Roger Letsch / 15.08.2020 / 14:00 / Foto: Tomasz Sulima / 48 / Seite ausdrucken

Warum wurde „Weißrussland” durch „Belarus“ ersetzt?

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass seit einigen Tagen in vielen Medien die Landesbezeichnung „Weißrussland“ fast vollständig durch „Belarus“ ersetzt wurde. Die täglichen Berichte über die „Wahl“ dort schoben das Land ja wieder mal stärker in den Fokus der Berichterstattung, und mir war die Veränderung in der üblichen und gewohnten Bezeichnung zwar aufgefallen, aber schon nach kurzer Zeit hatte ich das wieder vergessen.

Doch gestern Morgen (14. August, 9:11 Uhr) gab Peer Krumrey, der Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung in den Baltischen Staaten, dem Deutschlandfunk ein Interview. Er verwendete den Begriff „Weißrussland“, entschuldigte sich aber sofort dafür, korrigierte sich selbst („ich meine Belarus“) und verlor kurz den Faden. So in etwa stelle ich mir die Reaktion eines Nordkoreaners vor, der versehentlich auf das Abbild des „Geliebten Führers“ in einer Zeitung am Boden tritt. Zugegeben: der Vergleich hinkt. Aber in dem Moment war mir klar, dass auf „Weißrussland“ irgendein Sprachtabu liegen musste, von dem ich mal wieder nichts mitbekommen hatte.

Niemand verwendet den Begriff Weißrussland mehr, zumindest nicht absichtlich und im öffentlich-rechtlichen Strammfunk. Die Änderung ist offenbar so gründlich erfolgt, dass Menschen sich schuldig fühlen, wenn ihnen der „alte“ Begriff herausrutscht – nur das Gefühl von Schuld rechtfertigt schließlich eine Entschuldigung, um die noch nicht mal jemand gebeten hatte. Am 11.8. schob das ZDF eine Erklärung nach, die schon im Titel Verwirrung stiftete: „Warum Weißrussland plötzlich Belarus heißt“. Der Name des Landes hat sich nämlich überhaupt nicht geändert. Der lautet wie immer Belarus, genauer Беларусь, nur die deutsche Übersetzung „Weißrussland“, die sei falsch, meint das ZDF!

„Dabei ist „Belarus” nicht die genaue Übersetzung von „Weißrussland”, wie es auf den ersten Blick scheinen mag: „Bela” heißt zwar übersetzt weiß, doch „Rus” steht für ein mittelalterliches Gebiet in Osteuropa, Vorläufer der Staaten Belarus, Ukraine und Russlands – „Rus” ist eben nicht gleichbedeutend mit Russland.“

Die Argumentation des ZDF könnte man aber genauso gegen die Bezeichnung „Belarus“ ins Feld führen. Putins Ambitionen und klebrichte Einflussnahme auf die Regierung in Minsk wurde nämlich nicht durch die möglicherweise falsch verstandene Zuordnung „Weißrussland“ in der deutschen Übersetzung provoziert. Vielmehr dient ihm der Wortstamm „Rus“, diese nur ungefähr lokalisierbare mythische „Urmutter“ der heutigen Staaten Ukraine, Russland und Weißrussland als Rechtfertigung. Seine Bestrebungen, die territorialen Amputationen des Sowjetischen Großreiches durch Einfluss- und Landnahmen (siehe Krim) rückgängig zu machen, bedienen sich auch jedes anderen Mittels, während unsere öffentlich-rechtlichen Anstalten ihm sprachlich den Krieg erklärt haben. Ich fürchte, Putin zittert schon vor Angst.

Das Deppenterrain politisch unmündiger Bürger

Schaut man genauer hin, ist die neue Sprachregelung (und besonders deren Begründung) nämlich gleich ein doppelter Schlag gegen ihn. Die Aussagen „Rus ist nicht gleich Russland“ schießt ja auch gegen dessen Selbstbezeichnung. Wie kann es das „Land der Rus“ geben, wenn die Rus heute in drei Ländern liegt? Jeder weiß, wer in Minsk die Fäden zieht und wer Lukaschenkos Diktatorenladen wirtschaftlich am Leben hält. Und weil man mit allen Sanktionen und Drohungen nichts erreicht hat, versucht man nun, Putins Russland sprachlich auszutreiben. An diesem Exorzismus beteiligen sich die deutschen Medien allerdings nur sehr schleppend. die Welt beispielsweise verwendet noch die „frühere“ Bezeichnung „Weißrussland“. Doch das ZDF warnt:

"Umgangssprachlich okay, politisch fragwürdig: Umgangssprachlich ist es sicherlich okay, von ‚Weißrussland’ zu sprechen”, erläutert Sven Gerst, Kings-College-Doktorand im Gespräch mit ZDFheute. Doch der Belarus-Experte plädiert dafür, sich lieber an die Empfehlung der belarusisch-deutschen Geschichtskommission zu halten, die den offiziellen Namen vorzieht. Medien, Politiker, offizielle Stellen und auch die Bundesregierung verwenden heute in der Regel nur noch die offizielle Bezeichnung.“

Jetzt wissen wir gleich zwei Dinge. Erstens: es gibt eine belarusisch-deutsche Geschichtskommission, die offenbar für Sprachregelungen in Deutschland zuständig ist. Zweitens: „Umgangssprachlich okay aber politisch fragwürdig“ heißt, dass hier ein sprachlicher Pflasterstein gelockert und mit unsichtbarer Tinte markiert wurde. Ob er noch trägt, weiß man erst, wenn man draufgetreten ist. „Umgangssprache“ ist per Definition das Deppenterrain politisch unmündiger Bürger, die am Herrschaftsdiskurs nicht teilhaben.

Die Sprachregelung und deren unbedingte Befolgung ist ein wichtiges äußeres Zeichen der Macht, wie wir schon bei den sprachlichen Gender-Verhunzungen sehen können. Die offizielle Begründung für die Verbannung des Begriffs „Weißrussland“ ist schwach, aber sie muss ja nicht gut sein. Es genügt, dass es sie gibt und dass sie wirkt, wenn ein Vertreter des Parteienkartells in einem Radiointerview zur Selbstkorrektur schreitet, weil er versehentlich auf diesen lockeren Stein getreten ist. Das „Wackeln“ war im Interview deutlich zu hören gewesen.

Am Vokabular erkennt man die Stellung im Machtgefüge

Für alle anderen bedeutet diese Praxis des sprachlichen Daumensenkens eine permanente Verunsicherung und das soll sie auch. Konnte man früher anhand der verwendeten oder ignorierten Grammatik noch den Bildungsgrad erkennen, erkennt man heute bei genauem Hinhören am Vokabular die Stellung im Machtgefüge.

Der aktuelle Stand des Sprachgebrauchs und der Regeln zur Verwendung ist etwas, dass man sich morgens vor dem Verlassen der Wohnung wie den Wetterbericht draufschafft, um gut und pannenfrei durch den Tag zu kommen. Das sorgt für Beschäftigung und die Leute kommen nicht auf andere, dumme Gedanken. Der Plebs lässt man zwar einige ihrer Begriffe, doch schließt deren Verwendung den Zugang zur Macht aus.

Interessanterweise geht die sprachliche Detailverliebtheit definitionsberechtigter Medien nicht so weit, dass der mit geradezu sowjetischer Stimmenmehrheit „wiedergewählte“ Präsident des sprachlich schlagartig durch deutsche Medienmacht entrussifizierten Landes Belarus korrekt Lukaschena genannt würde, wie es in der Landessprache von Belarus korrekt wäre. Nur die FAZ hat seit Beginn der Polit-Karriere des Langzeit-Herrschers in Minsk auch wirklich konsequent von Lukaschenka geschrieben. Die meisten anderen Medien nennen ihn gemäß der russischen Übersetzung Lukaschenko. Und so hat das Land Belarus, das mit Russland überhaupt nichts, aber auch gar nichts zu tun hat, schon noch einen weißrussischen Diktator. Honi soit qui mal y pense…

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt

Foto: Tomasz Sulima, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Jaspert-Gärtner / 15.08.2020

Auch meinem Mann und mir fiel plötzlich auf, dass man auf einmal den Begriff Weißrussland, mit dem wir immer etwas anfangen konnten, einschließlich der Hauptstadt Minsk , in den Mainstreammedien nun als Belarus betitelt wurde. Als Selberdenkern wurde uns schnell offenbar , dass diese Umtitulierung nur etwas mit der politischen Korrekheit zu tun haben kann. Wir danken Achgut , noch den Namen Weißrussland zu verwenden, ebenso der NZZ.  Der ganze Irrsinn schreitet immer weiter voran. Leider sind 80% der Deutschen zu blöd es zu bemerken. Brave new world!!!  Die “political correctnes” tanzt auf einer scharfen Klinge, welche sie bald zerteilen wird!!!

Klaus Jürgens / 15.08.2020

Diese unzähligen Umbenennungen (aus welchen Gründen auch immer) gehen mir irgendwo meterweise am Darmende vorbei. Ich verwende die Bezeichnungen, welche in meiner Schulzeit gebräuchlich waren - und aus die Maus! Ich bin halt etwas ‘retro’ und daran werde ich für die restlichen Jahre meines Lebens auch nichts mehr ändern (ich rechne übrigens noch jeden Preis in DM um und vergleiche - okay das sollte ich eigentlich nicht tun, da es regelmäßig meinem Wohlbefinden schadet). Schon zu DDR-Zeiten hat mich wenig beeindruckt, daß Kambodscha plötzlich ‘Kampuchea’ heißen sollte - für mich blieb das weiterhin beim Alten. Mumbai heißt bei mir nach wie vor Bombay, Chennai ist für mich Madras und Myanmar Burma. Fertig - aus! Dieses Belarus hieß in meiner Kindheit somit ‘Weißrussische sozialistische Sowjetrepublik’, also kurz: Weißrußland. Und da wohnen die Weißrussen (wie heißen die jetzt eigentlich - Belarusskis?). Ich war übrigens schon da und habe die Menschen im Großen und Ganzen als sehr umgängliche Leute kennengelernt, mal abgesehen von den Taxifahrern am Flughafen in Minsk, die versuchen einen latent übers Ohr zu hauen (wobei das im Prinzip überall auf der Welt nicht anders ist). Dem kann man man übrigens hervorragend abhelfen, indem man die Typen einfach stehen lässt und stattdessen mit dem ‘Marschrutka’ fährt. Für weniger als ein Zwanzigstel der verlangten Preise. In den Hotels gibt es dann noch ein paar typisch postsowjetische “Deshurnajas”, aber daran gewöhnt man sich. Ansonsten ist alles sehr relaxt und das Bier schmeckt auch ordentlich. Ich glaube, über deutsche Befindlichkeiten mit der Landesbezeichnung würden sich die Weißrussen einfach nur kaputtlachen. P.S. Studiert habe ich in Karl-Marx-Stadt - sogar einige der dortigen Einheimischen verwenden heutzutage wieder gern diesen Namen ; -)

Roland Stolla-Besta / 15.08.2020

Als ich die Überschrift des Artikel las, hatte ich spontan den Verdacht, daß das „Weiße“ an diesem Rußland verdammungswürdig sei, denn wie jedes Kind heutzutage weiß, ist weiß ja ganz was Schlimmes, besonders in Verbindung mit alten Männern (weniger übrigens mit alten Frauen). Und da „Schwarzrußland“ beim besten Willen irgendwie nicht geht, dann halt das Original Belarus. Aber daß die ganze Sache ja noch viel komplizierter ist und dies in dem Artikel so gut dargestellt wird, dafür Dank an Herrn Letsch.

Leo Hohensee / 15.08.2020

siehst`de und da war ich schon an die Grenzen meiner Bildung gestoßen. Was ist denn Bellaruss - ach ne, Belarus? Ich weiß, das spricht nicht für mich. mir egal, ist das Gleiche wie “Inauguration”! Diese Hansel müssen aufpassen, dass sie nicht über ihre eigenen Füße fallen.

Chr. Kühn / 15.08.2020

Soll’n se aber dann auch France, Suomi, Espana oder Türkiye schreiben, gell?! Ist doch das gleiche Brüllaffentheater wie mit Danzig, Breslau, Stettin, Königsberg…was bricht man sich ab, die deutschen Namen dieser Städte zu verwenden? Weniger, als wenn man als Deutscher Wrocław aussprechen soll… Solange man Athen, Bukarest, Moskau etc. auf Deutsch wiedergibt…ACH SO, JA KLAR, nach dem Aussprechen/Schreiben der deutschen Namen folgt schon am nächsten Tag um 4:45 Uhr…

Rudolf George / 15.08.2020

Und irgendwann wird die Bundesrepublik sich dagegen wehren, als Germany bezeichnet zu werden. Mit Germanen wollen wir nichts mehr zu tun haben!

Bertram Scharpf / 15.08.2020

Muß ich mich am Ende aufregen, weil es in Bayern einen Regierungsbezirk „Schwaben“ gibt, der nicht zu Württemberg gehört? Dürfen die Franzosen noch „Allemagne“ sagen, wenn die meisten gar keine Alemannen sind?

Arthur Duszynski / 15.08.2020

Erbitte dringend Nachhilfe und Vorschläge für geeignestes Adjektiv. Belrusse, belrussischer oder so Präsident? Oder doch weißrussischer?

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