in dieser Situation einem Politiker zusteht nach kurzfristigen Hilfslösungen zu suchen und er seine politische Meinung durchsetzen möchte. Erlauben Sie mir jedoch an dieser Stelle zunächst meine ganz persönliche Meinung zu äußern, die Ihrer sicherlich diametral entgegensteht:

Ich halte es bereits für unangemessen die Flüchtlinge, die mit Booten nach Europa übersetzen wollen, mit Schiffbrüchigen zu vergleichen. Ein Schiffbruch ist ein Unglücksfall. Diejenigen, die in Nordafrika übersetzen wollen, tun dies jedoch in Abwägung der Chancen und Risiken, wobei ich mir der bedrückenden Verhältnisse in Afrika bewusst bin.

Sie setzen unter Inkaufnahme ihrer Notlage auf See über, um sich ein illegales Einwanderungsrecht nach Europa zu erschaffen. Darüber hinaus glaube ich auch nicht, dass die Aufnahme dieser Flüchtlinge zu einer Lösung des Problems beiträgt, im Gegenteil. Die Chance, auf diesem Weg eine Zuwanderung nach Europa zu erreichen, wird einen weiteren Flüchtlingsdruck hervorrufen, der die Zahl der Todesfälle im Mittelmeer bedauerlicherweise noch erhöhen wird.“

Abgesehen davon, dass der Amtsgerichtsdirektor diese Zeilen als „ganz persönliche Meinung“ kenntlich gemacht hat: Welche politische Tendenz vermeint Herr Rees hier herauszulesen? Hier wird doch im Wesentlichen um die Klarheit der in der Debatte verwendeten Begriffe gerungen. Offenbar macht einen schon das verdächtig.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

Foto: Tim Maxeiner

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Bernhard Freiling / 26.08.2018

Da muß ich zwangsläufig an Milos Zeman denken. Der verortete “die Idioten” ja in der Regierungsspitze - also dort, wo darüber entschieden wird, ob Grenzübertritte mit oder ohne Identitätsnachweis zu gestatten sind. Was würde der wohl sagen, wenn er wüßte, in welchen Niederungen diese Landes die totale Idiotie bereits angekommen ist? Dieser, ohnehin nur noch fragmentarisch vorhandene, Staat scheint mir kaum noch zu retten.

Martin Landner / 26.08.2018

Herr Grimm, sie dürfen noch nicht mal sagen, dass es sich um illegale Einwanderer handelt. Versuchen sie mal, bei den großen Zeitungen einen Kommentar zu schreiben, in dem das Wort “illegaler Einwanderer” auftaucht. Selbst die Worte “IS” oder “Isis” führen in vielen Fällen zur sofortigen Löschung. Das liegt einfach daran, dass sie das Framing durchbrechen. Wenn nicht mehr von Flüchtlingen gesprochen wird, sondern von illegalen Einwanderern, dann ist die Diskurshoheit verloren. Wenn vom IS gesprochen wird, spricht man nicht über Trump oder AfD. Sie dürfen gerne höflich Kritik üben, beispielsweise monieren, dass “wir das nicht schaffen” oder ökonomische Rechnungen anstellen - die man ihnen dann um die Ohren haut, weil sie gegenüber den “Flüchtlingen” so “kaltherzig” sind. Was sie nicht dürfen, ist, die Leute IS Anhänger oder illegale Einwanderer zu nennen.

G. Röhling / 26.08.2018

Diesem Direktor des Amtsgerichts Bielefeld gehört der Orden-Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband - für “Rückgrat"im öffentlichen Dienst verliehen.  Mitläufer wie Annodazumal haben wir schon genug. Zollen wir dem Amtsgerichtsdirektor für seine Worte Respekt. Klaus Rees, den Geschäftsführer der Ratsfraktion der Grünen in Bielefeld bitte nicht mehr wählen. Solche Politiker braucht unser Land nicht. Meine Meinung.  

Frank Pressler / 26.08.2018

Der Rees hat halt die rechte Haltung, der er auch auf andere Art Ausdruck verleiht. Über den studierten Diplomsoziologen ist nämlich zu lesen, dass gegen ihn eine Strafanzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gefertigt und dass dieses Verfahren durch die Staatsanwaltschaft wegen geringer Schuld eingestellt worden sei. Dabei habe die Staatsanwaltschaft argumentiert, dass Rees nicht vorbestraft gewesen und durch die Verhaftung sowie die öffentliche Diskussion schon gestraft genug sei.

Elke Schmidt / 26.08.2018

Früher nannte man das Klassenstandpunkt. Wenn erst einmal entlarvt wurde, dass man selbigen nicht besitzt, wurde ebenso eine Diffamierungskampgne gestartet wie heute.

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