Als Reaktion auf die antiisraelischen Krawalle, bei denen „selbstgebastelte“ israelische Fahnen verbrannt und die üblichen Parolen („Tod Israel“, „Kindermörder Israel“, „Allahu Akhbar“) gerufen wurden, hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine alte Idee der Grünen wieder ins Gespräch gebracht.
Die nächste Bundesregierung sollte einen „Antisemitismus-Beauftragten“ ernennen, der – so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag, Gitta Connemann – „wie ein Seismograf“ die Entwicklung „sorgfältig beobachten“ und mit dem Zentralrat der Juden „Handlungsoptionen oder Gegenmaßnahmen erörtern“ sollte. „Nicht zuletzt sollte er die Gesellschaft gegen Antisemitismus sensibilisieren nach dem Motto: Wehret den Anfängen.“
Eine großartige Idee, wenn sie nicht an einigen Stellen schwächeln würde. Die Frage, wie man mit dem Antisemitismus umgehen sollte, wird an die Juden ausgelagert, was insofern logisch ist, als sie der Grund für den Antisemitismus sind. Der Antisemitismus-Beauftragte soll auch nicht etwas gegen den Judenhass unternehmen, er soll nur „Handlungsoptionen oder Gegenmaßnahmen“ mit dem Zentralrat erörtern, um die Gesellschaft zu sensibilisieren und den Anfängen zu wehren, was etwa so komisch ist, als würde sich eine Frau jenseits der Wechseljahre darüber Gedanken machen, wie sie einer Schwangerschaft vorbeugen könnte.
Über das Stadium der „Anfänge“ ist die deutsche Gesellschaft längst hinaus. Der nostalgische Antisemitismus der indigenen Holocaust-Leugner wurde durch einen importierten Judenhass ersetzt, dessen Träger Israel den Tod wünschen. In Deutschland galt so etwas bis jetzt als „legitime Israelkritik“. Nun soll es ein Antisemitismus-Beauftragter richten.
Das wiederum entspricht der deutschen Tradition des angewandten Bürokratismus, wozu auch die vielen von der Bundesregierung Beauftragten gehören: für Migration, Flüchtlinge und Integration, für die Belange behinderter Menschen, für die Belange von Patientinnen und Patienten, für Drogenfragen, für die neuen Bundesländer, für den Tourismus, für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und seit kurzem auch einen, der sich um die Opfer von künftigen Terroranschlägen kümmern soll. Für jeden Topf findet sich ein Deckel. Und demnächst auch für den Antisemitismus.
Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche