David Harnasch / 22.06.2013 / 02:08 / 0 / Seite ausdrucken

Was das Team Wallraff über Eigenverantwortung und Selbstdarstellung lehrt

RTL gelang mit dem – naja - journalistischen Format „Team Wallraff“ am Montag ein Quotenerfolg, der Sender plant nun weitere Folgen.

Das „Team Wallraff“ inkludiert nicht das scheinselbständige Faktotum, das sich der verhüllte Enthüllungsreporter einst hielt, sondern die RTL-Reporterin Pia Osterhaus und den prominenten Anwalt Rüdiger Knaup. Hierfür ausgerechnet den auf Kündigungen faktisch unkündbarer Arbeitnehmer spezialisierten Knaup zu casten war zugegebenermaßen eine brillante Idee. Ansonsten war der Maskenball um die Ausbeutung von Reinigungspersonal in Hotels erwartbar weniger investigativ als effektheischend und geradezu unverschämt egozentrisch inszeniert. Nicht eine Erkenntnis aus der Sendung bedurfte der Verkleidung, in die Wallraff und seine Reporterin schlüpften. Exakt jede Information hätte sich mittels konventioneller Telefon- und Onlinerecherche, sowie Gesprächen mit Betroffenen gewinnen lassen. Dass das Team am eigenen Ruhm dramatisch größeres Interesse hat als am Schicksal der Zimmermädchen, bewies der Cliffhanger, mit dem die Zuschauerschaft über die Werbepause zum vermeintlichen Höhepunkt der – ähem - Reportage, gehalten werden sollte: Der Zoll erscheint zur Routinekontrolle im Hotel und die Reporterin „droht aufzufliegen“. Was erstens weder für sie noch für sonstwen irgendwelche negativen persönlichen Folgen gehabt hätte, denn ihr Einsatz war mit der Zolldirektion abgesprochen. Und was zweitens auch das Ergebnis der - wie soll man sagen – Recherche in keinster Weise beeinflusst hätte. Da Wallraff selbst nicht in die Rolle des Zimmermädchens schlüpfen wollte (Schade eigentlich, man hätte gerne gesehen, ob er Frauen so sexistisch spielt, wie er Farbige bim Blackfacing rassistisch darstellte), aber natürlich den Bildschirm nicht gänzlich seiner Kollegin überlassen konnte, durfte er sich als Hoteldirektor verkleiden. Wenn’s der Wahrheitsfindung diente, würde ich’s nicht kritisieren. Doch dazu hätte man ganz simpel einen echten Hoteldirektor interviewen oder in der Verhandlung mit dem Dienstleistungsunternehmer mit versteckter Kamera filmen können. Das lässt die Eitelkeit des Sendungsnamensgebers natürlich nicht zu.

Trotz aller Effekthascherei ließ sich einiges lernen. Wenig überraschend: Zimmermädchen verdienen in Deutschland mit ziemlich harter Arbeit ziemlich wenig Geld. Freilich immer noch sehr viel mehr Geld als sie mit sehr viel härterer Arbeit in der Subsistenzlandwirtschaft in Rumänien verdienen würden, aber angesichts deutscher Lebenshaltungskosten: Lousy Pennies. Für mich sehr viel überraschender: Zimmermädchen erhalten praktisch kein Trinkgeld. (Dieser Umstand wird nicht groß thematisiert, der Zuschauer erfährt es nebenbei, als eine der Frauen Pfandflaschen aus einem Zimmer einsteckt, um ihren kargen Lohn aufzubessern.) Wieso ist das so? Mir wurde vor gar nicht so vielen Jahrzehnten selbstverständlich beigebracht, dass man wenigstens ein paar Münzen im Zimmer lässt. Auch in Reiseführern wird routinemäßig darauf hingewiesen, welche Trinkgelder ortsüblich erwartet werden.

Da Wallraff ein Linker ist, prangert er die systematische Ausbeutung der Zimmermädchen an. Dabei ist diese Ausbeutung auch ganz individuell: Das Chaos in den Zimmern, dass die Damen in Nullkommanix zu beseitigen haben, fällt nicht vom Himmel und wird auch nicht von einem „System“ verursacht, sondern von ganz konkreten Hotelgästen. Nun könnten die hunderttausenden Hotelkunden unter den 3,5 Millionen Zuschauern entweder bei der Buchung auf korrekter Bezahlung des Hauspersonals bestehen (unwahrscheinlich) oder ihre Bundestagsabgeordneten bedrängen, gesetzgeberisch tätig zu werden (unwahrscheinlich und ineffizient). Oder aber sie besinnen sich auf gute Kinderstube, und machen es wie ich heute früh: Statt ein paar Münzen einfach einen Schein für das Personal liegen lassen. Da die Damen laut Wallraff im Schnitt weniger als vier Euro pro Zimmer bezahlt bekommen, macht alleine das einen signifikanten Unterschied. „Think global, act local“, sagen Ökos. Der Schwabe würde den gleichen Rat anders formulieren: „Kehret se erschtemol vor der eigene Tir!“

David Harnasch ist Chefredakteur des vierteljährlichen Debattenmagazins “liberal” der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Wenn Sie mehr von ihm geschriebene und ausgewählte Texte lesen wollen, können Sie die Zeitschrift hier beziehen.

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