Gunnar Heinsohn / 05.05.2019 / 12:00 / Foto: Pixabay / 28 / Seite ausdrucken

Was Europa Japan nicht nachmachen kann – aber sollte

Drei Jahrzehnte, so heißt es oft, habe Japan verloren nach dem Nikkei-Höchststand von knapp 39.000 am 29. Dezember 1989. Mit anschließender Nullzinspolitik sowie dem Ankauf von Staatspapieren und sogar Firmenaktien habe es sich selber nicht geholfen, aber Europa einen verhängnisvollen Weg gewiesen. In einer schrumpfvergreisenden Umwelt gleiche solche Politik dem Befüllen bodenloser Fässer beziehungsweise dem bloßen Kaufen von Zeit. Das Scheitern zeige sich unübersehbar daran, dass der Index bis heute nicht vom Fleck kommt, sondern bei trüben 22.000 dümpelt. Dem Euro-Raum werde es nicht besser ergehen.

Jedermann scheint so genau zu wissen, wie schlimm es um Japan steht, dass auf Einzelbelege meist verzichtet wird. Wie also sieht Nippons Niedergang aus? Bei den besonders streng gesiebten Patentanmeldungen nach dem Patent Cooperation Treaty (PCT) kommen 2017 rund 48.000 aus Japan, aber nur 19.000 aus Deutschland. Bei zwei Dritteln der japanischen Bevölkerung (82 zu 126 Millionen) hätten die Deutschen für einen Gleichstand 32.000 Anmeldungen benötigt.

Drei Viertel der global installierten Industrieroboter stammen 2016 von sechs japanischen Anbietern. Unter den zwanzig Privatfirmen weltweit mit den meisten Patenten in künstlicher Intelligenz kommt 2018 eine aus Korea. Je zwei stehen in Deutschland und China, drei in den den USA, aber zwölf arbeiten in Japan.

Weil ohne japanische Könner in Europa vieles langsamer ginge, wird beispielsweise Kopenhagens hypermodernes U-Bahn-System nicht von Dänen oder wenigstens von Siemens aus dem benachbarten Deutschland, sondern von Hitachi aus Japan automatisiert und roboterisiert. Während Berlins staatliche Flugbereitschaft mit dem Reparieren der Maschinen nicht nachkommt, liefert Honda mit der zweistrahligen HA 420 momentan den weltbesten Business-Jet. Die drei besten Hybrid-Automodelle der Welt kommen 2019 aus Japan. Konkurrenz hat man vor allem von Korea zu fürchten, nicht jedoch aus Deutschland oder irgendeinem anderen westlichen Land.

Ist es womöglich die Kompetenz?

Weil Finanzkrisen doch kommen und gehen und die Fehler bei ihrer Bekämpfung sich ebenfalls wiederholen, müssen besondere Faktoren darüber entscheiden, dass die einen Firmen in der Weltspitze bleiben, während andere verschwinden. Wenn Europas „Untergang“ dem Imitieren japanischer Fehler geschuldet wäre, konnte er ja gar nicht schnell genug eintreten. Oder gibt es etwas an den Japanern, das man beim Nachmachen nicht automatisch mit übernimmt? Ist es womöglich die Kompetenz, mit der sie seit den 1960er Jahren beispielsweise Deutschlands damalige Hightech-Industrien in die Knie gezwungen haben (Kameras, Tonträger, Telefone, Fernseher, Schiffsbau et cetera)? Das Volk der Dichter und Denker landet 2017 unter den bestgebildeten Erwachsenen der Welt nur auf Platz sieben, während Japan die Nummer eins stellt.

Das sei doch alles Schnee von gestern, könnte man einwenden, der nichts über Europas Aufholpotenziale besage. Zur Überprüfung einer solchen Einschätzung soll ein Blick auf den Nachwuchs weiterhelfen. Schließlich entscheidet er über die Zukunft. In den 2005 bis 2009 geborenen Alterskohorten hat Deutschland rund 190.000 Jugendliche mit „advanced“ Mathematik-Fähigkeiten bei TIMSS 2015. Dabei geht es um die allerhöchste Leistungsklasse. In Frankreich sind es 100.000. Beide Länder zusammen haben knapp 150 Millionen Einwohner. Japan ist demografisch zwar deutlich schwächer, verfügt aber mit über 1,8 Millionen über sechsmal so viel solcher Asse. Ähnliche Irrwege der Geld- und Fiskalpolitik garantieren also nicht in jedem Fall einen glücklichen Ausgang.

Wie könnte der längerfristig aussehen? Mit den gebotenen Unwägbarkeiten versucht der Bildungsforscher Heiner Rindermann in der Studie "Cognitive capitalism: Human capital and the wellbeingof nations" (S.56) eine auf Kompetenz basierende Extrapolation der Prokopfeinkommen der meisten Staaten ein wenig überkühn bis zum Jahr 2100 in US-Dollar von 2010. Deutschland landet bei dem Ausblick auf passablen 77.000 Dollar, während Japan auf 308.000 davonzieht.

Eine gekürzte Fassung dieses Text ist bei WELT Online erschienen.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Frank Volkmar / 05.05.2019

Was mich immer wieder wundert, ist das hierzulande prinzipiell wenig bis nahezu nichts über die gesellschaftliche Entwicklung zum Beispiel Japans als auch in Nordamerika diskutiert wird. Damit meine ich die ÖR-Medien, deren Aufgabe dies eigentlich wäre. Es beschränkt sich im Falle von Japan entweder auf fernöstliche Folklore und bestenfalls die Vermittlung der Fremdartigkeit der asiatischen Gesellschaften (und natürlich Fukushima mit angeblich 20 Tsd. Toten durch das Reaktorunglück) und im Falle Nordamerikas auf Schlaglichter von Ereignissen in den obersten und untersten Teilen der Gesellschaft. Man vermeldet höchstens die Vergreisung der Gesellschaften als Problem, vermeidet aber andererseits die Problematik der Überbevölkerung speziell die der afrikanischen Staaten in der Berichterstattung.

Dieter Kief / 05.05.2019

Heiner Rindermanns von Gunnar Heinsohn zustimmend zitiertes überragendes Buch Cognitive Capitalism sollte mal auf derAchse besprochen werden. Bitte. (Wenns sonst keiner macht, - meine mail-adresse haben Sie). Zu Japan gäbe es noch viel zu sagen. Sehr merkwürdig finde ich, dass man sich hierzulande über die Japanischen Aktienkurse lustig macht oder besorgt zeigt. - Wo ist denn da das Probelm, bitte? Dass es keien Volatilität gibt? Das ist nur das Probelm von Spekulanten, weil auf solchen märktenfür dei nichts zu holen ist. Zero. Aber was soll darann bitte schlimm sein?  Auch die andauernd (z. B. auch von Markus Lanz) wiederholte Mär, dass die Japaner nun auf den europäischen Zuzugs-Pfad der offenen Grenzen einschwenkten, ist ziemlicher Humbug.

Klaus Reichert / 05.05.2019

Die von Deutschland nach Japan gewanderten Industrien wandern bzw. wanderten längst weiter nach Südkorea und nach China. Luxus- und Spezialprodukte dieser Brachen (Edelkameras, Kreuzfahrtschiffe) blieben in Europa. Insofern sieht der Autor das etwas zu Japan - optimistisch. Große Sorgen machen mir unsere Bildungspolitik, die nur noch auf Masse und Gleichmacherei setzt, sowie die europäische Nivellierung und Zentralisierung statt eines Wettbewerbs zwischen den Staaten. Also der fortschreitende Sozialismus.

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